Marketing-Trends: KI an der Spitze, doch unter der Oberfläche brodelt es

Nicht die anhaltende Dominanz der KI, sondern die markanten Verschiebungen bei anderen Marketingdisziplinen bilden die überraschenden Erkenntnisse der aktuellen „Marketing Trends 2025"-Studie. Während KI mit einem Anteil von 83 % weiterhin das Top-Thema bleibt, zeigt sich bei den anderen Disziplinen ein tiefgreifender Wandel: Leadgenerierung verliert drastisch an Bedeutung, während Nachhaltigkeit und AR die am stärksten wachsenden Themen der Marketing-Zukunft sind.
Diese Erkenntnisse liefert die halbjährlich durchgeführte Trendumfrage der marketing-BÖRSE, für die 2.135 Marketing-Fachleute befragt wurden. Die Untersuchung entstand in Zusammenarbeit mit den Branchenexperten Christian Bachem, Thomas Koch, Ralf Scharnhorst und Torsten Schwarz und analysiert 20 relevante Trendthemen auf ihre aktuelle und zukünftige Bedeutung für die Branche.
AR: Der heimliche Star unter den Trends
Augmented Reality zeigt mit einem Sprung von 6 % auf 18 % den größten prozentualen Bedeutungszuwachs aller Trendthemen. Diese Verdreifachung deutet darauf hin, dass AR sich in Zukunft vom Experimentierfeld einzelner Vorreiter zum Mainstream-Kanal für innovative Produkterlebnisse entwickeln wird.
Statt nur Technologie-Enthusiasten dürften bald auch pragmatisch denkende Marketer AR-Anwendungen in ihr Portfolio aufnehmen. Ähnlich wie Social-Media-Content heute zur Standardausstattung gehört, könnte AR der nächste logische Schritt für Marken sein.
Grünes Marketing erobert die Top 5: Mehr als nur ein Imagefaktor
Nachhaltigkeit legt um 11 Prozentpunkte zu (von 24 % auf 35 %) und etabliert sich damit fest in den Top 5 der Marketing-Agenda der Zukunft – noch vor der klassischen Leadgenerierung. Mit Blick auf das unangefochtene Top-Thema KI (83 %) bedeutet dieser Aufstieg eine zweischneidige Herausforderung für die Branche:
Einerseits treibt gerade das Marketing den digitalen Energieverbrauch durch KI-Anwendungen, datenintensive Analysen und immer aufwendigere Content-Formate voran. Andererseits wächst der Druck, Umweltauswirkungen zu minimieren. Die Kunst besteht darin, Nachhaltigkeitsthemen authentisch zu besetzen, ohne in die Greenwashing-Falle zu tappen. Nur wer echte grüne Substanz bietet, wird langfristig von diesem Trend profitieren.
Leadgenerierung im freien Fall: Der überraschende Verlierer
Der auffälligste Verlierer unter den Marketingdisziplinen ist eindeutig die Leadgenerierung. Mit einem Rückgang von 46 % auf 29 % büßte sie 17 Prozentpunkte ein – der stärkste Bedeutungsverlust aller untersuchten Themen. Diese Entwicklung signalisiert eine klare Verschiebung im Marketing-Fokus: weg von der Neukundenakquise, hin zur intensiveren Bestandskundenpflege.
Diese Interpretation wird durch die gleichzeitig stabile Position der Marketing Automation (47 %) und den Anstieg bei der Personalisierung (43 %) gestützt. Unternehmen scheinen ihre Ressourcen verstärkt in die Optimierung bestehender Kundenbeziehungen zu investieren, anstatt primär auf die Gewinnung neuer Kontakte zu setzen.
First-Party-Daten: Die ewig unterschätzte Notwendigkeit
Die Zukunft ohne Third-Party-Cookies rückt unaufhaltsam näher – und dennoch bleibt die Reaktion der Marketingwelt erstaunlich verhalten. Der Bedeutungszuwachs von First-Party-Daten von 16 % auf 23 % wirkt angesichts der bevorstehenden Umwälzungen geradezu bescheiden. Nur knapp ein Viertel der Marketingverantwortlichen will diesem existenziellen Thema künftig verstärkt Aufmerksamkeit widmen – und das trotz der wachsenden Abschottung der digitalen Werbeökosysteme.
Diese Diskrepanz könnte auf eine riskante Wette hindeuten: Marketers scheinen zu hoffen, dass KI-Lösungen und andere Tools die Datenproblematik quasi automatisch lösen werden. Die Realität dürfte komplexer sein. Unternehmen, die jetzt nicht aktiv in ihre First-Party-Datenstrategie investieren, könnten mittelfristig in eine kritische Abhängigkeit von den großen Tech-Plattformen geraten.
KI im Marketing: Vom Reden zum Handeln
Trotz des dramatischen Wandels bei anderen Themen bleibt KI mit 83 % der Nennungen das unangefochtene Top-Thema der heutigen und zukünftigen Marketing-Agenda. Doch hinter dieser Zahl verbergen sich wichtige Differenzierungen, die die Experten der Studie betonen:
„KI im Marketing mit gewaltigem Abstand auf Platz 1 überrascht wohl niemand, denn seit Monaten wird über kaum etwas anderes geredet. Betonung allerdings auf ‚geredet'", erklärt Thomas Koch. „Lautete die Frage, wer KI bereits im Marketing implementiert hat, sähe die Rangfolge anders aus. Wir müssen nun vom Reden ins Handeln kommen."
Christian Bachem blickt über den Hype hinaus: „KI ist und bleibt der Trend #1 – das ist keine Überraschung. Aber Obacht: Nun muss sie produktiv und wirkungsvoll liefern", fordert der Marketing-Experte. „Gewiefte Marketer haben bereits KI-Agenten als den nächsten Trend ausgemacht."
Ralf Scharnhorst warnt hingegen vor einem einseitigen Einsatz der Technologie: „Marketeers denken, sie könnten KI als Waffe einsetzen, um Konsumenten mit mehr und gezielterer Werbung zuzuschütten. Wartet, bis die Konsumenten mit ihrer gerätebasierten KI zurückschlagen, Werbung und KI-Bilder herausfiltern und nicht nur Preise vergleichen, sondern komplexe Paket-Angebote."
Die drei Experten sind sich einig: KI wird das Marketing grundlegend verändern – nicht als isoliertes Tool, sondern als integraler Bestandteil aller Marketingprozesse. Entscheidend wird sein, ob Unternehmen die Technologie nur als Effizienzwerkzeug einsetzen oder sie tatsächlich zur Verbesserung des Kundenerlebnisses nutzen.
Blinder Fleck: Ad Fraud auf dem letzten Platz
Während einige Trends im Rampenlicht stehen, führen andere ein Schattendasein: Ad Fraud bildet mit acht Prozent der Nennungen das absolute Schlusslicht der 20 untersuchten Trendthemen. Diese geringe Aufmerksamkeit überrascht, da Werbebetrug jährlich Milliardenschäden verursacht und die digitalen Werbebudgets zunehmend belastet.
Die niedrige Priorisierung dieses Themas durch Marketingverantwortliche könnte auf eine gefährliche Blindstelle hindeuten: Während Budgets in neue KI-Tools und innovative Kommunikationskanäle fließen, bleibt die Absicherung dieser Investitionen gegen betrügerische Aktivitäten auf der Strecke. In einer Zeit, in der KI-generierte Fake-Profile und automatisierte Betrugssysteme immer raffinierter werden, könnte sich die Vernachlässigung des Themas als kostspieliger Fehler erweisen.
CMOs priorisieren um: TikTok & CTV unter den Top 10
Eine differenzierte Betrachtung der Umfrageergebnisse zeigt deutliche Unterschiede in der Trendwahrnehmung zwischen CMOs und Marketing-Managern. Während die Führungsebene neuere Kanäle und Messmethoden priorisiert, setzen operative Manager auf etablierte Ansätze. TikTok (CMOs: 22 %, Manager: 9 %) und Connected TV (CMOs: 17 %, Manager: 6 %) werden von Führungskräften mehr als doppelt so häufig als zukunftsrelevant eingestuft. Während beide Themen bei CMOs zu den Top-10-Trends zählen, finden sie sich weder bei Marketing-Managern noch bei Dienstleistern unter den wichtigsten Zukunftsthemen.
Auch bei datengetriebenen Strategien zeigt sich eine klare Kluft: Marketing Mix Modeling (CMOs: 34 %, Manager: 24 %) und First-Party-Daten (CMOs: 38 %, Manager: 25 %) genießen in den Chefetagen deutlich höhere Aufmerksamkeit. Diese Diskrepanz signalisiert ein potenzielles Spannungsfeld zwischen strategischer Vision und operativer Umsetzung.
„Diese unterschiedliche Wahrnehmung spiegelt einen klassischen Konflikt wider", erklärt Studienautor Torsten Schwarz. „Manager sind stark am Tagesgeschäft und an praktisch anstehenden Themen interessiert. Die CMOs dagegen denken strategisch und fokussieren sich auf Bereiche - und in diesem Fall Kanäle, die in Zukunft starkes Wachstum versprechen. Entscheidend ist eine ausgewogene Balance: CMOs bringen mit ihrem strategischen Weitblick die nötige Innovationskraft, während Marketing-Manager mit ihrem Blick fürs Operative die Umsetzbarkeit garantieren. Diese unterschiedlichen Perspektiven stehen nicht zwangsläufig im Widerspruch – im Gegenteil, sie können sich hervorragend ergänzen, wenn sie richtig orchestriert und kommuniziert werden."
Zur Methodik:
Mit 2.135 Teilnehmern bietet die teilnehmerstärkste Marketing-Umfrage im DACH-Raum eine solide Datenbasis für aussagekräftige Erkenntnisse. Die Befragung fokussiert sich auf 20 von drei Experten ausgewählten Trend-Themen. Dahinter stand eine Auswahl der 80 klickstärksten Themen des Fachportals marketing-BÖRSE. Zwei zentrale Fragen wurden untersucht: die aktuelle Relevanz der Themen und ihre zukünftige Bedeutung. Die Erhebung fand zwischen dem 18.12.2024 und 03.02.2025 statt.