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Zwischen Schlagwort und Geschwätzigkeit

Wer zu viele Worte macht, langweilt seine Leser.
Wer ihnen bloß Schlagworte um die Ohr haut, verspielt Sympathien.
Wo also liegt das rechte Maß?
Werner Markowitz | 04.04.2011
Zwischen Schlagwort und Geschwätzigkeit
Zum Verhältnis von Qualität und Quantität bei Werbetexten

Gewiss, die Frage nach dem idealen Textquantum lässt sich im Grunde recht einfach beantworten: So viel wie nötig – so wenig wie möglich! Dass damit das Thema noch nicht vom Tisch ist, zeigt ein Blick in die Praxis. Da verzichten junge Leute in der modernsten Textform, der SMS, gänzlich auf Sätze und Wörter und beschränken sich auf kryptische Buchstabenfolgen. Kritiker beklagen den Sprachverfall. Die Kids stört das wenig. Womit wir bereits mitten in der Diskussion wären.

Stellen wir uns also der Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem Umfang deiner Texte? Wer sich in den Medien umschaut, gewinnt den Eindruck: Kurz ist chic (siehe: SMS!). Und sagt man nicht auch, in der Kürze läge die Würze? Gilt lang nicht sogleich als langweilig?

> Bloß keine Romane!
Diese Ermahnung hat wohl jeder Texter zur Genüge gehört. Wobei eine ganze Reihe an Medien ihm sowieso gar keine andere Chance lässt. Wer jemals einen Funkspot geschrieben hat, weiß wie gnadenlos kurz 30 Sekunden sind. Auf Websites möchte sich niemand durch ellenlange Texte scrollen. Zum Lesen eines Plakattextes bleibt dem Autofahrer bloß ein Augenblick. Mailings landen im Papierkorb, wenn ihr Sinn sich dem Adressaten nicht blitzschnell erschließt. Kurzum: Wer sich nicht kurz fasst, hat schon verloren!

> Überall wird gekürzt
Die Wahrnehmungspsychologie lehrt uns, dass das menschliche Gehirn überhaupt nur eine Hand voll Wörter auf einen Blick erfassen und unmittelbar verstehen kann. Jeder weiß aus eigener Anschauung, wie schnell man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Da heißt es: Rigoros zur Axt greifen und das verbale Dickicht lichten.
Weniger Quantität führt ganz klar zu mehr Qualität. Dies sei auch allen Kunden ins Stammbuch geschrieben, die immer noch mehr Details in einen Text hinein packen wollen.
Dass die Sache so einfach dann doch nicht ist, wird sich später noch zeigen. Setzen wir zunächst unser Plädoyer für die Kürze fort. Wer zu Höhenflügen ansetzen will, sollte unnötigen Ballast abwerfen.
Das Credo der modernen Ästhetik lautet treffend: Weniger ist mehr! Werbeguru Michael Schirner hat dies Reduktion genannt und mit der legendären „SchreIBMaschine“ auch gleich ein wunderschönes Beispiel dafür geliefert. Mit einem Wort war alles gesagt.
Das korrespondiert auch mit dem Grundsatz der Ökonomie: Den höchst möglichen Effekt doch bitte schön mit geringst möglichem Einsatz an Mitteln zu erzielen. Kaufmännisch denkende Kunden entdecken einen angenehmer Nebeneffekt: Sie freuen sich, dass für die geringere Textmenge auch weniger Honorar fällig wird.
Und dann war da noch die bekannte Boulevardzeitung, die feststellte: „Wer etwas zu sagen hat, macht nicht viele Worte“. Stimmt genau. „Wir sind Papst!“, titelte sie, als im Vatikan weißer Rauch aufstieg. Das erinnert mich an den Spruch, den ich am liebsten selbst geschrieben hätte: „Ich bin ein Berliner“. Vier schlichte Wörter, mit denen John F. Kennedy Geschichte geschrieben hat.

> „Mama, Hunger!“
Wir alle kommen als wahre Meister der Verknappung auf die Welt. Und das funktioniert auch ganz prima. Fürs Erste jedenfalls. Mama flitzt und bringt Happa-happa.
Mancher Texter hofft auf einen ähnlichen Effekt. „RESPEKT“ steht dann in großen Lettern auf der Doppelseite – sonst nichts. Gemeint ist ein Automobil der Oberklasse, wie sich nach dem Umblättern herausstellt. Mein erster CD hat mir verraten: „Wenn dem Texter nichts mehr einfällt, dann macht er eine
Schlagwort-Kampagne!“ Er war es auch, der meinte, die Bild Zeitung sei Pflichtlektüre für jeden Texter. Wegen der knackigen Schlagzeilen und des präzisenGefühls für die Interessenlage der Leser.
Zurück zu unserem Schreihals. Sie ahnen es bereits, die Geschichte hat einen Haken. Spätestens wenn der Fratz in die Schule kommt, wird er lernen müssen, sich differenzierter auszudrücken. „Antworte im ganzen Satz!“, heißt es dann. Oder: „Nicht in dem Ton, bitte!“ Und überhaupt: „Wie heißt das Zauberwort?“ „Mama, ich möchte etwas essen, bitte!“ Bravo, gut gemacht!

> Verführer brauchen Zeit
Spätestens seit Vance Packard sie als „geheime Verführer“ geoutet hat, wissen Werbetexter, wie sie vorzugehen haben: subtil nämlich. Auch der kleine Pimpf von oben wird rasch begreifen, dass es nicht der richtige Weg ist, seiner Angebeteten einen Zettel rüber zu schieben mit der plumpen Frage: „Willst du mit mir gehn?“. Wer derart mit der Tür ins Haus fällt, dem bleiben die Herzen verschlossen.

> Ich denke, Sie wissen, was ich meine.
Verknappung ist eben doch nicht das Maß aller Dinge. Manchmal muss man Umwege gehen, um ans Ziel zu kommen. Zarte Andeutungen und süße Versprechen machen. Nicht anders umgarnen Unternehmen ihre geliebte Kundschaft. Oder sollten es zumindest tun. Und das geht nun mal nicht ratzfatz! Da muss die Sprache Pirouetten drehen und Saltos schlagen. Mit verbalen Keulen, wie lauten Schlagworten und wuchtigen Schlagzeilen kommt man nicht weit. Erst recht nicht, wenn es darum geht, die eigenen kleinen Schwächen zu
kaschieren und Einwände zu zerstreuen.
Gute Zahlen in einem Geschäftsbericht mögen für sich selbst sprechen. Bei weniger guten besteht bereits Argumentationsbedarf. Spätestens beim Ausblick in die Zukunft geben Zahlen und Fakten allein ein wenig überzeugendes Bild ab. Visionen müssen her. Und Visionen entstehen durch Worte. Viele Worte, schöne Worte, überzeugende Worte. Emotion, Individualität, Glaubwürdigkeit, diese für die Kommunikation mit dem Verbraucher wichtigen Komponenten, lassen sich im Telegrammstil nicht verwirklichen. Qualität braucht eben doch eine gewisse Quantität.

> Hschnpfn
Wenn Sie unter den Auswirkungen des Pollenflugs leiden, haben die acht Buchstaben Sie wahrscheinlich sofort elektrisiert. Aber auch alle anderen sind im Bilde. Schließlich fehlen in dem Wort lediglich die Vokale. Und die sind in geschriebenem Deutsch praktisch überflüssig. Also weg damit? Auch etliche tausend Wörter ließen sich ersatzlos aus dem Duden streichen. Wir könnten uns dennoch problemlos miteinander verständigen.
Redundanz heißt das Phänomen. Unsere Sprache beschränkt sich nicht auf das notwendige Mindestmaß, sondern liebt die Überfülle, kommt doppelt und dreifach daher.

> Sprache ist verschwenderisch
Nutzen wir diesen Reichtum – mit Maß und Ziel. Seien wir weder wortkarg noch geschwätzig. Gerne mit radikalen Zuspitzungen, bei denen manchmal schon ein einziges Wort genug ist. Aber nicht penetrant.
Allzu hoch konzentriert brennt auch die Wahrheit unangenehm und schmeckt bitter. Erst in der Verdünnung wird sie genießbar.
Charmante Verhüllungen statt nackter Tatsachen. Gute Texte machen sich die Freude am Entdecken zunutze. Mit Großzügigkeit statt sprachlichem Geiz. Schlank, aber ohne verbale Magersucht.
Formulierungen wie ein leckeres Buffet. Mit Appetithäppchen und Sattmachern. Mit großer Auswahl und delikaten Höhepunkten.

> Bibel für Texter
Lernen wir von einem der ältesten und erfolgreichsten Bücher der Welt. Die Verfasser der Heiligen Schrift haben sich über die Länge ihrer Texte keine Gedanken gemacht, sondern einfach aufgeschrieben, was ihnen wichtig erschien. Die Zehn Gebote zum Beispiel – ein göttliches Telegramm, in Stein gemeißelt. Daneben eine Fülle wunderbarer Gleichnisse, aus denen jeder seine eigenen, ganz persönlichen Erkenntnisse ziehen kann. Eine heilsame Lektüre für alle, die Texte schreiben. Oder sie beurteilen müssen.

> Länge liegt im Trend
Glauben Sie nicht? Drei Stunden Director‘s Cut mit jeder Menge Bonus-Material – in deutschen Wohnzimmern laufen die DVD-Player heiß! Der letzte Harry-Potter-Band hatte über tausend Seiten. Und welche Freizeitsportarten sind wohl in – Sprinten? Nein, Ausdauerdisziplinen wie Nordic Walking und Jogging bis hin zum Marathonlauf. Alles klar? Dann gehe ich jetzt in den Endspurt – und mache Schluss, bevor der Artikel Ihnen zu lang wird.

PS: Gerade, wenn Sie als Manager straffe Zusammenfassungen und Powerpoint-Präsentationen gewohnt sind, sollten Sie Ihren Kunden ab und zu einen längeren, gut geschriebenen Text gönnen. Sie werden es Ihnen danken.



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