Kein Sommermärchen für die deutsche Wirtschaft
Das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) liegt im Juni bei 89,5 Punkten und ist somit gegenüber Mai noch einmal leicht, um anderthalb Punkte, gefallen. Immer noch liegt der Wert deutlich unter der neutralen 100-Punkte-Marke, die ein durchschnittliches Wachstum angibt. Der jüngste Rückgang ist vor allem auf eine pessimistischere Stimmung in den Unternehmen zurückzuführen, deren Geschäftserwartungen sich laut Umfragen zuletzt merklich eingetrübt haben. Aus dieser Momentaufnahme muss aber nicht zwingend eine schlechtere wirtschaftliche Lage folgen. „Die weitere Entwicklung hängt insbesondere davon ab, ob die Weltwirtschaft wie vom DIW Berlin erwartet weiter moderat expandiert und die Inflation schrittweise zurückgeht. Eine geringere Teuerung würde vor allem die Kaufkraft der Haushalte und den privaten Konsum stützen,“ sagt Timm Bönke, Co-Leiter des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik im DIW Berlin. „Starke Zuwächse bei den Bruttolöhnen und -gehältern dürften im Zusammenspiel mit den steuerlichen Entlastungen, wie der Inflationsausgleichsprämie, die Kauflaune der Haushalte über den Sommer ankurbeln.“ ergänzt Geraldine Dany-Knedlik, Co-Leiterin des Bereichs.
Vor allem bei der Industrie hat sich die Lage zuletzt verdüstert. Zwar stützt der noch hohe Auftragsbestand, der dank einer deutlichen Entspannung bei den Lieferketten vermehrt abgearbeitet werden kann, die Produktion. Die Auftragseingänge aus dem In- und Ausland waren allerdings im Frühjahr etwas rückläufig, so dass auch der Auftragsbestand leicht sank. Diese Entwicklung trübte die Geschäftsaussichten insgesamt. Dämpfend insbesondere auf die Investitionstätigkeit wirken zudem die deutlichen Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank. „Angesichts der schwächelnden Weltwirtschaft und der nach wie vor steigenden Zinsen ist kurzfristig nicht mit einer Verbesserung der Lage zu rechnen,“ sagt Laura Pagenhardt, DIW-Konjunkturexpertin. „Im Zuge der vom DIW erwarteten weltwirtschaftlichen Erholung dürfte die Industrie in der zweiten Jahreshälfte aber wieder etwas positivere Impulse für die deutsche Wirtschaft liefern.“
Bei den Dienstleistungen ist die Stimmung zwar etwas besser als in der Industrie. Doch auch hier haben sich die Aussichten eingetrübt; die Geschäftserwartungen sind im Juni weiter zurückgegangen. Das Konsumklima hat zwar die Talsohle durchschritten, aber die Verbraucher*innen blicken immer noch pessimistisch in die Zukunft. Dies liegt auch daran, dass die Inflation für viele Haushalte bislang stärker zugelegt hat als die Einkommen. Der private Verbrauch wird aber noch durch die niedrige Arbeitslosigkeit gestützt, auch wenn sich am Arbeitsmarkt eine allmähliche Abkühlung abzeichnet. „Menschen mit niedrigen Einkommen spüren die hohe Inflation und die damit einhergehenden Kaufkraftverluste besonders stark“, fasst DIW-Konjunkturexperte Guido Baldi zusammen. „Auch wenn die Energiekrise keine tiefe Rezession ausgelöst hat, ist die wirtschaftliche Situation für viele Haushalte trotzdem schwierig und dürfte sich mit steigenden Realeinkommen erst in den kommenden Monaten allmählich erholen.“
Das nächste DIW-Konjunkturbarometer erscheint am Donnerstag, den 27. Juli 2023.