Unzureichende digitale Souveränität gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen
Es mangelt an „digitaler Souveränität“ in Deutschland und Europa. Dies gefährdet die künftige Handlungsfähigkeit sowie die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und deren europäischer Partner. Zu diesem Ergebnis kommen eine umfassende Bestandsaufnahme der bestehenden Literatur und eine repräsentative Unternehmensbefragung des ZEW Mannheim. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie hat das ZEW mehr als 1.200 Unternehmen aus Informationswirtschaft und Verarbeitendem Gewerbe befragt.
Über 80 Prozent der deutschen Unternehmen, so das Ergebnis der Umfrage, fühlen sich technologisch abhängig von nicht-europäischen Anbietern und Partnern. Wie kritisch dies sein kann, zeigt die immer wieder aufflammende Diskussion über Sicherheitsbedenken mit Blick auf chinesische Anbieter sowie die monopolartige Stellung einiger US-Digitalunternehmen. Zudem können Lieferengpässe bei Halbleitern zu erheblichen Produktionsausfällen führen. Was also läge näher, als auf europäische Anbieter auszuweichen? Doch Fehlanzeige – die befragten Unternehmen nennen als häufigste Gründe für die bestehende Abhängigkeit das grundsätzliche Fehlen einer Alternative innerhalb der Europäischen Union oder die Überlegenheit anderer, außereuropäischer Anbieter. Daher ist die Beseitigung bestehender Abhängigkeiten in verschiedenen Technologiefeldern aus Sicht der deutschen Wirtschaft zukunftsentscheidend.
Auf Basis der bestehenden Literatur zeigt sich, dass eine digital souveräne Wirtschaft die Verfügbarkeit von und den Zugang zu geeigneten digitalen Technologien und Daten benötigt. Dies wird sichergestellt, indem digitale Technologien entweder im eigenen Land produziert werden oder indem der Zugang zu diesen, auch in Krisenzeiten, abgesichert ist. Dafür sind Herstellungs- und Entwicklungskompetenzen von deutschen und europäischen Unternehmen in relevanten Technologiefeldern und bei Schlüsseltechnologien von zentraler Bedeutung. Nur so kann die Verfügbarkeit von Technologien gewährleistet und die Digitalisierung der Wirtschaft im Sinne europäischer Rechts- und Wertevorstellungen mitgestaltet werden. Eine vollständige Unabhängigkeit im Sinne einer Autarkie in allen (Technologie-)Bereichen und ausschließlich im eigenen Land produzierter Lösungen (d.h. Protektionismus) ist darunter allerdings nicht zu verstehen. Vielmehr geht es um die Fähigkeit, die digitale Transformation mit Blick auf Hardware, Software, Dienstleistungen sowie Kompetenzen selbstbestimmt zu gestalten. Bisher kennt jedoch nur jedes zweite deutsche Unternehmen den Begriff „Digitale Souveränität“. Nichtsdestotrotz messen die Unternehmen, das zeigt die ZEW-Umfrage, dem Thema langfristig hohe Bedeutung zu. Insbesondere die Datenhoheit stufen 90 Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft und 84 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe als wichtig ein. „Die deutsche Wirtschaft kann auf einige Stärken bauen, wie etwa Anbieterkompetenzen im Bereich IT-Sicherheit, dennoch zeigt sich an vielen Stellen Entwicklungspotenzial“, stellt Dr. Mareike Seifried fest, ZEW-Ökonomin und Autorin der Studie.
Vielfach fehlen europäische Alternativen
Die Befragung zeigt weiter, dass sich über 80 Prozent der Unternehmen technologisch abhängig von nicht-europäischen Anbietern oder Partnern fühlen. Große Unternehmen empfinden sich dabei tendenziell abhängiger als kleine, die deutlich seltener außereuropäische Partner haben und flexibler die Anbieter wechseln können. Als häufigste Gründe für die bestehende Abhängigkeit nennen die Unternehmen das grundsätzliche Fehlen einer Alternative innerhalb der Europäischen Union oder die Überlegenheit anderer Anbieter. „In den relevanten Technologiefeldern und Schlüsseltechnologien müssen deutsche und europäische Unternehmen Herstellungs- und Entwicklungskompetenzen aufbauen. Das ist von zentraler Bedeutung, um die Digitalisierung der Wirtschaft im Sinne europäischer Rechts- und Wertevorstellungen mitzugestalten“, konstatiert ZEW-Ökonomin Seifried. Bislang planen nur etwa ein Viertel der Befragten Maßnahmen, um die eigene Abhängigkeit zu reduzieren. Es fehlen Alternativen oder das Wissen um mögliche Ansätze, wie Open-Source-Lösungen.
Deutsche Unternehmen wollen die digitale Souveränität selbstbestimmt gestalten
Um die digitale Souveränität Deutschlands und Europas zu stärken, gilt es Informationsdefizite abzubauen und die dynamischen Risiken von Abhängigkeiten im Blick zu behalten. Wirtschaft und Politik müssen agil und kooperativ handeln. „Wir sollten auf bestehenden Stärken aufbauen und insbesondere in Schlüsseltechnologien der Zukunft wie Quantencomputer, Künstliche Intelligenz und IT-Sicherheit investieren. Projekte wie die europäische Cloud-und Daten-Infrastruktur GAIA-X sollten zeitnah umgesetzt werden. Auch der regulatorische Rahmen und gesellschaftliche Faktoren müssen gestärkt werden“, resümiert Seifried. „Digitale Kompetenzen sind essentiell und müssen auf- und ausgebaut werden, um digital souverän zu handeln.“