Sonntags nicht mehr frei
Der alte Gewerkschaftsslogan „Samstags gehört Vati mir“ könnte wieder aufleben, fürchtet die Linke im Landtag: als „Sonntags gehört Mutti mir“. Die Landesregierung sei dabei, die Sonntagsarbeit „durch die Hintertür“ zur Regel zu machen, vor allem in Branchen, in denen viele Frauen arbeiteten, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Hermann Schaus, am Montag bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Hessen-Chef der Gewerkschaft Verdi, Jürgen Bothner.
Die Kritik richtet sich gegen zweierlei: Zum einen will die Regierung das Ladenöffnungsgesetz, das zum Jahresende ausläuft, ohne große Änderungen um fünf Jahre verlängern. Zum anderen plant sie eine Bedarfsgewerbeverordnung, die zahlreiche Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit zulässt.
Das Gesetz
Das Verbot von Sonntagsarbeit im Arbeitszeitgesetz soll laut Bedarfsgewerbeverordnung in Hessen nicht gelten:
für Video- und Bibliotheken; im Bestattungsgewerbe; in Parkhäusern und Garagen;
im Immobiliengewerbe und in Musterhausausstellungen;
in Brauereien, bei Getränkeherstellern und -Großhandelsunternehmen „zur Belieferung der Kundschaft“ von April bis Oktober, ebenso in Fabriken für Roh- und Speiseeis und dem Großhandel;
im Buchmachergewerbe; bei Lotto- und Totogesellschaften; im telefonischen oder elektronischen Lotsendienst;
in Dienstleistungsunternehmen und im Versandhandel mit Entgegennahme von Aufträgen, Auskunftserteilung und Beratung per Telekommunikation (also in Callcentern).
Besonders stößt der Linken und Verdi auf, dass die Möglichkeit zur Sonntagsarbeit in Dienstleistungsunternehmen und im Versandhandel ausgeweitet wird. „Ich weiß nicht, ob das eine Lex Amazon ist oder eine Lex Neckermann, aber es betrifft sicher Zehntausende Menschen“, sagt Schaus. Das Sozialministerium versichert dagegen, mit einer „Ausweitung der Sonntagsbeschäftigung ist nicht zu rechnen“: Auch bisher seien in den genannten Bereichen Ausnahmegenehmigungen erteilt worden. Die Gesetzesänderung diene der Vereinfachung.
Auf Unverständnis bei Linken und Verdi stößt unter anderem, dass im Sommer Eis- und Getränkehersteller sowie -großhändler sonntags arbeiten können sollen. Bier werde ohnehin nicht an dem Tag verkauft, an dem es gebraut wird, sagt Verdi-Mann Bothner: Die Neuregelung diene nicht den Interessen der Verbraucher, sondern nur jenen der Unternehmen. Das Ministerium verweist dagegen darauf, dass der sommerliche Mehrbedarf – zum Beispiel aus Anlass von Festen an Sonn- und Feiertagen – schon bisher durch Ausnahmegenehmigungen gedeckt werde.
SPD-Sozialpolitiker Thomas Spies hält den vorgesehenen Umfang der Sonntagsarbeit für einen „Verfassungsverstoß“. Für die Union beteuert Patrick Burghardt zwar: „Die Sonntagsruhe liegt uns als CDU ganz besonders am Herzen“, doch es gebe Wirtschaftszweige, „da ist Sonntagsarbeit unerlässlich“. Man müsse sich „den veränderten Bedürfnissen der Bevölkerung anpassen“.
Linke, Verdi und SPD rügen zudem die Verlängerung des Ladenöffnungsgesetzes mit der Möglichkeit, Geschäfte werktags von 0 bis 24 Uhr und an vier Sonntagen im Jahr zu öffnen. Die Verlängerung soll als Teil eines Entwurfs beschlossen werden, der sonst vor allem redaktionelle Änderungen an insgesamt 19 Gesetzen vorsieht. „Dass die Ladenöffnung in diesem Paket versteckt wird, zeigt, dass sie durch den Landtag gepeitscht werden soll“, moniert Schaus. Eine Befristung ergebe nur Sinn, wenn der Erfolg des Gesetzes auch ausgewertet werde.
Die Regierung verweist auf Statements von Gewerkschaften, Verbänden und Kirchen. Diese „Evaluierung“ habe ergeben, dass das Gesetz „sich bewährt hat“, so der Entwurf. Verdi bestreitet das: Weder seien durch längere Öffnungszeiten die Umsätze gestiegen, „noch gab es zusätzliche Arbeitsplätze“, sagt Bothner. Schaus sekundiert: „Die Leute kaufen um 20 Uhr ein statt um 17 Uhr, aber deshalb geben sie nicht mehr aus.“
„Die Umsätze sind in der Tat nicht gestiegen“, sagt Michael Kullmann vom Einzelhandelsverband Hessen, „es hat eine Verlagerung stattgefunden.“ Mehr Beschäftigte gebe es aber durchaus. Die möglichen Öffnungszeiten würden nur nach Bedarf ausgeschöpft, „die Händler haben sich auf die Kunden eingestellt“. Der Einzelhandel begrüßt, dass das Gesetz verlängert werden soll.