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ERP-Anbieter im Schatten ihrer Lösungen

Bei der Studie „ERP in der Praxis“ schneiden die ERP-Lösungen besser ab als der Service ihrer Anbieter.
ERP-Anbieter im Schatten ihrer Lösungen © Freepik / our-team
 

Software für das Enterprise Resource Planning (ERP) spielt in den meisten Unternehmen eine ganz zentrale Rolle, wenn es um die Steuerung des Betriebes geht.  Als Steuerungsinstrument für die wichtigsten Geschäftsprozesse leisten ERP-Systeme oftmals einen wesentlichen Beitrag zur Geschäftsentwicklung. Daher befasst sich eine Studie der Trovarit AG seit mittlerweile 18 Jahren regelmäßig mit dem ERP-Einsatz in der betrieblichen Praxis. Rund 2.000 Anwenderunternehmen beteiligten sich in diesem Jahr an der Studie „ERP in der Praxis“ und bewerteten knapp 130 ERP-Lösungen, von denen 39 mit ausreichender Datenbasis in die Studie eingingen. Dabei vergaben sie nicht nur Noten für die Leistung der Software und des Anbieters, sondern tauschten sich auch über den Nutzen und die Perspektiven des ERP-Einsatzes aus.

Die Bewertung zeigt im Vergleich zu 2020 insgesamt eine weitgehend stabile Anwenderzufriedenheit, die sich im Hinblick auf die Software mit einer Bewertung von 1,80 (Schulnoten) auf wirklich gutem Niveau bewegt. Ebenfalls gut (Schulnote: 1,93), aber doch etwas schwächer, fällt das Gesamturteil über Dienstleistungen des Software-Partners aus. Hier ist nach einer Verbesserung 2020 in diesem Jahr ein Rückgang zu verzeichnen.

Gewinner & Verlierer

Trotz der insgesamt recht hohen Anwenderzufriedenheit offenbart der ERP-Markt durchaus Licht und Schatten: Der Vergleich der verschiedenen Software-Lösungen und -Anbieter zeigt im Hinblick auf die Gesamtbeurteilung der Softwareanbieter doch eine beachtliche Spanne von fast zwei Schulnoten. Bei der Software ist es immerhin eine ganze Schulnote! Der Vergleich zur Vorgängerstudie aus 2020 offenbart zudem einige Auf- bzw. Absteiger in Sachen „Anwenderzufriedenheit“.

Dabei muss vorausgeschickt werden, dass angesichts unterschiedlichster Anwendungsszenarien und Lösungscharakteristiken eine Segmentierung des ERP-Marktes notwendig ist, um die Vergleichbarkeit einzelner Lösungen im Hinblick auf die Anwenderzufriedenheit zu gewährleisten. Eine in dieser Hinsicht ganz zentrale Kenngröße ist die Komplexität der Installationen einer ERP-Lösung, die sich an Parametern wie der Zahl der ERP-Arbeitsplätze, der Breite des mit der Software unterstützten Prozess- und Aufgabenspektrums, der Zahl der angebundenen Betriebsstätten sowie der Internationalität der ERP-Installation (Anzahl der Lokalisierungen bzgl. Sprachen und abgebildeter Rechtskreise) festmachen lässt.

Infor setzt sich an die Spitze der „Großen“

Die im Segment der sehr anspruchsvollen ERP-Installationen positionierten ERP-Lösungen finden sich aufgrund der Komplexität der Installationen seit jeher tendenziell im hinteren Bereich des Portfolios wieder. Das Gesamturteil für Software und Wartungspartner liegt mit einem Klassendurchschnitt von 1,90 bzw. 2,12 im Bereich von „Gut“ und damit spürbar unter dem Gesamtmarkt.

Schaut man auf die einzelnen Lösungen, dann kann sich in diesem Jahr Infor mit seiner Cloud Suite, dem Nachfolger von Infor LN, als „Gewinner“ unter den Lösungen für größere Unternehmen fühlen:

Dabei macht die Infor Cloud Suite (Infor CS) im Hinblick auf die Zufriedenheit mit dem Wartungspartner nicht nur Boden gut, der vor zwei Jahren verloren wurde, sondern übertrifft auch die erheblich besseren Zufriedenheitsresultate aus 2018. Im Gegensatz dazu fällt die IFS Applications mit einer, im Vergleich zu den Mitbewerbern, aber auch zur Vorstudie aus 2020, deutlich schlechteren Bewertung der „Zufriedenheit mit dem Wartungspartner“ auf. Dabei betreut der Hersteller IFS rund zwei Drittel der befragten Anwenderunternehmen selbst. Das verbleibende Drittel – meist Unternehmen unter 500 Mitarbeitern – wird durch Partner betreut, die dem in den letzten Jahren aufgebauten Partnernetzwerk der IFS angehören.

Bei IFS fällt zudem die ausgeprägte Asymmetrie zwischen der Zufriedenheit mit der Software einerseits und der offensichtlichen Unzufriedenheit mit den Dienstleistungen des Anbieters andererseits auf. Während die Software insgesamt stabil bewertet wird und auf einem Niveau mit den unmittelbaren Wettbewerbern liegt, erfährt die Zufriedenheit mit dem Anbieter bei einer erneuten Verschlechterung um fast eine halbe Schulnote gegenüber 2020 nochmals einen deutlichen Rückschlag. Die negative Entwicklung der Anwenderzufriedenheit im Fall von IFS Applications kann fast als Musterbeispiel für gravierende Zufriedenheitseffekte im Fall von strukturellen, personellen und produktbezogenen Änderungen auf Anbieterseite angesehen werden: IFS hat Ende der 2010er Jahre die globale Unternehmensorganisation deutlich zu Lasten der eher regionalen (Landes-)Gesellschaften gestärkt. Damit einher gingen im deutschsprachigen Raum große personelle Veränderungen, angefangen vom Top Management bis hinein in die Beratungs- und Support-Struktur. Darüber hinaus wurde die Vertriebs- und Supportorganisation dahingehend umgestellt, dass die „kleineren“ IFS-Kunden zukünftig durch Partner anstelle des Herstellers selbst betreut werden. Schließlich wurde m Frühjahr 2021 mit IFS Cloud ein völlig neues Release von IFS Applications vorgestellt, dass sich nicht nur technologisch, sondern auch im Hinblick auf die Bereitstellung aus der Cloud massiv von den Vorgängern unterscheidet. Auch wenn diese Maßnahmen aus strategischer Sicht für die IFS sowie mittelfristig auch für die IFS-Kunden durchaus sinnvoll sein könnte, hat deren – auch nicht immer reibungsfreie – Umsetzung und die damit verbundenen Umstellungen doch offenbar zu erheblichen Irritationen auf Seite der IFS-Kunden geführt.

Die besten „Mittelgroßen“ punkten bei der Kundenbetreuung

Schaut man auf die einzelnen ERP-Lösungen im Segment der mittleren ERP-Installationen, dann kann man in Sachen der Anwenderzufriedenheit fast schon von einer Zweiteilung des Marktes sprechen: Die Mehrzahl der etablierten „Mittelstandslösungen“ erzielt wirklich gute Noten im Hinblick auf die Software. Gleichzeitig fallen diese Lösungen etwas ab, wenn es um die Bewertung der Dienstleistungen des Wartungspartners geht. Hierbei handelt es sich oftmals um den Hersteller der Software selbst. Angesichts des hohen Notenniveaus bei der Software kann man hier zwar nicht unbedingt von Schwächen im Service sprechen. Dennoch wirken sich Abschläge bei einzelnen Zufriedenheitsaspekten offenbar auf die Gesamtnote aus. Bei dem Kritikpunkten handelt es sich oftmals um die „Erreichbarkeit“, „Schnelligkeit“ oder auch „Kompetenz von Hotline bzw. Support“, die Zufriedenheit mit dem Kundenbetreuer („Account Manager“) oder auch die „Beratung bei der Optimierung des Software-Einsatzes“.

Die Lösungen in der Spitzengruppe des Mittelsegments zeichnen sich dagegen nicht nur durch sehr gute Noten für die Software aus. Bei ihnen bewegt sich auch die Zufriedenheit mit dem Service der Wartungspartner auf dem gleichen Niveau wie die Zufriedenheit mit der Software. Hier spielt offenbar eine sehr intensive und engagierte Kundenbetreuung sowohl während der Einführung als auch während des Software-Betriebs eine große Rolle. Dabei kommen Software und Service mit Ausnahme von eNVenta aus einer Hand, da alle Lösungen aus der Spitzengruppe direkt durch die Hersteller angeboten und betreut werden.

Die beiden „Schlusslichter“ im Mittelsegment, proALPHA und caniasERP, erzielen immer noch ein glattes „Gut“ bei der Gesamtzufriedenheit mit der Software. Im Vergleich zu den Mitbewerbern in der Klasse liegen sie damit dennoch etwas zurück. Ein Blick in die Details zeigt unterschiedliche Kritikpunkte: Beiden gemein ist die Kritik an der „Release-Fähigkeit“, die jeweils deutlich unter dem Klassendurchschnitt liegt, sowie an der „Mobilen Einsetzbarkeit“ der Software.

Ähnliche Muster lassen sich auch im Hinblick auf die Zufriedenheit mit den Dienstleistungen des Wartungspartners – in beiden Fällen der jeweilige Software-Hersteller selbst – erkennen: Beim Support erfährt insbesondere die „Schnelligkeit bis zur Bereitstellung einer Lösung“ deutlich Kritik, gepaart mit Schwächen bei der Hotline (caniasERP) bzw. bei der Kompetenz „Hotline/ Support“ (proALPHA).

Bei proALPHA lassen sich die festgestellten Entwicklungen wohl auch auf die Herausforderungen zurückführen, die mit der durch viel Private Equity ermöglichten, sehr ehrgeizigen Akquisitionsstrategie des Unternehmens einhergehen. Diese zielt letztlich darauf ab, durch zahlreiche Zukäufe ein sehr umfassendes Lösungsangebot für Unternehmen der diskreten Fertigung aus einer Hand bereitstellen zu können. Offenbar belastet das erhebliche Unternehmenswachstum sowie die produktseitige und organisatorische Integration der Zukäufe die Management- und Entwicklungsressourcen der proALPHA doch in erheblichem Maße, so dass den Kunden in der jüngeren Vergangenheit weniger Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist, als diese es bei dem lange Jahre eher mittelständisch geprägten Software-Anbieter gewohnt waren.

Gute Noten für den Service der „Kleinen“

In der „Leichtgewichtsklasse“, ERP-Lösungen mit einem Einsatzschwerpunkt bei Installationen unter 25 ERP-Arbeitsplätzen, liegt das Zufriedenheitsniveau insgesamt spürbar über dem des Gesamtmarktes. Das relativ hohe Zufriedenheitsniveau in diesem Marktsegment ist im Kern auf die geringere Komplexität der ERP-Installationen zurückzuführen. Dabei finden sich in diesem Segment sehr unterschiedliche ERP-Lösungen: Angesiedelt sind hier schlanke ERP-Lösungen mit deutlichem Fokus auf dem Finanzwesen und der kaufmännischen Auftragsabwicklung, wie z. B. HS (Hamburger Software) oder BMD. Von diesen Lösungen finden sich im deutschsprachigen Raum oft über 10.000 Installationen. Auf der anderen Seite finden sich hier zum Teil hoch spezialisierte und dabei fachlich durchaus breit aufgestellte ERP-Lösungen, die von einem sehr überschaubaren Kundenkreis genutzt werden, wie z. B. Syslog, ISSOS PRO, winweb-food oder Majesty. Positiv absetzen können sich die Lösungen mit vorwiegend kleineren ERP-Installationen insbesondere im Hinblick auf die „Release-Fähigkeit“ (+0,18 Schulnoten) und „Performance“ (+0,17) sowie im Hinblick auf die Anwenderdokumentation“ der Software (+0,12). Im Bereich von Support bzw. Hotline fallen die Reaktionsschnelligkeit (+0,19) und Kompetenz (+0,13) sowie das „Schulungs- und Informationsangebot“ (+0,15) besonders positiv auf. Die guten Noten für den Service werden offenkundig auf unterschiedlichen Wegen erreicht: Die Anbieter mit einem sehr großen Kundenstamm setzen auf Standardisierung der Software und Service-Prozesse. Die spezialisierten Anbieter mit kleinem Kundenstamm setzen dagegen stark auf eine sehr intensive und individualisierte Kundenbetreuung.

Blickt man auf die verschiedenen ERP-Lösungen, dann rangiert die auf das Segment der „Professional Services“ spezialisierte Lösung work4all gemeinsam mit den Fertigungslösungen ISSOS PRO und Syslog an der Spitze. Die Anwender bescheinigen diesen, fachlich auf die Belange der Zielgruppe zugeschnittenen Software-Lösungen Spitzenwerte, in fast allen Zufriedenheitskategorien. Gleiches gilt für die Betreuung durch den Software-Anbieter, wobei hier die sehr guten Ergebnisse offensichtlich nicht mehr nur durch die persönliche Kommunikation, sondern zunehmend auch durch ein gutes Schulungs- und Informationsangebot in Verbindung mit einem leistungsfähigen Support erreicht werden. Schließlich heben sich die Spitzenreiter in der Wahrnehmung der ERP-Anwender durch ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis im Hinblick auf die Software und die Wartungsleistungen deutlich positiv vom Durchschnitt des Marktsegmentes ab.

Herausforderungen für die Zukunft

Trotz des insgesamt hohen Zufriedenheitsniveaus zeigt die Studie auch Schwächen bei Details, die den Alltag von ERP-Anwendern und Administratoren durchaus belasten: Trotz einer leichten Verbesserung gegenüber den Vorjahren schneidet die „Mobile Anwendbarkeit der ERP-Software“ mit einer Durchschnittsnote von 2,76 weiterhin am schlechtesten unter allen betrachteten Zufriedenheitsaspekten ab. Offenbar wirken die seitens der Software-Anbieter ergriffenen Maßnahmen (z. B. vermehrte Umstellung auf Web-Technologien mit Responsive Design). Insgesamt halten sich die Fortschritte jedoch in Grenzen. Zum einen gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen ERP-Produkten. Zum anderen scheint die Erwartungshaltung im Hinblick auf den mobilen Zugriff fast so schnell zu steigen, wie die Leistungsfähigkeit der ERP-Software in Sachen „Mobilität“. Ebenfalls schwache Noten sprechen die Anwender für die „Technische bzw. Anwender-Dokumentation der Software“ aus, wobei die Bewertung gegenüber den Vorjahren sogar nochmals spürbar gesunken ist. Gleiches gilt für die „Dokumentation von Software-Anpassungen“.

Schließlich sehen ERP-Anwender die Möglichkeiten relativ kritisch, die ERP-Systeme im Hinblick auf die „Internationale Einsetzbarkeit“, das „Reporting und Formularwesen“ und die Anbindung anderer Lösungen über „Schnittstellen“ bieten. Ähnliches gilt für die „Release-Fähigkeit“, wobei sich jedoch große Unterschiede zwischen den ERP-Produkten zeigen.

Auffällig verschlechtert hat sich im Vergleich zu 2020 das Anwenderurteil zur „Performance“ und zur „Stabilität“ der ERP-Software. Dabei spielt zum einen sicherlich eine Rolle, dass die grafischen Oberflächen der Lösungen mehr Rechenleistung erfordern. Wichtiger für beide Aspekte ist aber möglicherweise der Umstand, dass in den vergangenen Jahren viele Anwender aus dem Homeoffice über das Internet auf die ERP-Software zugreifen. Begrenzte Bandbreiten und instabile Internet-Anbindungen fallen dabei auch auf die ERP-Software zurück.

Rolle und Nutzen von ERP-Systemen

Die Zufriedenheit der ERP-Anwender ist natürlich vor dem Hintergrund der Erwartungen an die ERP-Lösung sowie den Nutzen zu sehen, der durch den ERP-Einsatz erzielt wird.

ERP-Systeme sind zuallererst ein „Werkzeug zur Auftragsabwicklung“. Sie haben damit eine sehr zentrale Stellung im Daten- und Informationsfluss eines Unternehmens, so dass ein sehr großer Teil der Anwender in ihrem ERP-System den zentralen „Informations-Hub des Unternehmens“ sehen. Für die Zukunft sehen die Anwender die ERP-Software insgesamt in einer stärkeren Rolle, insbesondere wird erwartet, dass das ERP-System als Prozessstabilisator und Qualitätsgarant sowie als Cockpit zur Unternehmenssteuerung wirkt.

Vor diesem Hintergrund billigt die Mehrheit der Studienteilnehmer ihrer ERP-Software derzeit einen konkreten Nutzenbeitrag im Sinne der „Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen“ und der „schnellen und einfachen Bereitstellung von Informationen“ zu. Knapp die Hälfte sieht zudem den Nutzen, den eine ERP-Software im Hinblick auf die „Qualität der bereitgestellten Informationen“ liefern kann. Dabei ist die Nutzenwahrnehmung der ERP-Anwender im Vergleich zur Vorgängerstudie insgesamt recht stabil.

Signifikante Unterschiede in der Nutzenbewertung zeigen sich in Abhängigkeit von der Größenordnung der Anwenderunternehmen: Während gerade kleinere Unternehmen insbesondere den Nutzen der ERP-Software im Hinblick auf die „Prozesseffizienz“ und „Transparenz“ sehen, sind diese Aspekte gerade bei den größeren Unternehmen zwar auch auf der Agenda. Im Gegensatz zu den Kleinen liegt bei ihnen der Nutzen einer ERP-Software aber wesentlich stärker in der „Prozessautomatisierung“ sowie in der Verbesserung und „Beschleunigung der firmenübergreifenden bzw. auch der internationalen Zusammenarbeit“.