Stehen die Globalisierung und das Geschäftsmodell Deutschlands vor dem Aus?
BayernLB-Research und Prognos sehen das Geschäftsmodell Deutschlands gefährdet und haben deshalb gemeinsam in einer aktuellen Studie das globale Umfeld deutscher Unternehmen analysiert und Handlungsoptionen für zukunftsfähige Geschäftsmodelle entworfen. Die Bundesregierung muss dabei die Rahmenbedingungen schaffen, um das exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands krisenfester zu machen.
Geopolitische Konflikte wie der zwischen den USA und China oder politische Umbrüche wie der Brexit bremsen seit Jahren die Globalisierung. Neben Inflation und Zinswende kommen seit der Covid-19-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auch Lieferengpässe und neue geopolitische Risiken dazu. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet das: Unternehmen müssen ihre Absatzmärkte und ihre Lieferketten resilienter machen oder gänzlich ändern, um weiterhin international erfolgreich zu agieren.
„Deutsche Unternehmen können sehr erfolgreich beim Export von Klima- und Umwelttechnologien sein und sollten neue, noch relativ unerschlossene geografische Gebiete als Absatzmärkte sondieren“, sagt Michael Böhmer, Chefvolkswirt des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos.
Die Studie macht deutlich, dass der Warenhandel weltweit seit mehr als zehn Jahren stagniert, während Dienstleistungen global immer wichtiger werden. „Deutschland hat seine Dienstleistungsexporte kontinuierlich gesteigert und so den Einbruch 2020 schnell wieder wettgemacht, auch dank der Tourismusbranche“, so BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels.
Die Studie vergleicht die Globalisierungsfaktoren Technologie und Innovation bei der grenzüberschreitenden Kooperation von patentierten Erfindungen: In den USA und Deutschland hat sich die Bedeutung solch internationaler Patentanmeldungen kaum verändert. China hingegen setzt verstärkt auf rein inländische Forschung und Entwicklung und schottet sich ab.
Auf dem Kapitalmarkt – lange Zeit Triebfeder der Globalisierung – beobachtet die Studie bei den längerfristigen Direktinvestitionen deutscher Unternehmen kaum Erholung. Die Auslandsforderungen des deutschen Bankensektors sind rückläufig, sie zeigen geringe Ambitionen oder Durchschlagskraft.
Böhmer bilanziert: „Der Ausblick auf die kommenden Jahre verspricht keine Besserung. Eine anhaltende Deglobalisierung – eine Entflechtung der Weltwirtschaft – ist zu einem realistischen Szenario geworden. Weder beim Warenhandel oder auf den Kapitalmärkten noch bei innovativen Kooperationen über Grenzen hinweg gibt es eine nennenswerte Dynamik. Geopolitische Interessen werden die Globalisierung voraussichtlich auch weiterhin bremsen.“ Dies merkten die Verbraucher und Unternehmen bereits bei den Lieferengpässen von Medikamenten oder Halbleitern.
Veränderte geopolitische Rahmenbedingungen und das politische Vorgehen der USA und Chinas sind entscheidend für die Perspektiven der Globalisierung. Ein „Weiter so“-Szenario, das Spannungen und Handelskonflikte zwischen dem Westen und China aufrechterhält, wäre denkbar, aber auch eines der geopolitischen Konfrontation, bei dem z. B. China Taiwan schlimmstenfalls militärisch angreift. Letzteres könnte dazu führen, dass sich regionale oder sogar national geschlossene Lieferketten herausbilden, sodass es zu einer schrittweisen Deglobalisierung kommt – hin zu mehr Konfrontation und weniger Kooperation. In der Folge würden die internationalisierten Liefer- und Wertschöpfungsnetzwerke fundamental infrage gestellt.
„Die Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell einer stagnierenden oder sogar rückläufigen Globalisierung anpassen. Dafür braucht es mehr von der Politik forcierten Freihandel und weniger Fokus auf China“, sagt Michels. Dennoch bleibe China für viele Unternehmen der wichtigste Markt. Verlässliche politische Beziehungen zu Peking seien auch unerlässlich, um globale Themen wie den Klimawandel und den Krieg gegen die Ukraine zu bewältigen. Die westliche Welt müsse sich aber intensiv damit befassen, in welchen Bereichen China ein Partner, ein strategischer Verbündeter oder ein Konkurrent und Gegner sei. „Ein strategisches Risikomanagement, möglichst auf EU-Ebene, ist vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Konflikte absolut notwendig“, sagt der Chefvolkswirt der BayernLB.
Um die Abhängigkeit von China zu verringern, schlagen die Autoren der Studie vor, den Zugang zu Märkten aus der zweiten Reihe etwa durch Freihandels- und Investitionsabkommen zu fördern und zu erleichtern. Beispielhaft werden dazu Vietnam, Brasilien, Ägypten und Kenia analysiert. „Ein neues China ist nicht in Sicht, das Auslandsgeschäft wird kleinteiliger werden. Einen für alle Unternehmen passenden Weg wird es nicht geben“, prognostiziert Böhmer.
Zwar stagniert die Globalisierung beim weltweiten Güterhandel insgesamt, aber nicht beim Export von bestimmten Dienstleistungen oder einzelnen Gütergruppen. Zahlen in der Studie belegen, dass Deutschland etwa sehr gut aufgestellt ist bei der Instandhaltung und Reparatur von Maschinen sowie beim Verkauf von Klima- und Umwelttechnologie im Bereich Luftreinhaltung, Abfall und Wasserwirtschaft. Die steigende Nachfrage nach Klima- und Umweltschutztechnologien berge große Chancen – wenn die Unternehmen ihr technisches Know-how weiterentwickeln. Lohnen kann sich dabei auch der Blick auf den Markt in Deutschland und der EU. Denn hier lassen sich geopolitische Risiken weitgehend ausschließen, und die Lieferketten sind überschaubarer.
Was den weltweiten Handel betrifft, müssen sich deutsche Unternehmen – vor allem die der Pharma-, Chemie- und Nahrungsmittel-Industrie – resilienter aufstellen. Damit auch künftig energieintensive Branchen wettbewerbsfähig in Deutschland produzieren können, braucht es den raschen und umfassenden Ausbau günstiger und CO2-armer Energien.
Die fundamentalen Veränderungen des geopolitischen Umfelds zeigen nicht zuletzt: Eine robuste IT-Infrastruktur, Notfallpläne und mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist notwendig. Hier ist auch die Politik gefragt: Der Staat muss dafür sorgen, dass die kritische Infrastruktur, vor allem in den Bereichen Energie und Digitales, weniger anfällig wird.