Plattform-Dominanz macht First-Party-Daten zur Pflicht
Ein fairer Wettbewerb ist das Fundament für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Innovationen. Doch die Big Player des MarTech-Universums steuern die Entwicklung in eine andere Richtung. Für unabhängige Marktteilnehmer der eindeutige Appell, sich jetzt erst recht gemeinsam stark zu machen, und so einer weiteren Marginalisierung entgegenzuwirken.
Im Werbe-Déjà-vu
Am Ende wiederholt sich die Geschichte: Wir steuern auf ein ähnliches Chaos zu wie bei der Einführung der DSGVO. Nur ein kleiner Teil der Branche sucht und testet aktiv neue, bessere Lösungen. Anfang 2016 waren viele Unternehmer:innen und Marketer noch überzeugt, es werde schon nicht so schlimm kommen – bis dann am 25. Mai die DSGVO Realität wurde. Doch diesmal steht die Marktmacht der Walled Gardens im Fokus.
Das Werbeökosystem der Zukunft befindet sich bereits in einem disruptiven Wandel: Forderungen nach mehr Datenschutz, mehr Privatsphäre und der Verzicht auf Third-Party-Cookies stellen Marketer vor große Herausforderungen. Laut der aktuellen Publisher-Studie von Teads fühlen sich 53 Prozent der Unternehmen durch die Vielzahl an alternativen Targeting-Methoden überfordert. Dennoch sehen 44 Prozent der Publisher in einer cookielosen Zukunft neue Chancen, um das Potenzial von First-Party-Daten besser auszuschöpfen und die Qualität ihrer Inhalte zu verbessern.
Wer die Plattform kontrolliert, kontrolliert das Geschäft
MagnaGlobal, die Einkaufsgesellschaft von Mediaplus und IPG Mediabrand, analysiert laufend Daten auf globaler und nationaler Ebene. Google, Meta und Amazon vereinnahmten 2023 bereits 90 Prozent aller Werbeeinnahmen weltweit auf sich, vom chinesischen Markt mal ganz abgesehen. Auch in Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild: 44 Prozent der Werbeinvestitionen fließen in Social Media (Meta) und Suchmaschinenwerbung (Google). Diese Tatsache stellt ein Risiko für die Anbieter im Open Web, aber auch für die Finanzierung unabhängiger Medien und digitaler Dienste dar. Denn dieses Geld fehlt den nationalen, privat finanzierten Publishern. Zwar bieten diese Plattformen hochwertige Produkte mit umfangreicher Reichweite und ermöglichen durch übergreifende Log-in-Systeme (z. B. Instagram/Facebook/Threads) eine nahtlose und qualitativ hochwertige Nutzung von First-Party-Daten, dennoch bleibt ein entscheidender Nachteil: mangelnde Transparenz. Während grundlegende Metriken wie Reichweite verfügbar sind, fehlt häufig der Einblick in die Kontaktfrequenz – also, wie oft Konsument:innen über verschiedene Kanäle mit einer Kampagne in Kontakt kommen.
Dieser Trend wird weiter zunehmen und die deutschen – oder generell die unabhängigen – Marktteilnehmer marginalisieren, wenn nicht gemeinsam an einem funktionierenden Ökosystem des „freien” Internets gearbeitet wird. Kleinteilige Buchungen in unterschiedlichen Adtech-Systemen, aufwändige Steuerung und Messung von Kampagnen in Cookieless-Setups und First-Party-Datensilos stehen nicht gerade auf der Wunschliste der Werbetreibenden und ihrer Agenturen, geschweige denn der unabhängigen Medien.
Jetzt heißt es: Neue Segel setzen
Um dem wachsenden Bedürfnis nach mehr Transparenz und datenschutzsicheren Lösungen gerecht zu werden, bietet beispielsweise die European netID Foundation eine vielversprechende Alternative: ein einheitliches Single-Sign-On-System (SSO), das Nutzer:innen ermöglicht, sich plattformübergreifend mit einem einzigen Login zu authentifizieren. So können Unternehmen ihre First-Party-Daten auf datenschutzfreundliche Weise nutzen und Verbraucher:innen gezielt ansprechen.
Wir müssen uns mit der gemeinsamen Nutzung der vorhandenen Reichweite beschäftigen. Das beinhaltet auch neue Anbieterpartnerschaften (Medien und Dienste) von ergänzenden oder sogar konkurrierenden - Angeboten. ProSiebenSat.1 und RTL Deutschland und DuMont haben hier eine starke Allianz gebildet, in dessen Rahmen sich die größten Wettbewerber im deutschen TV gegen die großen Plattformen verbündet haben.
Wir müssen General-Interest-Reichweite und die vielen Nischenthemen der deutschen Medienlandschaft zusammenbringen. Wir brauchen neue und ergänzende Ansätze für die Vermarktung relevanter Daten im Zuge der Kampagnenbuchung.
Was wir brauchen, ist eine massive Vereinfachung von Buchung, Steuerung, Optimierung und Messbarkeit ökosystemübergreifender Kampagnen. Wir brauchen auf den unterschiedlichsten Ebenen einfachere Adtech-Setups; insbesondere bei personalisierten Kampagnen. Das geht Hand in Hand mit einer notwendigen, übergreifenden Nutzung von First-Party-Daten.
Der Weg bleibt das Ziel
Ein solches Vorhaben kann nur unter der unbedingten Einhaltung aller rechtlicher Vorgaben, insbesondere des Datenschutzes, gelingen. Das bedeutet jedoch auch, dass wir uns von unterschiedlichen Interpretationen der rechtlichen Vorgaben verabschieden müssen.
Data Clean Rooms können hier die notwendige technische Infrastruktur bieten. Diese Art der Datenkooperation erlaubt es, unterschiedliche Werbeplattformen auf eine Weise zu verknüpfen, die Datenschutz und Datensouveränität gewährleistet und gleichzeitig eine effiziente Kampagnensteuerung ermöglicht. Im Gegensatz zu isolierten ID-Graphen, die eine Abstimmung und übergreifende Nutzung innerhalb des gegebenen Consents aufgrund von zu geringen Reichweiten (insbesondere im Vergleich zu den Plattformen) schwierig machen, kommt hier zusammen, was zusammengehört.
„Jede Buchung ist ein Projekt” – so gelingt die Skalierung nicht! Stattdessen bietet die Nutzung komplementärer ID-Graphen die Möglichkeit, das Thema umfassend und für alle verständlich zu skalieren. Die gute Nachricht: Die Verständigung auf grundsätzliche Rechtsauffassungen unter den wesentlichen unabhängigen Marktteilnehmern hat begonnen! Die Lernkurve ist zwar weiterhin steil, doch ein rasch wachsendes Verständnis für die Standardisierung von Vereinbarungen unter den Partnern – ähnlich der Entwicklung im Programmatic-Bereich – zeichnet sich bereits ab.
Die Puzzleteile zusammenfügen
Zusammenarbeit ist ein globales Thema, muss jedoch unbedingt auch lokal vorangetrieben werden, um das Feld nicht wenigen großen Playern zu überlassen – denn wie wir wissen, wiederholt sich Geschichte. Bis dahin sollten Werbetreibende sicherstellen, dass sie bereits heute multi-party-fähig sind, also ihren First-Party-Datensatz in unterschiedlichen Kontexten (1:n oder n:n) einsetzen können. Denn für ein reines 1:1-Setup ist der Verwaltungsaufwand zu hoch.
Die steile Lernkurve erfordert zwingend, die verschiedenen Themen jetzt zu adressieren. Sonst wird es dieses Mal – anders als bei der DSGVO – zu eng. Alle Puzzleteile sind bereits verfügbar, jetzt heißt es nur noch „loslegen!“.