E-Commerce: Messenger und Mobile sind im Kommen
Bildquelle: fotolia/bluraz
Der E-Commerce wächst in Deutschland nach wie vor zweistellig. 2015 kauften 47 Millionen Menschen über das Internet ein. Spitzenreiter waren dabei laut Statistischem Bundesamt Kleidung und Sportartikel mit 64 Prozent und Gebrauchsgüter einschließlich Möbel und Spielzeug mit 49 Prozent. Die Protagonisten des E-Commerce drängen weiter in die Domänen des stationären Handels. Mit immer kürzeren Lieferzeiten wie durch Amazon Now in Berlin und München mit nur einer Stunde verliert der stationäre Handel einen der letzten Vorzüge gegenüber dem Shopping im Internet: Die unmittelbare Verfügbarkeit der Ware. Inzwischen läuft ein Großangriff auf eine Branche, die bisher größtenteils von der Onlinekonkurrenz verschont geblieben ist: Der Lebensmittelhandel, in Deutschland 170 Milliarden Euro Jahresumsatz schwer.
LEH: Dammbruch oder Schiffbruch?
Lebensmittel-Lieferdienste online gibt es schon länger, doch bis jetzt haben sie nur einen verschwindend geringen Marktanteil. Mit Amazon Fresh, einem Lieferdienst mit eigener Logistik und zumindest in Ballungsräumen garantierten kurzen Lieferfristen, könnte ein ausreichend starker Akteur den Markt aufmischen und damit einen Dammbruch in der letzten Festung des stationären Handels bewirken. Bisher liefert Amazon fresh nur in Großbritannien aus. Doch die Branche erwartet einen Markteintritt in absehbarer Zeit auch in Deutschland. Schon jetzt liefert Amazon Now sozusagen als Testballon ausgewählte Lebensmittel aus. Amazon hat mit Now und Fresh dem Onlinelebensmittelhandel zu Schwung verholfen. Mehrere große Ketten haben entsprechende Angebote auf den Weg gebracht. So bietet Billa Same-Day-Delivery in ganz Österreich. REWE liefert in 75 deutschen Städten Onlinebestellungen aus. Für das genaue Angebot und die Auslieferung sind allerdings die Händler vor Ort zuständig. Edeka, Kaufland und Discounter Lidl ziehen nach, wenn auch zögerlich. So sichert Lidl lediglich eine Lieferzeit von drei Werktagen zu.
Handelsexperten warnen vor Panik im Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Zwar dürfte Amazon in der Lage sein, nach hohen Anfangsverlusten mit Fresh einen Lieferdienst aufzubauen, der irgendwann schwarze Zahlen schreibt. Jedoch wird der E-Commerce-Riese vor allem von Zusatzkäufen anderer Warengruppen profitieren. Die Marge im deutschen LEH ist einfach zu gering, um wie in anderen Handelssegmenten online per Preisdifferenzierung in den Markt zu drängen. Außerdem ist selbst in ländlichen Gebieten der nächste Supermarkt nicht weit. Und für die meisten Konsumenten ist der Lebensmitteleinkauf noch immer ein haptisches und sensorisches Erlebnis, insbesondere bei Frischwaren wie Obst und Gemüse. Deshalb ist Euphorie beim Sturm auf die LEH-Bastion unangebracht. Schnell kann aus einem Dammbruch für die Branche ein Schiffbruch für die Angreifer aus dem Web werden.
Von der Fußgängerzone ins Internet
Dramatischer sieht es für Fachgeschäfte und Kaufhäuser aus. Zwar wird sich das Einkaufserlebnis in den Malls und Fußgängerzonen der Oberzentren nicht ohne Weiteres durch E-Commerce ersetzen lassen. Doch in mittleren und kleineren Städten ist das Ladensterben längst in vollem Gange. Vielerorts liegt der Leerstand der Ladengeschäfte schon bei 40 Prozent. Dafür ist nicht nur, aber doch zu einem wesentlichen Teil die Verlagerung des privaten Konsums ins Internet verantwortlich. Und das Ende des Abwärtstrends ist noch lange nicht erreicht: Der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein geht von bis zu 50.000 Geschäften in Deutschland aus, die bis 2020 für immer die Pforten schließen müssen, weil sie mit der Konkurrenz aus dem Internet nicht mithalten können. Boris Hedde vom Institut für Handelsforschung schätzt, dass sich jährlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro Umsatz von Läden und Kaufhäusern ins Internet verlagern [1].
Der Onlinehandel tut auch alles dafür, im Wettbewerb mit dem stationären Handel zu punkten. So wird die Zustellung immer schneller und flexibler. Allerorten werden Drohnen zur Paketzustellung getestet. DHL hat die bundesweite Zustellung täglich bis 21 Uhr ausgedehnt. Amazon testet Paketstationen an Tankstellen, um die Abholung bei gescheiterter Zustellung zu erleichtern. Auch Same-Day-Delivery wird eine immer größere Rolle spielen.
Handel hinkt Digitalisierung hinterher
Ein weiterer Grund, warum Betreiber klassischer Ladengeschäfte weiter Marktanteile an die Onlinekonkurrenz verlieren, ist ihre Verweigerung gegenüber dem Trend. Wie eine aktuelle Studie des BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft) herausfand, glaubt nur etwa die Hälfte kleiner und mittelständischer Händler, dass durch die Digitalisierung neue Wertschöpfungsquellen erschlossen werden können. Und die Umsetzung gelingt bisher noch wenigeren. Selbst große Anbieter hinken der Entwicklung hinterher. So macht der Möbel-Platzhirsch IKEA in Deutschland nur 190 Millionen Euro seines milliardenschweren jährlichen Umsatzes im Internet.
Der BVDW sieht gerade für Branchen mit kleinteiliger Struktur besonders große Chancen in der Digitalisierung und dem Gang ins Internet, etwa für Optiker und Apotheken. Letztere sind bereits bei den Web-Shoppern recht beliebt. 28 Prozent kaufen ihre Pharma-Produkte online.
Auch Probleme im E-Commerce
78 Prozent aller Onlinehändler vertreiben einer Untersuchung des HDE (Handelsverband Deutschland) zufolge über Onlinemarktplätze wie eBay, Amazon, Rakuten oder DaWanda ihre Waren, knapp ein Viertel sogar ausschließlich [2]. Das bringt Nachteile mit sich wie hohe Gebühren, Rabattdruck und Intransparenz der Marktplatzbetreiber. Vor allem Händlern aus dem KMU-Segment machen Vertriebsbeschränkungen der Hersteller zu schaffen. Eine Umfrage des BVOH (Bundesverband Onlinehandel) brachte Beschränkungen von fast 2.000 Herstellern und Markenartiklern zutage, die den Onlinehändlern ihrer wichtigsten Absatzkanäle berauben [3]. Gründe sind Preisbeschränkungen nach unten und die Bevorzugung der großen Handelspartner. Der BVOH sieht dadurch tausende Onlinehändler von der Insolvenz bedroht.
Kein B2B-Boom
Die Zusammenfassung des Themas B2B im E-Commerce lautet eher „verschenktes Potenzial“. Zwar sind die Umsätze in absoluten Zahlen gigantisch. In diesem Sektor werden online mit über 800 Milliarden Euro jährlich ein Vielfaches der B2C-Umsätze erzielt. Doch der Anteil am gesamten inländischen Investitionsgüter-Umsatz bewegt sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich, davon auch noch vier Fünftel per automatisierter Bestellmechanismen. Nur in wenigen Produktgruppen wie Bürobedarf hat der klassische E-Commerce einen deutlich höheren Anteil.
Die Gründe für die schwache Entwicklung sind vielfältig. Sie haben viel mit persönlicher Beratung, extrem speziellen Bedarfen und der Kaufabwicklung zu tun. Viele Unternehmen scheuen den Aufwand, einen Onlineshop aufzubauen, und setzen lieber auf bewährte Vertriebswege. Dabei sind unterschiedlichen Studien zufolge mindestens die Hälfte der Entscheider in den Unternehmen überzeugt, dass der E-Commerce auch für B2B an Bedeutung gewinnen wird. Hier ist noch sehr viel Luft nach oben.
Mompreneure und Chatbots
Auf der anderen Seite erschließen Unternehmer immer neue Branchen mit erfolgreichen E-Commerce-Konzepten. Aktuell sind beispielsweise besonders Catering-Angebote und Rasierklingen-Abos auf dem Vormarsch. Auch die Zahl der Selbstständigen in der Branche steigt, alles andere als erwartungsgemäß speziell unter Müttern minderjähriger Kinder. Die Gründerinnen nennen sich Mompreneure, ein Wortspiel aus Mom (Mama) und Entrepreneur. Eine eBay-Studie fand heraus, dass 2015 allein in Deutschland über eine halbe Milliarde Euro von dieser Gruppe im E-Commerce erwirtschaftet wurde - mit einem jährlichen Wachstum von sechs Prozent.
Auch die Nutzergewohnheiten wandeln sich. So wächst der Mobile Commerce überdurchschnittlich. Nach einer Prognose von PricewaterhouseCoopers wird dieser Kanal bis 2020 von dreiviertel aller Konsumenten zumindest in ausgewählten Produktkategorien genutzt. Allerdings gibt es hier noch Probleme mit dem Bezahlen aus dem Weg zu räumen. Knapp zwei Drittel aller User haben Angst, dass ihre Daten auf dem Smartphone gehackt werden, nur sechs Prozent bezahlen bevorzugt mit ihrem mobilen Endgerät.
Innerhalb des Web nimmt immer mehr die Bedeutung der Messenger zu, auch für den E-Commerce. Inzwischen werden über den Kundendialog hinaus z.B. mehr und mehr Transaktionsmails wie Bestellbestätigungen und Rechnungen durch Mitteilungen über WhatsApp & Co. ersetzt. Kein Shop-Betreiber kann es sich noch leisten, diesen Channel für den Kundendialog zu ignorieren. Über Chatbots wie Spring kann der User dank Machine Learning in normaler Textform nach Produkten und Dienstleistungen suchen. Chatbots werden in vielen Bereichen die Apps ersetzen, gerade was Shopping und den Kontakt zu Plattformen und Firmen betrifft. Zukünftig kann der gesamte Kaufvorgang von der Produktsuche über die engere Auswahl bis zur Abwicklung einschließlich Bezahlvorgang und Nachbetreuung über Chatbots innerhalb eines Messengers durchgeführt werden. Wer diesen Trend verpasst, landet auf dem Abstellgleis.
Optimierung erhöht Umsatz
Wer langfristig seine Erträge sichern will, muss nicht nur am Puls der Zeit agieren, sondern auch das laufende Geschäft optimieren. Im Kern geht es um alle Bereiche des Marketings und Vertriebs, neben der Preis- und Produktpolitik im E-Commerce insbesondere auch um eine Multichannel-Strategie. Wie beschrieben, sind die Konsumenten-Gewohnheiten einem ständigen Wandel unterworfen. Social Media und Messenger gewinnen immer größere Bedeutung auf der Customer Journey, SEO bleibt ein wichtiger Faktor, der mit starkem Content auf den Artikelseiten bedient wird. Wenn ein eigener Shop betrieben wird, ist eine benutzerfreundliche Usability mit einer treffsicheren Suchfunktion ebenso wichtig wie eine personalisierte Führung durch das Sortiment gemäß dem bisherigen Einkaufsverhalten.
Mit Cross-Selling-Angeboten kann der Warenkorb mit weiteren passenden Produkten befüllt werden, z.B. mit Zubehör. Wer dabei nur auf einen möglichst vollen Warenkorb schielt, wird schnell eines Besseren belehrt, nämlich bei den Retouren, gerade im Bereich Schuhe und Fashion ein Dauerbrenner. Es gilt: Optimal statt maximal.
Kunden wissen Transparenz bei Kosten und Konditionen zu schätzen. Sie würdigen in umsatzsteigernder Form Rabatte und Gutscheine. Wenn ein Kunde den Kauf abbricht, empfehlen wir, per E-Mail an seinen Warenkorb oder die beobachteten Artikel zu erinnern. Wenn er gekauft hat, können Sie mit passenden neuen bzw. ergänzenden Angeboten nachfassen - per Transaktionsmail oder per Chatbot-Nachricht.
[1 ] http://www.zeit.de/news/2016-08/26/handel-der-online-handel-boom---und-das-ladensterben-geht-weiter-26071405
[2] http://www.ibusiness.de/aktuell/db/132837veg.html
[3] http://www.internetworld.de/e-commerce/online-handel/tausende-online-haendler-stehen-offenbar