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Warum man auf Blogger nicht scheißen sollte

Wenn Twitter im Alltag der Journalisten unbekannt ist, dann nehmen sie die Wirklichkeit nicht mehr wahr.
Gunnar Sohn | 19.09.2011
Zeit für die Medien, sich selbst weniger wichtig zu nehmen und das Internet zu verstehen.

Die liebwertesten Gichtlinge in Politik und Wirtschaft sollten Blogger nicht mehr unterschätzen. Ein Lehrbeispiel präsentierte der Journalist Richard Gutjahr auf dem DJV-Fachkongress „Besser Online“ im Bonner Post-Tower. Landläufig herrsche die Auffassung, dass Organisationen nur bei Anfragen etablierter Medien wichtige Informationen preisgeben. Gutjahr verwies auf die Besonderheit des Veranstaltungsortes. „Ich habe vor rund einem Jahr bei der Deutschen Post angerufen, bevor ich in die Sommerferien geflogen bin. In dem Telefonat mit der Pressestelle sagte ich, dass ich zwar für den Bayerischen Rundfunk arbeite, aber die Anfrage als Blogger stelle“, so Gutjahr. Die Recherche drehte sich um den legendären E-Postbrief mit dem Versprechen des Gelben Riesen, das Briefgeheimnis ins Internet zu bringen. Kompliziert, teuer und nicht besonders sicher, lautete das erste Urteil der Stiftung Warentest. Gutjahr wollte etwas zu den AGBs wissen. „Denn die verkaufen nämlich die Adressen der vermeintlich sicheren Geschäftsidee. Dann gab mir der Konzern-Pressesprecher sinngemäß folgende Antwort: ‚Wenn Sie für die ARD anrufen, gebe ich Ihnen eine Auskunft. Blogger interessieren uns nicht.‘ Dann habe ich denen danach noch einen Fragenkatalog per E-Mail geschickt und telefonisch nachgehakt. Der Herr hat nicht mehr reagiert“, erläuterte Gutjahr.

Ignoranz führt zum Shitstorm
Er teilte der Post mit, den Beitrag auch ohne eine Stellungnahme des DAX-Konzerns auf seinem Blog zu veröffentlichen. Wieder keine Reaktion. „Auf dem Weg zum Flughafen drückte ich den Publish-Button auf meinem iPhone. Als ich aus dem Flieger am Urlaubsort ausstieg, war der Server zusammengebrochen. Lesen Sie mal meinen Blogpost ‚Der E-Postbrief – Die Gelbe Gefahr?‘. Das ist ein Paradebeispiel, wie man auf keinen Fall mit Bloggern umgehen sollte“, sagte Gutjahr. Die Post habe an diesem Tag eine Menge Geld verballert, weil sie einem Blogger kein Interview geben wollte. Im Kommentarverlauf könne man sehr gut nachvollziehen, wie der Shitstorm sich ausbreitete und nicht mehr gekontert werden konnte. „Die mussten ihre AGBs ändern und eine sündhaft teure Kampagne hinterherschieben. So etwas wird denen nicht mehr passieren. Mittlerweile beantwortet die Post jede Blogger-Anfrage.“

Mittlerweile gebe es einige DAX-Konzerne, die ihren Pressestellen und Kundenberatern sogar DIN A3 große Flow-Charts an die Hand geben, damit sie wissen, wie man mit xy umgehen muss, wenn er eine Frage via Telefon, E-Mail, Twitter oder Facebook stellt, bestätigte der Berater und Blogger Don Dahlmann in der Gesprächsrunde zum Thema „Ich bin drin – und jetzt? Selbstvermarktung und Social Media“.

Das Instrument der Abmahnung einzusetzen, um sich kritische Blogger vom Leib zu halten, sei wenig ratsam. „Das führt zum berühmten Streisand-Effekt. Im Moment der Abmahnung geht der Shitstorm erst so richtig los. Wer einen Blogger abmahnen will, kann ihm auch direkt auf den Rasen scheißen. Das kommt auf das Gleiche raus. Es führt zu einer Solidarisierung der Blogszene“, weiß Dahlmann. Da seien einige Firmen schon ganz böse hingefallen. Aber nicht nur Konzernsprecher unterschätzen die Möglichkeiten der digitalen Welt. Das gilt überraschenderweise auch für den journalistischen Nachwuchs.

Digitale Inkompetenz im Journalismus
„Junge Leute, die zur Journalistenschule kommen, sind nicht per se bei Twitter oder Facebook. Ich wundere mich, wie wenig die sozialen Netzwerke in den Arbeitsalltag integriert werden. Das gilt vor allem für Twitter. Als journalistisches Medium ist es unbekannt. Facebook ist für alle selbstverständlich – aber eher für die private Nutzung“, erklärte Matthias Spielkamp von iRights.info im Abschlussplenum von „Besser Online“. Der deutsche Journalismus im Umgang mit den neuen Medien sei noch sehr unterentwickelt, kritisierte Stefan Plöchinger von sueddeutsche.de. Das Selbstbildnis vom allwissenden Journalisten habe sich durch die Social-Media-Ausdrucksformen in angelsächsischen Ländern schon sehr gut reduziert. Hier gebe es sehr interessante und kluge Ansätze für einen kuratierenden und moderierenden Charakter des Journalismus. „Es ist erstaunlich, dass wir das im Jahr 2011 in Deutschland noch nicht entdeckt haben. Wir reden über neue Kulturtechniken, die Journalisten erlernen müssen. Wir befinden uns in einem Ökosystem, das sich permanent ändert. Ich bekomme einen kalten Schauer, wenn ich in der Klasse einer Journalistenschule stehe und nach den Berufswünschen frage“, so Plöchinger. Die Hälfte wolle nicht digital arbeiten, sondern eher das berühmte Stück auf Seite drei schreiben. „Die haben aber noch 40 Jahre vor sich. Das wird nicht mehr passieren. Man wird digital arbeiten. Man wird sich damit auseinandersetzen müssen.“