Zeit für Verantwortung
Werbeagenturen stehen in der Rangliste der vertrauenswürdigsten Institutionen seit vielen Jahren abgeschlagen auf dem letzten Platz, weit hinter Unternehmern und Banken, dafür auf gleicher Höhe wie Social Media. Auch im Marketing hat man es nicht leicht. Harvard Business Review (HBR) kommt zu der Einschätzung, dass „Chief Marketing Officers in den letzten Jahren aus der Mode gekommen sind. Researcher behaupten, sie brächten keinen Mehrwert“. Im CMO Survey von Deloitte würde die Frage nach der Bedeutung von CMOs von diesen selbst mit einem Allzeit-Tief beantwortet.
HBR meint, 40 Prozent der CEOs erwarten von CMOs, dass sie den Business Case für die Technologieinvestitionen, digitale Transformation und die Kundenerfahrung (‚Customer Experience‘) erstellen. Gleichzeitig aber sind über 80 Prozent von ihrem CMO weder beeindruckt oder, schlimmer, noch trauen sie es ihm/ihr zu.
Die Zeiten für Marketer und Werber sind nicht einfach. Die Branche steuert auf schwierige Jahre zu. „Der Konsum als Stütze der Konjunktur fällt derzeit aus“, fasst die Tagesschau zusammen: „Die Bundesbürger halten ihr Geld gerade zusammen, die Kauflaune verbessert sich kaum. Das hat auch mit den Sorgen vieler Menschen zu tun.“ Dass die Bundesregierung ihre Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum für 2024 auf 0,2 Prozent absenken musste, kommentierte Wirtschaftsminister Habeck mit den Worten: „Das ist wirklich dramatisch schlecht. So können wir nicht weitermachen.“
Das klingt tatsächlich nach einem Dilemma für die Riege der Marketing-Verantwortlichen. Denn Themen wie Rezession, Nachhaltigkeit, Agilität und Customer Experience standen weder auf ihren Studienplänen, noch wurden sie damit in ihrer praktischen Arbeit je konfrontiert.
Das alles sind keine guten Vorzeichen für ein neues Marketing mit positivem Einfluss auf eine Konsumwelt, die mit derartigen Herausforderungen zu kämpfen hat. Wenn Marketing nicht bald reagiert und Lösungen bietet, werden CMOs weiter an Einfluss verlieren.
Nachhaltigkeit auf die Agenda
Sie könnten sich ein Beispiel nehmen an einem Manifest von Richard Jung, Professor Communication Design & Corporate Identity und ADC Vorstand Forschung & Lehre. Er ruft die kreative Werbebranche des 21. Jahrhunderts dazu auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen und ihre einzigartige Position für den sozialen Wandel zu nutzen:
„In einer Zeit des Klimawandels, des Umbruchs und der politischen Unruhen erkennen wir die gesellschaftliche Bedeutung der kreativen Werbebranche an. Wir stehen an der Schnittstelle von Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Kunst und Kultur und tragen eine Verantwortung, die über kommerzielle Interessen hinausgeht. Unsere Aufgabe ist es, eine bessere Welt zu schaffen, indem wir unsere einzigartigen Talente und kreativen Energien nutzen.“
Ein Thema wie Nachhaltigkeit in Marketing und Werbung steht heute auf jeder Agenda jedes Unternehmens. Die Möglichkeiten, Emissionen zu senken, sind vielfältig. Noch fehlt es zwar an Guidelines und Checklisten für die Verantwortlichen im Marketing. Weitgehend unbekannt ist jedoch, dass einer der größten Verursacher von Energieverbrauch und Emissionen der Mediaplan selbst ist.
Die Werbebranche gehört, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, zu den größten Umweltverschmutzern der Erde. Weder Verbrauchern noch Politikern noch Greenpeace & Co ist bewusst, dass ausgerechnet die ungeliebte, störende und nervige Werbung ein ganzes Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortet. Und was noch schlimmer ist: Der Energieverbrauch der Werbung steigt dank Online und der Zunahme von Programmatic Jahr für Jahr.
Diese digitale Welt ist für bis zu vier Prozent des weltweiten Stromverbrauchs verantwortlich. Beim Anteil an den klimaschädlichen Emissionen reichen die Schätzungen von 1,4 bis 3,9 Prozent. Eine einzige Ad Impression produziert zwischen 0,1 und 1,1 Gramm CO2. Eine Million Ad Impressions entspricht somit einer ganzen Tonne CO2-Emissionen. Das bedeutet, dass jede einzelne Onlinekampagne für sich betrachtet tonnenweise Umweltzerstörung hinterlässt.
Marketing als Nachhaltigkeitsvorbild
Viele Bereiche in Unternehmen haben längst begonnen, Nachhaltigkeit durch- und umzusetzen. Sie prüfen Lieferketten, Herstellungsprozesse, Verpackungen. Sie stoppen Inlandsflüge, stellen den Fuhrpark auf Elektroautos um und bieten Mitarbeitenden JobRad-Leasingverträge. Viele dieser Maßnahmen bedeuten jedoch langfristige Umstellungen und Investitionen, die sich nicht sofort bemerkbar machen.
Marketing hat es in dieser Hinsicht leichter. Maßnahmen, die im Marketing- und Mediabereich ergriffen werden, wirken sofort. Schon bei der Produktion von Werbefilmen und -mitteln greifen Aspekte wie lokale Drehorte, nachhaltige Ausstattung und Mobilität, effiziente Energieverwendung und Abfallmanagement.
Täglich wirksam ist die Auslieferung jeder Werbekampagne, die jeden Tag unters Volk gebracht wird. Wenn wir ernsthaft an die täglichen CO2-Emissionen ranwollen, müssen wir an Media ran. Jedes Medium stößt beim Werbeeinsatz unterschiedliche Mengen an CO2 aus. Der „Green-GRP-Rechner“ https://idooh.media/ der Agenturgruppe Serviceplan in Zusammenarbeit mit Climate Partner gibt darüber Auskunft. Schon kleinste Veränderungen am Media-Mix, z.B. die Erweiterung um umweltfreundlichere Medien wie Audio oder Digital-Out-of-Home verringert die CO2-Emssionen spürbar.
Ein Beispiel: Eine durchschnittliche TV-Kampagne erzeugt 750 Millionen Kontakte und stößt damit etwa 500 Tonnen CO2 in die Luft. Die gleiche Menge Ad Impressions bringt es bei Online Video auf 100 Tonnen CO2. Kürzt man TV und Online nur leicht und ersetzt ein Drittel der Kontakte durch DOOH-Bewegtbild, erspart man der Umwelt 200 Tonnen CO2, steigert obendrein die Reichweite der Kampagne und die Effizienz ebenso messbar.
Marketing kann durch Nachhaltigkeits-Maßnahmen zum Vorbild für alle anderen Bereiche des Unternehmens werden. Marketing trägt seine Verantwortung und liefert mehr als nur dringend benötigten Content für den Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens. Markenverantwortliche tragen damit ebenso zur Haltung des Unternehmens bei. Denn ohne eine intakte Umwelt ergeben die schönsten Marketingbotschaften keinen Sinn. Das alleine dürfte Motivation genug sein und für einen Ruck durch die Führungsetagen sorgen.