Beschwerdemanagement: Wie aus Reklamierern positive Empfehler werden Teil 1
Eine Reklamation kann
1. offen gegenüber dem betroffenen Unternehmen vorgetragen werden – das ist, wenn auch manchmal unangenehm, bei weitem die bessere Alternative
2. im privaten oder geschäftlichen Umfeld ausgesprochen werden – und das ist manchmal tödlich
Eine Reklamation ist keine Nörgelei oder Ruhestörung, sondern ein im Nachhinein geäußerter Kundenwunsch. Oder das Warnsignal eines absprungbereiten Kunden. Denn bei jeder Unzufriedenheit denkt der Kunde meist sofort über einen Wechsel nach. Und das wird er in Zukunft immer gnadenloser tun. Wer heute versagt, bekommt von anspruchsvollen Kunden keine zweite Chance. Denn die Angebote am Markt sind riesig. Und die Konkurrenz lauert schon.
Wer keine Beschwerden hat, hat auch bald keine Kunden mehr
„Unsere Kunden müssen ganz zufrieden sein“, sagte mir kürzlich ein Zulieferer, „wir erhalten nur etwa vier Reklamationen pro Woche.“ Ein fataler Irrtum! Wer keine Beschwerden hat, hat auch bald keine Kunden mehr! Denn neben den vorgetragenen Beschwerden gibt es, so fanden amerikanische Studien heraus, bezogen auf 100 Fälle 96 Personen, die nichts sagen, sondern still und leise abwandern.
96 Prozent! Warum ist diese Zahl so unglaublich hoch? Weil hinter jeder Reklamation auch emotionale Gründe stecken. Und diese wollen die meisten Menschen lieber verbergen. Warum also reklamieren unzufriedene Kunden so selten?
• Es ist eine Frage des Typs.
• Es macht zuviel Arbeit oder ist zu aufwändig.
• Es frustriert und zieht einen selber runter.
• Es erscheint als Lappalie im Vergleich zum möglichen Ausgang.
• Man weiß nicht, wo oder bei wem.
• Man hat schlechte Erfahrungen bei Anderen oder im selben Unternehmen gemacht („Eine Reklamation bringt nichts als Ärger!“).
• Man hat Angst, peinlich aufzufallen oder als Trottel dazustehen.
• Man hat Angst vor Unannehmlichkeiten oder Repressalien.
• Man hat Angst vor seelischen Verletzungen.
• Man glaubt nicht an die Bereitschaft zur Wiedergutmachung.
Wenn nun 96 Unzufriedene dies beispielsweise 13 Mal frustriert weitererzählen, ergibt das 1248 negativ Beeinflusste. Passiert das an 52 Wochen 10 Jahre lang, so kommen wir auf 648.960 negativ Beeinflusste. Das ist der Schaden nach außen. Und der Schaden nach innen? Unzufriedene Kunden
• kaufen weniger oder gar nicht mehr
• werden kritischer und suchen verstärkt nach weiteren Fehlern
• sind misstrauisch gegenüber allen neuen Angeboten
• stellen überhöhte Forderungen
• fordern Preisnachlässe
• sorgen für schlechte Stimmung bei den Mitarbeitern
• machen unnötige Arbeit und verursachen zusätzliche Kosten.
Durch die Brille des Reklamierers betrachtet
Versetzen wir uns zunächst in die Lage eines Reklamierenden. Er reagiert spontan, subjektiv, verärgert, impulsiv, manchmal verletzend und verallgemeinernd. Er hat sich auf seinen Beschwerde-Anruf gut vorbereitet. Oder verwendet Stunden seiner wertvollen Zeit, einen womöglich mehrseitigen Reklamationsbrief zu formulieren. Dabei kommt der ganze Frust noch einmal hoch, so dass er Mühe hat, sachlich zu bleiben.
Während er auf Antwort wartet, gehen seine Gedanken mit ihm durch: Wird es zu einer Auseinandersetzung kommen? Wird man mir betrügerische Absichten unterstellen? Wird man mich beschimpfen? Wird sich der ganze Aufwand überhaupt lohnen? Wird man mir eine Entschädigung zukommen lassen? Im Geiste stellt er sich schon auf das Schlimmste ein.
Und nun kommt Ihre Reaktion. Er hofft auf eine faire Behandlung – und Sie übertreffen jede seiner Erwartungen. Er erhält mehr, als er dachte. Dies gibt ihm das erhabene Gefühl, etwas bewegt zu haben. Darüber wird er stolz auf der nächsten Party berichten. Wer dagegen in bürokratischen Strukturen oder einem Hierarchie-Sumpf unterlag, wird sich vorkommen, wie ein kleines Würstchen – und sich wutentbrannt rächen.
Am eigenen Leib habe ich kürzlich erfahren, was sich emotional abspielt, wenn eine berechtigte Reklamation inkompetent angenommen, über Monate verschleppt, lieblos mit Textbausteinen beantwortet und schließlich abschlägig beschieden wird. Der Vorfall ist bei der Lufthansa passiert, die offensichtlich den arroganten Geist der einstigen Monopol-Stellung immer noch nicht ganz hinter sich gelassen hat. Seitdem habe ich jede Lufthansa-Tat mit Argus-Augen beobachtet und sehr viel Negatives gesehen. Im Austausch mit anderen Vielfliegern habe ich weitere haarsträubende Geschichten gehört. Und vor allem habe ich die attraktiven Angebote der Billigflieger entdeckt, für die ich früher blind und taub war. Den läppischen 154 Euro, um die es bei der Reklamation ging, stehen inzwischen Umsatzeinbußen für die Lufthansa im fünfstelligen Bereich gegenüber.
Blogstorms: Die neue Form der Reklamation
„Weise ist nicht der, der die wenigsten Fehler macht, sondern der, der am meisten aus ihnen lernt“, meint der Erfolgsautor Harvey Mackay. Das klingt jetzt banal? Dann gehen sie mal selbst reklamieren. Über manche Reaktionen werden Sie sich sehr wundern! Es soll ja immer noch Unternehmen geben, die Beschwerdebriefe nicht einmal beantworten!
Nach Angaben des Serviceanbieters Vocatus wird von den elektronisch eingehenden Kundenbeschwerden im Schnitt nur jede Dritte beantwortet. Einer Vocatus-Studie zufolge hatten 30 Prozent der Kunden, die auf ihr Anliegen eine Antwort erhalten hatten, dort bereits wieder gekauft, während es bei denen, die keine Antwort erhalten hatten, nur 10 Prozent waren.
Die Gefühlslagen enttäuschter Verbraucher lassen sich besonders gut in Weblogs, den Tagebüchern im Internet, ablesen. Manche Unternehmen sind dort negativer präsent, als ihnen vielleicht lieb ist. Auf internationaler Bühne wird ihr Pfusch von ‚Bloggern’ nach Robin-Hood-Manier an den Pranger gestellt. Solche negativen Berichte, gerne auch als ‚Blogstorms’ bezeichnet, erreichen wie ein Lauffeuer oft innerhalb weniger Stunden die breite Öffentlichkeit.
Gebloggter Unmut wird von den sensationshungrigen Medien dankbar aufgenommen. Dies kann eine Lawine Image schädigender Reaktionen, Umsatzeinbußen in Millionenhöhe und damit veritable Unternehmenskrisen auslösen. Weil die Unternehmen die Angriffe der Internetgemeinde meist zu spät bemerken – und dann auch noch falsch reagieren. Die wenigsten haben bislang die ‚Blogosphäre’ auf dem Radar.
So viele Reklamationen wie möglich
Ermutigen Sie also Ihre Kunden, sich bei Ihnen zu beschweren, damit sie es nicht woanders tun. Solange sich Kunden bei Ihnen beschweren, haben Sie keine Probleme. Ganz im Gegenteil. Eine Reklamation zeigt, dass durchaus noch Interesse an einer Zusammenarbeit besteht. Es liegt nur gerade ein Hindernis im Weg, das weggeräumt werden will. Je schneller, desto besser.
Der Kunde muss wissen, dass, wie und bei wem er sich beschweren kann. Ermuntern Sie Ihre Kunden, über Probleme sofort mit Ihnen zu sprechen. „Sie kommen viel rum und haben einen großen Erfahrungsschatz. Ihre Meinung ist mit deshalb besonders wichtig“, sagte mein Autoverkäufer, weil er schon ahnte, dass ich nach einem misslungenen Werkstattbesuch was auf dem Herzen hatte. Prima gemacht.
Untersuchungen zeigen immer wieder, dass nach gut gelösten Reklamationen Wiederkäufe und Empfehlungsraten steigen – und damit der Umsatz wächst. Weil im Moment der Reklamation die Aufmerksamkeit des Kunden besonders hoch ist. In dieser Situation können Sie alles verspielen. Oder sehr viel gewinnen. Mehr noch: Sie können sogar wegen Ihrer unverhofft professionellen Reklamationsbearbeitung vehement gerühmt und empfohlen werden.
Hurra, eine Reklamation!
„Hurra, eine Reklamation!“ sollten Sie also froh und dankbar rufen, wenn ein Kunde eine Beschwerde hat. Jede ausgedrückte Reklamation ist ein kostbarer Lerngewinn: eine Chance, Schwachstellen aufzudecken, Fehler abzustellen, Verbesserungsprozesse einzuleiten, Innovationen anzustoßen, einen zaudernden Kunden zurückzuholen, negative Mundpropaganda zu vermeiden, seinen guten Ruf zu retten. Und eine Chance, weitere Kundenverluste zu vermeiden. Denn was einen Kunden ärgert, das stört womöglich viele andere auch. „Wer seine Kunden mag, dem muss es doch leid tun, wenn sie sauer sind“, meint Karl Born, ehemaliges Vorstandsmitglied der TUI.
Bedanken Sie sich also aufrichtig bei jedem Kunden, der reklamiert! Das könnte sich etwa so anhören: „Danke, Herr Mayer, dass Sie diesen Punkt so offen anbringen.“ Oder: „Wie gut, Frau Schüller, dass Sie auf dieses Thema so ehrlich zu sprechen kommen.“ Und dann hören Sie genau hin, und zwar mit spürbarer Anteilnahme und einer echten Mimik der Betroffenheit. Jetzt süßlich zu lächeln wäre falsch, der Kunde könnte sich auf den Arm genommen fühlen und dann erst recht explodieren. Zeigen Sie sich partnerschaftlich und kooperationsbereit. Und gehen Sie nicht in die kleinmütige Opferhaltung. Opfer ziehen Täter an.
Die wahren Gründe ermitteln
Beschwerden sind nicht immer eindeutig als solche zu erkennen, sondern werden oft mit einem ‚Anliegen‘ getarnt. Auch hinter einem Rechnungsabzug kann eine Beschwerde stecken. Und selbst hinter rein rational vorgetragenen faktischen Reklamationsgründen finden sich oft ganz andere, die emotional wahren Gründe.
Viele Menschen verstecken diese hinter einem Vorwand, der im wahrsten Sinne des Wortes eine Vorwand ist. Für jeden Kunden ist es ein Leichtes, Verkäufer mit vorgeschobenen Argumenten wie "Zu teuer! … zu schlechte Qualität! … zu lange Lieferfristen!" auszustechen. Mein Tipp: Werfen Sie 'Steinchen', um zu sehen, was sich hinter der Vorwand verbirgt.
Solches Vortasten können Sie einleiten mit Fragen wie: "Wenn wir das Thema Preis nun schon erörtert haben, gibt es eigentlich weitere Gründe, die …." Oder: "Ich habe irgendwie das Gefühl, neben …, gibt es womöglich weitere Gründe, die Sie im Moment noch zögern lassen …." Oder: "Wenn ich das Folge-Geschäft schon nicht mehr bekomme, Sie helfen mir sehr, wenn Sie mir sagen, welche Gründe, neben den Lieferproblemen, womöglich noch eine Rolle spielten."
Es gibt keine unberechtigten Beschwerden
Unzufriedene Kunden sind entweder Giftmüll-Deponien – oder positive Botschafter Ihres Unternehmens. Sie haben die Wahl. Nehmen Sie also jede Reklamation ernst und wichtig. Es gibt keine ungerechtfertigten Beschwerden. Von den wenigen Fällen absichtsvoller Beschwerden einmal abgesehen: Aus seiner Sicht betrachtet fühlt sich der Kunde im Recht, wenn er reklamiert. Denn die Menschen sehen nicht, was sie sehen sollen, sondern das, was sie sehen wollen. Jeder schafft sich so seine eigene subjektive Wahrheit. Ihr Gesprächspartner glaubt ganz fest an seine Auslegung als die einzig ‚richtige’ – genauso, wie Sie das auch tun.
Zweifeln Sie also Reklamationen nicht an und bagatellisieren Sie nicht („So eine Lappalie ist doch nun wirklich kein Grund, sich aufzuregen!“). Zeigen Sie aufrichtiges Verständnis („Ich verstehe Ihren Ärger, Herr Mayer.“) Verständnis ist noch kein Eingeständnis. Suchen Sie die möglichen Fehler bei sich und nicht beim Kunden. Und halten Sie sich nicht mit der Suche nach internen Sündenböcken auf. Wer eine Reklamation hat, möchte, dass sie schnell und unkompliziert gelöst wird.
Selbst wenn Sie einmal einem Reklamations-Nutznießer aufsitzen – was immer am meisten befürchtet wird, in Wirklichkeit aber selten vorkommt: Bleiben Sie gelassen. Denken Sie an die 98 Prozent ehrlichen Kunden, die Sie begeistern können. Es wird auch immer ein paar wenige geben, denen können Sie einfach nichts recht machen, die brüllen immer rum.
Zuerst muss man sich natürlich fragen, ob man die nicht so erzogen hat, weil leise Töne nicht geholfen haben. Oder weil eine Reaktion immer erst nach einem bühnenreifen Auftritt oder bei Drohung mit der Presse bzw. dem Anwalt erfolgte. Wenn aber wirklich Schikane im Spiel ist, dann so schnell wie möglich loswerden, diese Herrschaften sollen sich woanders austoben. Ihre Mitarbeiter werden es Ihnen danken. Nur: Wählen Sie einen eleganten Ausstieg, damit der Negativeffekt nicht zu groß wird.
Einige Firmen sind übrigens inzwischen dazu übergegangen, fast jede vorgetragene Reklamation grundsätzlich anzuerkennen. Sie sparen sich hierdurch einen Haufen Negativ-Energie, jede Menge Administration und fördern die Entbürokratisierung ihres Unternehmens. Sie machen komplexe Dinge einfach – und damit sich selbst sowie dem Kunden das Leben angenehmer. Der Imagegewinn ist beträchtlich – und die so wertvollen Empfehlungen nehmen kräftig zu.
Die Autorin
Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirt und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Die 6-fache Buchautorin ist als Dozentin, Marketing Consultant, und Trainerin tätig und gehört zum Kreis der ‚Excellent Speakers’. Sie hält hochkarätige Vorträge auf Kongressen, Firmen- und Kundenveranstaltungen zu den Themen Kundenloyalität, Empfehlungsmarketing und Emotionales Verkaufen.
Kontakt: info@anneschueller.de oder www.anneschueller.de
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