Deutsche Banken können Eigenkapitalrendite bis 2030 mehr als verdoppeln
Um die angesichts fundamentaler Umbrüche notwendige Transformation der deutschen Wirtschaft in allen Segmenten zu unterstützen, müssen auch Banken sich transformieren. Mit einem ambitionierten Erneuerungskurs kann der deutsche Bankensektor sein operatives Ergebnis bis 2030 um 30 bis 40 Milliarden Euro verbessern und seine Eigenkapitalrendite auf mindestens 7-8 % katapultieren – und damit gegenüber dem 2,9 % Durchschnitt der letzten fünf Jahre nach Steuern mehr als verdoppeln. Dies geht aus dem Report „Deutschlands Banken zurück im Spiel“ hervor, den die Unternehmensberatung McKinsey & Company heute veröffentlicht hat.
Starke Ausgangsposition, schlechte Performance
„Die deutschen Banken bleiben das Herzstück der deutschen Wirtschaft“, sagt Max Flötotto, Senior Partner und Leiter der deutschen Banking Practice bei McKinsey. „Aufgrund disruptiver Umbrüche bei Technologie, Demografie und Klima steht die deutsche Wirtschaft in allen Segmenten vor einer fundamentalen Transformation. Um, bildlich gesprochen, im Spielplan der deutschen Wirtschaft auch künftig eine starke Rolle zu spielen, müssen Banken sich ebenfalls erneuern.“
Würden deutsche Banken weitermachen wie bisher, drohen laut Analyse von McKinsey anhaltende Marktanteilsverluste für klassische Banken, sinkende Ergebnisse und eine Eigenkapitalrendite (Return on Equity, RoE, nach Steuern), die bis 2030 gegen 0 % tendiert. 2015 bis 2019 lag der durchschnittliche RoE nach Steuern deutscher Banken bei 2,9 %. Falls Banken ihre aktuellen Inititiaven fokussieren und verstärken, insbesondere im Bereich Digitalisierung und Kundenorientierung, ist dagegen ein RoE-Szenario nach Steuern von zumindest 3-4 % zu erreichen. Mit einem ambitionierten Erneuerungskurs könnte sich das operative Ergebnis des deutschen Bankensektors laut McKinsey bis 2030 um 30 bis 40 Milliarden Euro (exkl. Steuern und außerordentliche Erträge/Kosten) verbessern – womit deutsche Banken erforderliche Investitionen in die Digitalisierung und die Beschleunigung der ESG-Umstellung tätigen könnten. Gleichzeitig könnten Banken mit einem ambitionierten Erneuerungskurs ihre Eigenkapitalrendite bis 2030 auf mindestens 7-8 % nach Steuern steigern. Dieses Rentabilitätsniveau würde ein operatives Ergebnis von 70 bis 80 Basispunkten der durchschnittlichen Bilanzsumme oder ein Nach-Steuer-Gewinn von 40 bis 45 Milliarden Euro bedeuten.
„7-8 % Eigenkapitalrendite nach Steuern sind ambitioniert, aber durchaus erreichbar, wie die Wertentwicklung von Banken in anderen Märkten und die der besten Institute in Deutschland zeigt. Eine Performance auf diesem Niveau würde ein positives Signal an die besten Talente senden, dem Bankensektor helfen, seine Bedeutung zu wahren, und neue Investoren anlocken“, sagt Max Flötotto.
Zwei von drei Bankentscheidern halten daher eine radikale Veränderung in der deutschen Bankenlandschaft für notwendig, so das Ergebnis einer Umfrage, die McKinsey im Januar und Februar 2021 geführt hat.
Die Basis dafür ist stark: Die Finanzbranche erwirtschaftet pro Jahr Erträge von mehr als 150 Milliarden Euro. Insgesamt fließen jedes Jahr rund 10 Billionen Euro durch das deutsche Finanzintermediationssystem. Im Vergleich zu anderen Akteuren des deutschen Finanzsystems haben Banken einen hohen Finanzierungsanteil: Rund 65 % der Vermögenswerte stehen in den Bilanzen der Banken, im globalen Durchschnitt sind es weniger als 50 %. Aus Verbrauchersicht ist die Bankenlandschaft attraktiv: In Großbritannien und Frankreich zahlen Verbraucher für alltägliche Bankenleistungen im Schnitt mehr als doppelt so viel wie in Deutschland (durchschnittlich 130 Euro pro Kunde p.a.); in Italien und Spanien zahlen sie fast dreimal so viel. Auch die Filialdichte bleibt mit 2,9 Bankfilialen auf 10.000 Einwohner (England: 1,3, Schweden: 1,2) über dem Schnitt. Die Stabilität nach der Finanzkrise kann sich ebenfalls sehen lassen: Das durchschnittliche Rating deutscher Banken liegt im Jahr 2021 bei A+, wobei 75 % der Banken besser als A- bewertet werden, während das durchschnittliche Rating europäischer Banken bei A mit 25 % unterhalb eines BBB-Ratings liegt. Auch die Covid-19-Pandemie haben deutsche Banken gut überstanden; 79% der Privatkunden war mit den digitalen Kanälen ihrer Bank zufrieden.
„Trotz der starken Fundamentaldaten: Die Erfolgsfaktoren deutscher Banken verlieren erkennbar an Kraft“, so Reinhard Höll, Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey und ebenfalls Autor der Studie.
Die Erträge des deutschen Bankenmarktes – lange Zeit parallel zum deutschen BIP stetig gewachsen – sanken seit 2010 um 8 % auf 119 Milliarden Euro, während das BIP um 35 % wuchs. Die operativen Kosten stiegen im gleichen Zeitraum um knapp 10 %. Diese Steigerung liegt rund 50 % über dem Durchschnitt aller europäischen Banken. Das operative Ergebnis schrumpfte entsprechend um 30 % seit 2010. Der Fünf-Jahres-Durchschnitt der Eigenkapitalrendite (ROAE) deutscher Banken nach Steuern liegt heute bei 2,9 %, und damit unter dem Durchschnitt von Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien, der bei etwa 3,7 % liegt. Dies schlägt sich nieder: Der Anteil von Finanz- und Bankdienstleistungen an der gesamten Bruttowertschöpfung ist in Deutschland stärker zurückgegangen als in vielen anderen Ländern – von 3,8 % im Jahr 2005 auf 2,3 % 2018. Der Beitrag deutscher Banken zur Marktkapitalisierung der DAX-Familie brach von 11,2 % (2005) auf 1,4 % (2020) ein. Ausländische Banken, Spezialisten ohne Banklizenz und digitale Angreifer haben den heimischen Banken im vergangenen Jahrzehnt 5-15 Prozentpunkte Marktanteile abgenommen.
„Banken können mit Anstrengung und frischen Strategien ein starkes Comeback feiern. Optimistisch stimmt uns, dass viele Branchenführer um den Veränderungsbedarf wissen und den ehrgeizigen Plan haben, ihre Institute auf einen neuen Weg zu führen“, sagt Philipp Koch, Senior Partner im Münchner Büro von McKinsey und Co-Autor des Reports.
Fünf strategische Prioritäten für ambitioniertes Wachstum
Um bis 2030 eine Eigenkapitalrendite nach Steuern von 7 bis 8 % zu erreichen, müssen sich Banken ehrgeizige, aber erreichbare Ziele stecken: Ertragssteigerungen um 2 bis 2,5 % pro Jahr und sinkende Kosten um 1 bis 2 % pro Jahr.
Fünf strategische Ansätze können den Banken helfen, diese Ziele zu erreichen:
- Reaktionsschnellere Geschäftsstrategien: Das Wettbewerbsumfeld, die Kundenanforderungen und die Technologie verändern sich immer schneller; Banken sollten ihren Business-Mix deshalb neu bewerten und sich auf Geschäftsfelder fokussieren, die Erfolg versprechen. „Für eine Bank können dies ‚Banking-as-a-service‘-Lösungen in Form von Bundle-Angeboten sein, für andere eine zentrale Position in diesen neuen Ökosystemen. Eine Bank, die ihre eigene Ökosystemplattform aufbauen will, muss ihr Geschäftsmodell und die Interaktion mit den Kunden überdenken, bereit sein, viele Ressourcen zu investieren, und höhere Risiken eingehen“, sagt Höll.
- Technologiegestütztes Customer Engagement: Jährlich 300 Kontaktpunkte gibt es zwischen Kunde und Bank – das Banking ist damit so kundennah wie soziale Medien und Technologieunternehmen. Allerdings sollten Banken diese Kontakte intensiver nutzen – durch moderne Datenanalyse können Kampagnen die Kundenfrequenz in Filialen und die Konversionsrate um 15 % verbessern. Wichtig ist: Datengestützte Entscheidungen wirken sich in der Regel positiv auf das Kundenerlebnis aus und tragen daher nicht ausschließlich zur Verbesserung des Betriebsergebnisses von Banken bei. Gerade dieses Argument sollte in der Diskussion um den Schutz persönlicher Daten hervorgehoben werden.
- Neue Geschäftsfelder: Schon heute gibt es 200 Partnerschaften zwischen deutschen Banken und Fintechs. Doch nicht immer sind diese Kooperationen aus Bankensicht systematisch aufgesetzt. Manche Banken kooperieren zum Beispiel mit Preisvergleichsplattformen und verdienen dort ein wenig Geld, geben dafür aber ihre Kundenschnittstelle auf. Besser wären von Banken geführte und von Fintechs aufgebaute Plattformen, insbesondere im wachsenden Geschäftsfeld der Firmenkundenkredite. Zwischen 2017 und 2019 erzielten Banken, die den Aufbau neuer Geschäftsfelder priorisiert haben, 30 % häufiger ein über dem Marktdurchschnitt liegendes Wachstum als andere.
- Wirklich digitale Betriebsmodelle: Es gilt grundsätzlich „digital first“. Prozesse sollten in Zukunft komplett digital sein, um Sollbruchstellen zu vermeiden. Digitale Schnittstellen erleichtern außerdem, neue Anbieter flexibler in die Wertschöpfungskette einzubinden. Dies gilt insbesondere beim Thema Kapitalbeschaffung – hier können deutsche Banken andere Kapitalgeber durch digitale Schnittstellen viel stärker einbinden und so ihre eigene Kapitalnutzung optimieren. Banken können die Produktivität der betrieblichen Funktionen Personal und Finanzen um 30 % steigern, wenn sie standardisieren und zentralisieren, die Nachfrage senken, zu Standard-Software-as-a-Service übergehen und häufige Anfragen und Berichte digitalisieren.
- Neu definierter Purpose mit ESG: Bei der Steigerung der Erträge wird nach Einschätzung von McKinsey die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen. 25-40 % der Erträge deutscher Banken werden bis 2030 einen ESG-Bezug haben – von nachhaltigen Anlageoptionen über Kreditvergabe, ESG-bezogene Kreditvergabe für Unternehmen bis zu ESG-compliant Asset Management. Für Banken mit einem solch hohen ESG-Ertragsanteil sind nach McKinsey Analyse zusätzliche Erträge von 3 bis 4 % (etwa 5 bis 7 Milliarden Euro) durch die Finanzierung von Klimainfrastruktur oder öffentlichem (zum Beispiel sozialem) Wohnungsbau möglich. Zudem rechnen einer aktuellen Studie von McKinsey zufolge 83 % der Topmanager und Investmentprofis damit, dass ESG-Programme in fünf Jahren einen größeren Shareholder-Value-Beitrag leisten als heute. „Banken können und sollten zum Finanzierer der Klimaneutralität werden“, meint Flötotto.