Warum „Consumer First” mehr ist als ein Buzzword
Die Diskrepanz zwischen dem, was Marketing theoretisch leisten könnte, und der Realität ist groß. Um das zu verstehen, muss man kein Marketingexperte sein. Besonders für Verbraucher ist diese Lücke deutlich spürbar: Sie beschweren sich (zurecht) zunehmend über lästige, aufdringliche oder irrelevante Werbung. Ihre Sorge, die Hoheit über ihre personenbezogenen Daten zu verlieren, wächst stetig. Diese Entwicklungen führen dazu, dass sich laut der Studie „Save the Web” von Rakuten Marketing 83 Prozent der Internetnutzer von Online-Werbung gestört fühlen. Gleichzeitig wird die Medienlandschaft immer fragmentierter, sodass Werbetreibende dazu gezwungen sind, komplexe Kampagnen über eine immer größer werdende Anzahl an Kanälen hinweg zu fahren, aber häufig nur über begrenzte Werkzeuge verfügen, diese effizient auszuführen und zu messen. Zudem verhindern auch die Walled Gardens eine sinnvolle Abstimmung über verschiedene Kanäle und Publisher hinweg. Wie können wir dieser Entwicklung entgegenwirken und dafür sorgen, dass der digitale Werbemarkt nicht zum Feindbild der Verbraucher verkommt? Die Antwort lautet Consumer First, was so viel bedeutet wie „den Verbraucher an die erste Stelle rücken”. Damit ist gemeint, dass die Anliegen der Konsumenten nur identifiziert und gelöst werden können, wenn man ihnen zuhört. Das klingt einfach in der Theorie, wird in der Praxis aber zum echten Problem. Die meisten Player der digitalen Werbebranche verstehen die Wichtigkeit dieses Ansatzes zwar, realisieren ihn jedoch noch nicht vollständig. So bestätigt eine Studie von MediaMath und Econsultancy, dass über 90 Prozent aller Werbetreibenden den Consumer-First-Ansatz als sehr wichtig erachten, aber nur 51 Prozent diesen auch umsetzen. Dabei schuldet die gesamte digitale Werbeindustrie den Verbrauchern mehr Kontrolle und einen echten Mehrwert durch Werbung. Gutes Marketing sollte nicht nur für höhere Umsätze bei Advertisern sorgen, sondern vor allem einen Nutzen für Konsumenten bieten und dem Zweck dienen, Produkte und Dienstleistungen mit der richtigen Zielgruppe zu verbinden. Nur dann können sich Konsumenten mit den Werten der jeweiligen Marke identifizieren und eine Verbindung zu ihr aufbauen, Unternehmen effizienter wirtschaften und dadurch letztendlich neue Arbeitsplätze schaffen. Doch wie kann diese Idee in die Tat umgesetzt werden?
How to Consumer First
Der Consumer-First-Ansatz beruht auf drei Säulen: 1. Außergewöhnliche Erlebnisse schaffen 2. Transparenz über die Verwendung und Verarbeitung von Nutzerdaten gewährleisten 3. Kommunikation über alle Touchpoints hinweg synchronisieren
Außergewöhnliche Erlebnisse schaffen
Konsumenten sind es heutzutage gewohnt, auf allen Kanälen und Geräten, die sie nutzen, personalisiert angesprochen zu werden. Um dabei auch zu gewährleisten, dass die Kontrolle über Informationen und Nutzerdaten immer beim Verbraucher selbst liegt, müssen Werbetreibende sich davon verabschieden, den Fokus auf Kampagnen und Technologie zu legen, und sich stattdessen auf ihre Kunden konzentrieren – und das über alle Touchpoints hinweg. Dieser Ansatz unterstützt auch das Ziel der Werbetreibenden, sinnvolle und dauerhafte Beziehungen zu ihrer Zielgruppe aufzubauen, die zu echten Geschäftsergebnissen führen. Umso weniger nachvollziehbar ist die Tatsache, dass digitales Marketing immer noch von zu aufdringlicher Werbung oder Anzeigen geprägt ist, die nur für einen einzigen Kanal optimiert sind und lediglich zu kurzfristigen Anstiegen der Klickrate führen. Um Kampagnen zu optimieren und Verbraucher genau dort abzuholen, wo sie sich gerade befinden, müssen Werbeinhalte automatisiert auf Interessen und Verhalten der Zielgruppe abgestimmt werden. Dieser „Programmatic Creative”-Ansatz steigert das Markenerlebnis der Verbraucher, da Werbetreibende ihre Kampagnen mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen automatisiert auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe abstimmen können. So können beispielsweise KI-gesteuerte Creatives als interaktive Anzeigenblöcke eingesetzt werden, die Ads basierend auf dem aktuellen Wetter ausspielen, ein lokal relevante Werbebotschaft auf Grundlage von Geolocation-Daten enthalten oder den Verbraucher an Produkte erinnern, die er in seinem Warenkorb „vergessen” hat.
Transparenz über die Verwendung und Verarbeitung von Nutzerdaten
Verbraucher wollen einerseits Angebote, die genau auf sie zugeschnitten sind, aber andererseits auch die Kontrolle über ihre Daten und die Möglichkeit, sich aus Behavioural Tracking und Targeting zurückzuziehen. Aus diesem Grund müssen Werbetreibende Transparenz darüber ermöglichen, welche Daten gesammelt werden und wie sie diese verarbeiten und verwenden. Dazu müssen sie den Verbrauchern einfache Möglichkeiten bieten, die Rechte, die sie den Werbetreibenden erteilen, zu verwalten. Voraussetzung dafür ist, dass sämtliche Systeme, mit denen Daten verarbeitet werden, also „Privacy by Design” sind. Das bedeutet, dass Datenschutzanforderungen schon in der Konzeption und Entwicklung der Technologien umgesetzt werden. Dadurch können beispielsweise die Rechteverwaltung durch die Nutzer selbst gewährleistet, Änderungen protokolliert, Zugriffschutz und Auskünfte sowie Löschung von Daten ermöglicht werden. Die im Mai 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Immerhin haben sich laut der bereits erwähnten Studie von MediaMath und Econsultancy die Regulierungen auf die Marketingpraktiken von 82 Prozent der Werbetreibenden und 86 Prozent der Agenturen und Werbetechnologieanbieter ausgewirkt. Auch Initiativen wie das DigiTrust Consortium vom IAB und Ads.txt sind erste wichtige Ansätze für ein transparenteres Ökosystem für alle Beteiligten.
Synchronisation der Kommunikation über alle Touchpoints hinweg
70 Prozent aller Unternehmen, die keinen Omnichannel-Ansatz verfolgen, sind auch nicht dazu in der Lage, ihre Online-Werbeausgaben auf Offline-Kanäle zu übertragen. Diese Tatsache führt letztendlich dazu, dass nicht nur die Customer Experience, sondern vor allem auch die Werbewirkung massiv beeinträchtigt wird. Um Verbrauchern an jedem Touchpoint die richtigen Botschaften zu vermitteln, müssen Werbetreibende über Kampagnen und Kanäle hinweg denken und ihre Zielgruppe dabei stetig im Blick behalten. Dazu müssen Kampagnen nicht nur etablierte Kanäle abdecken, sondern auch für Advanced TV, Digital Out of Home oder Audio optimiert sein. Denn erfolgreiches Omnichannel-Marketing kann nicht mit Kampagnen umgesetzt werden, die nur in geschlossenen Umgebungen durchgeführt werden, in denen Werbetreibende ihre Zielgruppensegmente, Einblicke oder Reportings nicht über die gesamte Breite ihrer Marketingaktivitäten hinweg nutzen können. Auch hier gilt: Insbesondere die Walled Gardens stehen effizientem, kanalübergreifendem Marketing im Weg. Der Erfolg von Omnichannel-Kampagnen kann nur mit den richtigen KPIs und der Fähigkeit zur Optimierung in Richtung eines echten inkrementellen ROAS nachgewiesen werden. Dazu sind sogenannte Closed-Loop-Reportings erforderlich, die sämtliche Touchpoints bis hin zur Conversion berücksichtigen. Die Learnings, die sich daraus ergeben, fließen dann zurück in den Media-Buying-Prozess. Um solche Analysen erfolgreich durchführen zu können, dürfen Werbetreibende nicht länger nur die „Last Mile” ihrer Kunde messen – sondern müssen Technologien zur Multi-Touch-Attribution implementieren, die aus Interaktionen mit Verbrauchern an sämtlichen Berührungspunkten lernen und die gewonnenen Insights nutzen, um ihrer Zielgruppe noch relevantere Werbung zu liefern.
Marketing muss sich jetzt weiterentwickeln
Digitales Marketing existiert seit mehr als 25 Jahren, Programmatic Advertising bereits seit zehn Jahren. Es ist also Zeit für eine Veränderung, die es endlich allen Branchenteilnehmern – nicht nur Agenturen, Technologieanbietern und Werbetreibenden, sondern vor allem den Verbrauchern - ermöglicht, tatsächlich von Marketingmaßnahmen zu profitieren. Sprich: Marketing muss sich jetzt noch einmal massiv weiterentwickeln. Dazu muss die gesamte digitale Werbeindustrie bestehende Infrastrukturen aufbrechen, schlechte Akteure in der Supply Chain identifizieren und sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Konsumenten nur ein Mittel zum Zweck sind.