NEXT Service Design 2013: Jedes Produkt ist ein Service
Die NEXT Service Design 2013 beschäftigte sich am 16. September mit den wichtigsten Entwicklungen in den Bereichen Service Design, Design Thinking, Service Innovation und Service Experience. Internationale Sprecher und Cases von Unternehmen wie BMW, Telekom und GE inspirierten über 250 Besucher der von SinnerSchrader ausgerichteten Fachkonferenz.
"Jedes Produkt ist ein Service", erklärte Nils Wollny, Strategiegeschäftsführer von SinnerSchrader, in der vergangenen Woche auf der Konferenz NEXT Service Design in Berlin. Service Design, verstanden als Prozess der Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen, wird das klassische Produktdesign massiv beeinflussen. Dieser Langzeittrend weg vom Produkt und hin zum Service mache Service Design zum strategischen Imperativ für Unternehmen.
Als Markenstratege sieht Nils Wollny drei Konsequenzen dieser Entwicklung: Statt der traditionellen Positionierung einer Marke stehe ihre Rolle im Leben der Menschen im Zentrum der Markenentwicklung. An die Stelle isolierter Lösungen träten ganzheitliche Systeme. Und im Entwicklungsprozess werde Powerpoint durch Prototypen abgelöst. Dies sei nicht zuletzt eine Konsequenz der digitalen Revolution. Der Innovationsprozess hat sich dadurch dramatisch verändert: Aus Produktinnovation wird Serviceinnovation.
Die Folgen für Unternehmen sind nach Ansicht des US-amerikanischen Markenberaters Dean Crutchfield nicht weniger dramatisch. Firmen müssten ihre Denkweise komplett umstellen, um sich auf diesen Paradigmenwechsel einzustellen. In seiner Keynote zur Eröffnung der NEXT Service Design zitierte er einen namentlich nicht genannten CEO mit dem schon klassischen Satz: "There are three ways to lose money: gambling, divorce and innovation." Die Innovationsangst der Entscheider liege darin begründet, dass heute jeder Teil ihres Geschäfts Veränderungen unterworfen sei. Das gelte für die Strategie genauso wie für Systeme und Personal.
Hoher Leidensdruck in der Finanzbranche
Besonders hoch ist der Leidensdruck in der Finanzbranche, deren Produkte durch das Internet komplett vergleichbar und damit austauschbar geworden sind. Services mit Nutzwert gewinnen hier stark an Bedeutung als Differenzierungsfaktor. Brian Gillespie und Lee Moreau von der US-Agentur Continuum haben im Auftrag der spanischen Großbank BBVA einen Weg gesucht, verloren gegangenes Kundenvertrauen durch individuell anpassbare Interaktionskanäle zurückzugewinnen. Dabei haben Moreau und Gillespie für die BBVA durch die Analyse von Kundendaten Persona entwickelt, die durch ihr differenziertes Verhalten zu den einzelnen Angeboten der Bank entscheidende Aufschlüsse lieferten. Auf dieser Grundlage entwickelten sie spezielle Banking-Möglichkeiten und liefern damit einen Ausblick in das Banking der nahen Zukunft.
Einen völlig anderen Ansatz wählte der finnische Finanzdienstleister OP-Pohjola bei der Entwicklung der digitalen Geldbörse Pivo. Die Projektverantwortlichen entschieden sich für eine offene Plattform, die auch Wettbewerbern offen steht, und eine vom Stammgeschäft getrennte Marke. Bei der Entwicklung kombinierten sie Methoden des Service Design mit den Prinzipien eines Lean Start-ups. Das Ergebnis ist eine einfache, leicht zu navigierende App, die den Konsumenten bei der Kontrolle seines Ausgabenverhaltens unterstützt.
Mobilität und Reise: Zusammenspiel von digitalen Interfaces und analoger Hardware
Anders als Finanzdienstleistungen haben Produkte und Services im Bereich Mobilität und Reise stets eine starke physische Komponente. Service Design hat hier vor allem mit dem Zusammenspiel von digitalen Interfaces und analoger Hardware zu tun. Die Berliner Agentur IXDS hat zusammen mit BMW die neue häusliche Ladestation für die Elektroautos des bayerischen Autokonzerns von Grund auf neu entwickelt. Die Ladestation kommt im vierten Quartal auf den Markt.
Der Fokus bei der Entwicklung lag auf dem Nutzererlebnis des gesamten Ladevorgangs, der bei Elektroautos sehr viel häufiger vorkommt als bei herkömmlichen Fahrzeugen und zugleich noch sehr viel weniger ausgereift ist. Da er zugleich auch länger dauert als ein Tankvorgang, stattete BMW die Box mit Lichtsignalen aus, um maximale Transparenz über den jeweiligen Ladezustand zu schaffen.
Das französische Start-up BlaBlaCar macht sich die Tatsache zunutze, dass allein in Frankreich jedes Jahr eine Milliarde leere Pkw-Sitze zwischen den Städten unterwegs sind. BlaBlaCar überträgt das Prinzip der Mitfahrzentrale ins digitale Zeitalter. Die größte Herausforderung dabei war, über die Web-Plattform das nötige Vertrauen zwischen Fahrern und Mitfahrern aufzubauen, die sich im Normalfall nicht kennen. Um dies zu schaffen, sorgte BlaBlaCar neben Nutzerprofilen und Bewertungen auch für finanzielles Commitment und Moderation. Für 2013 erwartet BlaBlaCar zehn Millionen Passagiere.
Zu welcher Odyssee ein Service-Design-Projekt führen kann, zeigte Pia Betton (Edenspiekermann) anhand eines Projekts für ProRail, den Betreiber der niederländischen Bahninfrastruktur. Aus einem Auftrag für Plakate wurde schließlich ein innovativer Zugstandsanzeiger, der auf den stark überfüllten Bahnsteigen im Bahnhof Utrecht für Orientierung und die Sicherheit der Passagiere sorgt. Dem Projekt gingen zwischenzeitlich Auftraggeber und Business Case verloren, doch die Agentur ließ nicht locker. Inzwischen ist der Test eines Prototyps abgeschlossen und der Rollout auf dem Weg.
Service Design beschleunigt Produktentwicklung
Auch bei der Entwicklung mobiler Apps kann die Methodik des Service Design eine wichtige Rolle spielen. Die schwedische Agentur Veryday baute mittels Prototyping und mit einem unnachgiebigen Fokus auf den Nutzer eine herausragende Spotify-App für Windows Phone. Die Telekom ging mit Methoden des Service Design der Frage nach, was Anwesenheit auf Mobiltelefonen bedeutet. Das überraschende Ergebnis: Nutzer wollen neben kontextabhängig gefilterter Kommunikation auch "me time", kommunikationsfreie Zeit. Obwohl dies auf den ersten Blick das Geschäftsmodell eines Telekommunikationskonzerns konterkariert, entstand aus dieser Erkenntnis eine Android-App.
Service Design bremst nicht etwa das Entwicklungstempo, es kann im Gegenteil die Produktentwicklung beschleunigen und zugleich besser auf Konsumentenbedürfnisse reagieren. Der Mischkonzern GE setzt Methoden des Service Design ein, um interdisziplinär und über Abteilungsgrenzen hinweg die Entwicklungsprozesse zu skalieren. Alexander Baumgardt gab mit seiner Präsentation Einblicke in ein noch laufendes Projekt: "Wie das Ergebnis am Ende aussieht, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen", betonte er. Dennoch vermittelte der Professor an der California School of the Arts sehr anschaulich, wie ein derartiges Projekt selbst in einem großen Konzern wie GE schrittweise umgesetzt wird. Sein Fazit: Service Design kann auch innerhalb eines Konzerns die Arbeit massiv erleichtern.
"Jedes Produkt ist ein Service", erklärte Nils Wollny, Strategiegeschäftsführer von SinnerSchrader, in der vergangenen Woche auf der Konferenz NEXT Service Design in Berlin. Service Design, verstanden als Prozess der Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen, wird das klassische Produktdesign massiv beeinflussen. Dieser Langzeittrend weg vom Produkt und hin zum Service mache Service Design zum strategischen Imperativ für Unternehmen.
Als Markenstratege sieht Nils Wollny drei Konsequenzen dieser Entwicklung: Statt der traditionellen Positionierung einer Marke stehe ihre Rolle im Leben der Menschen im Zentrum der Markenentwicklung. An die Stelle isolierter Lösungen träten ganzheitliche Systeme. Und im Entwicklungsprozess werde Powerpoint durch Prototypen abgelöst. Dies sei nicht zuletzt eine Konsequenz der digitalen Revolution. Der Innovationsprozess hat sich dadurch dramatisch verändert: Aus Produktinnovation wird Serviceinnovation.
Die Folgen für Unternehmen sind nach Ansicht des US-amerikanischen Markenberaters Dean Crutchfield nicht weniger dramatisch. Firmen müssten ihre Denkweise komplett umstellen, um sich auf diesen Paradigmenwechsel einzustellen. In seiner Keynote zur Eröffnung der NEXT Service Design zitierte er einen namentlich nicht genannten CEO mit dem schon klassischen Satz: "There are three ways to lose money: gambling, divorce and innovation." Die Innovationsangst der Entscheider liege darin begründet, dass heute jeder Teil ihres Geschäfts Veränderungen unterworfen sei. Das gelte für die Strategie genauso wie für Systeme und Personal.
Hoher Leidensdruck in der Finanzbranche
Besonders hoch ist der Leidensdruck in der Finanzbranche, deren Produkte durch das Internet komplett vergleichbar und damit austauschbar geworden sind. Services mit Nutzwert gewinnen hier stark an Bedeutung als Differenzierungsfaktor. Brian Gillespie und Lee Moreau von der US-Agentur Continuum haben im Auftrag der spanischen Großbank BBVA einen Weg gesucht, verloren gegangenes Kundenvertrauen durch individuell anpassbare Interaktionskanäle zurückzugewinnen. Dabei haben Moreau und Gillespie für die BBVA durch die Analyse von Kundendaten Persona entwickelt, die durch ihr differenziertes Verhalten zu den einzelnen Angeboten der Bank entscheidende Aufschlüsse lieferten. Auf dieser Grundlage entwickelten sie spezielle Banking-Möglichkeiten und liefern damit einen Ausblick in das Banking der nahen Zukunft.
Einen völlig anderen Ansatz wählte der finnische Finanzdienstleister OP-Pohjola bei der Entwicklung der digitalen Geldbörse Pivo. Die Projektverantwortlichen entschieden sich für eine offene Plattform, die auch Wettbewerbern offen steht, und eine vom Stammgeschäft getrennte Marke. Bei der Entwicklung kombinierten sie Methoden des Service Design mit den Prinzipien eines Lean Start-ups. Das Ergebnis ist eine einfache, leicht zu navigierende App, die den Konsumenten bei der Kontrolle seines Ausgabenverhaltens unterstützt.
Mobilität und Reise: Zusammenspiel von digitalen Interfaces und analoger Hardware
Anders als Finanzdienstleistungen haben Produkte und Services im Bereich Mobilität und Reise stets eine starke physische Komponente. Service Design hat hier vor allem mit dem Zusammenspiel von digitalen Interfaces und analoger Hardware zu tun. Die Berliner Agentur IXDS hat zusammen mit BMW die neue häusliche Ladestation für die Elektroautos des bayerischen Autokonzerns von Grund auf neu entwickelt. Die Ladestation kommt im vierten Quartal auf den Markt.
Der Fokus bei der Entwicklung lag auf dem Nutzererlebnis des gesamten Ladevorgangs, der bei Elektroautos sehr viel häufiger vorkommt als bei herkömmlichen Fahrzeugen und zugleich noch sehr viel weniger ausgereift ist. Da er zugleich auch länger dauert als ein Tankvorgang, stattete BMW die Box mit Lichtsignalen aus, um maximale Transparenz über den jeweiligen Ladezustand zu schaffen.
Das französische Start-up BlaBlaCar macht sich die Tatsache zunutze, dass allein in Frankreich jedes Jahr eine Milliarde leere Pkw-Sitze zwischen den Städten unterwegs sind. BlaBlaCar überträgt das Prinzip der Mitfahrzentrale ins digitale Zeitalter. Die größte Herausforderung dabei war, über die Web-Plattform das nötige Vertrauen zwischen Fahrern und Mitfahrern aufzubauen, die sich im Normalfall nicht kennen. Um dies zu schaffen, sorgte BlaBlaCar neben Nutzerprofilen und Bewertungen auch für finanzielles Commitment und Moderation. Für 2013 erwartet BlaBlaCar zehn Millionen Passagiere.
Zu welcher Odyssee ein Service-Design-Projekt führen kann, zeigte Pia Betton (Edenspiekermann) anhand eines Projekts für ProRail, den Betreiber der niederländischen Bahninfrastruktur. Aus einem Auftrag für Plakate wurde schließlich ein innovativer Zugstandsanzeiger, der auf den stark überfüllten Bahnsteigen im Bahnhof Utrecht für Orientierung und die Sicherheit der Passagiere sorgt. Dem Projekt gingen zwischenzeitlich Auftraggeber und Business Case verloren, doch die Agentur ließ nicht locker. Inzwischen ist der Test eines Prototyps abgeschlossen und der Rollout auf dem Weg.
Service Design beschleunigt Produktentwicklung
Auch bei der Entwicklung mobiler Apps kann die Methodik des Service Design eine wichtige Rolle spielen. Die schwedische Agentur Veryday baute mittels Prototyping und mit einem unnachgiebigen Fokus auf den Nutzer eine herausragende Spotify-App für Windows Phone. Die Telekom ging mit Methoden des Service Design der Frage nach, was Anwesenheit auf Mobiltelefonen bedeutet. Das überraschende Ergebnis: Nutzer wollen neben kontextabhängig gefilterter Kommunikation auch "me time", kommunikationsfreie Zeit. Obwohl dies auf den ersten Blick das Geschäftsmodell eines Telekommunikationskonzerns konterkariert, entstand aus dieser Erkenntnis eine Android-App.
Service Design bremst nicht etwa das Entwicklungstempo, es kann im Gegenteil die Produktentwicklung beschleunigen und zugleich besser auf Konsumentenbedürfnisse reagieren. Der Mischkonzern GE setzt Methoden des Service Design ein, um interdisziplinär und über Abteilungsgrenzen hinweg die Entwicklungsprozesse zu skalieren. Alexander Baumgardt gab mit seiner Präsentation Einblicke in ein noch laufendes Projekt: "Wie das Ergebnis am Ende aussieht, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen", betonte er. Dennoch vermittelte der Professor an der California School of the Arts sehr anschaulich, wie ein derartiges Projekt selbst in einem großen Konzern wie GE schrittweise umgesetzt wird. Sein Fazit: Service Design kann auch innerhalb eines Konzerns die Arbeit massiv erleichtern.