Arbeiten im Callcenter - Branche im Zwielicht
Der Jobmotor Callcenter läuft auf Hochtouren – auch in Kiel. Kaum ein Wirtschaftszweig sucht derart händeringend Mitarbeiter. Bundesweit sind rund 20000 Stellen nicht besetzt. Kein Wunder: Die Bezahlung ist oft dürftig, der Stress groß, Arbeitsverträge sind zumeist befristet. Für ver.di sind viele Callcenter „personelle Durchlauferhitzer“.
Zu denen, die den Boom kritisch sehen, gehört Ingrid Zecha, bei ver.di in Kiel zuständig für den Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Immer wieder kommen Mitarbeiter zu ihr, klagen über psychischen Druck und schlechte Bezahlung. Zecha: „Viele haben befristete Verträge, müssen also um den Job bangen, wenn sie sich organisieren.“ Schlechte Beschäftigungsbedingungen lähmen den Widerstand. Folglich bleibt es bei prekären Zuständen – ein Teufelskreis.
Mehr als 500000 Menschen arbeiten in der Branche, doch nur jedes achte der bundesweit rund 6700 Callcenter bindet sich an einen Flächentarifvertrag. Dabei handelt es sich um Tochtergesellschaften von Großunternehmen wie etwa der Telekom. Doch anders als diese „Inhouse“-Callcenter kämpfen die branchenunabhängigen Anbieter mit Dumpingpreisen um Großkunden wie Versandhändler, Banken, Versicherungen, TV-Sender oder Telekommunikationsanbieter. Zwar gibt es in der Branche Bestrebungen, den Wettlauf um die niedrigsten Personalkosten zu beenden. Doch bislang scheiterten alle Bemühungen um Branchentarif oder Mindestlohn. Immerhin beschloss der Call Center Verband (CCV) Ende 2011, einen Arbeitgeberverband zu gründen. Noch aber wartet ver.di auf einen Tarifpartner.
Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre hat sich in der Branche „ein schnell wachsender Rand nicht regulierter Arbeitsverhältnisse mit einem hohen Prekaritätsrisiko entwickelt“, berichtet der Soziologe Hajo Holst von der Universität Jena. Inzwischen seien die Standards der nicht tarifgebundenen Callcenter „faktisch zum Referenzpunkt der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im gesamten Wirtschaftszweig geworden.“ Und auch, wer noch zu relativ komfortablen Bedingungen in einer nicht ausgelagerten Telefonzentrale eines Konzerns arbeite, profitiere kaum von einer guten Ertragslage. Stattdessen seien die internen Callcenter ständig mit einer „latenten und nicht selten sogar expliziten Fremdvergabebedrohung“ konfrontiert.