Marken suchen den Dialog – Grundlagen zum Einstieg
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Digitaler Dialog
http://www.marketing-boerse.de/Buch/details/1238-Leitfaden-Digitaler-Dialog-Professioneller-Kundenkontakt-mit-Social-Media-E-Mail-und-Mobile
Das Internet ist voller Buzzwords und Anglizismen wie: Social Media, Employer Branding, Engagement, Involvement, Like, Post, Tweet, Retweet, Pin, Repin und nicht zu vergessen der berühmt-berüchtigte Shitstorm – aber das ist ein anderes Thema.
Wikipedia definiert „Buzzword“ wie folgt: „Als Schlagwort (englisch: buzzword oder catchword, französisch: slogan) bezeichnet man einen Begriff oder Spruch, mit dem beim Zuhörer um besondere Beachtung gebuhlt wird […].“ [1] und genau in diesem „Buhlen um besondere
Beachtung“ liegen Fluch und Segen der vielen Schlagworte. Segen, weil ein Thema dadurch erst Aufmerksamkeit bekommt. Fluch, weil oftmals eine Aufgeregtheit und ein Hype erzeugt werden, der das Thema künstlich überhöht und deshalb den Blick für das Wesentliche verstellt. Glücklicherweise legt sich der Hype langsam und macht den Blick frei für das Wesentliche im Social Media.
Was ist „Dialog 2.0“?
Was ist das Wesentliche im Social Media und wieso ist in diesem Zusammenhang „Dialog 2.0“ so essenziell? Vor Kurzem hieß das Social Web noch Internet. Im Internet erhielt man Informationen
und konnte Informationen bereitstellen. Die nächste Stufe war erreicht, als Unternehmen über die digitale Visitenkarte hinaus, ihr Unternehmensziel in den digitalen Kanälen zu realisieren versuchten: Es ging um Wachstum und das Generieren von Umsatz – Name: „E-Commerce“. In den Anfängen des E-Commerce gab es ebenso wie heute beim Thema Social Media Befürworter, Skeptiker und jede Menge Hype, der erst mit Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im März 2000 endete. Die Divergenz zwischen Befürwortern und Skeptikern verdeutlicht ein Spot der Firma IBM, der die Anfänge des E-Commerce thematisiert. Dort unterhalten sich zwei zeitunglesende Manager über das Internet. Der Ältere sagt: „Hier steht: Das Internet ist die Zukunft im Business. Wir müssen ins Internet.“ Der Jüngere überlegt kurz und antwortet: „Wieso?“ Daraufhin der Ältere: „Steht
nicht da.“
Heute ist E-Commerce integraler, selbstverständlicher Bestandteil des Alltags. Generationenübergreifend werden Bücher bei Amazon bestellt oder Tickets für Konzerte geordert. Niemand denkt mehr darüber nach, wo und wie er konsumiert. Einziges Kriterium ist die
Effizienz. Wo bekomme ich was, ohne Verzögerung, am günstigsten, bei minimalem Einsatz meiner finanziellen wie zeitlichen Ressourcen? Heute wissen Unternehmen, was die beiden Protagonisten des IBMSpots noch nicht wussten: Es macht Sinn, die digitalen Läden zu füllen, denn die Konsumenten wollen dort einkaufen.
Die nächste Stufe des Internet trug den Namen „Web 2.0“. Wikipedia definiert ihn folgendermaßen: „Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets,
speziell des World Wide Webs, verwendet wird. Hierbei konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als Prosument selbst Inhalt zur Verfügung. […].“ [2] Neu war, dass Nutzer und Kunden ohne
Programmierkenntnisse Inhalte im Internet publizieren konnten. Der Prosumer, ein Mischwort aus Produzent und Konsumer, war geboren. Erstmals konnte jeder, der einen Internetzugang besaß, ohne weitere technische Hürden Text, Bild, Audio und Video veröffentlichen. Die Einbahnstraße, Informationen online abzufragen, hatte sich zu einem rückkanalfähigen Medium entwickelt. Diese (technische) Voraussetzung war Grundlage für die Geburt des Social Media.
Wikipedia definiert „Social Media“ wie folgt: „Social Media (auch Soziale Medien) bezeichnen digitale Medien und Technologien […], die es Nutzern ermöglichen, sich untereinander auszutauschen
und mediale Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft zu gestalten. Soziale Interaktionen und Zusammenarbeit […] in sozialen Medien gewinnen zunehmend an Bedeutung und wandeln mediale Monologe (One-to-Many) in sozial-mediale Dialoge (Many-to-Many). Zudem
unterstützt es die Demokratisierung von Wissen und Informationen und entwickelt den Benutzer von einem Konsumenten zu einem Produzenten. Es besteht weniger oder kein Gefälle mehr zwischen
Sender und Rezipienten (Sender-Empfänger-Modell). […].“ [3] Zwei Besonderheiten fallen auf: Zum einen wird es Individuen ermöglicht, an den bis dahin benötigten klassischen Medien vorbei, ihre Meinung (öffentlich) zu äußern. Zum anderen nivelliert sich das Gefälle zwischen
Sender und Rezipient.
Was bedeutet das für Unternehmen? Kunden können direkt und mit potenziell Tausenden von Mitlesern Anfragen an und Kritik über Unternehmen veröffentlichen. Mögliche Auswirkungen verdeutlichen die folgenden zwei Aussagen: „A brand is no longer what we tell the
consumer it is – it is what consumers tell each other it is.” [4] und „If you make customers unhappy in the physical world, they might each tell 6 friends. If you make customers unhappy on the Internet, they
can each tell 6,000 friends.” [5]
Diese Entwicklung klingt beängstigend, da sie einen gefühlten sowie faktischen Kontrollverlust mit sich bringt, für den es zunächst keinen üblichen Handlungsspielraum gibt. Woher kommt dieses Gefühl? Das Internet ist eine Anarchie (Wikipedia: „Anarchie […] bezeichnet einen
Zustand der Abwesenheit von Herrschaft. […]“ [6]), die per Definition nicht kontrollier- beziehungsweise beherrschbar ist. Bisher gelernte Strukturen, Prozesse und Kanäle der klassischen Medien verlieren nicht ihre Gültigkeit, werden aber durch das Social Web ergänzt.
In diesem Social Web gilt aber das Gelernte und Gewohnte nicht mehr. Der Sender (Unternehmen) ist eingereiht in die Empfänger (Kunden) und sieht sich anderen Sendern (Kunden) gegenüber. Durch
die Anwesenheit anderer Sender (Kunden) wird auch er – und das ist neu – zum Empfänger.
Das klingt kompliziert und wirft die Frage auf, wie Unternehmen mit dem neuen Kanal Social Media und dem Kontrollverlust umgehen sollen. Dass Kunden mit Unternehmen kommunizieren, ist nicht
neu – dafür existieren Callcenter. Dass Unternehmen mit Kunden kommunizieren, ist auch nicht neu – man nennt es Marketing. Dialog existierte also schon. Neu ist, dass der Dialog im öffentlichen Raum
stattfindet und diese Öffentlichkeitsarbeit, die zuvor Hoheitsgebiet der PR- und Kommunikationsabteilungen war, jetzt durch jede Abteilung und jeden Mitarbeiter eines Unternehmens wahrgenommen werden kann. Hiermit sind wir beim Dialog 2.0 angekommen.
Dialog 2.0 ist eine große Herausforderung für Unternehmen und bietet gleichzeitig eine große Chance. Diese Chance nutzt der Teilnehmer des Social Web über zwei neue Handlungsansätze: Zum einen gilt es, durch aktives Publizieren von Informationen (Storytelling), die Gespräche um und über das Unternehmen zu steuern (nicht zu kontrollieren).
Des Weiteren kann er durch seine Ansprechbarkeit in den sozialen Kanälen mit dem Kunden ins Gespräch kommen. Beides setzt die unternehmerische Fähigkeit, Dialog 2.0 zu führen, voraus.
„Märkte sind Gespräche,“ postulierten schon 1999 die vier USAmerikaner Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger in ihrem berühmten Cluetrain Manifest [7]
mit dem Unterschied, dass damals niemand wusste, was gemeint war. Heute kristallisiert sich die visionäre Bedeutung des Manifests heraus und kommt in Slogans wie „Kundendialog 2.0 ist das neue Marketing“ oder „Kundendialog 2.0 ist Grundvoraussetzung für den vertriebsintelligenten Dialog mit dem Kunden 3.0“ daher. Genauso selbstverständlich wie heute Unternehmen via E-Mail, Telefon, Fax und Brief erreichbar sind, genauso selbstverständlich wird es zukünftig sein, dass Unternehmen über die sozialen Netze mit ihren Kunden kommunizieren. Es stellt sich also nicht die Frage, ob man den Dialog 2.0 beginnt, die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt es Sinn macht, den Dialog zu eröffnen.
Wenn „Dialog 2.0“ ein Anfang ist, wie fängt man es an?
Grundsätzlich gibt es einen aktiven und einen reaktiven Ansatz für Dialog. Der aktive Ansatz wird unter dem Buzzword „Storytelling“ subsumiert und erfüllt die Aufgabe, aktiv Informationen über
das Unternehmen, die Marke und deren Produkte auf möglichst unterhaltsame Weise komprimiert und verständlich zur Verfügung zu stellen. Beherrscht man die Kunst des Erzählens und verankern sich die Geschichten beim Kunden, wird das zum Anlass, dass Kunden miteinander über die Marke, aber auch mit der Marke sprechen werden.
Der reaktive Ansatz umfasst die Bereiche Service und Support. Genauso wie Kunden auch vor dem Social Web Anlass hatten, über Produkte oder Dienstleistungen mit Unternehmen in Kontakt zu treten, genauso wollen sie das immer noch. Heute vermehrt öffentlich über die sozialen Kanäle.
Für beide Ansätze gilt es als Grundvoraussetzung, dass Unternehmen den Dialog 2.0 in den Strukturen und Prozessen sowie in der Firmenkultur verankern. Denn wenn der Dialog 2.0 „nach innen“ nicht legitimiert, organisiert und gelebt ist, wird er „nach außen“ nicht authentisch und angemessen schnell funktionieren.
Die Frage ist: Wie implementiert man Dialog 2.0 im Unternehmen? Die Antwort lautet: Man definiert, in Form eines sogenannten „Social Media Service-Handbuchs“, an welcher Stelle sich Unternehmen und Social Web treffen.
Hierbei gilt die Prämisse: Vorbereitung versa Aktionismus. Es macht Sinn, sich etwas länger vorzubereiten, als aktionistisch zu früh im Social Web zu starten, denn wenn man erst einmal die öffentliche Bühne betreten hat, gibt es kein Zurück mehr. Die fehlende Vorbereitung
muss dann unter Zeitdruck nachgeholt werden, was auf Kosten der Qualität geht.
Das Handbuch erfüllt drei Aufgaben. Erstens manifestiert es, was im Zuge des Projekts und im späteren Betrieb getan werden soll, aber auch, was nicht. Daraus ergibt sich der Kommunikations- und Handlungsspielraum. Zweitens wird das Handbuch für die interne sowie externe Öffentlichkeitsarbeit genutzt. Intern stellt es Kollegen und Mitarbeitern die Informationen zur Verfügung, die sie brauchen, um den „Dialog 2.0-Schritt“ verstehen zu können, aber auch, um
unerlässliche Schnittstellen für den Dialog zu gewinnen. Extern sorgt das Handbuch bei den sogenannten Influencern für die nötige Transparenz, die ein möglichst objektives Bild zulässt. Drittens ist das Handbuch Grundlage für die Schulung der Social Media-Agents, die nach Eröffnung der Kanäle die Kommunikation der Marke im Web führen und somit personifizieren.
Das Social Media Service-Handbuch
Im Social Media Service-Handbuch werden Prozesse, Strukturen, Workflows und Schnittstellen beschrieben. Ziel ist es, jeder beteiligten Unit und jedem essentiellem Thema im Handbuch Raum zu geben. Dort wird in Absprache mit den Beteiligten definiert, was gilt und wo Social Media die internen strukturellen sowie kulturellen Grenzen (noch) nicht überschreiten soll. Insofern ist das Handbuch die konzerninterne Vereinbarung darüber, innerhalb welchen Rahmens der Dialog 2.0 stattfinden darf und kann. Beim Aufbau eines Handbuchs macht es Sinn, die Grundlagen des Dialogs unabhängig der zum Einsatz kommenden Social Media-Kanäle zu definieren und die Kanäle dann modular einzufügen. So kann man neue Kanäle als Modul nachschulen, ohne die sonstigen Grundlagen neu justieren zu müssen.
Im Folgenden werden grundlegende Abschnitte des Handbuchs näher beschrieben. Neben diesen Themen gibt es zahlreiche weitere, die je nach Projekt und Unternehmen individuell erarbeitet werden
müssen.
Aufbau, Auswahl, Aufgaben und Ziele eines Dialogteams
Die Zeiten, in denen Praktikanten und Trainees Facebook-Pinnwände eröffneten und das Unternehmen damit überrascht wurde, dass dort Kunden Antworten erwarteten, neigen sich (zum Glück) ihrem Ende entgegen. Social Media ist weder ein prozessfreier Raum noch
kommt er ohne Ressourcen aus. Dafür gilt es, ein Team aufzubauen, auszubilden und im Unternehmen zu etablieren, welches im Namen des Unternehmens den Dialog führt und für Kunden ansprechbar ist.
Aufbau
Der idealtypische Aufbau eines Social Media-Dialogteams sollte die Positionen des Social Media-Managers, der Social Media-Agents, des Community Managers und des Online-Speakers umfassen. Ob und wie das zum jeweiligen Unternehmen passt, muss im Einzelfall und projektabhängig geklärt werden.
Auswahl
Die Auswahl der Ressourcen ist schwierig, da alle Berufe neu sind und entsprechende Erfahrungen fehlen. Empathisches sowie kommunikatives Talent, Erfahrungen im digitalen Umfeld, ein großes Fachwissen sowie Unternehmensverbundenheit, Langmut und Herzblut sollten aber vorhanden sein, um ein möglichst professionelles Team aufstellen zu können.
Aufgaben
Die Teamaufgaben umfassen Aufklärungs- und Lobbyarbeiten sowie die Koordination innerhalb des Unternehmens. Das Führen des Dialogs im Social Web, Monitoren, Reporten und Interpretieren der Aktivitäten und Inhalte im Social Web sowie das Ableiten und Ausführen von Maßnahmen und Reaktionen bedingt durch das Social Web. Ziele Ziele des Dialogteams sind die Umsetzung der Social Media-Strategie, die interne sowie externe Verzahnung der Social Media-Prozesse sowie die Begleitung des kulturellen Wandels ausgelöst durch die Social Media-Aktivitäten. Darüber hinaus soll durch den aktiven öffentlichen Dialog die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung erhöht und die Ansprechbarkeit sowie Präsenz sichergestellt werden.
Kommunikationsgrundlagen
Eine Regel, die immer gilt, lautet: Beim nächsten Mal gilt die Regel nicht mehr. Was bedeutet das? Kommunikation ist ein individueller Vorgang, der weder vorhersagbar, noch überprüfbar ist. Erst bei Missverständnissen wird Kommunikation hinterfragt. Kommunikation aber grundsätzlich zu hinterfragen, um Missverständnisse zu minimieren, wäre zu aufwendig. Insofern ist es fast unmöglich, ein fixes Regelwerk für die Kommunikation 2.0 des Unternehmens mit seinen Kunden zu erstellen.
Trotzdem macht es Sinn, Regeln als gemeinsamen Ausgangspunkt zu vereinbaren, damit diese unternehmensintern dargestellt, prozessual abgebildet und mit den Beteiligten abgestimmt werden können. Jedoch ist es notwendig, allen Beteiligten mitzuteilen, dass diese Regeln lediglich einen Rahmen darstellen, der bei jeder Kommunikation neu interpretiert und angewandt werden kann. Es kann nötig werden, den Rahmen auszudehnen. Hier besteht die Kunst der Akteure darin, den Rahmen sensibel, wenn nötig auch abgestimmt, zu erweitern.
Kommunikationsregeln und –rahmung
Schnell fällt beim Thema Dialog 2.0 das Stichwort „Dialog auf Augenhöhe“, welches, ergänzt durch die Attribute transparent, authentisch und empathisch, mit Sicherheit der anzustrebende kommunikative Auftritt eines Unternehmens im Social Media ist. Das ist schnell gesagt, mit Sicherheit gut gemeint, jedoch zumeist nicht definiert und somit frei auslegbar. Im Folgenden wird versucht, die Worthülse „Dialog auf Augenhöhe“ mit Inhalt zu füllen.
Dialog auf Augenhöhe bedeutet, dass das Unternehmen Teil der Community ist, um mit seinen Kunden im Social Web einen respektvollen und gleichberechtigten Dialog führen zu können. Klingt gut, nur wie setzt man das um? Folgende Regeln können helfen, einen geeigneten Rahmen abzustecken.
Rechtschreib- und Grammatikregeln
sollten im digitalen Kosmos ganz besondere Beachtung finden. Durch eine korrekte Schreibweise und Interpunktion drückt der Schreiber seinem Kunden gegenüber Respekt aus – losgelöst dessen, wie seine vorherige Ansprache lautete. Über die im Duden definierten Regeln hinaus, gilt die in Unternehmen intern vereinbarte Schreibweise für Produktnamen und/oder Fremdworte. Ein Beispiel hierfür ist die mannigfaltige Schreibweise des Begriffs „eMail“: EMail, E-Mail, Email, e-Mail. Auch diese Vereinbarungen finden im Dialog 2.0 Anwendung.
Gespiegelte Anrede
bedeutet, dass in der Kundenansprache grundsätzlich die Anrede des Kunden übernommen (gespiegelt) wird. Verwendet der Kunde das förmliche „Sie“, wird auch er gesiezt. Duzt der Kunde die Agents, wird auch er mit „Du“ angesprochen. Geht die Kommunikation vom Social Media-Team aus, wird der Kunde mit „Sie“ angesprochen. Auch die Regel der gespiegelten Anrede sollte von Fall zu Fall individuell überdacht werden. Es macht keinen Sinn, die Anrede eines aufgebrachten Kunden, der duzenderweise massive Kritik am Unternehmen äußert, zu spiegeln. In einem solchen Falle wäre es angemessener, den Kritiker respektvoll zu siezen.
Humanizing
nivelliert die Kommunikationsebene. Grund dafür: Marken können nicht mit Kunden sprechen, das können nur die Mitarbeiter. Ein essentieller Schritt, um den Ansprüchen an die individuelle
Kommunikation im Social Web gerecht zu werden, ist die Vermenschlichung der Marke. Die Social Media-Agents werden hier per Foto „sichtbar gemacht“ und die Antworten auf Kundenanfragen durch Signaturen personalisiert. Durch diese Signaturen kann jede im Social Web abgegebene Antwort rückverfolgt und einem Agent zugeordnet werden. Diese Maßnahme treibt den Kulturwandel eines Unternehmens im besonderem Maße voran. Kommt er doch der Aktion gleich, die Durchwahlnummern von Callcenter-Mitarbeitern Kunden gegenüber verfügbar zu machen.
Textbausteine
sollten möglichst vermieden werden, denn sie sind in den meisten Fällen als solche erkennbar und werden als respektlos empfunden. Der Aufwand „handmade“ zu antworten, ist höher, wird sich aber positiv auf die Kundenbeziehung auswirken – klar im Vorteil gegenüber standardisierter Kommunikation.
Emoticons,
eine Wortkreuzung aus Emotion und Icon, kommen als neue Bestandteile der Kommunikation hinzu [9]. Durch die Verwendung von Emoticons können mit wenigen Zeichen Emotionen angezeigt oder ein eventuell missverständlicher Kontext richtig eingestuft werden. Die Aussage „Na super, dann muss ich bis morgen warten.“ in Kombination mit :-) bedeutet, dass es dem Verfasser nichts ausmacht, bis zum nächsten Tag zu warten. Die Aussage in Kombination mit :-( dagegen drückt aus, dass sich der Kunde nicht damit zufrieden geben will. So gilt es also den Social Media-Agents die Bedeutung und den Einsatz von Emoticons zu vermitteln.
Öffnungszeiten
sind legitim und akzeptiert, denn bisher kann es sich kein Unternehmen leisten, einen 24/7-Support im Social Web anzubieten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Social Media-Kanäle außerhalb dieser Antwortzeiten geschlossen werden. Auch außerhalb der Antwortzeiten können und werden Kunden ihre Anfragen stellen. Antworten erfolgen allerdings nur während angegebener Öffnungszeiten. Wichtigster Punkt zum Thema Öffnungszeiten ist, den Kunden klar zu kommunizieren, wann die Social Media-Agents erreichbar sind.
Netiquette
ist die Basis der Kommunikation. Wikipedia schreibt dazu: „Unter Netiquette oder Netikette […] versteht man das gute Benehmen in der technischen (elektronischen) Kommunikation. […].” [11] Netiquette könnte man auch als die digitale Hausordnung bezeichnen, die einen Rahmen für das Miteinander auf den durch das Unternehmen zur Verfügung gestellten Kanälen vorgibt. Dabei ist mit Miteinander der Umgang des Unternehmens mit dem Kunden, des Kunden mit dem
Unternehmen, aber auch der Kunden untereinander gemeint. Es gehört zu den Pflichten des Betreibers auf die Einhaltung der Netiquette zu achten und bei Verstoß gegen diesen Rahmen entsprechende Hinweise zu geben. In letzter Konsequenz muss der entsprechende Teilnehmer
gesperrt oder dessen Äußerung gelöscht werden – sofern die Plattform dies technisch zulässt.
Zu guter Letzt noch eine Weisheit, die schon bei so manchem kritischen Dialog hilfreich war: „Sich zu entschuldigen, heißt nicht immer, dass man einen Fehler gemacht und der andere Recht hat. Es bedeutet vielmehr, dass man die Beziehung höher bewertet als das Ego.“
Profilierung
Wenn der Kommunikationsrahmen festgelegt ist, stellt sich die Frage, mit wem ich kommuniziere oder wer mich anspricht. Stehen uns im „normalen“ Leben von den fünf Sinnen, vier (Sehen, Hören, Riechen, Tasten) zur Einordnung unseres Gesprächspartners zur Verfügung, so reduziert sich das in den digitalen Kanälen auf nur noch einen Sinn, das Sehen. Das galt zwar auch schon für das Medium E-Mail, jedoch ist im Dialog 2.0 neu, dass es hier potentiell Tausende von Mitlesern gibt. Die Kunst besteht also darin, seinen Gesprächspartner trotz der dürftigen Informationen in der Form lesen und erkennen zu lernen, dass man adäquat auf ihn reagieren kann.
Nimmt man Niklas Luhmann beim Wort, sollte man sich bei der Profilierung Folgendes vor Augen halten: „Kommunikation beginnt deshalb […] mit dem Verstehen und nicht, wie oft angenommen wird, mit einer Mitteilung.“ [12]
Innerhalb dieses Spannungsfeldes bewegt sich die Einschätzung und Profilierung meines Gegenübers. Und diese Profilierung ist entscheidende Grundlage, einem Gesprächspartner auf Augenhöhe zu begegnen und unter Berücksichtigung der Kommunikationsrahmung
zu antworten. Daraus ergeben sich drei Fragen: 1. Mit wem spreche ich? 2. Was will er/sie? 3. Auf welcher Ebene antworte ich ihm/ihr?
Die Antwort auf Frage 1 bekomme ich, indem ich alle zur Verfügung stehenden Profilinformationen (Geschlecht; Vor- und Nachname – sofern der Klarname angegeben ist; Profilbild; Beziehungsstatus; Arbeits- oder Wohnort; Arbeitgeber und so weiter), die je nach Plattform variieren, lese und in Zusammenhang bringe.
Die Antwort auf Frage 2 zielt weniger auf den fachlichen Inhalt einer Nachricht, als vielmehr auf drei der vier Aspekte einer Äußerung nach Friedemann Schulz von Thun´s [13] Kommunikationsquadrat:
Erstens, Appell im Sinne von: Ich möchte, dass Du etwas für mich tust. Zweitens, die Beziehungsebene: Ich möchte, dass Du mich beachtest und ernst nimmst. Drittens, die Selbstoffenbarungsebene: Ich möchte, dass Du etwas zur Kenntnis nimmst.
Die Antwort auf Frage 3 resultiert aus dem sich ergebenden Bild des Gesprächspartners (Grundlage sind die Antworten auf die Fragen 1 und 2) in Kombination mit den Kommunikationsregeln und der Formulierung einer Antwort in Kenntnis der fachlich richtigen Auskunft.
Was sich bis hierhin sehr wissenschaftlich darstellt, kann natürlich in der Praxis nicht jedes Mal in epischer Breite abgearbeitet werden. Dennoch sollte die Ausbildung der Social Media-Agents auf dieser Basis aufbauen, um deren nötige Sensibilität im digitalen, öffentlichen
Dialog sicherzustellen. In der Praxis werden die Agents den Dialog mit wachsender Erfahrung intuitiv führen können.
Prozesse und Workflows
Der Prolog des Cluetrain Manifestes lautet [14]: „Vernetzte Märkte beginnen sich schneller selbst zu organisieren als die Unternehmen, die sie traditionell beliefert haben. Mit Hilfe des Webs werden Märkte besser informiert, intelligenter und fordernder hinsichtlich der Charaktereigenschaften, die den meisten Organisationen noch fehlen.“
Anders ausgedrückt könnte das lauten: „Social Media ist kein prozessfreier Raum“ oder „Ohne Verzahnung der Prozesse nach innen gibt es kein effizientes und eloquentes Kommunizieren nach außen.“
Das Internet ist eine Anarchie und Unternehmen brauchen Prozesse. Was bedeutet das? Wenn beide miteinander zu tun haben sollen, muss man den Treffpunkt beider Welten definieren. Den Treffpunkt definiert man, indem man für die dialogische Arbeit im Social Web administrativ
möglichst schlanke Social Media-Prozesse definiert, welche dann mit den bestehenden Prozessen im Unternehmern verknüpft werden.
Wichtig dabei ist, dass man in der Außenkommunikation beachtet, dass Anfragen aus dem Social Web innerhalb kürzester Zeit (als Anhaltspunkt: Twitter < 10 Minuten, Facebook < 30 Minuten) beantwortet, aber nicht sofort gelöst werden müssen. Das sollte man den Kunden
natürlich wissen lassen. Eine Antwort, die sinngemäß besagt: „Ich habe Dich gesehen und werde mich um Deine Angelegenheit kümmern, dass kann aber x Stunden dauern“, wird in den meisten Fällen akzeptiert.
Vor Kunden, die eine schnellere und bevorzugte Behandlung über die sozialen Kanäle erwarten, sollte man sich hüten, denn wenn man dieses Tor öffnet, wird man es nicht mehr schließen können. Strategisch sollte man die Erwartung von Kunden, über die sozialen Kanäle individueller behandelt und schneller eine Antwort zu bekommen, befriedigen, aber deutlich klarstellen, dass ansonsten „Social Media-Kunden“ gegenüber „normalen Kunden“ keine Extrabehandlung zu erwarten haben.
Skills und Ausbildung der Social Media-Agents
Der Beruf des Social Media-Agents ist eine logische Weiterentwicklung des Callcenter-Agents, da der bereits die Fähigkeit erlangt hat, mit Kunden zu korrespondieren. Der Aufbau beinhaltet somit
„nur“ die Zusatzqualifikation öffentlich über die sozialen Kanäle zu kommunizieren. Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass sich ausschließlich Callcenter-Agents für den Beruf des Social Media-
Agents eignen.
Jeder Mitarbeiter, der folgende Skills sein eigen nennt, ist für die Tätigkeit im Kundendialog 2.0 geeignet: Kommunikatives sowie emphatisches Talent, tiefgründiges Fachwissen und große Marken-/
Unternehmensidentifikation.
Die Ausbildung der Social Media-Agents umfasst ein circa vierwöchiges Programm. Dabei werden unter anderem folgende Inhalte vermittelt:
Kanäle
Jeder Kanal im Social Web hat seine eigenen Regeln, Spezifika, Mechaniken und Dynamiken. So ist Twitter eher dialogisch (One-to-One) und Facebook eher communityartig (One-to-Many, Many-to-Many) aufgebaut. Es gilt also, den Agents zu vermitteln, wie man sich in den spezifischen Kanälen bewegt und benimmt, die für das Unternehmen als Dialogkanäle ausgewählt wurden.
Rollen
Es hat sich als sinnvoll erwiesen, innerhalb eines Dialogteams folgende drei Rollen in der täglichen Arbeit zu definieren. Wichtig dabei ist, dass jedes Teammitglied jede Rolle beherrscht und sich zu jeder Zeit darüber bewusst ist, in welcher Rolle es gerade steckt. Die erste Funktion ist die des Sichters. Seine Aufgabe ist es, die aus dem Social Web eintreffenden Nachrichten zu beurteilen und der Rolle des Agents zuzuweisen. Der Agent ist eine Art Pate für die jeweils ihm zugewiesene Anfrage. Er ist dafür verantwortlich, dass eine fachlich und emphatisch hochwertige Antwort zeitgerecht dem Kunden zur Verfügung gestellt wird. Bevor der Agent jedoch die Antwort an den Kunden abschicken darf, muss ein Teammitglied in Funktion der dritten Rolle, der sogenannte Emphatisant, die Antwort gegenlesen. Aufgabe des Emphatisanten ist es, unangebrachte Emotionen (Sarkasmus, Ironie, und so weiter) aus der Antwort zu eliminieren.
Profiling
Wie weiter vorne bereits näher beschrieben, werden die Social Media- Agents intensiv in der Fähigkeit des Profilings ausgebildet, um die Wahrscheinlichkeit von kommunikativen Missverständnissen zu minimieren.
Syntax
Neben der selbstverständlich korrekten Rechtschreibung und Grammatik ist man in den Social Media-Kanälen unterschiedlicher Syntax unterworfen, die wiederum Implikationen auf die Art und
Weise des Ausdrucks und das Präsentieren der Inhalte hat. In Twitter ist alleine die Beschränkung auf 140 Zeichen pro Tweet eine Herausforderung, die mit dem Ziel angegangen werden muss, sämtliche relevante Information so zu reduzieren, dass sie in einen Tweet „passen“. Bei Facebook gibt es derartige Beschränkungen praktisch nicht mehr, jedoch ist es auch hier die Kunst, Information möglichst verständlich und kurz zu präsentieren.
Die theoretische Vermittlung der Inhalte nimmt in etwa ein Drittel der Ausbildungszeit in Anspruch. In den restlichen zwei Dritteln wird die erworbene Theorie in praktischer Anwendung eingeübt. Dabei werden reelle Kundenanfragen in sich steigernden Eskalationsszenarien beantwortet und dazu korrespondierende Prozesse gelernt. Die Steigerung wird dadurch erreicht, dass man die Übungen zunächst innerhalb der Ausbildungsgruppe hält, gefolgt von der Erweiterung
der Testgruppe auf Unternehmensmitarbeiter, die nicht Teil der Ausbildungsgruppe sind, um dann im finalen Praxistest ausgewählte Kunden hinzuzuziehen.
Fazit und Empfehlung
Die Herleitung der Notwendigkeit von Dialog 2.0 und die Aufführung der dazu zu beachtenden Eckdaten in diesem Text erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Darüber hinaus sind die Vorschläge nicht als Blaupause zu verstehen, da jedes Unternehmen passend zu seiner Unternehmens-DNA seine Social Media-Aktivitäten planen und ausführen sollte. Der Social Media-Anzug muss also jedes Mal neu geschneidert werden, damit er zur Unternehmens-Persönlichkeit passt. Geliehene Anzüge sehen wie Verkleidungen aus – das merkt der Kunde.
Es sei nochmals betont, dass die Zeiten der durch Praktikanten oder Trainees eröffneten Facebook-Pinnwände vorbei sind (oder sein sollten) und ein so komplexes Unterfangen wie der Dialog 2.0 mit einem nicht zu unterschätzenden Bedarf an Ressourcen, Zeit und Budget einhergeht.
Trotzdem ist es ratsam, den Weg in den Dialog 2.0 zu suchen, denn er wird in Kürze so selbstverständlich sein wie E-Mail. Unternehmen, die über die sozialen Kanäle nicht ansprechbar sind, werden über kurz oder lang einen Wettbewerbsnachteil erleiden.
Bleibt die Frage, wann man damit anfangen sollte. Heute? Nicht unbedingt, aber man sollte bedenken, dass man nicht abwarten kann, was die Mitbewerber so machen, um dann in ein paar Jahren mit Dialog 2.0 zu beginnen, denn den Dialog 2.0 kann man nicht wie eine Software anschalten. Dialog 2.0 zu „machen“, bedeutet Veränderung im Unternehmen. Veränderung im Unternehmen bedeutet, dass sich die Menschen verändern müssen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und braucht Zeit sich zu verändern. Je früher man also anfängt auszuprobieren, wie es da draußen im digitalen öffentlichen Kanal funktioniert, desto mehr Erfahrung hat man in fünf Jahren. Und Erfahrung hat, wie man weiß, eine zeitliche Komponente, die durch keine Anstrengung der Welt abzukürzen ist.
Literatur
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Schlagwort_%28Sprachwissenschaft %29,
aufgerufen am 02.05.2012
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0, aufgerufen am 02.05.2012
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Social_Media, aufgerufen am 02.05.2012
[4] Scott Cook, Bain & Company
[5] Jeff Bezos, Amazon
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Anarchie, aufgerufen am 02.05.2012
[7] http://www.cluetrain.com/auf-deutsch.html, aufgerufen am 03.05.2012
[8] http://www.telekom-hilft.de/team, aufgerufen am 11.05.2012
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Emoticons, aufgerufen am 11.05.2012
[10] http://www.facebook.com/dbbahn, aufgerufen am 11.05.2012
[11] http://de.wikipedia.org/wiki/Netiquette, aufgerufen am 11.05.2012
[12] http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikation_%28soziologische_
Systemtheorie%29, aufgerufen am 18.05.2012
[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Friedemann_Schulz_von_Thun#Das_
Kommunikationsquadrat, aufgerufen am 18.05.2012
[14] http://www.cluetrain.com/auf-deutsch.html, aufgerufen am 18.05.2012
http://www.marketing-boerse.de/Buch/details/1238-Leitfaden-Digitaler-Dialog-Professioneller-Kundenkontakt-mit-Social-Media-E-Mail-und-Mobile
Das Internet ist voller Buzzwords und Anglizismen wie: Social Media, Employer Branding, Engagement, Involvement, Like, Post, Tweet, Retweet, Pin, Repin und nicht zu vergessen der berühmt-berüchtigte Shitstorm – aber das ist ein anderes Thema.
Wikipedia definiert „Buzzword“ wie folgt: „Als Schlagwort (englisch: buzzword oder catchword, französisch: slogan) bezeichnet man einen Begriff oder Spruch, mit dem beim Zuhörer um besondere Beachtung gebuhlt wird […].“ [1] und genau in diesem „Buhlen um besondere
Beachtung“ liegen Fluch und Segen der vielen Schlagworte. Segen, weil ein Thema dadurch erst Aufmerksamkeit bekommt. Fluch, weil oftmals eine Aufgeregtheit und ein Hype erzeugt werden, der das Thema künstlich überhöht und deshalb den Blick für das Wesentliche verstellt. Glücklicherweise legt sich der Hype langsam und macht den Blick frei für das Wesentliche im Social Media.
Was ist „Dialog 2.0“?
Was ist das Wesentliche im Social Media und wieso ist in diesem Zusammenhang „Dialog 2.0“ so essenziell? Vor Kurzem hieß das Social Web noch Internet. Im Internet erhielt man Informationen
und konnte Informationen bereitstellen. Die nächste Stufe war erreicht, als Unternehmen über die digitale Visitenkarte hinaus, ihr Unternehmensziel in den digitalen Kanälen zu realisieren versuchten: Es ging um Wachstum und das Generieren von Umsatz – Name: „E-Commerce“. In den Anfängen des E-Commerce gab es ebenso wie heute beim Thema Social Media Befürworter, Skeptiker und jede Menge Hype, der erst mit Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im März 2000 endete. Die Divergenz zwischen Befürwortern und Skeptikern verdeutlicht ein Spot der Firma IBM, der die Anfänge des E-Commerce thematisiert. Dort unterhalten sich zwei zeitunglesende Manager über das Internet. Der Ältere sagt: „Hier steht: Das Internet ist die Zukunft im Business. Wir müssen ins Internet.“ Der Jüngere überlegt kurz und antwortet: „Wieso?“ Daraufhin der Ältere: „Steht
nicht da.“
Heute ist E-Commerce integraler, selbstverständlicher Bestandteil des Alltags. Generationenübergreifend werden Bücher bei Amazon bestellt oder Tickets für Konzerte geordert. Niemand denkt mehr darüber nach, wo und wie er konsumiert. Einziges Kriterium ist die
Effizienz. Wo bekomme ich was, ohne Verzögerung, am günstigsten, bei minimalem Einsatz meiner finanziellen wie zeitlichen Ressourcen? Heute wissen Unternehmen, was die beiden Protagonisten des IBMSpots noch nicht wussten: Es macht Sinn, die digitalen Läden zu füllen, denn die Konsumenten wollen dort einkaufen.
Die nächste Stufe des Internet trug den Namen „Web 2.0“. Wikipedia definiert ihn folgendermaßen: „Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets,
speziell des World Wide Webs, verwendet wird. Hierbei konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als Prosument selbst Inhalt zur Verfügung. […].“ [2] Neu war, dass Nutzer und Kunden ohne
Programmierkenntnisse Inhalte im Internet publizieren konnten. Der Prosumer, ein Mischwort aus Produzent und Konsumer, war geboren. Erstmals konnte jeder, der einen Internetzugang besaß, ohne weitere technische Hürden Text, Bild, Audio und Video veröffentlichen. Die Einbahnstraße, Informationen online abzufragen, hatte sich zu einem rückkanalfähigen Medium entwickelt. Diese (technische) Voraussetzung war Grundlage für die Geburt des Social Media.
Wikipedia definiert „Social Media“ wie folgt: „Social Media (auch Soziale Medien) bezeichnen digitale Medien und Technologien […], die es Nutzern ermöglichen, sich untereinander auszutauschen
und mediale Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft zu gestalten. Soziale Interaktionen und Zusammenarbeit […] in sozialen Medien gewinnen zunehmend an Bedeutung und wandeln mediale Monologe (One-to-Many) in sozial-mediale Dialoge (Many-to-Many). Zudem
unterstützt es die Demokratisierung von Wissen und Informationen und entwickelt den Benutzer von einem Konsumenten zu einem Produzenten. Es besteht weniger oder kein Gefälle mehr zwischen
Sender und Rezipienten (Sender-Empfänger-Modell). […].“ [3] Zwei Besonderheiten fallen auf: Zum einen wird es Individuen ermöglicht, an den bis dahin benötigten klassischen Medien vorbei, ihre Meinung (öffentlich) zu äußern. Zum anderen nivelliert sich das Gefälle zwischen
Sender und Rezipient.
Was bedeutet das für Unternehmen? Kunden können direkt und mit potenziell Tausenden von Mitlesern Anfragen an und Kritik über Unternehmen veröffentlichen. Mögliche Auswirkungen verdeutlichen die folgenden zwei Aussagen: „A brand is no longer what we tell the
consumer it is – it is what consumers tell each other it is.” [4] und „If you make customers unhappy in the physical world, they might each tell 6 friends. If you make customers unhappy on the Internet, they
can each tell 6,000 friends.” [5]
Diese Entwicklung klingt beängstigend, da sie einen gefühlten sowie faktischen Kontrollverlust mit sich bringt, für den es zunächst keinen üblichen Handlungsspielraum gibt. Woher kommt dieses Gefühl? Das Internet ist eine Anarchie (Wikipedia: „Anarchie […] bezeichnet einen
Zustand der Abwesenheit von Herrschaft. […]“ [6]), die per Definition nicht kontrollier- beziehungsweise beherrschbar ist. Bisher gelernte Strukturen, Prozesse und Kanäle der klassischen Medien verlieren nicht ihre Gültigkeit, werden aber durch das Social Web ergänzt.
In diesem Social Web gilt aber das Gelernte und Gewohnte nicht mehr. Der Sender (Unternehmen) ist eingereiht in die Empfänger (Kunden) und sieht sich anderen Sendern (Kunden) gegenüber. Durch
die Anwesenheit anderer Sender (Kunden) wird auch er – und das ist neu – zum Empfänger.
Das klingt kompliziert und wirft die Frage auf, wie Unternehmen mit dem neuen Kanal Social Media und dem Kontrollverlust umgehen sollen. Dass Kunden mit Unternehmen kommunizieren, ist nicht
neu – dafür existieren Callcenter. Dass Unternehmen mit Kunden kommunizieren, ist auch nicht neu – man nennt es Marketing. Dialog existierte also schon. Neu ist, dass der Dialog im öffentlichen Raum
stattfindet und diese Öffentlichkeitsarbeit, die zuvor Hoheitsgebiet der PR- und Kommunikationsabteilungen war, jetzt durch jede Abteilung und jeden Mitarbeiter eines Unternehmens wahrgenommen werden kann. Hiermit sind wir beim Dialog 2.0 angekommen.
Dialog 2.0 ist eine große Herausforderung für Unternehmen und bietet gleichzeitig eine große Chance. Diese Chance nutzt der Teilnehmer des Social Web über zwei neue Handlungsansätze: Zum einen gilt es, durch aktives Publizieren von Informationen (Storytelling), die Gespräche um und über das Unternehmen zu steuern (nicht zu kontrollieren).
Des Weiteren kann er durch seine Ansprechbarkeit in den sozialen Kanälen mit dem Kunden ins Gespräch kommen. Beides setzt die unternehmerische Fähigkeit, Dialog 2.0 zu führen, voraus.
„Märkte sind Gespräche,“ postulierten schon 1999 die vier USAmerikaner Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger in ihrem berühmten Cluetrain Manifest [7]
mit dem Unterschied, dass damals niemand wusste, was gemeint war. Heute kristallisiert sich die visionäre Bedeutung des Manifests heraus und kommt in Slogans wie „Kundendialog 2.0 ist das neue Marketing“ oder „Kundendialog 2.0 ist Grundvoraussetzung für den vertriebsintelligenten Dialog mit dem Kunden 3.0“ daher. Genauso selbstverständlich wie heute Unternehmen via E-Mail, Telefon, Fax und Brief erreichbar sind, genauso selbstverständlich wird es zukünftig sein, dass Unternehmen über die sozialen Netze mit ihren Kunden kommunizieren. Es stellt sich also nicht die Frage, ob man den Dialog 2.0 beginnt, die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt es Sinn macht, den Dialog zu eröffnen.
Wenn „Dialog 2.0“ ein Anfang ist, wie fängt man es an?
Grundsätzlich gibt es einen aktiven und einen reaktiven Ansatz für Dialog. Der aktive Ansatz wird unter dem Buzzword „Storytelling“ subsumiert und erfüllt die Aufgabe, aktiv Informationen über
das Unternehmen, die Marke und deren Produkte auf möglichst unterhaltsame Weise komprimiert und verständlich zur Verfügung zu stellen. Beherrscht man die Kunst des Erzählens und verankern sich die Geschichten beim Kunden, wird das zum Anlass, dass Kunden miteinander über die Marke, aber auch mit der Marke sprechen werden.
Der reaktive Ansatz umfasst die Bereiche Service und Support. Genauso wie Kunden auch vor dem Social Web Anlass hatten, über Produkte oder Dienstleistungen mit Unternehmen in Kontakt zu treten, genauso wollen sie das immer noch. Heute vermehrt öffentlich über die sozialen Kanäle.
Für beide Ansätze gilt es als Grundvoraussetzung, dass Unternehmen den Dialog 2.0 in den Strukturen und Prozessen sowie in der Firmenkultur verankern. Denn wenn der Dialog 2.0 „nach innen“ nicht legitimiert, organisiert und gelebt ist, wird er „nach außen“ nicht authentisch und angemessen schnell funktionieren.
Die Frage ist: Wie implementiert man Dialog 2.0 im Unternehmen? Die Antwort lautet: Man definiert, in Form eines sogenannten „Social Media Service-Handbuchs“, an welcher Stelle sich Unternehmen und Social Web treffen.
Hierbei gilt die Prämisse: Vorbereitung versa Aktionismus. Es macht Sinn, sich etwas länger vorzubereiten, als aktionistisch zu früh im Social Web zu starten, denn wenn man erst einmal die öffentliche Bühne betreten hat, gibt es kein Zurück mehr. Die fehlende Vorbereitung
muss dann unter Zeitdruck nachgeholt werden, was auf Kosten der Qualität geht.
Das Handbuch erfüllt drei Aufgaben. Erstens manifestiert es, was im Zuge des Projekts und im späteren Betrieb getan werden soll, aber auch, was nicht. Daraus ergibt sich der Kommunikations- und Handlungsspielraum. Zweitens wird das Handbuch für die interne sowie externe Öffentlichkeitsarbeit genutzt. Intern stellt es Kollegen und Mitarbeitern die Informationen zur Verfügung, die sie brauchen, um den „Dialog 2.0-Schritt“ verstehen zu können, aber auch, um
unerlässliche Schnittstellen für den Dialog zu gewinnen. Extern sorgt das Handbuch bei den sogenannten Influencern für die nötige Transparenz, die ein möglichst objektives Bild zulässt. Drittens ist das Handbuch Grundlage für die Schulung der Social Media-Agents, die nach Eröffnung der Kanäle die Kommunikation der Marke im Web führen und somit personifizieren.
Das Social Media Service-Handbuch
Im Social Media Service-Handbuch werden Prozesse, Strukturen, Workflows und Schnittstellen beschrieben. Ziel ist es, jeder beteiligten Unit und jedem essentiellem Thema im Handbuch Raum zu geben. Dort wird in Absprache mit den Beteiligten definiert, was gilt und wo Social Media die internen strukturellen sowie kulturellen Grenzen (noch) nicht überschreiten soll. Insofern ist das Handbuch die konzerninterne Vereinbarung darüber, innerhalb welchen Rahmens der Dialog 2.0 stattfinden darf und kann. Beim Aufbau eines Handbuchs macht es Sinn, die Grundlagen des Dialogs unabhängig der zum Einsatz kommenden Social Media-Kanäle zu definieren und die Kanäle dann modular einzufügen. So kann man neue Kanäle als Modul nachschulen, ohne die sonstigen Grundlagen neu justieren zu müssen.
Im Folgenden werden grundlegende Abschnitte des Handbuchs näher beschrieben. Neben diesen Themen gibt es zahlreiche weitere, die je nach Projekt und Unternehmen individuell erarbeitet werden
müssen.
Aufbau, Auswahl, Aufgaben und Ziele eines Dialogteams
Die Zeiten, in denen Praktikanten und Trainees Facebook-Pinnwände eröffneten und das Unternehmen damit überrascht wurde, dass dort Kunden Antworten erwarteten, neigen sich (zum Glück) ihrem Ende entgegen. Social Media ist weder ein prozessfreier Raum noch
kommt er ohne Ressourcen aus. Dafür gilt es, ein Team aufzubauen, auszubilden und im Unternehmen zu etablieren, welches im Namen des Unternehmens den Dialog führt und für Kunden ansprechbar ist.
Aufbau
Der idealtypische Aufbau eines Social Media-Dialogteams sollte die Positionen des Social Media-Managers, der Social Media-Agents, des Community Managers und des Online-Speakers umfassen. Ob und wie das zum jeweiligen Unternehmen passt, muss im Einzelfall und projektabhängig geklärt werden.
Auswahl
Die Auswahl der Ressourcen ist schwierig, da alle Berufe neu sind und entsprechende Erfahrungen fehlen. Empathisches sowie kommunikatives Talent, Erfahrungen im digitalen Umfeld, ein großes Fachwissen sowie Unternehmensverbundenheit, Langmut und Herzblut sollten aber vorhanden sein, um ein möglichst professionelles Team aufstellen zu können.
Aufgaben
Die Teamaufgaben umfassen Aufklärungs- und Lobbyarbeiten sowie die Koordination innerhalb des Unternehmens. Das Führen des Dialogs im Social Web, Monitoren, Reporten und Interpretieren der Aktivitäten und Inhalte im Social Web sowie das Ableiten und Ausführen von Maßnahmen und Reaktionen bedingt durch das Social Web. Ziele Ziele des Dialogteams sind die Umsetzung der Social Media-Strategie, die interne sowie externe Verzahnung der Social Media-Prozesse sowie die Begleitung des kulturellen Wandels ausgelöst durch die Social Media-Aktivitäten. Darüber hinaus soll durch den aktiven öffentlichen Dialog die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung erhöht und die Ansprechbarkeit sowie Präsenz sichergestellt werden.
Kommunikationsgrundlagen
Eine Regel, die immer gilt, lautet: Beim nächsten Mal gilt die Regel nicht mehr. Was bedeutet das? Kommunikation ist ein individueller Vorgang, der weder vorhersagbar, noch überprüfbar ist. Erst bei Missverständnissen wird Kommunikation hinterfragt. Kommunikation aber grundsätzlich zu hinterfragen, um Missverständnisse zu minimieren, wäre zu aufwendig. Insofern ist es fast unmöglich, ein fixes Regelwerk für die Kommunikation 2.0 des Unternehmens mit seinen Kunden zu erstellen.
Trotzdem macht es Sinn, Regeln als gemeinsamen Ausgangspunkt zu vereinbaren, damit diese unternehmensintern dargestellt, prozessual abgebildet und mit den Beteiligten abgestimmt werden können. Jedoch ist es notwendig, allen Beteiligten mitzuteilen, dass diese Regeln lediglich einen Rahmen darstellen, der bei jeder Kommunikation neu interpretiert und angewandt werden kann. Es kann nötig werden, den Rahmen auszudehnen. Hier besteht die Kunst der Akteure darin, den Rahmen sensibel, wenn nötig auch abgestimmt, zu erweitern.
Kommunikationsregeln und –rahmung
Schnell fällt beim Thema Dialog 2.0 das Stichwort „Dialog auf Augenhöhe“, welches, ergänzt durch die Attribute transparent, authentisch und empathisch, mit Sicherheit der anzustrebende kommunikative Auftritt eines Unternehmens im Social Media ist. Das ist schnell gesagt, mit Sicherheit gut gemeint, jedoch zumeist nicht definiert und somit frei auslegbar. Im Folgenden wird versucht, die Worthülse „Dialog auf Augenhöhe“ mit Inhalt zu füllen.
Dialog auf Augenhöhe bedeutet, dass das Unternehmen Teil der Community ist, um mit seinen Kunden im Social Web einen respektvollen und gleichberechtigten Dialog führen zu können. Klingt gut, nur wie setzt man das um? Folgende Regeln können helfen, einen geeigneten Rahmen abzustecken.
Rechtschreib- und Grammatikregeln
sollten im digitalen Kosmos ganz besondere Beachtung finden. Durch eine korrekte Schreibweise und Interpunktion drückt der Schreiber seinem Kunden gegenüber Respekt aus – losgelöst dessen, wie seine vorherige Ansprache lautete. Über die im Duden definierten Regeln hinaus, gilt die in Unternehmen intern vereinbarte Schreibweise für Produktnamen und/oder Fremdworte. Ein Beispiel hierfür ist die mannigfaltige Schreibweise des Begriffs „eMail“: EMail, E-Mail, Email, e-Mail. Auch diese Vereinbarungen finden im Dialog 2.0 Anwendung.
Gespiegelte Anrede
bedeutet, dass in der Kundenansprache grundsätzlich die Anrede des Kunden übernommen (gespiegelt) wird. Verwendet der Kunde das förmliche „Sie“, wird auch er gesiezt. Duzt der Kunde die Agents, wird auch er mit „Du“ angesprochen. Geht die Kommunikation vom Social Media-Team aus, wird der Kunde mit „Sie“ angesprochen. Auch die Regel der gespiegelten Anrede sollte von Fall zu Fall individuell überdacht werden. Es macht keinen Sinn, die Anrede eines aufgebrachten Kunden, der duzenderweise massive Kritik am Unternehmen äußert, zu spiegeln. In einem solchen Falle wäre es angemessener, den Kritiker respektvoll zu siezen.
Humanizing
nivelliert die Kommunikationsebene. Grund dafür: Marken können nicht mit Kunden sprechen, das können nur die Mitarbeiter. Ein essentieller Schritt, um den Ansprüchen an die individuelle
Kommunikation im Social Web gerecht zu werden, ist die Vermenschlichung der Marke. Die Social Media-Agents werden hier per Foto „sichtbar gemacht“ und die Antworten auf Kundenanfragen durch Signaturen personalisiert. Durch diese Signaturen kann jede im Social Web abgegebene Antwort rückverfolgt und einem Agent zugeordnet werden. Diese Maßnahme treibt den Kulturwandel eines Unternehmens im besonderem Maße voran. Kommt er doch der Aktion gleich, die Durchwahlnummern von Callcenter-Mitarbeitern Kunden gegenüber verfügbar zu machen.
Textbausteine
sollten möglichst vermieden werden, denn sie sind in den meisten Fällen als solche erkennbar und werden als respektlos empfunden. Der Aufwand „handmade“ zu antworten, ist höher, wird sich aber positiv auf die Kundenbeziehung auswirken – klar im Vorteil gegenüber standardisierter Kommunikation.
Emoticons,
eine Wortkreuzung aus Emotion und Icon, kommen als neue Bestandteile der Kommunikation hinzu [9]. Durch die Verwendung von Emoticons können mit wenigen Zeichen Emotionen angezeigt oder ein eventuell missverständlicher Kontext richtig eingestuft werden. Die Aussage „Na super, dann muss ich bis morgen warten.“ in Kombination mit :-) bedeutet, dass es dem Verfasser nichts ausmacht, bis zum nächsten Tag zu warten. Die Aussage in Kombination mit :-( dagegen drückt aus, dass sich der Kunde nicht damit zufrieden geben will. So gilt es also den Social Media-Agents die Bedeutung und den Einsatz von Emoticons zu vermitteln.
Öffnungszeiten
sind legitim und akzeptiert, denn bisher kann es sich kein Unternehmen leisten, einen 24/7-Support im Social Web anzubieten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Social Media-Kanäle außerhalb dieser Antwortzeiten geschlossen werden. Auch außerhalb der Antwortzeiten können und werden Kunden ihre Anfragen stellen. Antworten erfolgen allerdings nur während angegebener Öffnungszeiten. Wichtigster Punkt zum Thema Öffnungszeiten ist, den Kunden klar zu kommunizieren, wann die Social Media-Agents erreichbar sind.
Netiquette
ist die Basis der Kommunikation. Wikipedia schreibt dazu: „Unter Netiquette oder Netikette […] versteht man das gute Benehmen in der technischen (elektronischen) Kommunikation. […].” [11] Netiquette könnte man auch als die digitale Hausordnung bezeichnen, die einen Rahmen für das Miteinander auf den durch das Unternehmen zur Verfügung gestellten Kanälen vorgibt. Dabei ist mit Miteinander der Umgang des Unternehmens mit dem Kunden, des Kunden mit dem
Unternehmen, aber auch der Kunden untereinander gemeint. Es gehört zu den Pflichten des Betreibers auf die Einhaltung der Netiquette zu achten und bei Verstoß gegen diesen Rahmen entsprechende Hinweise zu geben. In letzter Konsequenz muss der entsprechende Teilnehmer
gesperrt oder dessen Äußerung gelöscht werden – sofern die Plattform dies technisch zulässt.
Zu guter Letzt noch eine Weisheit, die schon bei so manchem kritischen Dialog hilfreich war: „Sich zu entschuldigen, heißt nicht immer, dass man einen Fehler gemacht und der andere Recht hat. Es bedeutet vielmehr, dass man die Beziehung höher bewertet als das Ego.“
Profilierung
Wenn der Kommunikationsrahmen festgelegt ist, stellt sich die Frage, mit wem ich kommuniziere oder wer mich anspricht. Stehen uns im „normalen“ Leben von den fünf Sinnen, vier (Sehen, Hören, Riechen, Tasten) zur Einordnung unseres Gesprächspartners zur Verfügung, so reduziert sich das in den digitalen Kanälen auf nur noch einen Sinn, das Sehen. Das galt zwar auch schon für das Medium E-Mail, jedoch ist im Dialog 2.0 neu, dass es hier potentiell Tausende von Mitlesern gibt. Die Kunst besteht also darin, seinen Gesprächspartner trotz der dürftigen Informationen in der Form lesen und erkennen zu lernen, dass man adäquat auf ihn reagieren kann.
Nimmt man Niklas Luhmann beim Wort, sollte man sich bei der Profilierung Folgendes vor Augen halten: „Kommunikation beginnt deshalb […] mit dem Verstehen und nicht, wie oft angenommen wird, mit einer Mitteilung.“ [12]
Innerhalb dieses Spannungsfeldes bewegt sich die Einschätzung und Profilierung meines Gegenübers. Und diese Profilierung ist entscheidende Grundlage, einem Gesprächspartner auf Augenhöhe zu begegnen und unter Berücksichtigung der Kommunikationsrahmung
zu antworten. Daraus ergeben sich drei Fragen: 1. Mit wem spreche ich? 2. Was will er/sie? 3. Auf welcher Ebene antworte ich ihm/ihr?
Die Antwort auf Frage 1 bekomme ich, indem ich alle zur Verfügung stehenden Profilinformationen (Geschlecht; Vor- und Nachname – sofern der Klarname angegeben ist; Profilbild; Beziehungsstatus; Arbeits- oder Wohnort; Arbeitgeber und so weiter), die je nach Plattform variieren, lese und in Zusammenhang bringe.
Die Antwort auf Frage 2 zielt weniger auf den fachlichen Inhalt einer Nachricht, als vielmehr auf drei der vier Aspekte einer Äußerung nach Friedemann Schulz von Thun´s [13] Kommunikationsquadrat:
Erstens, Appell im Sinne von: Ich möchte, dass Du etwas für mich tust. Zweitens, die Beziehungsebene: Ich möchte, dass Du mich beachtest und ernst nimmst. Drittens, die Selbstoffenbarungsebene: Ich möchte, dass Du etwas zur Kenntnis nimmst.
Die Antwort auf Frage 3 resultiert aus dem sich ergebenden Bild des Gesprächspartners (Grundlage sind die Antworten auf die Fragen 1 und 2) in Kombination mit den Kommunikationsregeln und der Formulierung einer Antwort in Kenntnis der fachlich richtigen Auskunft.
Was sich bis hierhin sehr wissenschaftlich darstellt, kann natürlich in der Praxis nicht jedes Mal in epischer Breite abgearbeitet werden. Dennoch sollte die Ausbildung der Social Media-Agents auf dieser Basis aufbauen, um deren nötige Sensibilität im digitalen, öffentlichen
Dialog sicherzustellen. In der Praxis werden die Agents den Dialog mit wachsender Erfahrung intuitiv führen können.
Prozesse und Workflows
Der Prolog des Cluetrain Manifestes lautet [14]: „Vernetzte Märkte beginnen sich schneller selbst zu organisieren als die Unternehmen, die sie traditionell beliefert haben. Mit Hilfe des Webs werden Märkte besser informiert, intelligenter und fordernder hinsichtlich der Charaktereigenschaften, die den meisten Organisationen noch fehlen.“
Anders ausgedrückt könnte das lauten: „Social Media ist kein prozessfreier Raum“ oder „Ohne Verzahnung der Prozesse nach innen gibt es kein effizientes und eloquentes Kommunizieren nach außen.“
Das Internet ist eine Anarchie und Unternehmen brauchen Prozesse. Was bedeutet das? Wenn beide miteinander zu tun haben sollen, muss man den Treffpunkt beider Welten definieren. Den Treffpunkt definiert man, indem man für die dialogische Arbeit im Social Web administrativ
möglichst schlanke Social Media-Prozesse definiert, welche dann mit den bestehenden Prozessen im Unternehmern verknüpft werden.
Wichtig dabei ist, dass man in der Außenkommunikation beachtet, dass Anfragen aus dem Social Web innerhalb kürzester Zeit (als Anhaltspunkt: Twitter < 10 Minuten, Facebook < 30 Minuten) beantwortet, aber nicht sofort gelöst werden müssen. Das sollte man den Kunden
natürlich wissen lassen. Eine Antwort, die sinngemäß besagt: „Ich habe Dich gesehen und werde mich um Deine Angelegenheit kümmern, dass kann aber x Stunden dauern“, wird in den meisten Fällen akzeptiert.
Vor Kunden, die eine schnellere und bevorzugte Behandlung über die sozialen Kanäle erwarten, sollte man sich hüten, denn wenn man dieses Tor öffnet, wird man es nicht mehr schließen können. Strategisch sollte man die Erwartung von Kunden, über die sozialen Kanäle individueller behandelt und schneller eine Antwort zu bekommen, befriedigen, aber deutlich klarstellen, dass ansonsten „Social Media-Kunden“ gegenüber „normalen Kunden“ keine Extrabehandlung zu erwarten haben.
Skills und Ausbildung der Social Media-Agents
Der Beruf des Social Media-Agents ist eine logische Weiterentwicklung des Callcenter-Agents, da der bereits die Fähigkeit erlangt hat, mit Kunden zu korrespondieren. Der Aufbau beinhaltet somit
„nur“ die Zusatzqualifikation öffentlich über die sozialen Kanäle zu kommunizieren. Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass sich ausschließlich Callcenter-Agents für den Beruf des Social Media-
Agents eignen.
Jeder Mitarbeiter, der folgende Skills sein eigen nennt, ist für die Tätigkeit im Kundendialog 2.0 geeignet: Kommunikatives sowie emphatisches Talent, tiefgründiges Fachwissen und große Marken-/
Unternehmensidentifikation.
Die Ausbildung der Social Media-Agents umfasst ein circa vierwöchiges Programm. Dabei werden unter anderem folgende Inhalte vermittelt:
Kanäle
Jeder Kanal im Social Web hat seine eigenen Regeln, Spezifika, Mechaniken und Dynamiken. So ist Twitter eher dialogisch (One-to-One) und Facebook eher communityartig (One-to-Many, Many-to-Many) aufgebaut. Es gilt also, den Agents zu vermitteln, wie man sich in den spezifischen Kanälen bewegt und benimmt, die für das Unternehmen als Dialogkanäle ausgewählt wurden.
Rollen
Es hat sich als sinnvoll erwiesen, innerhalb eines Dialogteams folgende drei Rollen in der täglichen Arbeit zu definieren. Wichtig dabei ist, dass jedes Teammitglied jede Rolle beherrscht und sich zu jeder Zeit darüber bewusst ist, in welcher Rolle es gerade steckt. Die erste Funktion ist die des Sichters. Seine Aufgabe ist es, die aus dem Social Web eintreffenden Nachrichten zu beurteilen und der Rolle des Agents zuzuweisen. Der Agent ist eine Art Pate für die jeweils ihm zugewiesene Anfrage. Er ist dafür verantwortlich, dass eine fachlich und emphatisch hochwertige Antwort zeitgerecht dem Kunden zur Verfügung gestellt wird. Bevor der Agent jedoch die Antwort an den Kunden abschicken darf, muss ein Teammitglied in Funktion der dritten Rolle, der sogenannte Emphatisant, die Antwort gegenlesen. Aufgabe des Emphatisanten ist es, unangebrachte Emotionen (Sarkasmus, Ironie, und so weiter) aus der Antwort zu eliminieren.
Profiling
Wie weiter vorne bereits näher beschrieben, werden die Social Media- Agents intensiv in der Fähigkeit des Profilings ausgebildet, um die Wahrscheinlichkeit von kommunikativen Missverständnissen zu minimieren.
Syntax
Neben der selbstverständlich korrekten Rechtschreibung und Grammatik ist man in den Social Media-Kanälen unterschiedlicher Syntax unterworfen, die wiederum Implikationen auf die Art und
Weise des Ausdrucks und das Präsentieren der Inhalte hat. In Twitter ist alleine die Beschränkung auf 140 Zeichen pro Tweet eine Herausforderung, die mit dem Ziel angegangen werden muss, sämtliche relevante Information so zu reduzieren, dass sie in einen Tweet „passen“. Bei Facebook gibt es derartige Beschränkungen praktisch nicht mehr, jedoch ist es auch hier die Kunst, Information möglichst verständlich und kurz zu präsentieren.
Die theoretische Vermittlung der Inhalte nimmt in etwa ein Drittel der Ausbildungszeit in Anspruch. In den restlichen zwei Dritteln wird die erworbene Theorie in praktischer Anwendung eingeübt. Dabei werden reelle Kundenanfragen in sich steigernden Eskalationsszenarien beantwortet und dazu korrespondierende Prozesse gelernt. Die Steigerung wird dadurch erreicht, dass man die Übungen zunächst innerhalb der Ausbildungsgruppe hält, gefolgt von der Erweiterung
der Testgruppe auf Unternehmensmitarbeiter, die nicht Teil der Ausbildungsgruppe sind, um dann im finalen Praxistest ausgewählte Kunden hinzuzuziehen.
Fazit und Empfehlung
Die Herleitung der Notwendigkeit von Dialog 2.0 und die Aufführung der dazu zu beachtenden Eckdaten in diesem Text erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Darüber hinaus sind die Vorschläge nicht als Blaupause zu verstehen, da jedes Unternehmen passend zu seiner Unternehmens-DNA seine Social Media-Aktivitäten planen und ausführen sollte. Der Social Media-Anzug muss also jedes Mal neu geschneidert werden, damit er zur Unternehmens-Persönlichkeit passt. Geliehene Anzüge sehen wie Verkleidungen aus – das merkt der Kunde.
Es sei nochmals betont, dass die Zeiten der durch Praktikanten oder Trainees eröffneten Facebook-Pinnwände vorbei sind (oder sein sollten) und ein so komplexes Unterfangen wie der Dialog 2.0 mit einem nicht zu unterschätzenden Bedarf an Ressourcen, Zeit und Budget einhergeht.
Trotzdem ist es ratsam, den Weg in den Dialog 2.0 zu suchen, denn er wird in Kürze so selbstverständlich sein wie E-Mail. Unternehmen, die über die sozialen Kanäle nicht ansprechbar sind, werden über kurz oder lang einen Wettbewerbsnachteil erleiden.
Bleibt die Frage, wann man damit anfangen sollte. Heute? Nicht unbedingt, aber man sollte bedenken, dass man nicht abwarten kann, was die Mitbewerber so machen, um dann in ein paar Jahren mit Dialog 2.0 zu beginnen, denn den Dialog 2.0 kann man nicht wie eine Software anschalten. Dialog 2.0 zu „machen“, bedeutet Veränderung im Unternehmen. Veränderung im Unternehmen bedeutet, dass sich die Menschen verändern müssen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und braucht Zeit sich zu verändern. Je früher man also anfängt auszuprobieren, wie es da draußen im digitalen öffentlichen Kanal funktioniert, desto mehr Erfahrung hat man in fünf Jahren. Und Erfahrung hat, wie man weiß, eine zeitliche Komponente, die durch keine Anstrengung der Welt abzukürzen ist.
Literatur
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Schlagwort_%28Sprachwissenschaft %29,
aufgerufen am 02.05.2012
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0, aufgerufen am 02.05.2012
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Social_Media, aufgerufen am 02.05.2012
[4] Scott Cook, Bain & Company
[5] Jeff Bezos, Amazon
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Anarchie, aufgerufen am 02.05.2012
[7] http://www.cluetrain.com/auf-deutsch.html, aufgerufen am 03.05.2012
[8] http://www.telekom-hilft.de/team, aufgerufen am 11.05.2012
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Emoticons, aufgerufen am 11.05.2012
[10] http://www.facebook.com/dbbahn, aufgerufen am 11.05.2012
[11] http://de.wikipedia.org/wiki/Netiquette, aufgerufen am 11.05.2012
[12] http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikation_%28soziologische_
Systemtheorie%29, aufgerufen am 18.05.2012
[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Friedemann_Schulz_von_Thun#Das_
Kommunikationsquadrat, aufgerufen am 18.05.2012
[14] http://www.cluetrain.com/auf-deutsch.html, aufgerufen am 18.05.2012