Social Media: Mikrokosmos, Profilierungswerkzeug oder Zukunft der Kommunikation?
Manchmal braucht es schon mal einen Tag, um sich abseits des Arbeitsalltags so seine Gedanken zu machen. Manchmal wird aus diesem Tag auch eine Woche oder mehr. Eigentlich unvorstellbar in Zeiten der Echtzeitkommunikation á la Twitter. Etwas mehr als 24 Stunden sind seit dem Ende des letzten Medienmittwochs in Frankfurt vergangen — einer echten Institution der Mainmetropole. Insbesondere dann, wenn die Onlinethemen aufs Tapet kommen, wird hier in der Regel kontrovers diskutiert. So auch am vergangenen Mittwoch, als Initiator Tobias Kirchhofer (Geschäftsführer der Internetagentur BlueMars) zum Thema “Du kommst hier net rein! Die Spielregeln der Social Networks” geladen hatte. Ohne direkt vor Ort zu sein, ließen den geneigten Web-Beobachter doch Livestream und Twitter Zeuge werden, wie das Motto aufgrund des Andrangs für die späteren Gäste beinahe zur bitteren Wahrheit geworden wäre. Die große Resonanz belegt ein weiteres Mal das überragende Interesse an der “Terra Incognita” Social Media.
Tiefe Gräben durchziehen den Social Media Parcours
Nach der gewohnt unterhaltsamen Einführung durch Community-Experte Prof. Dr. Ralf Schengber dürften die Gäste — trotz ihrer zweifelsohne großen Heterogenität — einigermaßen auf “Augenhöhe” zum Thema gewesen sein. Der “Parcours der Social Media Hindernisse” war für alle nachvollziehbar, ob das auch für den auf der Leinwand eingeblendeten Twitterstream galt, der alle Tweets zum Thema zum Teil im Sekundentakt einfing, darf zu Recht bezweifelt werden. Die Reaktionen vor Ort, die aufgeworfenen Fragen mitsamt der gelieferten Antworten und die Kommentare aus Twitterland zeigen indes, dass es nicht nur divergente Wahrnehmungen, sondern – überspitzt gesagt – fast schon so etwas wie eine digitale Spaltung in Sachen Social Media gibt. Eine verzweigte Furche zieht sich durch die Gesellschaft und auch durch die Nutzer interaktiver Medien (Web und Mobile). Letztlich hat das bereits die Debatte um die mißglückte Social Media Kampagne (“Es ist Deine Zeit!”) von Vodafone (in der Blogosphäre in der Folge gern #vodafail betitelt) gezeigt. Der Medienmittwoch, bei dem auch Vodafone-Sprecher Kuzey Alexander Esener auf dem Podium saß, hat das ein weiteres Mal verdeutlicht.
Es verhärten sich die Fronten
Ich habe mich mit Kommentaren zu der Vodafone-Geschichte lange zurückgehalten. Angesichts der Vielzahl von Statements und Blogbeiträgen, hat das sicher niemand vermisst. Der Mittwochabend hat auch für mich die ganze Geschichte noch einmal in ein etwas anderes Licht gerückt, nicht zuletzt weil ich an der Zusammenstellung des Themas und der Runde nicht ganz unbeteiligt war und so im Vorfeld zahlreiche Gespräche mit den Beteiligten geführt habe. Noch einmal zur Ausgangssituation: Da hat sich ein Unternehmen, das mir in der Vergangenheit nicht gerade durch eine unkomplizierte Unternehmenskommunikation aufgefallen ist, zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Ein Teil des für die Kampagne zur Integration des Festnetz-Geschäfts von Arcor bereitgestellten Budgets fließt in Social Media Maßnahmen. Führende Köpfe der Bloggerszene, inklusive des Blogvermarkters Adnation werden engagiert, ein eigener Blog aufgesetzt und das Ganze direkt in die von klassischer PR-Hand vorbereitete Pressekonferenz integriert.
Olaf Kolbrück im Gespräch mit Kuzey Alexander Esener
Olaf Kolbrück im Gespräch mit Kuzey Alexander Esener
Im Grunde ein wirklich mutiger Schritt, denn die Unwägbarkeiten dürften allen bekannt gewesen sein. Umso erstaunlicher, dass bereits in einer sehr frühen Zeitpunkt ein echter Kardinalfehler begangen wurde. Es wurde schlicht die erste Regel des kommerziellen Social Media Engagements übersehen. Oder vergessen? Oder unterbewertet? Wie auch immer: Trotz Begleitung prominenter Vertreter der Zunft (Sascha Lobo als Berater, Nico Lumma als Social Media Strategist der betreuenden Agentur Scholz & Friends) geriet das richtige Zuhören irgendwie aus dem Blick. Wie sonst kann es sein, dass noch während der Pressekonferenz das ganze langsam aber stetig aus dem Ruder lief? Nicht zuletzt, weil es sich Vodafone mit der Beteiligung an der Internetsperrung durch Ursula von der Leyen (alias #zensursula) bei vielen Bloggern gründlich verscherzt hatte.
Ein Sturm im Wasserglas mit Lerneffekt
Aber: Man zeigte sich lernfähig. Nur kurze Zeit später bewies Vodafone, dass man bereit ist, mit Kritik offen umzugehen und zeigte sich angesichts der “Yodafone”-Anzeige sogar humorvoll. Für die Demission der “Twittermom” aka @schnutinger aka Ute Hamelmann galt das jedoch nicht. Der Rückzug, den die Online-Kabarettistin und Web-Cartoonistin nur einen Tag nach ihrem ersten und einzigen Blogbeitrag für Vodafone bekannt gegeben hatte, blieb und bleibt bis heute im Grunde unkommentiert. Genauso unkommentiert ließ Vodafone den werberischen Part ihres Blogposts online gehen — ein klares Versäumnis. Dennoch: Genau solche Fehler geben Unternehmen ein menschliches Gesicht oder anders formuliert: Sie verleihen ihm Authentizität. So wie sie von selbsternannten Social Media Evangelisten eingefordert wird. Doch was passierte? Verständnis? Nachsicht? Nein, natürlich nicht. Wie in vielen anderen Fällen zuvor schwang die Szene der Social Media Addicts die Moralkeule und senkte das Fallbeil. Auch Wochen nach dem Vorfall nutzten nicht wenige den live eingeblendeten Twitterstream beim Medienmittwoch zum “Bashen” und “Dissen” des zur “Beichte” angetretenen Vodafone-Sprechers. Was aber bitte erwartet das Web-Volk jenseits des Eingeständnisses, dass man Reaktionen falsch eingeschätzt habe? Selbstverständlich zeigt sich Herr Esener bei solchen Anlässen loyal zu seinem Arbeitgeber. Es wäre gut, wenn dem Ratschlag von Ralf Schengber (“Erst duschen, dann reden!”) auch die Dampfplauderer des Social Media “Mikrokosmos” (O-Ton Esener) ab und zu Folge leisten würden. Letztlich – und das glaube ich bereitwillig – haben sich die Irrungen und Wirrungen Vodafones in der Social Web World in den Filialen nicht ausgewirkt –sprich: Sie waren nicht umsatzrelevant. Möglicherweise auch deshalb, weil die Tarifpolitik für die “Generation Upload” von vornherein keine wirkliche Wahlalternative darstellt. Ein Sturm im Wasserglas, gleichwohl mit Lerneffekten für alle Unternehmen, die ähnliche Aktivitäten und Maßnahmen planen.
Zwischen Medienrauschen und Twitterkakophonie
Doch zurück zur “digitalen Spaltung”. Nicht nur diejenigen, die schon einmal beim Medienmittwoch dabei waren, werden schon anhand der Bildergalerie erkennen, dass unter den Gästen nicht nur Nerds und Web-Aficionados zu finden sind.
Im Gegenteil: Denn hier geht um die kontinuierliche Information und den Gedankenaustausch zu allen möglichen Medienthemen. Da kann es also durchaus passieren, dass ein Internetunternehmer an einem solchen Abend auch schon mal “nix lernt”, außer vielleicht, dass viele noch nicht “reif” sind für das Thema Social Media (und vielleicht auch nie werden). Da passt die Erwartungshaltung ganz offensichtlich nicht zum Anlass. Ähnliches gilt für die überspannten Reaktionen auf den nicht nur verbesserungswürdigen sondern durchaus auch zu würdigenden Versuch eines Unternehmens mit weltweit mehr als 60.000 Mitarbeitern, sich in die Sozialen Netzwerke hereinzutasten.
Ein wenig mehr Aufmunterung und zaghaftes Lob wäre langfristig sicher zielführender, statt den Verbalknüppel zu zücken. Denn das würde auch andere Unternehmen ermuntern, Geld von ihren völlig überzogenen Mediabudgets für TV-Spots und Anzeigen zu Gunsten von Social Media Aktivitäten abzuziehen, um wirklich nachhaltig und auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Vernichtende und unausgewogene Kommentare einiger weniger, die sich ohne Rücksicht auf Verluste zwischen Medienrauschen und Twitterkakophonie zu profilieren, sind dabei in jedem Fall störend und kontraproduktiv.
[Erschienen in blog.onetoone.de, 09/09]
Tiefe Gräben durchziehen den Social Media Parcours
Nach der gewohnt unterhaltsamen Einführung durch Community-Experte Prof. Dr. Ralf Schengber dürften die Gäste — trotz ihrer zweifelsohne großen Heterogenität — einigermaßen auf “Augenhöhe” zum Thema gewesen sein. Der “Parcours der Social Media Hindernisse” war für alle nachvollziehbar, ob das auch für den auf der Leinwand eingeblendeten Twitterstream galt, der alle Tweets zum Thema zum Teil im Sekundentakt einfing, darf zu Recht bezweifelt werden. Die Reaktionen vor Ort, die aufgeworfenen Fragen mitsamt der gelieferten Antworten und die Kommentare aus Twitterland zeigen indes, dass es nicht nur divergente Wahrnehmungen, sondern – überspitzt gesagt – fast schon so etwas wie eine digitale Spaltung in Sachen Social Media gibt. Eine verzweigte Furche zieht sich durch die Gesellschaft und auch durch die Nutzer interaktiver Medien (Web und Mobile). Letztlich hat das bereits die Debatte um die mißglückte Social Media Kampagne (“Es ist Deine Zeit!”) von Vodafone (in der Blogosphäre in der Folge gern #vodafail betitelt) gezeigt. Der Medienmittwoch, bei dem auch Vodafone-Sprecher Kuzey Alexander Esener auf dem Podium saß, hat das ein weiteres Mal verdeutlicht.
Es verhärten sich die Fronten
Ich habe mich mit Kommentaren zu der Vodafone-Geschichte lange zurückgehalten. Angesichts der Vielzahl von Statements und Blogbeiträgen, hat das sicher niemand vermisst. Der Mittwochabend hat auch für mich die ganze Geschichte noch einmal in ein etwas anderes Licht gerückt, nicht zuletzt weil ich an der Zusammenstellung des Themas und der Runde nicht ganz unbeteiligt war und so im Vorfeld zahlreiche Gespräche mit den Beteiligten geführt habe. Noch einmal zur Ausgangssituation: Da hat sich ein Unternehmen, das mir in der Vergangenheit nicht gerade durch eine unkomplizierte Unternehmenskommunikation aufgefallen ist, zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Ein Teil des für die Kampagne zur Integration des Festnetz-Geschäfts von Arcor bereitgestellten Budgets fließt in Social Media Maßnahmen. Führende Köpfe der Bloggerszene, inklusive des Blogvermarkters Adnation werden engagiert, ein eigener Blog aufgesetzt und das Ganze direkt in die von klassischer PR-Hand vorbereitete Pressekonferenz integriert.
Olaf Kolbrück im Gespräch mit Kuzey Alexander Esener
Olaf Kolbrück im Gespräch mit Kuzey Alexander Esener
Im Grunde ein wirklich mutiger Schritt, denn die Unwägbarkeiten dürften allen bekannt gewesen sein. Umso erstaunlicher, dass bereits in einer sehr frühen Zeitpunkt ein echter Kardinalfehler begangen wurde. Es wurde schlicht die erste Regel des kommerziellen Social Media Engagements übersehen. Oder vergessen? Oder unterbewertet? Wie auch immer: Trotz Begleitung prominenter Vertreter der Zunft (Sascha Lobo als Berater, Nico Lumma als Social Media Strategist der betreuenden Agentur Scholz & Friends) geriet das richtige Zuhören irgendwie aus dem Blick. Wie sonst kann es sein, dass noch während der Pressekonferenz das ganze langsam aber stetig aus dem Ruder lief? Nicht zuletzt, weil es sich Vodafone mit der Beteiligung an der Internetsperrung durch Ursula von der Leyen (alias #zensursula) bei vielen Bloggern gründlich verscherzt hatte.
Ein Sturm im Wasserglas mit Lerneffekt
Aber: Man zeigte sich lernfähig. Nur kurze Zeit später bewies Vodafone, dass man bereit ist, mit Kritik offen umzugehen und zeigte sich angesichts der “Yodafone”-Anzeige sogar humorvoll. Für die Demission der “Twittermom” aka @schnutinger aka Ute Hamelmann galt das jedoch nicht. Der Rückzug, den die Online-Kabarettistin und Web-Cartoonistin nur einen Tag nach ihrem ersten und einzigen Blogbeitrag für Vodafone bekannt gegeben hatte, blieb und bleibt bis heute im Grunde unkommentiert. Genauso unkommentiert ließ Vodafone den werberischen Part ihres Blogposts online gehen — ein klares Versäumnis. Dennoch: Genau solche Fehler geben Unternehmen ein menschliches Gesicht oder anders formuliert: Sie verleihen ihm Authentizität. So wie sie von selbsternannten Social Media Evangelisten eingefordert wird. Doch was passierte? Verständnis? Nachsicht? Nein, natürlich nicht. Wie in vielen anderen Fällen zuvor schwang die Szene der Social Media Addicts die Moralkeule und senkte das Fallbeil. Auch Wochen nach dem Vorfall nutzten nicht wenige den live eingeblendeten Twitterstream beim Medienmittwoch zum “Bashen” und “Dissen” des zur “Beichte” angetretenen Vodafone-Sprechers. Was aber bitte erwartet das Web-Volk jenseits des Eingeständnisses, dass man Reaktionen falsch eingeschätzt habe? Selbstverständlich zeigt sich Herr Esener bei solchen Anlässen loyal zu seinem Arbeitgeber. Es wäre gut, wenn dem Ratschlag von Ralf Schengber (“Erst duschen, dann reden!”) auch die Dampfplauderer des Social Media “Mikrokosmos” (O-Ton Esener) ab und zu Folge leisten würden. Letztlich – und das glaube ich bereitwillig – haben sich die Irrungen und Wirrungen Vodafones in der Social Web World in den Filialen nicht ausgewirkt –sprich: Sie waren nicht umsatzrelevant. Möglicherweise auch deshalb, weil die Tarifpolitik für die “Generation Upload” von vornherein keine wirkliche Wahlalternative darstellt. Ein Sturm im Wasserglas, gleichwohl mit Lerneffekten für alle Unternehmen, die ähnliche Aktivitäten und Maßnahmen planen.
Zwischen Medienrauschen und Twitterkakophonie
Doch zurück zur “digitalen Spaltung”. Nicht nur diejenigen, die schon einmal beim Medienmittwoch dabei waren, werden schon anhand der Bildergalerie erkennen, dass unter den Gästen nicht nur Nerds und Web-Aficionados zu finden sind.
Im Gegenteil: Denn hier geht um die kontinuierliche Information und den Gedankenaustausch zu allen möglichen Medienthemen. Da kann es also durchaus passieren, dass ein Internetunternehmer an einem solchen Abend auch schon mal “nix lernt”, außer vielleicht, dass viele noch nicht “reif” sind für das Thema Social Media (und vielleicht auch nie werden). Da passt die Erwartungshaltung ganz offensichtlich nicht zum Anlass. Ähnliches gilt für die überspannten Reaktionen auf den nicht nur verbesserungswürdigen sondern durchaus auch zu würdigenden Versuch eines Unternehmens mit weltweit mehr als 60.000 Mitarbeitern, sich in die Sozialen Netzwerke hereinzutasten.
Ein wenig mehr Aufmunterung und zaghaftes Lob wäre langfristig sicher zielführender, statt den Verbalknüppel zu zücken. Denn das würde auch andere Unternehmen ermuntern, Geld von ihren völlig überzogenen Mediabudgets für TV-Spots und Anzeigen zu Gunsten von Social Media Aktivitäten abzuziehen, um wirklich nachhaltig und auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Vernichtende und unausgewogene Kommentare einiger weniger, die sich ohne Rücksicht auf Verluste zwischen Medienrauschen und Twitterkakophonie zu profilieren, sind dabei in jedem Fall störend und kontraproduktiv.
[Erschienen in blog.onetoone.de, 09/09]