Heute ein Callcenter-König
Callcenter gelten als Vorhölle des Kapitalismus. Aber wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man als Agent den ganzen Tag Kundenfragen beantworten muss? Wer in einem großen Versandhaus den Gesprächen lauscht, versteht plötzlich, warum Service per Telefon so schwierig ist.
Frau Haselmann* ist wahnsinnig aufgeregt. "Isch habe do falsch gegliggd. Dabei wollde isch doch Roodenzahlüng!" Frau Haselmann ist laut Computerdisplay Ende 60 und wohnt in Leipzig. Sie hat auf Otto.de ein Handy bestellt, per Sofortzahlung. Und nun kratzt sie ein bisschen am Putz, denn eigentlich wollte sie das Gerät lieber abstottern - per "Roodenzahlüng".
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Das nachträglich zu ändern, wäre einfach - vorausgesetzt, man verstünde, was genau Frau Haselmann möchte. Ich habe da so meine Schwierigkeiten. Denn sie sächselt in hohem Tempo und die Verbindung rauscht und knarzt. Frau Bartels, die Otto-Kundenbetreuerin neben mir, kommt gar nicht dazu, ihren Lösungsvorschlag vorzubringen. Denn Frau Haselmann redet durch, ohne Pausen.
Ich sitze im Kundencenter des Hamburger Otto-Versands, einem riesigen Großraumbüro mit Hunderten Funktionsarbeitsplätzen. Wenn ein Konsument bei Otto anruft, dann landet er (häufig) hier. Seit mehr als einer Stunde lausche ich den Telefonaten, die Frau Bartels führt. Gerade hat sie einen echten Härtefall an der Strippe. Es ist ein außerordentlich bockiger junger Mann, der eine Schrankwand bestellt hat. Deren Liefertermin ist Makulatur, und Frau Bartels muss ihm das irgendwie beibiegen.
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Diese Frau Bartels ist verdammt gut. Mit ihrer zupackenden, hanseatischen Herzlichkeit schafft sie es, fast jeden Kunden für sich einzunehmen. Und während sie im Plauderton Lösungsvorschläge unterbreitet, überprüft sie Bonität, Bestellhistorie, Angebotsdetails und Notizen, die andere Servicemitarbeiter in der Kundendatei hinterlassen haben.