Den digitalen Wandel gezielt angehen
Kinder lieben ihre Welt bunt. Ihre Buntstifte geraten zu Lernsensoren und im Tante-Emma-Laden der Neuzeit werden sie von quietschbunten Drops, mintgrünen Kaugummis und/oder Gummitierchen in Regenbogenfarben magisch angezogen. Später werden sie gerne ermahnt: »Treibt es nicht zu bunt!« Denn uns Erwachsenen wird es oft schon mal »zu bunt!«. In der Kunst leidet »bunt« im Vergleich mit »farbig« unter einer negativen Besetzung. Ein buntes Bild ist nicht unbedingt ein künstlerisch wertvolles Bild, während man von einer schönen »Farbigkeit« spricht, wenn die Ästhetik ihr Recht bekommt. Bunt gemischt kann Opulenz, Wahllosigkeit oder Beliebigkeit bedeuten, doch der bunte Teller zu Weihnachten macht uns schon visuell glücklich – verheißt er doch genüssliche Vielfalt. Automatisch blühen unsere Geschmacksknospen auf, unsere Nüstern blähen sich auf, die Vorfreude, eingehüllt in ein betörendes Aroma aus Kakao, Zimt und Mandelkern, kitzelt (gefühlt) unsere Zunge. Unsere Sinne scheinen sich auf »bunt« bestens einstimmen zu können, während der Verstand sich damit etwas schwer tut.
Auch unser Straßenbild ist in den letzten Jahrzehnten durch Einwanderung und Internationalisierung »bunter« geworden – als Flaneur auf den Einkaufsstraßen einer größeren Stadt kann man einer Kakofonie an Lauten lauschen, durchsetzt von Idiomen, die man in der Regel nicht in der Schule gelernt hat. Für den einen ist dies spannend, bereichernd und faszinierend – andere mögen es als verstörend empfinden. In den letzten Jahrzehnten zogen die Auswirkungen von Globalisierung und Migration eine Diversität an Menschen in das Land, die nicht nur die Wirtschaft, sondern die Gesellschaft und die Politik und letztlich den Einzelnen beschäftigt.
Vielfalt ist spannend. Vielfalt generiert Reibungspunkte. Aus Reibung entstehen Funkenflug und Feuer
Ursprünglich bildete sich der Begriff Diversität in den USA, als die Bürgerrechtsbewegung in der Bekämpfung des Rassismus gegenüber Schwarzen für Chancengleichheit stritt. Seit Ende der 1990er-Jahre hat auch die Europäische Union diesen Begriff als Leitbild adoptiert, seit 2006 ist er als Gleichbehandlungsgesetz in der bundesrepublikanischen Gesetzgebung verankert und gilt europaweit als modellhaft. De facto hinkt aber gerade Deutschland beim Thema »Gleichbehandlung von Frauen in der Arbeitswelt« vielen anderen Staaten, vor allem dem hohen Standard in Skandinavien, weit hinterher (etwa wenn bei gleichen Positionen Frauen mit einer Gehaltsdifferenz von 21 Prozent diskriminiert werden).
Diversity Management zieht in Unternehmen ein
Zu Recht. Der Begriff steht für die Aussage, dass Mitarbeiter unterschiedlichen Herkommens nicht nur wertgeschätzt und respektiert werden, sondern auch als belebender Faktor im Sinne des konstruktiven Betriebsnutzens gesehen werden sollten. Die Diversität (Vielfalt) in der Wirtschaft ist nicht zufällig, sondern entspricht einer dezidierten Strategie. Diversity Management bezeichnet eine bestimmte Ausrichtung in der Rekrutierungs- und Personalpolitik. Sie vereint bewusst Vertreter mit unterschiedlichen ethnischen, kulturellen und weltanschaulichen Hintergründen in diversen, also bunt gemischten Teams, um deren unterschiedliche Biografien, Erfahrungsschätze und kulturelle Ausprägungen als wertvollen, gerade in digitalen Zeiten sehr erwünschten Anschub zu nutzen. Genormte Teams, deren Mitglieder in sich sehr gleich sind, sollen zwar zufriedener und angepasster sein. Doch wegen der großen Ähnlichkeit ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Prägungen und Herkommen entstehen weniger innovative Ansätze und konstruktive Ideen als in heterogenen Gruppen. Denn gerade diese Vielfalt macht kreativere Lösungsansätze und ein extensives Out-of-the-box-Denken erst möglich.
Digitale Transformation braucht Vielfalt statt Einfalt!
Diversität steht also in einem direkten Zusammenhang mit dem Erfolg von digitaler Transformation, wenn agiles und flexibles Handeln und querdenkende Positionen mehr Bewegung ins Spiel bringen sollen. Moderne Führungskräfte müssen heute mehr denn je willens und in der Lage sein, »bunte Teams« zusammenzustellen und souverän anzuleiten.
Unternehmen profitieren von einer gemischten Belegschaft. Viele, viele bunte Smarties: Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, charismatisch, vielfältig geprägt, kantig, tragen zu einer gegenseitigen geistigen und kreativen Befruchtung bei. Mitarbeiter verschiedener Herkunft verfügen über ein breiter angelegtes, kulturell spezifisches Wissen, erfassen und lösen Probleme aufgrund dieser Prägung unterschiedlich, smarter und risikobereiter. Der Markt-Vorsprung liegt in der Nutzung unterschiedlicher Perspektiven, die zu besseren Ergebnissen führen.
Dem Sprichwort nach wird ein erstklassiges Team mit einer zweitklassigen Idee erfolgreich, während ein zweitklassiges Team mit einer erstklassigen Idee zum Scheitern verurteilt ist. Bevor Unternehmen Vielfalt als Erfolgsfaktor nutzen können, muss eine offene Unternehmenskultur einen respektvollen Umgang unter- und miteinander etablieren und Sprachreglungen für verschiedene Meinungen und Standpunkte treffen. Zwischen Erkenntnis und Umsetzung im Arbeitsalltag liegt jedoch gerade für Führungskräfte ein steiniger Weg, vor allem, wenn die Psyche diesen einen Streich spielt. Wir alle sind von Vorurteilen nicht frei. Ungewollt schaffen sich oft unconscious bias – unbewusste Stereotypen – Luft, die der Verstand nicht kontrollieren kann. Menschen lieben es außerdem, sich unter »Gleichen« zu bewegen, das ist das Erfolgsgeheimnis von Vereinen, Kluburlauben, schlagenden Verbindungen, Interessenvereinigungen, Familien (!) und ganzen Sippen. Im Paarungsverhalten allerdings sollen Gegensätze sich anziehen – erwiesen ist dennoch, dass Menschen nicht ihr Gegenbild, sondern ihr Ebenbild suchen. Sie wittern den spezifischen Eignungsgeruch heraus. Der evolutionäre Aspekt, einen guten Partner für prospektive Nachkommen zu finden, tut ein Weiteres.
Ein einheitliches, wenn auch unsichtbares Band liegt in der Ähnlichkeit oder gar Deckungsgleichheit von Herkommen, Interessen oder Gewohnheiten. Auch in Personalverantwortlichen und Führungskräften walten geheime Mechanismen, denen sie bei Stellenausschreibungen oder Bewerbungsgesprächen wenig Widerstand entgegensetzen können. Vertraut man auf die Chemie, bevorzugen sie unbewusst Bewerber, bei denen sie den gemeinsamen Stallgeruch wittern. Das oberste Management ist hier aufgerufen, ein Umdenken zu initiieren.
Diversität erzeugt Reibung und diese erzeugt Fortschritt
Der viel zu früh verstorbene Psychologe Peter Kruse (2004) resümierte, dass »harmonische Systeme (wie Teams oder Netzwerke) dumme Systeme« sind. Kruse rät Unternehmen, Unterschiedlichkeiten zu generieren, sprich: Diversität in ein System zu tragen, um so die innere Spannung zu erhöhen. Anders könne man der komplexen Zeit nicht mit komplexen Lösungen begegnen. Erst Diversität kreiere eine Vielfalt an Perspektiven und Blickwinkeln, was unerlässlich sei, um die immensen Herausforderungen der digitalen Transformation zu schultern.
Diversität bringt digitales Wissen in Unternehmen
Digitales Wissen ist das Pfund, mit dem aktuell Bewerber wuchern können, denn es ist heiß umkämpft und dringend erwünscht. Unternehmen liegen gegeneinander im Rennen um junge Talente, die diese Potenziale einbringen. Die damit generierten Probleme können vor allem durch kreative Angebote und ein von einem neuen Mindset getragenes Unternehmensbild gelöst werden. Doch verkrustete Denkmuster brechen nur ungern auf. Bislang gab eine Vorgängergeneration traditionell ihr Wissen an die nächste weiter.
Heute erstaunt kaum mehr, wenn junge Talente entscheidendes neues Know-how und digitale Skills als Mitgift in ein Unternehmen einbringen. Nicht jeder bewährte Manager kann sich damit abfinden, dass Mentoring heute innerhalb von zwei Stoßrichtungen verläuft. Reverse Mentoring funktioniert nur in einer von herkömmlichen Hierarchiemustern befreiten Zone. Wenn alle Mitarbeiter, jenseits von Hierarchie-, Generations- und Altersschwellen, sich lernwillig und aufnahmefähig gegenüber einem gegenseitigem Dialog zeigen. Teams mit einem hohen Diversity-Faktor handhaben dies viel lockerer und erfolgreicher als Teams alter Prägung. Ideale Bedingungen also für Wissenstransfer in alle Richtungen.
Diversität resultiert in Innovationsfähigkeit
Diversität stärkt die Innovationsbereitschaft und das innovative Verständnis im Sinne von Erfinden. Homogene Teams beurteilt auch Michael Stuber, einer der führenden Diversity-Management-Experten, nach umfassendem wissenschaftlichen Arbeiten als nicht innovationsfördernd. »Es ist die Vielfalt der Perspektiven, die zu besseren Lösungen und zu cleveren Produkten führt.« Diverse Teams tun sich in der Ideenfindung und kreativen Lösung leichter, müssen sich aber mehr um Konsens bemühen. Am Ende des Tages fahren sie allemal die bessere Ernte ein. Diversität sei ein Schlüsselbereich für erfolgreichen digitalen Wandel.
Kurzer Methodenüberblick – Diversity Management
Zwei hilfreiche Tools sollen hier erwähnt werden. Sie bieten Unternehmen auf dem Weg zum digitalen Wandel Orientierung innerhalb des Themas Diversität. Einmal gibt hier das RKW-Kompetenzzentrum in »Vielfaltsbewusste Führung« entscheidende Impulse. In gleicher Mission, respektive der Nutzung der Diversitätspotenziale, ist der INQA-Check »Vielfaltsbewusster Betrieb« unterwegs. Eine Praxishilfe, die auch mit Hilfe anschaulicher Praxisbeispiele sehr konkrete Handlungsfelder aufzeigt, wie Diversität einzuführen und ergebnisorientiert zu nutzen ist.
Rei Inamoto – ehemals Kreativchef der Londoner Agentur Akqa und heute Kreativ-Unternehmer – stellt die Behauptung auf: »To run an efficient team, you only need three people: A Hipster, a Hacker, and a Hustler.« Hinter Inamotos Behauptung steckt der Grundgedanke, dass ein Team interdisziplinär sein sollte, allerdings mit ausgeprägten Rollenbesetzungen.
Diese drei Rollenmodelle hält er dabei für unabdingbar:
Der Hacker verfügt über ein Verständnis sowie die notwendigen Fertigkeiten, wie Probleme gelöst werden können. Er ist in der Lage, die hinter einer Idee verborgene Technologie zu konzipieren.
Der Hipster ist im kreativ-künstlerischen Sinne derjenige, der nicht nur ein Design entwirft, sondern es auch umsetzen kann. Sein schöpferischer Geist wirkt hoch motivierend auf das ganze Team. Er ist fähig, das Menschliche hinter einem Problem zu sehen und Gewöhnliches und Erwartetes zu hinterfragten (Warum?). Der visionäre Hipster wird dem User-Bedürfnis nach einer User-Experience voll gerecht, weil er ein ausgeprägtes Gespür dafür besitzt, in welche Richtung sich Märkte entwickeln.
Der Hustler ist in seiner dezidierten Kommunikationsstärke fit darin, die Zielgruppe zu erreichen – er weiß zu verkaufen. Was ihn umtreibt, sind Lösungen, die zur Kundenzufriedenheit führen. Daran kann er tagtäglich arbeiten. Der Feind des Hustlers ist der Status quo. Er will mehr. Er ist tatendurstig. Er brennt. Seine Verve und Begeisterung stecken alle im Team an und befähigen sie zu Höchstleistungen.
Treten Sie einmal neben sich zur Seite und schauen Sie sich das Team an, zu dem Sie gehören:
- Welche Rolle(n) spielen Sie gerade (primär/sekundär)?
- Welcher der anderen Teammitglieder besetzt welche Rolle?
- Wie ausgeprägt sind die oben erwähnten unterschiedlichen Rollenausprägungen im Team vorhanden?
- Womit könnten Sie dazu beitragen, dass Unterschiedlichkeit mehr gewürdigt wird und in Ihrer Teamarbeit auch Berücksichtigung findet?