Studienboom ist nicht die alleinige Ursache für den Mangel an Auszubildenden
Der Mehrheit der Jugendlichen fällt es schwer, nach der Schule eine Entscheidung für eine Berufsausbildung oder ein Studium zu treffen. Dazu tragen auch zahlreiche Mythen zu Studium und Ausbildung bei, die in Gesellschaft und Politik kursieren.
Rund um die nachschulische Bildung in Deutschland haben sich in der öffentlichen Wahrnehmung einige Mythen etabliert. Das betrifft sowohl die berufliche Ausbildung als auch das Studium. Eine oft geäußerte Falschannahme sieht etwa in der Rekordzahl an Studierenden die ausschließliche Ursache für den Mangel an Auszubildenden. Ein gemeinsamer Faktencheck mit dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung kommt jedoch zu einem anderen Schluss.
Demnach greift es zu kurz, den aktuellen Auszubildendenmangel in Deutschland allein mit einer wachsenden Beliebtheit des Studiums zu begründen. Ein Vergleich der Anfänger:innenzahlen zeigt, dass der demografische Rückgang sowohl die berufliche als auch die akademische Bildung betrifft. So ist die Zahl der neuen Auszubildenden zwischen 2011 und 2021 von 733.000 auf 660.000 gesunken. Gleiches gilt jedoch auch für die Studienanfänger:innen: Deren – immer noch niedrigere – Zahl ist im selben Zeitraum von 519.000 auf 470.000 zurückgegangen. Hinzu kommt: Keine der drei Berufsgruppen mit dem höchsten Anteil an unbesetzten Ausbildungsplätzen steht in direkter Konkurrenz zu einem akademischen Studienangebot. Dabei handelt es sich um Klempner:innen, Fachverkäufer:innen im Lebensmittelhandwerk und Fleischer:innen.
(Aus-)Bildungsmythen treffen auf verunsicherte Jugendliche
Die weit verbreiteten Mythen und Falschaussagen, darunter auch die Behauptung "Nur Akademiker: innen verdienen richtig gut", treffen auf eine in weiten Teilen verunsicherte junge Generation. Vielen fällt es schwer, am Ende der schulischen Laufbahn eine Entscheidung über ihren weiteren Bildungsweg zu treffen. Dies zeigen die Ergebnisse der repräsentativen Jugendbefragung, welche wir im August veröffentlicht haben. Darin geben 55 Prozent der befragten Jugendlichen an, sich zwar ausreichend informiert zu fühlen, sich aber in der Fülle der Informationen nicht zurechtzufinden. "Fehlinformationen zu Studium und Ausbildung können Fehlentscheidungen zur Folge haben. Für die Jugendlichen selbst führt das zu großem Frust, verpassten Chancen und dem Gefühl, Lebenszeit und Energie vergeudet zu haben. Doch auch gesamtgesellschaftlich ist es angesichts des Fachkräftemangels wichtig, junge Menschen bei der Wahl des passenden Berufs bestmöglich zu unterstützen. Niemand darf beim Übergang von der Schule in den Beruf verloren gehen", sagt Caroline Schnelle, Expertin der Bertelsmann Stiftung für berufliche Bildung.
Nachschulische Bildungswege sind flexibler als oft angenommen
Für die Berufswahl sind Offenheit und Flexibilität wichtig. Doch dem entgegen steht ein weiterer Mythos: "Nach der Schule muss man sich zwischen Studium und Ausbildung entscheiden – danach steht der weitere berufliche Weg endgültig fest." "Dieser Irrglaube hält sich hartnäckig, stimmt aber einfach nicht", betont Ulrich Müller. „In der nachschulischen Bildung gibt es zunehmend Übergänge in beide Richtungen", sagt der Leiter politische Analysen beim CHE. "Gute Politik sorgt dafür, dass Fakten und nicht Mythen Gehör finden. Und sie nutzt auf Landes- und Bundesebene alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel und Wege, innovative Modelle der Zusammenarbeit von beruflicher und akademischer Bildung in die Breite zu tragen. Angesichts des Fachkräftemangels müssen jetzt alle politischen Akteure das Gesamtbild sehen und als Brückenbauer fungieren, damit niemand zwischen den Systemen verloren geht", fordert Ulrich Müller.