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Blond macht blind

Was Barbie mit Neuromarketing zu tun hat und warum Verführen so einfach ist.
Werner T. Fuchs | 28.08.2023
Blond macht blind. © Pexels/Pixabay
 

„Die Frau ist die einzige Beute, die ihrem Jäger auflauert.“ Was beim Publikum des deutschen Komikers Jörg Knör schenkelklatschendes Lachen auslöste, kommt in einem Referat über Neuromarketing so schlecht an wie Blondinenwitze. Es sei denn, der Vortragende nutze die Gunst der Stunde und missbrauche den Barbie-Hype, um die Funktionsweise von Neuromarketing zu erklären. Genau das werde ich deshalb nun tun.

Im Nachhinein sind alle schlauer. Doch vor dem Kinostart von „Barbie“ hat niemand der bekennenden Feministin Greta Gerwig zugetraut, dass sie als Regisseurin den erfolgreichsten Kinostart aller Zeiten hinlegen würde. Also schauen wir doch genauer hin, was außer dem Marketingbudget von 150 Millionen Dollar und dem zeitgleichen Start mit „Oppenheimer“ dafür verantwortlich ist.  Um nicht etliche Hochschulprofessorinnen – Männer mitgedacht – zum Demissionieren zu zwingen, schließe ich die Vernunft aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Und die Unvernunft muss gegen eine Wertung ankämpfen, die ihrem Wesen nicht gerecht wird. Also beschäftigen wir uns lieber mit den Hirnarealen, die menschliches Verhalten zu über 90 Prozent steuern. Wer mit dieser Behauptung leben kann, hat das Geheimnis bereits gelüftet, warum Neuromarketing so erfolgreich ist. Seine Anhänger setzen nicht auf rationale Argumente, sondern auf Emotionen. Und die werden eben durch passende Geschichten geweckt, vermittelt und gespeichert. Durch Geschichten, die von Urthemen handeln und an Erlebnisse aus der Kindheit und Pubertät oder vom ersten Mal erinnern. Sogenannte Brain Scipts, in denen eine Heldin – Männer wieder mitgedacht – vorkommt, die gegen das Böse kämpfen muss und nach etlichen Umwegen ihr Ziel hoffentlich lebendig erreicht. Wen eine solche Beschreibung an Pilcher-Filme und Klischees gemahnen, liegt nicht falsch. Mit allseits Bekanntem arbeiten zu können, gehört zu den Grundvoraussetzungen für erfolgreiches Neuromarketing. Denn wie bereits Goethe und Shakespeare feststellten, gibt es gar keine neuen Geschichten. Auch neue Urthemen suchten sie vergeblich. Daher konzentrierten sie sich auf das Erfinden neuer Varianten. Zwischenruf: Wer die Kunst des Geschichtenerzählens nicht beherrscht, kann kein Neuromarketing betreiben.

Sollte die Schauspielerin und Filmemacherin Greta Gerwig in Hollywood nicht mehr willkommen sein, würde sie als Marketingfachfrau sofort einen neuen Job finden. Sie müsste ihrer Bewerbung einfach eine Analyse von „Barbie“ beilegen und selbstbewusst behaupten, mit ihrem Co-Autor Noah Baumbach zusammen alle Elemente einer guten Geschichten berücksichtigt zu haben. Um die unbewusst arbeitenden Hirnareale gebührend zu beschäftigen, sind in „Barbie“ die drei wichtigsten Fragen aller Menschen versteckt. Die lauten nämlich: Wer bin ich? Wer ist der andere? Wo ist mein Platz in dieser Welt? Die beiden Drehbuchschreiber lassen ihre Figuren überzeitliche Themen inszenieren, zu denen auch „Verbotene Liebe“ gehört. Dürfen Mädchen eine Puppe wie Barbie lieben? Und Jungs? Dürfen Erwachsene die virtuelle Welt mehr mögen als die reale? Die scheinbar so oberflächliche Geschichte in Pink handelt sogar von Leben und Tod, vom Urthema schlechthin. Denn Barbie tauscht schließlich ihr perfektes Leben gegen die Sterblichkeit ein, um in der realen Welt Gutes zu tun.

Es gibt Kritiker, die „Barbie“ als billigen Klamauk, verkappten Werbespot für Mattel oder seichte Unterhaltung sehen. Kann man. Neuromarketer haben eine andere Perspektive. Sie nehmen mit Begeisterung zur Kenntnis, dass Menschen noch immer von Geschichten angezogen werden, in denen es um die Suche nach der eigenen Identität, um Liebe, Abenteuer, Aufstieg, Rivalität, Verwandlung und das verlorene Paradies geht. Egal ob pädagogisch wertvoll, politisch korrekt und alle Arten von Menschen berücksichtigend. Gelungenes Neuromarketing durchlöchert die künstlich gezogenen Grenzen von Zielgruppenfetischisten. So wie es die Geschichten von J.K. Rowling, Greta Gerwig, James Cameron, Steven Spielberg, George Lucas und wie sie alle heißen, tun.Weil die Barbie-Welt in unzählige Kinderzimmer eindrang, offeriert der Film seinem Publikum eine Zeitreise in die Jahre der stärksten Prägungen. Doch obwohl das Wecken emotionaler Erinnerungen zu den stärksten Waffen des Neuromarketings gehört, müssen auch die Wettbewerbsfaktoren „Einfachheit“ und „Schönheit“ berücksichtigt werden. Bei vergleichbaren Produkten gewinnt nämlich immer das simplere und attraktivere. Weil der Zeitgeist dieses Gesetz anfeindet und am liebsten aufheben würde, spielen die Macher von Barbie damit und lassen offen, welcher Geist als Sieger vom Platz geht. Ohne Not sollten wir auch diejenigen nicht ärgern, die nicht zu unserer wichtigsten Zielgruppe gehören. Denn vielleicht katapultiert sie unsere schnelllebige Zeit wider Erwarten plötzlich ins Zentrum. Um dem Gebot des Energiesparens gerecht zu werden, verarbeitet unser Gehirn keine belanglosen, langweiligen, vom Bösen befreite Geschichten. Wieso auch? Was gäbe es da fürs Fortpflanzen, Anpassen oder Überleben zu lernen? Was nichts mit den evolutionären Zielen zu tun hat, interessiert unser neuronales Datenverarbeitungssystem nicht.

„Blond macht blind“ ist ein Klischee mit Stellvertreterfunktion. Auch wenn diese Behauptung aus der Zeit gefallen ist, kann sie uns noch immer an die wahren Machtverhältnisse im menschlichen Gehirn erinnern. Am Tisch, an dem die Entscheidungen für unser Tun und Lassen gefällt werden, sind die Vertreter der Vernunft in der Minderheit. Das zu berücksichtigen ist Neuromarketing.