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Neuromarketing

Seit einigen Jahren hat sich mit dem Neuromarketing eine neue internationale Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft etabliert. (Buchbeitrag)
Christian Holst | 24.04.2009

Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Dialog-Marketing http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenDM http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3000239251/absolit/028-2842597-1070167/absolit Seit einigen Jahren hat sich mit dem Neuromarketing eine neue internationale Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft etabliert – mit eigenen Fachzeitschriften, Kongressen und Forschungszentren. Die Zahl der wissenschaftlichen Aufsätze zu diesem Thema ist mittlerweile fast unüberschaubar geworden, die Zahl der Internetverweise auf „Neuromarketing“ oder „Neuroökonomie“ in Google ist seit 2005 explosionsartig gestiegen (Kenning 2007). Was ist diese neue Teildisziplin und was kann sie für das Direktmarketing leisten? Definition Als Forschungsfeld ist das Feld des Neuromarketings beziehungsweise der Neuroökonomie noch vergleichsweise jung: erst seit den 1990er Jahren hat es sich einerseits aus den Neurowissenschaften, andererseits aus der Ökonomie entwickelt. Während die Wirtschaftswissenschaften mit ihren Verhaltensmodellen die theoretischen und praktischen Problemstellungen liefern, untersuchen Neurowissenschaften die Funktionsweise des Gehirns und wie dieses menschliches Verhalten steuert. Aus dieser „natürlichen Affinität“ (Zak 2004) zwischen Neurowissenschaft und Ökonomie ergibt sich das Forschungsfeld der Neuroökonomie. Das Neuromarketing ist dabei ein Teilgebiet der Neuroökonomie, welches sich mit der Analyse ökonomisch relevanten Verhaltens aus Konsumentensicht beschäftigt und sich dabei neurowissenschaftlicher Methoden bedient. Hierbei werden die klassischen Fragestellungen des Konsumentenverhaltens mit neurowissenschaftlicher Forschung verknüpft. Absatzpolitische Maßnahmen – wie Werbewirkung, Preisgestaltung, Platzierung – werden hinsichtlich ihrer neuronalen Wirkung untersucht und Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das menschliche Gehirn funktioniert, entscheidet und das Verhalten steuert. Mit der Fokussierung auf das menschliche Gehirn als Ort der Kaufentscheidung wird erhofft, die bislang ungeöffnete Black Box, die bislang zwischen Marketingstimulus und beobachtbarer Reaktion des Konsumenten liegt, aufzubrechen. Methoden Eine grundlegende Bedingung für die Entwicklung des Forschungsfeldes der Neuroökonomie und des Neuromarketings ist überhaupt die technische Verfügbarkeit von Methoden, die den Blick „ins Gehirn“ ermöglichen. Allen anderen voran steht hier die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), ein Verfahren, das zwar als Magnetresonanztomographie seit den fünfziger Jahren (vor allem in der chemischen) Grundlagenforschung bekannt ist, dessen aktueller Durchbruch aber erst mit der Entdeckung des BOLD-Effekts im Jahr 1990 begann. Mithilfe dieses Effekts (Blood Oxygen Level Dependent Contrast) werden unterschiedliche Sauer-stoffkonzentrationen im Blut gemessen – und da Hirnregionen, die stimuliert werden, mehr sauerstoffreiches Blut benötigen, kann man diese mit einer entsprechenden Technik „orten“. Funktionelle Magnetresonanztomografie liefert also keine Informationen darüber, was gedacht wird, sondern lediglich, dass ein bestimmter Teil des Gehirns aktiv ist. Eine publikumsstarke Aufmerksamkeit erreicht diese Forschung durch das „Neuro-Imaging“, also die bildliche Darstellung eines Gehirns, in dem verschiedene Areale „aufleuchten“, das heißt farbig hinterlegt sind. Bilder dieser Art finden sich mittlerweile in fast jedem Bericht zum Neuromarketing, weisen sie doch eine hohe Prägnanz auf und lassen scheinbar intuitiv erkennen, was (oder zumindest wie) gedacht wird. Tatsächlich zeigen diese Aufnahmen jedoch ein mittels komplexer statistischer Verfahren errechnetes Bild, das um das allgegenwärtige „Hintergrundsrauschen“ bereinigt und in der Regel aus den Daten mehrerer gescannter Versuchsteilnehmer zusammengesetzt wurde. Damit aus diesen lokalisierten Hirnregionen aber auch inhaltlich sinnvolle Schlüsse gezogen werden können, muss bekannt sein, welche Hirnregionen welche Aufgaben haben. Hier greifen die Neurowissenschaften auf ihren seit langem erarbeiteten Wissensstand zurück, der sich vor allem aus der Beschäftigung mit Hirnverletzungen ergeben hat. Wurden also Patienten behandelt, bei denen durch eine Hirnverletzung bestimmte motorische oder kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt waren, so konnte daraus geschlossen werden, dass diese Regionen für die Ausübung solcher Fähigkeiten verantwortlich waren (vergleiche dazu Damasio 1997). Die in der Öffentlichkeit bekannteste „Kartografie“ des Gehirns geht dabei auf den deutschen Forscher Korbinian Brodmann zurück, der 1909 die Großhirnrinde in 52 Areale unterteilte. Dieser kursorische Überblick über die zugrunde liegenden methodischen Verfahren mag zeigen, dass hinter den bildhaft eingängigen Scans der aktiven Hirnregionen tatsächlich hochkomplexe Verfahren liegen, in deren Verlauf durch die Forscher eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen und Parameter zu justieren waren. Von daher muss an dieser Stelle vor einer zu einfachen und laienhaften Interpretation dieser Scans gewarnt werden – solche Abbildungen können in der Regel nur illustrativen und keinen analytischen Zweck haben. Neuromarketing verknüpft Wirtschaftswissenschaft mit Psychologie Charakteristisch für das Neuromarketing ist die Verknüpfung von Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Neurowissenschaften. Dies liegt auf der Hand, wenn man sich vor Augen führt, dass die menschliche Informationsverarbeitung in diesen drei Forschungsbereichen im Mittelpunkt des Interesses steht. Durch die Erforschung der Hirnfunktionen lässt sich eine Brücke zwischen den drei Disziplinen bilden, denn schließlich wird das menschliche Verhalten durch das Gehirn gesteuert. Die beiden erst genannten Disziplinen leisten hierbei den theoretischen Beitrag und helfen den Neurowissenschaften bei der Interpretation empirischer Lösungsansätze. Für das Marketing – und speziell für das Dialogmarketing – ergeben sich dabei aus diesem Forschungsfeld eine Reihe neuer Perspektiven: Das klassische AIDA-Modell (Attention, Interest, Desire, Action), welches den Kaufprozess als eine nacheinander ablaufende Reihe von Schritten darstellte, dürfte in Zukunft nur noch heuristischen, aber keinen erklärenden Wert mehr haben. Tatsächlich zeigt sich, dass (Kauf-)Entscheidungen sehr schnell, spontan und häufig auch parallel getroffen werden, ohne dass alle Stufen durchlaufen werden. Ebenso wird auch das lange herrschende Modell des rational kalkulierenden, seinen Nutzen und Kosten abwägenden homo oeconomicus der Vergangenheit angehören. Menschen unterliegen systematischen Verzerrungen, wenn sie Entscheidungen treffen: sie sind risiko-freudig oder risiko-avers, sie bewerten einen möglichen Verlust stärker als einen potenziellen Gewinn, sie wählen – bei gleichen Gewinnchancen – allein durch eine negative oder positive Formulierung des Problems unterschiedliche Alternativen (Kahnemann 2003). Selten treffen sie Entscheidungen so, wie man es bei nüchterner Überlegung vorhersagen würde. Stattdessen sind die Bedeutung von Intuition und Emotion für Entscheidungsprozesse in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. „Bauchentscheidungen“ erlauben es uns, unter Zeitdruck sehr schnell und meistens auch angemessen zu handeln. Dies sind Urteile, die rasch im Bewusstsein auftauchen, deren tiefere Beweggründe uns nicht bewusst sind, die aber stark genug sind, um danach zu handeln (Gigerenzer 2007, S. 25, Gladwell 2007). Emotionen sind eine zentrale Größe im Prozess der Informationsverarbeitung: sie begleiten alle Kognitionen, tauchen zeitlich vor den Kognitionen auf und werden schneller verarbeitet (Zajonc 1980, Damasio 1997). Emotionen liefern uns eine erste Einschätzung, ob etwas „passt“: Es reicht nicht aus zu wissen, was wir tun müssen, wir müssen es auch „fühlen“ (Camerer, Loewenstein, Prelec 2005). Aus diesen neueren Erkenntnissen hat sich auch ein neues Modell entwickelt, wie Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung ablaufen kann: Anstatt einer (einem Computer gleichen) sequenziellen Informationsverarbeitung geht man nunmehr von zwei unterschiedlichen, einander ergänzenden Systemen aus: Einem System, welches mittels Intuition Entscheidungen fällt („System 1“ oder „Autopilot“), und einem nach wie vor „rationalen“ System, das logisches Denken leistet („System 2“ oder „Pilot“) (Kahnemann 2003; Camerer, Loewenstein, Prelec 2005; Scheier, Held 2006). Während der „Autopilot“ schnell, automatisch, mühelos, parallel arbeitend und assoziativ Probleme löst, ist der „Pilot“ langsam, seriell, kontrolliert, aufwändig und regelbestimmt. Der „Autopilot“ steuert uns durch die normalen alltäglichen Routinen, lässt uns schnell und effizient entscheiden und gibt sich auch mit einer plausibel erscheinenden Antwort zufrieden. Der „Pilot“ setzt ein, wenn wir nachdenken, Zeit haben und es ganz genau wissen müssen. Ein gravierender Unterschied zwischen diesen beiden Systemen ist, dass der „Autopilot“ nur sehr langsam lernt: ihm etwas Neues beizubringen, dauert lange und ist aufwändig, wenn er es aber einmal verinnerlicht hat, funktioniert es ohne Nachzudenken. Der „Pilot“ hingegen ist sehr flexibel, er kann sich gut auf neue Situationen einstellen und neue Programme lernen – er hinterfragt und analysiert sie aber. Werbemittelforschung mittels Hirnforschung Gesichter versus Logos – Ein Wahrnehmungs-Experiment Wie beschrieben können mit Hilfe der bildgebenden Verfahren die Aktivitäten und Interaktionen der Gehirnstrukturen erfasst werden. In definierten experimentellen Situationen lassen sich dadurch Rückschlüsse darauf ziehen, ob und wie ein Ereignis  gelernt oder vergessen wird,  mit oder ohne Aufmerksamkeit verarbeitet wird,  Emotionen auslöst,  mit einem bestimmten Kontext assoziiert wird und  Planungs- sowie Handlungsprozesse auslöst. Testimonials und Logos von Marken erfüllen im Dialogmarketing wichtige Aufgaben. Besonders beliebt in der Dialogmarketing-Praxis ist die Werbung mit Prominenten aus der Unterhaltungsbranche, der Politik oder dem Geschäftsleben. Bekannte Persönlichkeiten haben für die Werbetreibenden Aufmerksamkeits-, Erinnerungs-, Bewertungs-, Vertrauens- und Markierungsfunktion. Es sollen besonders effektiv die positiven Merkmalsausprägungen des Prominenten für die Werbebotschaft genutzt und dadurch ein erfolgreicher Transferprozess zur Botschaft hergestellt werden. Die Auswahl geeigneter Prominenter schärft die Persönlichkeit einer Marke. Im günstigsten Fall erfolgt ein Imagetransfer vom Prominenten zum Produkt. Äquivalente Aussagen lassen sich auch für Firmenlogos treffen. Dabei nimmt ein Logo innerhalb des Orientierungsrahmens der Corporate Identity eines Unternehmens eine wichtige Stellung ein und unterstützt den Auftritt eines Unternehmens in Form eines grafischen Symbols. Erfolgsfaktoren sind demnach insbesondere Bekanntheit und Vertrautheit, Sympathie und Image des Prominenten oder des Logos in der Werbung. Die Übermittlung einer Werbebotschaft mittels Testimonials und Logos zur Erzielung nachhaltiger Effekte sollte zur erfolgreichen Speicherung im Gedächtnis des Konsumenten führen. Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass emotionale Erregung mit verbessertem langfristigem und bewusstem Abruf aus dem Gedächtnis assoziiert ist. Emotionale Ereignisse werden besser erinnert als neutrale. Die entscheidende Hirnstruktur für emotionale Prozesse im Gehirn ist der Mandelkern. Daher sollten Stimuli, die Aktivität insbesondere im Mandelkern hervorrufen, zu einer erfolgreichen Gedächtnisformation für die Werbebotschaft führen. Darüber hinaus ist für eine nachhaltige Gedächtnisbildung die Tiefe der semantischen Verarbeitung während der Speicherung ins Gedächtnissystem ausschlaggebend. Mit Hilfe der fMRT kann nun die neuronale Reaktion auf die Stimuli „Logos und Testimonials“ am Menschen beobachtet werden. Die Gründe der Erfolgswirkung können so objektiv ermittelt werden. In der vorliegenden Studie wurden daher bekannte und unbekannte Gesichter als Äquivalent für Testimonials sowie bekannte und unbekannte Logos der Werbung daraufhin untersucht, welche dieser Stimuli am wirkungsvollsten die Gehirnareale aktivieren, die eine erfolgreiche Speicherung ins Gedächtnissystem ermöglichen. Untersuchungsdesign und Ablauf Das Experiment wurde mit sechs Männern und sechs Frauen im Alter zwischen 21 und 48 Jahren durchgeführt Die Datenerhebungen wurden mittels fMRT durchgeführt. Von jedem Probanden wurden 576 Gehirn-Scans erzeugt und analysiert. Zur Lokalisation der spezifischen Gehirnaktivitäten wurde von jedem Probanden vor dem funktionellen Durchgang eine anatomische Aufnahme des Gehirns durchgeführt. Die Daten der fMRT aller Probanden wurden dann um die irrelevanten Aktivierungsdaten, wie zum Beispiel Daten aufgrund von Kopfbewegungen, mathematisch geglättet. Das Reizmaterial setzte sich aus Fotos von jeweils über 70 „bekannten“ und „unbekannten“ Gesichtern sowie aus Fotos von jeweils über 70 „bekannten“ und „unbekannten“ Logos zusammen. In einem zwei-faktoriellen Design wurden die Faktoren „bekannte“ versus „unbekannte“ Stimuli und „Gesichter“ versus „Logos“ auf ihre spezifische Hirnaktivierung hin überprüft. Die Fotos der Gesichter waren schwarz-weiß Darstellungen mit Blickkontakt. Die Fotos der bekannten Gesichter stellten derzeit in Deutschland sehr bekannte Persönlichkeiten aus Fernsehen und Politik dar. Die Fotos der unbekannten Gesichter wurden so ausgewählt, dass sie bezüglich Helligkeit, Alter und Geschlecht den Fotos der bekannten Personen entsprachen. Bei den Fotos der Logos wurden sowohl Bild-Logos als auch Text-Logos (Markennamen) eingesetzt. In Blöcken wurden den Probanden die vier experimentellen Bedingungen „bekannte Gesichter“, „unbekannte Gesichter“, „bekannte Logos“ und „unbekannte Logos“ dargeboten. Zusätzlich wurde ein Fixationskreuz zwischen den Fotoblöcken als Kontrollbedingung für die Reizung durch die Logos und ein so genanntes „scrambled face“ (= „verschwommenes Gesicht“) als Kontrollbedingung für die Reizung durch die Gesichter eingesetzt. Das Experiment bestand aus 12 Durchgängen. In jedem Durchgang wurde jede der 6 Versuchsbedingungen in einer zufällig bestimmten Reihenfolge gezeigt, wobei jeder Aufgabenblock 25 Sekunden dauerte und 6 Stimuli umfasste. Zwischen den Blöcken gab es keine Pause. Die Probanden gaben zudem beim Betrachten der Stimuli ein Attraktivitätsurteil für jedes Gesicht beziehungsweise Logo ab. Die Urteile der Probanden wurden durch Tastendruck auf einer Vierer-Skala (sehr unattraktiv, unattraktiv, attraktiv, sehr attraktiv) abgegeben. Bei der Darbietung der „scrambled faces“ und des Fixationskreuzes betätigten die Probanden eine beliebige Taste der Vierer-Skala. Nach der Untersuchung mittels fMRT mussten die Probanden erneut die verwendeten Gesichter und Logos daraufhin beurteilen, wie bekannt sie ihnen waren. Ergebnisse der Studie: Gesichter stehen für Emotionen  Sowohl bekannte als auch unbekannte Gesichter aktivieren Regionen, die für die visuelle Gesichter-Erkennung zuständig sind.  Es entsteht außerdem eine Aktivierung in Emotions-assoziierten Arealen des rechten Mandelkerns.  Beim Betrachten bekannter Gesichter wurden zusätzlich Gedächtnisassoziierte Regionen (Hippocampus) sowie Sprach-Areale aktiviert.  Bekannte Gesichter wurden insgesamt sympathischer beurteilt als unbekannte. Man kann daher davon ausgehen, dass der Einsatz von Testimonials in der werblichen Kommunikation erfolgreich ist. Werbung, die bekannte Persönlichkeiten einsetzt, hat damit einen wirkungsvolleren und länger andauernden Einfluss auf das Verhalten und die Entscheidungsfindung des Verbrauchers. Die nachhaltige Engrammbildung wird mit Hilfe von Gesichtern begünstigt. Logos stehen für Sprache  Grafisch dargestellte Logos aktivieren – ähnlich wie Wörter – überwiegend Areale für Sprache und Semantik.  Bei Logos findet eine aufwändigere visuelle Verarbeitung statt.  Logos – ob bekannte oder unbekannte – führen zu keiner spezifischen Aktivierung von Emotions- oder Gedächtnisassoziierten Gehirn-Arealen.  Die vorrangige Aktivierung von Sprach-Arealen anstelle von Emotions-assoziierten Arealen bei Logos muss nicht unbedingt negativ sein. Dies hängt davon ab, was ein Unternehmen mit seiner Werbung vermitteln möchte. Wirkung von Haupt- und Themenkatalogen Im Rahmen einer weiteren, im Februar 2006 vom Siegfried Vögele Institut durchgeführten Studie lag der Untersuchungsschwerpunkt auf der Wirkung von Haupt- und Themenkatalogen, der Wirkung von visuellen und auditiven Reizen sowie von Rabatt-Symbolen im Dialogmarketing. Hierbei wurde folgenden Fragestellungen nachgegangen:  Wie stark wird das Gehirn durch Haupt- und Themenkataloge aktiviert?  Wie wirken visuell und/oder akustisch übermittelte Botschaften auf das Gehirn?  Wie stark wird das Gehirn durch Rabatte und Preissteigerungen aktiviert? Sind Kaufentscheidungen davon abhängig, ob Produkte aus derselben Produktkategorie (Themenkatalog) oder unterschiedlichen Kategorien (Hauptkatalog) zur Auswahl stehen? Diese Frage sollte durch die Messung der Hirnaktivierung bei der Betrachtung von Haupt- und Themenkatalogen beantwortet werden. Den Probanden im Kernspin-Tomografen wurden mithilfe einer Spezialbrille verschiedene Produktabbildungen in Folge gezeigt. Im ersten Teil des Versuchs gehörten die abgebildeten Produkte einer Produktkategorie an. In einer zweiten Untersuchung wurden Produkte verschiedener Kategorien präsentiert. Die Untersuchung brachte folgende Erkenntnisse:  Bei der Wahl eines Produkts aus einer Serie von Produkten derselben Produktkategorie zeigen sich signifikante Mehraktivierungen. im Gehirn. Die folgenden Abbildungen zeigen diese im visuellen Bereich der Objekt-Erkennung und in der sprachlich dominanten Hemisphäre.  Dies bedeutet, dass die Auswahl aus Produkten derselben Kategorie mehr Zeit erfordert und stärkere kognitive Prozesse (Wahrnehmung, Abwägung, Entscheidung) auslöst. Hieraus lassen sich die folgenden Empfehlungen ableiten:  Sind schnelle Kaufentscheidungen gewünscht, sollten Produkte unterschiedlicher Produktkategorien im Katalog kombiniert werden.  Soll vor der Kaufentscheidung eine ausführliche Beschäftigung mit dem abgebildeten Produkt im Werbemittel erreicht werden, ist eine Kombination von Produkten der gleichen Kategorie empfehlenswert. Wirkung von visuellen und auditiven Reizen Mit diesem Experiment sollte der Grad der Gedächtnis-Bildung bei Medien mit unterschiedlichen Sinnesreizen gemessen werden. Die Frage war: Üben visuelle, akustische oder visuell-akustische Botschaften unterschiedlich starken Einfluss auf die Gedächtnis-Funktionen aus? Im Kernspin-Tomografen wurden hierzu die Probanden über eine Spezialbrille mit visuellen Reizen konfrontiert (zum Beispiel Werbeanzeige). Über ein Kopfhörer-System wurden ihnen gleichzeitig akustische Reize zugeführt (zum Beispiel gesprochener Slogan). Ergebnis: Je nach angesprochenem Sinnesorgan werden Informationen unterschiedlich eingeprägt. Fokussierte Informationen werden besser erinnert als nicht fokussierte. Aber es zeigen sich Besonderheiten für jedes einzelne Medium: Eine optische Darbietung der Informationen ist vorteilhaft für beabsichtigtes Lernen (fokussierte Informationen). Die akustische Präsentation von Informationen dagegen fördert eher das nicht beabsichtigte Lernen (Informationen, die nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen). Die Ergebnisse der Kernspin-Tomografie lassen außerdem zwei Annahmen zu:  Bei gleichzeitigem visuellem und auditivem Reiz (zum Beispiel Vorlesen des abgedruckten Slogans), ist keine höhere Gedächtnis-Leistung zu erwarten. Probanden konzentrieren sich auf die visuellen Reize. Identische auditive Informationen blenden sie aus.  Komplementäre Präsentationen von visuellen Reizen (zum Beispiel Duschgel) und passender auditiver Untermalung (zum Beispiel Meeresrauschen) können die Informations-Verarbeitung dagegen positiv beeinflussen. Hieraus lässt sich ableiten:  Visuelle Medien (zum Beispiel Direct Mailings, Print Anzeigen oder Internet) sind besonders geeignet, wenn eine bewusste Auseinandersetzung mit den Inhalten stattfinden soll. Diese Auseinandersetzung wird mit zielgerichtetem, individuellem Dialogmarketing erreicht.  Auditive Medien (zum Beispiel Radio) empfehlen sich, wenn Informationen unbewusst im Hintergrund aufgenommen werden sollen. Eine zielgerichtete Kommunikation steht hierbei nicht im Vordergrund. Wirkung von Rabatt-Symbolen Gemessen werden sollte die Wirkung von Rabatt-Symbolen auf die Kaufentscheidung. Tragen Rabatt-Symbole in Werbemitteln dazu bei, den Kaufentscheidungs-Prozess zu beschleunigen? Als Stimuli wurden  wertvolle und einfache Produkte  mit zu hohen, zu niedrigen und normalen Preisen  mit und ohne Rabatt-Symbol beim normalen Preis verwendet. Auch bei diesem Experiment wurden den Probanden im Kernspin-Tomografen nacheinander Abbildungen der oben genannten Stimuli mittels Spezialbrille präsentiert. Als Ergebnis zeigte sich bei dieser Untersuchung:  Bei allen Probanden aktivieren Rabatt-Symbole das Belohnungs-Zentrum im Gehirn. Doch nur für einen Teil der Gruppe suggeriert das Rabatt-Symbol ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis. In diesem Fall hemmt das Rabatt-Symbol die interne Kontroll-Instanz für Verhalten, das heißt der Preis wird nicht mehr hinterfragt.  Bei rabattierten wertvollen Produkten zeigen die Probanden ein vorsichtigereres Kaufverhalten. Dieses Verhalten spiegelt die intensive Informations-Verarbeitung bei wertvollen Produkten im Gehirn wider. Die Produkte werden eher im Langzeit-Gedächtnis gespeichert. Die interne Kontroll-Instanz wird durch Rabatt-Symbole nicht außer Kraft gesetzt. Die Untersuchung zeigt: Rabatt-Symbole „bewegen“ etwas im Gehirn, sie aktivieren das Belohnungs-Zentrum. Verbraucher-Analysen und Zielgruppen-Selektion helfen, diejenigen Konsumenten zu identifizieren, bei denen Rabatt-Symbole positiv auf die Kaufentscheidung wirken. Durch gezielte Ansprache dieser Konsumenten werden Rabatt-Symbole zu einem effizienten Marketing-Instrument. Fazit und Perspektiven Neurophysiologische Werbewahrnehmungs- und Wirkungsforschung im Dialogmarketing kann neue Möglichkeiten für die Kommunikationsforschung eröffnen und der angewandten Marktforschung nachhaltig nutzen. Die psychologischen Konzepte können hierdurch validiert werden. Etablierte Dialogmarketingtheorien – etwa die Siegfried Vögele Dialogmethode – werden durch den Abgleich mit der Gehirnphysiologie empirisch auf eine überzeugende Basis gestellt. Die neurologisch wertvolle qualitative Erweiterung der apparativen Wirkungs-Forschung durch die Augenkamera dar. Neurophysiologische Werbewahrnehmungs- und Wirkungsforschung zielt darauf ab, anhand der ermittelten zeitlichen und räumlichen Aktivitätsmuster von Hirnregionen Aufschluss darüber zu geben, welche mentalen Prozesse bei der Informationsverarbeitung beteiligt sind. Dies wird ermöglicht, da psychologische Konzepte sich im Gehirn in bestimmten raum-zeitlichen Aktivierungsmustern abbilden. Folgende Fragestellungen können zum Beispiel mittels moderner bildgebender Verfahren beantwortet werden:  Wie sollte ein Reiz beschaffen sein, damit er Hirnareale aktiviert, die für die Gedächtnisbildung oder für Emotionen relevant sind?  Gehen bestimmten Verhaltensweisen des Konsumenten spezifische Gehirnprozesse voraus, welche ein Vorhersagen des späteren Verhaltens ermöglichen?  Welche Reizeigenschaften begünstigen auf zukünftiges Konsumentenverhalten gerichtete Gehirnprozesse? Zur Zeit befindet sich dieses Forschungsfeld noch weitgehend im Bereich der Grundlagenforschung. Bestehendes Wissen der Hirnforschung wird überprüft, validiert und ergänzt. So lassen sich die grundlegenden neuronalen Prozesse, die zum Verständnis der Informationsverarbeitung notwendig sind, besser und genauer beschreiben. Dies gilt im Wesentlichen auch für das Marketing: Auch hier stehen bislang bekannte Konzepte auf dem Prüfstand – wie zum Beispiel die Frage, inwieweit Marken tatsächlich als „Persönlichkeiten“ gesehen werden dürfen (Yoon et al. 2006), wie Kaufentscheidungen vorhergesagt werden können (Knutson et al. 2007) oder wie Emotionen mit Marken in Verbindung stehen (Esch et al. 2008). Diese Überprüfung hat – wie beschrieben – zum Beispiel zu einer Neubewertung der Rolle von Emotionen im Entscheidungsprozess geführt. In Zukunft werden mit diesen Verfahren sicherlich auch marketing-relevante Konzepte wie Wünsche und Belohnungen oder Loyalität und Abwendung stärker in das Zentrum der Forschung rücken. Aus den Erkenntnissen dieser spannenden, aber auch aufwändigen, Forschung einen Pradigmen-Wechsel für das Marketing abzuleiten, ist allerdings maßlos übertrieben. Auch in Zukunft wird es für die praktische Arbeit um Product, Price, Place, Promotion gehen, den „buy button“ wird auch diese Forschung nicht finden. Die Erwartungshaltungen, die mit dieser neuen Methode einhergegangen waren, werden sicherlich auf ein vernünftiges Maß heruntergeschraubt werden müssen (vergleiche W&V 2008). Auch werden die etablierten bisherigen Forschungsmethoden – zum Beispiel Befragung, Beobachtung und Konsumerpanels – durch diese Forschung nicht obsolet. Neurophysiologische Wahrnehmungsforschung ist stattdessen eine sinnvolle Ergänzung dieser Methoden dort, wo es um Bewusstseinsinhalte geht, die mit den bekannten Methoden nicht oder nicht hinreichend gut erfasst werden können. Wenn Konsumenten zu ihren Gedanken und Gefühlen wenig Zugang haben oder diese nicht verbalisieren können und daher klassische Interviewkonzepte der Marktforschung das Konsumentenverhalten nicht hinreichend ergründen können, dann kann die neurophysiologische Forschung zu einem besseren Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens beitragen. Die Erkenntnisse über das Gehirn können wichtige Ansatzpunkte für die Umsetzung und Optimierung von Dialogmarketing-Maßnahmen liefern. Hier werden weitere Studien und Projekte in naher Zukunft neue Erkenntnisse hervorbringen und die wissenschaftliche Diskussion im Dialogmarketing nachhaltig befruchten. Literatur Camerer C., Loewenstein G., Prelec D.: Neuroeconomics: How Neuroscience Can Inform Economics. – In: Journal of Economic Literature, Vol. 43, (March), S. 9-64, 2005. Damasio A. R.: Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. – List, Berlin, 1997. Esch F.-R. et al.: Wirkung von Markenemotionen: Neuromarketing als neuer verhaltenswissenschaftlicher Zugang. – In: Marketing (ZfP), Vol. 30, H. 2, S. 109-127, 2008. Gigerenzer G.: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. – Bertelsmann, München, 2007. Gladwell M.: Blink! Die Macht des Moments. – Piper, München, 2007. Kahnemann D.: Maps of Bounded Rationality: Psychology for Behavioral Economics. – In: American Economic Review, Vol. 93, H. 5, S. 1449-1475, 2003. Kenning P.: Neuromarketing – Vom Hype zur Realität. Eine Standortbestimmung aus der Perspektive der Marketingwissenschaft. – In: Häusel H.-G. (Hrsg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf. – S. 17-31, Haufe, München, 2007. Kenning P., Plassmann H., Ahlert D.: Consumer Neuroscience – Implikationen neurowissenschaftlicher Forschung für das Marketing. – In: Marketing (ZfP), Vol. 29, H. 1, S. 55-67, 2007. Knutson B. et al.: Neural Predictors of Purchases. – In: Neuron, Vol. 54 (January), S. 147-156, 2007. Scheier Ch., Held D.: Wie Werbung wirkt. Erkenntnisse des Neuromarketing. – Haufe, München, 2006. Weis S. et al.: Warum sind Prominente in der Werbung so wirkungsvoll? Eine funktionelle MRT-Studie. – In: NeuroPsychoEconomics, Vol. 1, H. 1, S. 7-17, 2006. W&V (2008): Die Erwartungshaltung ist dramatisch überzogen. Interview mit Hans-Willi Schroiff. – W&V, H. 3, S. 34-35, 2008. Yoon C. et al.: A Functional Magnetic Resonance Imaging Study of Neural Dissociations between Brand and Person Judgements. – In: Journal of Consumer Research, Vol. 33 (June), S. 31-40, 2006. Zajonc R. B.: Feeling and Thinking: Preferences need no Inferences. – In: American Psychologist, Vol. 35, H. 2, S. 151-175, 1980. Zak P. J.: Neuroeconomics. – In: Philosophical Transactions of the Royal Society, London (B), Vol. 359, H. 1451, S. 1737-1748, 2004.