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Behavioral Customer Journey Design im R-Commerce

Die Frage, wie und warum Entscheidungen von Menschen entstehen, ist der Schlüssel zum Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen.
Philipp Spreer | 24.06.2024
Personalisierte Kundenbedürfnisse im Fokus: Behavioral Customer Journey Design im R-Commerce © Philipp Spreer
 

Unternehmenserfolg hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Produkt und Preis sind die omnipräsenten Klassiker. Ein Faktor wird dagegen strukturell vernachlässigt: die Entscheidungen der Kund*innen zu verstehen. Die Frage, wie und warum Entscheidungen von Menschen entstehen, ist der Schlüssel zum Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen – und funktionierende Kundenbeziehungen wiederum sind die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches digitales Geschäftsmodell.

Wie Sie aktuelle Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie nutzen und Customer Journeys strategisch auf Entscheidungen optimieren, erklärt der Autor in diesem Beitrag.

 

 

Bei elaboratum definieren wir eine neue Businessphilosophie: Relationship-Commerce (“R-Commerce”). Wir sehen R-Commerce als den legitimen Nachfolger des E-Commerce. Denn die kurzfristige Fokussierung auf Sales, die stumpfe Logik des Conversion Funnels, die verzweifelte Suche nach dem “One Size Fits All” – das alles stammt in weiten Teilen aus den 1990er-Jahren. Also aus der Zeit, in der der E-Commerce als Low Price Channel mit radikalem Absatz-Fokus etabliert wurde. Seitdem hat sich die Welt verändert. Doch abgesehen von technischem und taktischem Finetuning hat sich am grundlegenden Ansatz des E-Commerce wenig getan. Zeit für einen Relaunch.

 

Im Unterschied zum herkömmlichen E-Commerce fokussiert sich R-Commerce tatsächlich auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Menschen statt auf reine Verkaufszahlen. Dieser Ansatz, der auf den ersten Blick selbstlos erscheint, offenbart sich bei genauerer Betrachtung als hochwirksame Geschäftsstrategie. Der Customer Lifetime Value tritt an die Stelle der Conversion-Rate. Ein Kunde ist nicht mehr nur ein Kunde – wir differenzieren stattdessen nach Potenzial und Bedürfnissen. Das erfordert jedoch eine intensive Beschäftigung mit Kundendaten und der Übersetzung in dahintersteckende Bedürfnisse.

 

Strategische Optimierung von Kundenentscheidungen: Behavioral Customer Journey Design

Etabliert ist bisher das Customer Journey Management, das mithilfe von Kundenbefragungen die Erwartungen und Bedürfnisse der Kund*innen identifiziert. R-Commerce geht hier andere Wege und baut auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie auf, die die Entscheidungsfindung der Konsument*innen beleuchtet. Der Arbeitsprozess mit Behavioral Economics im Customer Journey Design durchläuft drei Phasen, in denen die Kundenreise von aktuellem über gewünschtes zu verändertem Verhalten gestaltet wird – immer datenbasiert.

 

Phase 1: Behavioral-Diagnose

Zum Auftakt des Behavioral Customer Journey Designs steht die Frage: Wo ist das Verhaltensproblem? Denn offenbar führt das aktuelle Verhalten potenzieller Kund*innen nicht zur gewünschten Aktion, mit Produkten oder Services eines Unternehmens zu interagieren und mit dem Unternehmen in eine Beziehung zu treten.

 

Somit müssen Unternehmen im Sinne der Diagnostik zunächst lernen, das Entscheidungssystem der Kund*innen, das zu 95 Prozent intuitiv und nicht rational getrieben ist, zu verstehen und entsprechende Engpässe für positive Kundenentscheidungen in ihren Angeboten identifizieren. Bei der Analyse der Kundendaten über die Customer Journey hinweg treten Hindernisse und Abbrüche zutage. Das heißt, es lassen sich Use Cases mit Problempotenzial aufdecken und die Kundensegmente definieren, deren Verhalten es in Richtung der gewünschten Änderung zu “schubsen” (Stichwort Behavioral Nudging) gilt.

 

Phase 2: Lösung

Die zweite Phase im Behavioral Customer Journey Design widmet sich der Lösungssuche und somit der Bestimmung des von den Unternehmen gewünschten Kundenverhaltens. Die Frage ist, wie das gewünschte Verhalten erreicht werden kann.

Viele Entscheidungen erfolgen unbewusst, basierend auf wiederkehrenden Verhaltensmustern, sogenannten Behavior Patterns. Diese können für eine bessere User Experience und Conversion Rate entlang der Customer Journey adressiert werden. Der Arbeitsprozess im Behavioral Design verlangt nun Hypothesenbildung, mit welchen Verhaltensinterventionen das gewünschte Verhalten bei den Kund*innen ausgelöst werden kann.

 

Phase 3: Validierung

Bewirken die definierten Interventionen auch den gewünschten Erfolg, also ein verändertes Verhalten auf Kundenseite?

Hierzu müssen wir wieder in die Daten blicken, diesmal in die Daten nach dem Behavioral Re-Design der Customer Journey: Ihre Auswertung und ihre Interpretation geben Antworten darauf, ob die entwickelte Lösung funktioniert und was Unternehmen daraus lernen können. Auch Misserfolge bringen immer Erkenntnisse mit sich und können Hinweise darauf geben, inwiefern die Verhaltensinterventionen noch einmal angepasst werden müssen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.  

 

Behavioral Customer Journey Design als Dreh- und Angelpunkt für die strategische Unternehmenstransformation

Um die gesamte Kundenreise zu verstehen, werden im Behavioral Customer Journey Design alle relevanten Kunden-Kontaktpunkte entlang der Customer Journey erfasst und die Aktivitäten beschrieben, die an den jeweiligen Touchpoints stattfinden. Das Ziel ist, abteilungsübergreifend ein gemeinsames Verständnis für das Kundenerlebnis über alle Kanäle und Phasen der Customer Journey hinweg zu schaffen.

 

Unternehmen, die verstanden haben, dass die Ausrichtung auf Kundenentscheidungen der Schlüssel zum Erfolg ist, richten sich in der Vision neu aus – basierend auf Customer Journeys mit gemeinsamen Zielen über alle Disziplinen wie Marketing, Vertrieb, Produktion, Service und IT. Eine überzeugende Customer Experience ist nur dann möglich, wenn das Unternehmen genau weiß, wer die Kund*innen sind und was sie brauchen – und wenn diese Bedürfnisse bei jedem Schritt der Customer Journey in den Mittelpunkt rücken. User erleben ihre Beziehung zu einem Unternehmen nicht als eine Reihe kleinerer Interaktionen mit verschiedenen Abteilungen, sondern als einen fortlaufenden Kontakt, der in Erinnerung bleibt – positiv wie negativ. Organisatorisch muss sich ein Unternehmen daher entlang des Full Funnels aufstellen. Es darf keine Silo-Betrachtung des Funnels geben, in der der Service nicht weiß, was das Marketing versprochen hat, und Sales die aktuellen Werbekampagnen nicht kennt. Zusammenarbeit entlang der Funnel-Phasen und der unterschiedlichen Teams muss systematisch und institutionell gefordert und gefördert werden. Die Themen Daten und Kund*in müssen im Organigramm prominent durch explizite Rollen im Management verankert werden. Um all das umzusetzen, bedarf es einer zentralen Daten-Architektur.