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Die Stadt - In­no­va­ti­ons­trei­ber für nach­hal­ti­ge Mo­bi­li­tät

Studie zeigt Wege auf, um die Mobilität in der Stadt von morgen sozialverträglich und klimafreundlich zu gestalten.
© freepik / ikomaker
 

Städte spielen die zentrale Rolle, wenn es um die Zukunft unserer Mobilität geht. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in urbanen Ballungsräumen. Doch mit dem wachsenden Bedürfnis, mobil zu sein, nehmen auch die negativen Aspekte des Verkehr zu: Staus, Abgase, Lärm. Dies gilt zumindest dann, wenn man in konventionellen Mustern denkt, in denen das Auto immer noch eine zentrale Rolle spielt. Verkehrsforschende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zeigen deshalb in einer Studie auf, welche Bausteine existieren, um die Mobilität in der Stadt von morgen sozialverträglich und klimafreundlich zu gestalten. Im Gespräch gibt Prof. Meike Jipp, Direktorin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung, einen Einblick in Herausforderungen und Lösungsansätze.

Was sind die Alternativen zum Auto in der Stadt? Und was müssen wir aus gesellschaftlicher und technologischer Sicht dafür tun?

Im urbanen Raum gibt es viele, attraktive Alternativen zum Automobil. Wir können zum Beispiel zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Beide Fortbewegungsmethoden sind beliebt, liegen im Trend und sind gleichzeitig deutliche Gewinner der Pandemie-Situation. Und wir können sicherlich noch mehr Menschen überzeugen, aktiv mobil zu sein, wenn zum Beispiel Rad- und Fußwege weiter ausgebaut, Fahrrad-Autobahnen eingeführt und moderne Fahrrad-Abstellanlagen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten etabliert werden oder Lastenräder mit klimafreundlichen Antrieben zur Verfügung stehen, so dass das Fahrrad auch für schwere Einkäufe zu einem entfernter gelegten Markt genutzt werden kann. Eine andere, attraktive Alternative sind digitale Mobilitätsdienste: Die Nutzenden besitzen das Transportmittel nicht mehr und profitieren dadurch. Denn wer kümmert sich schon gerne darum, dass das eigene Fahrzeug repariert wird, wenn die Scheibe durch einen Steinschlag einen Riss bekommen hat? Diese Tätigkeiten übernehmen Mobilitätsdienstleister. Die Nutzenden leihen sich das Transportmittel aus, wenn sie es benötigen. Wenn sie es nicht mehr benötigen, steht es einer anderen Person zur Verfügung und verbraucht damit keinen wertvollen Raum in der Stadt. Dieses „Teilen anstatt Besitzen“ funktioniert besonders gut, je mehr Angebote zur Verfügung stehen und je besser die Angebote mit dem bestehenden Verkehrssystem kombiniert werden können. Hier gilt es also, die Digitalisierung weiter voran zu bringen. Und die Gesellschaft? Die Gesellschaft braucht offene Augen und Ohren, um die vielen neuen Mobilitätsoptionen wahrzunehmen und die Neugier, diese dann selbst erleben zu wollen.

Alternative Antriebe, automatisierte und vernetzte Fahrzeuge, Mobilität als Service, digitale Dienste – wie beeinflussen diese Entwicklungen die urbane Mobilität von morgen?

Eine klimaneutrale Mobilität ist ein essenzieller Erfolgsfaktor, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung und der Europäischen Union zu erreichen. Diese Ziele erreichen wir jedoch nur, wenn wir beim Verkehr die drei „Vs“ angehen: vermeiden, verlagern und verbessern. Alternative Antriebe zielen auf die Verbesserung ab: E-Autos sind im Vormarsch und können weiter gestärkt werden, indem sie zum Beispiel Busspuren benutzen oder kostenfrei parken dürfen. Benötigt werden hierfür noch große Batterien oder eine gute Ladeinfrastruktur. Wasserstoff ist eine weitere Antriebsoption, vor allem für den Güterverkehr oder schwere Fahrzeuge wie Straßenkehrmaschinen. Automatisierte und vernetzte Fahrzeuge, Mobilität als Service und digitale Dienste ermöglichen es, die sogenannte erste und letzte Meile zu überbrücken: zum nächsten Bahnhof oder von dort nach Hause. So können sie den öffentlichen Verkehr attraktiver und das eigene Fahrzeug überflüssig machen. Hier wären wir also beim zweiten V, der Verlagerung! Wenn wir dann noch Veränderungen in der Arbeitswelt zum Beispiel in Richtung Co-Working und Home-Office betrachten, hätten wir auch noch das Vermeiden von Verkehr im Programm. Wenn wir diese drei „Vs“ erfolgreich bedienen, erreichen wir nicht nur einen positiven Effekt auf unser Klima, sondern schaffen auch in unseren Städten Platz – für Begegnungsräume, für Spielplätze, für Parks, für was auch immer unsere Gesellschaft gerne hätte!

Seilbahn, Schwebebahn oder Lufttaxis und Drohnen – welche Rolle spielt die dritte Dimension?

Die dritte Dimension kann den Raum erweitern, den wir aktuell im städtischen Umfeld für Mobilität nutzen. Seilbahnen sind hierfür eine beliebte Lösung. Sie werden zum Beispiel in Rio de Janeiro, Brasilien, oder in Portland, USA, eingesetzt. In Deutschland können wir Seilbahnen in Koblenz oder Bonn erleben. Drohnen und Lufttaxis könnten zum Beispiel eingesetzt werden, um wichtige Medikamente oder zu transplantierende Organe schnell an den benötigten Ort zu bringen. Eine weitflächige Drohnen-Nutzung für unsere Alltagsmobilität bedarf jedoch noch einiges an Forschung: Wo sollten Drohnenlandeplätze in den Städten angeboten werden? Wo werden sie benötigt? Wie hoch ist die Lärmbelastung? Wie ist die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Technologien?

Welche Freiräume eröffnen neue Mobilitätskonzepte für die Stadtplanung?

Neue Mobilitätskonzepte eröffnen der Stadtplanung im wahrsten Sinne des Wortes Raum. Die langjährige Dominanz der Automobilität führte dazu, dass großflächig Bereiche im städtischen Raum für das Parken reserviert sind. Gelingt uns die Verkehrswende im urbanen Raum, dann werden diese Plätze frei und können anders, im Sinne der Bevölkerung genutzt werden: Parks und Grünflächen, Begegnungsräume, Spielplätze. Die Stadt der Zukunft ist also geprägt von grünen Flächen und von Plätzen, die zum Verweilen und zwischenmenschlichen Austausch einladen. Hiermit sinkt die Belastung durch Verkehrslärm und Abgasen; es steigt die Sicherheit spielender Kinder und die Aufenthaltsqualität in der Stadt. Wer schaut denn schon gerne auf einen Parkplatz, wenn er oder sie aus dem Wohnzimmerfenster nach unten sieht.

Wie gelingt es, die Menschen für den Wandel und neue Mobilitätskonzepte zu begeistern?

Menschen müssen frühzeitig in die Entwicklungsprozesse eingebunden werden – zum Beispiel über Reallabore oder Experimentierräume. In diesen Räumen treffen potenzielle Nutzende auf Ideen für neue Mobilitätskonzepte. Sie bekommen die Chance, diese zu erleben, sie zu kritisieren oder sie zu loben. Damit beeinflussen sie die weitere Entwicklung der Konzepte und damit auch das, was später auf den Markt kommt. Somit lassen sich die Erfolgswahrscheinlichkeit der Konzepte maximieren, Widerstände abbauen und das Wissen über neue Konzepte in die Öffentlichkeit tragen. Es gilt also eine einfache Regel: Eine Person, die ein Angebot nicht kennt, wird es nicht nutzen. Eine Person wird das Angebot gerne nutzen, wenn sie erlebt, dass das Angebot nach ihrem Feedback weiterentwickelt worden ist. Das Wichtigste ist also, die Bürgerinnen und Bürger aktiv und breitflächig in die Entwicklungen einzubeziehen.