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Europäischem Schienenverkehr droht digitaler Modernisierungsstau

Bei aktuellem Tempo werden bis 2030 nur 25% aller Strecken in Europa mit dem grenzüberschreitenden digitalen Signalsystem ECTS ausgerüstet sein.
Ausbau der ETCS-Infrasturktur pro Land © PwC Strategy& Austria GmbH
 

Die Eisenbahn ist der Hoffnungsträger vieler europäischer Regierungen, wenn es um das Erreichen ihrer Emissionsziele sowie die Transformation der Mobilität geht. Trotzdem kommt die dringend benötigte Digitalisierung des europäischen Schienenverkehrs kaum voran. Das belegt die aktuelle Studie „Back on track: Solving the digitization challenge for Europe’s rail sector” von Strategy&, der Strategieberatung von PwC. Besonders deutlich zeigt sich die stockende Modernisierung am schleppenden Ausbau des European Train Control Systems (ETCS). Das europaweite digitale Signalsystem bildet die Voraussetzung für die grenzüberschreitende Implementierung vieler digitaler Zukunftstechnologien, etwa des automatisierten Fahrbetriebs (ATO). Allerdings waren 2020 nur 14% aller europäischen Strecken mit ETCS ausgerüstet. Bei diesem Tempo wären 2030 erst ein Viertel aller Schienen in Europa bereit für ETCS. Im Jahr 2040 läge der Ausbau bei 35%.

Modernisierung benötigt enorme Investitionen

Die Modernisierungsgeschwindigkeit schwankt dabei innerhalb der beteiligten Länder enorm. Während in der Schweiz bereits ein Großteil des Netzes auf das erste ETCS-Ausbaulevel umgestellt worden ist, hat Österreich für 22% seines Streckennetzes ein ETCS-Upgrade in Auftrag gegeben. Damit liegt das Land im europäischen Vergleich im Mittelfeld. In Deutschland liegt der Anteil hingegen erst bei 4%. Ein Grund für den zögerlichen Ausbau sind die enormen Investitionsvolumen. So könnte die Umrüstung auf ETCS allein in Deutschland bis zu 13 Milliarden Euro kosten – davon 8 Milliarden für die Umrüstung der Züge. Übertragen auf andere europäische Länder wie Österreich könnten ähnliche Kosten das wirtschaftliche Aus für viele kleinere Bahnunternehmen bedeuten, sofern sie keine staatlichen Finanzhilfen erhalten.

„Die Modernisierung des europaweiten Bahnverkehrs ist eine der herausforderndsten Aufgaben der kommenden Jahrzehnte. Im Gegensatz zu anderen Verkehrsmitteln werden auf der Schiene noch nicht ausreichend internationale Standards umgesetzt und Technologien können sich an Landesgrenzen teilweise innerhalb weniger Meter ändern“, erläutert Bernd Jung, Partner bei Strategy& Deutschland und Leiter des Bereichs Transport und Logistik in Europa. „Die Einführung eines grenzüberschreitenden digitalen Signalsystems wie ETCS ist deswegen die Grundvoraussetzung für die Digitalisierung des Bahnverkehrs, gleichzeitig aber auch einer der kompliziertesten Angelegenheiten eines solchen Projekts, weil vielzählige Stakeholder mit oft entgegengesetzten Interessen beteiligt sind. Umso entscheidender ist es, die Interessen zu bündeln und Anreize für alle Stakeholder zu schaffen.“

Schneller, effizienter, sicherer

Die Einführung von ETCS und darauf aufbauenden Technologien würde den europäischen Bahnverkehr laut Studie vor allem langfristig schneller, effizienter und sicherer machen. So wären unter bestimmten Rahmenbedingungen durch die Kombination von ETCS und ATO Kapazitäts- und Effizienzsteigerungen von 10 bis 20% möglich, da Züge in dichteren Abständen fahren und Zeitpläne optimiert werden könnten. Gleichzeitig stiege das Sicherheitslevel durch die Modernisierung und Digitalisierung der Zugsteuerung deutlich an.

„Um den Transport- und Logistiksektor in Europa zu dekarbonisieren und mehr Menschen dazu zu bewegen, von Autos und Flugzeugen auf die Bahn umzusteigen, ist die Modernisierung des Schienennetzes unerlässlich“, sagt Dr. Daniel Haag, Director bei Strategy& Deutschland. „Für dieses Ziel müssen die Beteiligten langfristig denken, länderspezifische Ziele definieren und anschließend klare und individuelle Roadmaps entwerfen, aus denen hervorgeht, wie jedes Land seine Ziele erreichen kann. Weil die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder teils divergieren, kann das von Land zu Land variieren. Für alle Länder gilt allerdings, dass der Staat die Rahmenbedingungen so einfach wie möglich gestalten sollte, es einen Lastenausgleich zwischen Netzbetreibern und Bahnunternehmen geben muss und europäische Kooperationen vorangetrieben werden sollten. Nur wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, können wir jetzt die Weichen für einen modernen, effizienten und nachhaltigen Bahnverkehr in Europa stellen und den Modernisierungsstau überwinden.“