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CXM als Instrument der Kündigerprävention

Viele Unternehmen bemühen sich zu spät um ihre Kunden. Frühere Anstrengungen steigern nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern sparen auch Geld.
Jörg Reinnarth | 04.07.2022
CXM als Instrument der Kündigerprävention © Freepik / andranik.h90
 

Ob Sie CMO, Digital Marketing- oder CRM-Profi sind, auch Sie sind Kundin oder Kunde von Versorgern, Finanzdienstleistern, Banken, Telekommunikationsanbietern und Händlern. Denken Sie bitte einmal an die Unternehmen, mit denen Sie in Beziehung stehen. Und beantworten Sie für sich diese eine Frage: Wann hat eines dieser Unternehmen Sie zuletzt richtig begeistert oder gar positiv überrascht?

Kleiner Aufwand – große Wirkung

Unternehmerisches Wachstum basiert auf erfolgreichem Kundenbeziehungsmanagement. Das findet heute besonders auf der emotionalen Ebene statt und muss begeistern. Hier ist wirkungsvolles Customer Experience Management (CXM) der stärkste Hebel der Kundenbindung. Der Aufwand ist noch planbar und überschaubar – Programme für die Kündigungsvermeidung (Churn Prevention) oder die Kündigerrückgewinnung, geschweige denn die Neukundengewinnung, sind deutlich aufwändiger und ineffizienter. Trotzdem sieht die Budgetrealität in vielen Unternehmen genau so aus: In die Neukundengewinnung, Kündigungsvermeidung und Kündigerrückgewinnung fließen die großen Marketing-Budgets. Wie man dieses Geld besser investiert und warum CXM mehr Fokus braucht, darum geht es in diesem Beitrag.

Mehr Budget für CXM spart Geld bei Churn Prevention

Unternehmen wie beispielsweise Versicherer, Finanzdienstleister, Banken, Telekommunikationsanbieter und Händler haben eine hohe Anzahl an Bestandskundenbeziehungen zu pflegen. Erhebungen der CRM-Beratung CINTELLIC zeigen: Sobald die Bestandskundenzahl eine gewisse Größenordnung erreicht, meist ab ca. einer Million, wird die Kündigerrate zum Problem. Schnell liegt sie bei vier bis 20 Prozent. Eine Größenordnung, die gerade in Branchen mit hohem Preis- und Wettbewerbsdruck, beispielsweise bei Energieversorgern, unvermeidbar scheint.

Vordergründig scheint die Anforderung auf der Hand zu liegen: Es müssen mehr neue Kunden gewonnen werden als verloren gehen oder reaktive Maßnahmen zur Senkung der Kündigerzahlen etabliert werden. Viele glauben, nur so könnten Umsatz und Gewinn gesichert werden und bestenfalls weiter wachsen. Ein teurer Irrtum! Diese Anforderung lässt sich zwar erfüllen, indem viel Geld für Marketing und Neukundengewinnung ausgegeben wird. In vielen Unternehmen gilt der stetige Verlust von Kunden als unvermeidbar, so dass Kampagnen zum Halten kündigungsgefährdeter Kunden (Churn Prevention) sowie zur Kündigerrückgewinnung ebenso kostspielige und große wie feste Budget-Posten in der Kundenkommunikation einnehmen. Eine andere Vorgehensweise ist fruchtbarer.

So sollte sich stattdessen auf eine Budget-Neuordnung fokussiert werden, die auf einer neuen, nachhaltig kundenzentrierten Haltung basiert. Die Erkenntnis: Die Bekämpfung der Ursachen ist effizienter als die Bekämpfung der Symptome. Will heißen: Die Senkung der Kündigerrate ist ein wesentlicher Treiber von Umsatz- und Gewinn-Wachstum. Und damit fängt man im Kundenlebenszyklus idealerweise schon zu Beginn der Kundenbeziehung an. Die Forderung: mehr Budget für Customer Experience Management – denn zufriedene und begeisterte Kunden kündigen seltener. Sie sind emotional stärker gebunden und gelangen damit gar nicht erst auf die schiefe Bahn einer Kündigung. Das spart Geld bei Churn Prevention, Kündigerrückgewinnung und Neukundengewinnung. Begeisterte Kunden kündigen nicht nur seltener, sie sind auch offener für Cross- und Upselling sowie Weiterempfehlungen. Unterm Strich: Investitionen in Customer Experience Management sind in vielerlei Hinsicht erfolgreich und nachhaltig. Damit wirken sie effizienter als reaktive Churn Prevention und Rückgewinnungsmaßnahmen.

Warum ist Customer Experience Management gerade jetzt aktuell?

Kundenbeziehungen vital und ertragreich zu halten, ist eine dauerhafte Herausforderung. Angesichts von Krisen und Unwägbarkeiten, kompetitiver Märkte, disruptiver Markt-Quereinsteiger, Preissteigerungen versus preissensiblen Kunden, hoher Wechselbereitschaft, wenig Involvement und austauschbarer Angebote, die keine Identifikation mit dem Anbieter erreichen, werden treue Kunden immer wertvoller. Deshalb auch die Bemühungen vieler Unternehmen um die sogenannte Customer Centricity, der Kundenzentrierung. In diesem Kontext setzt Customer Experience Management an: Wo gibt es Ansatzpunkte, um den Kunden zu begeistern, damit die Kundenbeziehung zu stärken und den Kunden nachhaltig an uns zu binden?

Top 3 erfolgskritische Punkte des Customer Experience Managements

Von Anfang an denken: CXM bedeutet, die Kunden-Geschäftsprozesse von Anfang an so zu strukturieren, dass es keine Brüche oder Anlässe für Unzufriedenheit und Beschwerden gibt. Im Idealfall wird der Kunde innerhalb seiner individuellen Customer Journey positiv überrascht und begeistert. Hinweise liefern alle Kontaktpunkte entlang der Customer Journey, betrachtet aus der Perspektive des Kunden.

Mehrwerte aus Kundensicht: Wie erreicht man Überraschung und Begeisterung? CXM ist erfolgreich, wenn man sich fragt, welche Informationen und Mehrwerte der Kunde in seinem Alltag benötigt und wie man ihm das Leben leichter machen kann. Aus Kundensicht – nicht aus Unternehmenssicht! – echte Mehrwerte steigern die Attraktivität des Unternehmens, sorgen dafür, dass der Kunde sich stärker emotional bindet, mehr Produkte besitzt und das Unternehmen weiterempfiehlt.

Pannen in Erfolge umwandeln: Was tun, wenn etwas schief geht? In jeder Beziehung kann es zu kritischen Momenten kommen. Ein solcher, im Marketing Moment of Truth genannter Moment kann zu Enttäuschung führen – oder zu Begeisterung. Im Grunde ist ein kritischer Moment das Beste, was einer Kundenbeziehung passieren kann. Denn hier hat das Unternehmen die Gelegenheit, einen Unterschied zu machen, eben zu überraschen und zu begeistern. Kritische Momente sind zum Beispiel eine Reklamation, Schwachstellen im Service wie zu lange Wartezeiten oder Fehllieferungen.

Worauf Sie bei der Umsetzung achten sollten

Kunden zu begeistern und positiv zu überraschen – das fällt in manchen Branchen leichter als in anderen. Grundsätzlich ist das eine Gratwanderung, denn eine Überraschung darf nicht als Bespaßung zu verstehen sein. Im Handel ist Begeisterung einfacher zu erzielen, wenn etwa zur Kaffeemaschine das Gratispaket Kaffeebohnen oder die unkomplizierte Reparatur oder ein Leihgerät für den Zeitraum der Reparatur spendiert wird. Für eine Bank oder Versicherung liegen die Begeisterungsmomente beispielsweise in den Bereichen Transparenz, Beratung, Empathie, Fairness im Schadensfall. Je nach Branche ist hier Fingerspitzengefühl gefragt und natürlich die konsequente Einnahme der Kundenperspektive.

Den Fokus verschieben: Beziehen Sie alle drei Stadien des Kunden-Lebenszyklus und die jeweils möglichen Maßnahmen zur Vorbeugung von Kündigungen in Ihre Budgetkostenrechnung ein (s. Abbildung). Solange der Kunde zufrieden ist (Phase 1) geben Kündigermodelle keine Vorwarnung und die meisten Unternehmen werden hier nicht aktiv. Doch genau hier steigert Customer Experience Management die Kundenzufriedenheit. Hier profitieren die Beziehungen zu allen Bestandskunden von jeder Maßnahme. Hier können Sie Ihre Kunden begeistern und überraschen, denn hier rechnen Kunden nicht mit dem gewissen „Extra“ – ganz anders in den späteren Phasen der Churn Prevention und der Kündigerrückgewinnung.

 

Kündigungsvermeidung im Verlauf des Kunden-Lebenszyklus

 

Diese Praktikabilität ist ein Vorteil des CXM, der zweite ist das Ergebnis: Indem die CXM-Maßnahmen alle Bestandskunden gleichermaßen erreichen, nicht nur gefährdete Kunden oder Kündiger, werden Kundenzufriedenheit und Kundenbindung im gesamten Kundenbestand erhöht und wirken damit effizienter. Eine starke Mehrwert-Kommunikation senkt somit nicht nur die Kündigerraten, sondern sie bereitet den Boden für Cross- und Up-Selling sowie Kunden-werben-Kunden-Erfolge. Diese Effekte können das Neudenken von Budgetallokationen ins CXM rechtfertigen.

Auch wenn Sie CXM zukünftig mehr Bedeutung und damit Budget zugestehen: Churn Prevention sollte zusätzlich zu CXM aufgebaut werden (Phase 2), um Kündigungen aufgrund veränderter Lebenssituationen oder einmaliger Vorfälle, die weniger mit Kundenzufriedenheit zu tun haben, gut abzufangen. Über mathematische Modelle wird vorhergesagt, welcher Kunde in den nächsten Monaten kündigen wird. So können Sie potenzielle Kündiger frühzeitig identifizieren, was allerdings impliziert, dass der Kunde bereits die Kündigung im Sinn hat.

Die Kündiger-Rückgewinnung (Phase 3) greift direkt, nachdem der Kunde gekündigt hat. Hier wird versucht, den Kunden von der Kündigung abzubringen und mit seinen Produkten beim Unternehmen zu halten. Die Methode ist sehr wirksam, da sie nur im konkreten Kündigungsfall angewendet wird. Sie birgt jedoch auch eine erhöhte Ineffizienz, wenn viele Kunden entschieden haben zu gehen und damit verloren sind.

Fazit: Unternehmen können durch das präzise Zusammenspiel aller drei Maßnahmen die Kündigerrate deutlich senken.

Kunden nachhaltig binden – diese drei Fehler machen Unternehmen am häufigsten

Die Haltung: Das Kündigerproblem wird von den meisten Unternehmen von Vornherein falsch angegangen: Unternehmen werden häufig erst aktiv, wenn ein Kunde schon kündigungsgefährdet ist und Kündigermodelle Vorwarnung geben. Oder wenn der Kunde bereits gekündigt hat. Dann greift das Kündigerrückgewinnungsprogramm. Damit wird aber nur ein kleiner Teil der Kunden erreicht. Der stärkste Hebel, mit dem sich die Anzahl der Kündiger senken ließe, Customer Experience Management, wird oft vernachlässigt und nicht als ein Instrument verstanden, mit dem sich die Anzahl der Kündiger wirkungsvoll senken lässt.

Der Aktionismus: Häufig wird bei CXM-Maßnahmen der Fehler gemacht, dass Kundenzufriedenheits-Maßnahmen entwickelt werden, die nur der Bespaßung des Kunden dienen, aber keine echten und aus Kundensicht überzeugenden Mehrwerte liefern. Deutlich erfolgreicher ist CXM wenn man sich fragt, welche Informationen und Mehrwerte der Kunde in seinem Alltag benötigt und wie man ihm das Leben deutlich erleichtern kann. Diese wirklichen Mehrwerte für den Kunden steigern die Attraktivität des Unternehmens für ihn und sorgen dafür, dass er sich stärker bindet, mehr Produkte besitzt und das Unternehmen empfiehlt.

Die Budget-Fehlallokation: Das meiste Budget wird in Bestandskunden investiert, wenn sie entweder schon kündigungsgefährdet sind oder gar schon gekündigt haben. Viel effizienter wäre es, ganz vorne in der Kundenbeziehung in CXM zu investieren, zu einem Zeitpunkt, wo der Kunde noch völlig zufrieden ist, über kleinere Unstimmigkeiten gut hinwegsehen kann und nicht an eine Kündigung denkt. Der Kunde soll im Idealfall niemals die Freude an seiner Beziehung zum Unternehmen verlieren.

Was hindert Unternehmen daran, CXM richtig zu gewichten?

Viele Unternehmen denken und funktionieren noch sehr prozessorientiert und – trotz aller Diskussion um Customer Centricity – aus Unternehmenssicht statt aus der Perspektive des Kunden.

Oft ist es auch so, dass man Kündigungen oder, im Handel, die Inaktivität des Kunden, für unvermeidlich hält. Man hat schlicht keine Idee davon, wie sinnhaft es ist, den Fokus auf die Kundenbegeisterung ganz vorne im Kundenlebenszyklus zu lenken.

Viele Unternehmen sind in ihren Prozessen verhaftet. Man versucht, die Symptome von Kundenunzufriedenheit, nämlich die Kündigung, zu bekämpfen, anstatt sich um die Ursachen zu kümmern: die mangelnde Kundenzufriedenheit. Diesen Ursachen kann man jedoch auf die Spur kommen, indem man Kunden-Rückmeldungen auswertet und für die Optimierung von Prozessen und damit des Kundenerlebnisses nutzt.