Dämpfer für die Digitalisierung: Weltlage bremst digitale Transformation der Wirtschaft
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Unterbrechung von Lieferketten, steigende Energiekosten und eine beschleunigte Inflation drohen der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft einen Dämpfer zu geben – nachdem die Corona-Pandemie zuletzt noch für einen spürbaren Digitalisierungsschub sorgte. So hat in 94 Prozent der Unternehmen die Digitalisierung zwar durch die Pandemie an Bedeutung gewonnen, aber 95 Prozent erwarten, dass Störungen in den Lieferketten nun die Digitalisierung bremsen werden. 92 Prozent haben diese Sorge aufgrund der hohen Inflationsrate, 78 Prozent wegen steigender Energiekosten und 57 Prozent aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine. Zugleich gehen zwei Drittel (69 Prozent) davon aus, dass in fünf Jahren digitale Geschäftsmodelle von sehr großer Bedeutung oder sogar entscheidend für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg sein werden. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 604 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland. „Digitalisierung ist das beste Mittel für Widerstandsfähigkeit und Resilienz gegenüber Krisen jeder Art. Wir müssen alles daransetzen, dass die in der Pandemie erzielten Digitalisierungs-Fortschritte in der Pandemie jetzt nicht verpuffen, sondern nachgehalten und verstärkt werden“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.
Digitalisierung fällt vielen schwer – macht aber wettbewerbsfähiger
In der Vergangenheit sind viele Unternehmen bei der Digitalisierung auf unerwartete Schwierigkeiten gestoßen. Das geben 9 von 10 (89 Prozent) Befragten an. Gleichzeitig sind 61 Prozent überzeugt: Digitalisierung hat unser Unternehmen wettbewerbsfähiger gemacht. Und 51 Prozent stellen fest, dass sie durch Digitalisierung als Arbeitgeber attraktiver geworden sind. „Digitalisierung ist kein Selbstläufer und lässt sich nicht nebenher aus dem Ärmel schütteln. Digitalisierung braucht Strategie, Kompetenz und Ressourcen. Digitalisierung erfordert neben Investitionen in Hardware und Software auch einschlägiges Know-how auf allen Ebenen und die Bereitschaft, Prozesse umzubauen und nicht selten auch die Unternehmenskultur fortzuentwickeln“, so Berg. „Klug aufgesetzt, macht Digitalisierung die Unternehmen effizienter, schneller und wettbewerbsfähiger - und verschafft ihnen einen Vorteil bei der Gewinnung von Talenten.“
Unternehmen haben verstärkt auf digitale Top-Technologien gesetzt
Beim der Beschäftigung mit zukunftsweisenden digitalen Technologien ist die deutsche Wirtschaft zuletzt gut vorangekommen. So geben drei Viertel (74 Prozent) der Unternehmen an, Datenanalyse und Big Data zu nutzen, den Einsatz zu planen oder darüber zu diskutieren, vor zwei Jahren waren es erst 62 Prozent. Beim Internet of Things sind es zwei Drittel (66 Prozent, 2020: 49 Prozent). Jeweils rund die Hälfte nutzen oder beschäftigen sich mit 3D-Druck (53 Prozent, 2020: 51 Prozent) und 5G (51 Prozent, 2020: 38 Prozent). Rund ein Drittel sind es bei autonomen Fahrzeugen (38 Prozent, 2020: 20 Prozent) und Künstliche Intelligenz (37 Prozent, 2020: 28 Prozent). In rund jedem zehnten Unternehmen (9 Prozent) wird Blockchain-Technologie eingesetzt, der Einsatz geplant oder darüber diskutiert (2020: 6 Prozent). „Nicht jede Technologie ist für jedes Unternehmen und jeden Einsatzzweck geeignet, das ist völlig klar. Aber alle Unternehmen sollten sehr ernsthaft prüfen, ob und inwieweit sie neue Technologien wie Blockchain, KI oder 5G voranbringen können“, so Berg.
Digitale Angebote sind zum Standard geworden
Fast alle Unternehmen haben in den vergangenen fünf Jahren ihr Angebot digitalisiert. So geben 10 Prozent an, neue digitale Produkte auf den Markt gebracht zu haben, bestehende Produkte haben 7 Prozent durch digitale ersetzt und 14 Prozent mit digitalen ergänzt. Ein Drittel (33 Prozent) hat neue digitale Dienstleistungen ins Angebot genommen, 56 Prozent haben bestehende Dienstleistungen mit digitalen ergänzt und 10 Prozent haben bestehende Dienstleistungen durch digitale ersetzt. Nur 3 Prozent der Unternehmen geben an, in den vergangenen fünf Jahren überhaupt keine digitalen Produkte oder Dienstleistungen entwickelt zu haben. „Die Unternehmen haben auf den digitalen Wandel reagiert“, sagt Berg. „Was es jetzt braucht, sind zukunftsfeste Entscheidungen und eine konsequente Umsetzung für den digitalen Umbau der deutschen Wirtschaft.“
Die große Mehrheit der Unternehmen geht davon aus, dass digitale Geschäftsmodelle für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg wichtiger werden. Jedes Vierte (26 Prozent) sagt, dass sie in fünf Jahren eine eher große Bedeutung haben werden, 38 Prozent gehen von einer sehr großen Bedeutung aus und 31 Prozent rechnen damit, dass die Digitalisierung für ihren Geschäftserfolg sogar entscheidend sein wird. Nur 3 Prozent sprechen ihr eine geringe Bedeutung zu. „Es reicht nicht, irgendwas mit Digital zu machen. Es geht darum, das Geschäftsmodell des eigenen Unternehmens sehr gezielt auf die digitale Welt auszurichten“, so Berg.
Aktuell werden die Umsätze vor allem noch in der analogen Welt gemacht. Nur 5 Prozent der Unternehmen erzielen heute mindestens die Hälfte ihrer Umsätze mit digitalen Produkten und Dienstleistungen, ein Fünftel des Umsatzes oder mehr erreicht jedes zweite dieser Unternehmen (52 Prozent). Ein Grund dafür: Es fällt Unternehmen immer noch schwer, ganz neue digitale Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Nur 3 Prozent sagen, dies sei sehr leicht, 9 Prozent, es sei eher leicht. Dagegen geben 33 Prozent an, dies falle ihnen sehr schwer, weiteren 15 Prozent fällt es eher schwer. Und jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) entwickelt selbst überhaupt keine neuen digitalen Produkte oder Dienstleistungen.
Das größte Hemmnis bei der Entwicklung digitaler Produkte oder Dienstleistungen ist die fehlende Zeit, zum Beispiel im Management, die 61 Prozent der Unternehmen anführen. Die Hälfte der Unternehmen (53 Prozent) klagt über fehlende Fachkräfte, 45 Prozent erleben, dass die Anforderungen an den Datenschutz neue digitale Lösungen bremsen oder verhindern. 3 von 10 Unternehmen (29 Prozent) haben nicht ausreichend finanzielle Mittel für die Entwicklung digitaler Angebote. Nur 5 Prozent geben an, dass sie keinen Bedarf an digitalen Produkten oder Dienstleistungen sehen, in gerade einmal 1 Prozent bremst das Top-Management solche Entwicklungen. „Digitalisierung ist die entscheidende Zukunftsfrage für die meisten Unternehmen und für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Niemand sollte heute noch sagen, er habe keine Zeit für Digitalisierung“, so Berg. „Unternehmen, denen es an Know-how fehlt, sollten stärker als bisher auf Kooperationen setzen – mit Unternehmen aus der eigenen Branche, mit Digitalunternehmen und insbesondere auch mit innovativen Tech-Startups. Die Möglichkeiten sind da, sie müssen nur genutzt werden.“
Investitionen steigen 2022 – und sollen 2023 wieder sinken
Im laufenden Jahr investieren 4 von 10 Unternehmen (43 Prozent) mehr in Digitalisierung als noch 2021, davon 28 Prozent eher mehr, 15 Prozent sogar deutlich mehr. 3 von 10 (31 Prozent) halten die Investitionen stabil. Und 17 Prozent fahren die Ausgaben eher zurück, 5 Prozent kürzen sie sogar deutlich. Im kommenden Jahr wollen die Unternehmen stärker auf die Investitionsbremse drücken. Dann wollen nur noch 2 Prozent deutlich mehr für die Digitalisierung ausgeben, 16 Prozent eher mehr. Aber 19 Prozent wollen eher weniger in Digitalisierung investieren, 14 Prozent sogar deutlich weniger. 42 Prozent wollen die Ausgaben verglichen mit dem laufenden Jahr unverändert lassen. „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern sich und belasten auch die Unternehmen“, so Berg.
Unverändert sehen sich zwei Drittel (66 Prozent, 2021: 65 Prozent) der Unternehmen eher als Nachzügler bei der Digitalisierung. Nur 32 Prozent (2021: 34 Prozent) halten sich für Vorreiter, aber wie im Vorjahr meint kein Unternehmen, den Anschluss verpasst zu haben. Nach einer Schulnote für den Stand der Digitalisierung des eigenen Unternehmens gefragt, geben sich die Verantwortlichen gerade einmal die Note „befriedigend“ (3,1). Die Unternehmen mit 2.000 und mehr Beschäftigten schneiden mit der Durchschnittsnote 2,5 etwas besser ab, jene mit 500 bis 1.999 Beschäftigten kommen auf eine 3,0.
Entsprechend kritisch gehen die befragten Unternehmen auch mit der deutschen Wirtschaft insgesamt um. Nur 2 Prozent der Unternehmen sehen Deutschland im weltweiten Vergleich bei der Digitalisierung als führend an, 24 Prozent sehen die Wirtschaft in der Spitzengruppe. Aber ein Drittel (36 Prozent) verortet Deutschland im Mittelfeld, 27 Prozent unter den Nachzüglern und 8 Prozent sogar als abgeschlagen. „Digitales Mittelfeld kann nicht unser Anspruch sein. In Sachen Digitalisierung sollte jetzt jeder eine Schippe drauflegen“, sagt Berg.
Von der Politik wünscht sich eine große Mehrheit der Unternehmen vor allem schnellere Genehmigungsverfahren und den Abbau baurechtlicher Hürden, um den Ausbau der Gigabit-Netze voranzubringen (96 Prozent). Mit Blick auf mehr digitale Souveränität sollten die Fördermittel stärker konzentriert werden und dorthin fließen, wo sie die größte Wirkung entfalten, statt sie mit der Gießkanne zu verteilen (94 Prozent). Jeweils 8 von 10 Unternehmen wünschen sich ein tagesaktuelles Lagebild zur Cybersicherheit (84 Prozent) sowie die Abschaffung von Schriftformerfordernissen und einen Ausbau der Möglichkeiten zur digitalen Signatur (81 Prozent). Drei Viertel (77 Prozent) fordern, die Landesdatenschutzgesetze und föderale Datenschutzregelungen in ein bundesweites Rahmengesetz zu überführen und so für mehr Rechtssicherheit beim Datenschutz zu sorgen. Und zwei Drittel (64 Prozent) halten es für notwendig, kurzfristig eine sichere und praxistaugliche Wallet-Lösung für elektronische Identitäten der Bürgerinnen und Bürger einzuführen. Berg: „Die Politik hat viele digitale Baustellen, und die müssen mit der angekündigten Digitalstrategie schnellstmöglich abgearbeitet werden.“
Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 604 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland telefonisch befragt. Die Umfrage ist repräsentativ für die Gesamtwirtschaft.