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Im Blindflug - Ihr Gehirn wird so, wie Sie es benutzen

Ein kleiner Spaziergang durch die Wirrungen des allzu menschlichen Geistes.
Constantin Sander | 23.11.2010
Wer arbeitet, der macht Fehler. Soweit ist das normal. Aber zahlreiche Menschen neigen dazu, eigene Fehler nicht sehen zu wollen und stattdessen ihre Umwelt als fehlerhaft wahrzunehmen. Ein kleiner Spaziergang durch die Wirrungen des allzu menschlichen Geistes.

Eine kleine Anekdote: Der Marketingguru Zig Ziglar berichtete einmal von einer Coaching-Klientin, die an ihrem Job alles, wirklich alles schlecht fand – außer der Tatsache, dass sie dafür bezahlt wurde. Nachdem er ihr ein paar hilfreiche andere Sichtweisen über ihre Arbeit nahegebracht hatte, zog sie frohen Mutes davon. Einige Monate später traf Ziglar sie wieder. Auf die Frage, wie es denn in der Firma laufe, sagte sie erfreut: „Gut. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr sich meine Kollegen und mein Chef verändert haben.“

Ja, es gibt sie, diese Ichlinge. Alles um sie herum ist eher schlecht, missmutig, abweisend, oder sogar inkompetent. Und da das so ist, fällt es einem selbst auch so schwer, voranzukommen. „Alles Idioten!“ Dass man mit dieser Haltung dann tatsächlich abweisend und missmutig behandelt wird, bestätigt das eigene Weltbild. „Sehen Sie, ich hab es doch gesagt!“

Eine besondere Form dieser Spezies sind diejenigen, die ich Ahnungsentbehrer nennen möchte. Man könnte sie auch Inkompetenzlinge nennen. Aber Ahnungsentbehrer sind mehr als das. Sie haben nicht einmal eine Ahnung davon, dass sie inkompetent sind. Psychologisch lässt sich dieses Phänomen als kognitive Verzerrung beschreiben und ging als Dunning-Kruger- Effekt in die Literatur ein. Einige inkompetente Menschen sind demnach derart inkompetent, dass sie selbst von ihrer Inkompetenz nichts bemerken. Der „Stern“ frotzelte kürzlich, wir hätten es dem Dunning-Kruger-Erffekt zu verdanken, dass „Deutschland sucht den Superstar“ nun in die achte Runde gehe. Auch wenn die Wissenschaftlichkeit dieses Effektes umstritten ist, so ist die These doch attraktiv genug, um einmal näher beleuchtet zu werden.

Menschen machen Fehler. Die sind aber zunächst einmal nichts anderes als misslungene Lösungsversuche – sehen wir mal von vorsätzlicher Sabotage ab. Die wäre dann aber auch kein Fehler, sondern eben Sabotage. Menschen tun meist das, was sie in einer Situation für die bestmögliche Lösung halten. Meist intuitiv. Intuition baut auf Erfahrung auf. Und Erfahrung wiederum auch auf Fehlern. Ergo: Fehler machen ist an sich gar nicht so schlecht. Zumindest für die Erfahrung. Nur, man muss daraus lernen können. Und genau das fällt eben jenen Ahnungsentbehrern so schwer. Aber warum?

Die Neuropsychologen haben dafür eine relativ einfache Erklärung: Weil unser Gehirn immer bemüht ist, ein inneres Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und es unter diesem Gesichtspunkt eine recht simple und zunächst nützliche Strategie ist, die Umwelt so zu sortieren, dass man selbst gut dasteht. Wäre dieses Phänomen nur auf die Inkompetenten beschränkt, könnten wir darüber lachen oder den Kopf schütteln – je nachdem. Der Glaube, immer alles richtig zu machen, ist allerdings auch und gerade im Management oft anzutreffen. „Ich mache zu 99% keine Fehler“ musste ich mir von einer Führungspersönlichkeit schon mal anhören.

Doch im Management hat das Phänomen eine andere Färbung. Hier ist es nicht Inkompetenz, sondern schlicht mangelndes Feedback, was manchmal sogar Omnipotenzphantasien weckt. Die einen wollen keins, die anderen bekommen es nicht. Wer sagt denn schon „Hey Chef, das war jetzt aber voll daneben“? Und so sind Führungskräfte oft genug auf ihre zwei Augen, zwei Ohren ihre Intuition und ihren Verstand angewiesen. Und letzterer ist, wie bei jedem Menschen, begrenzt.

Vor diesem Hintergrund bekommt das Dunning-Kruger-Phänomen eine andere, mögliche Erklärungsperspektive: Fehlendes Feedback erzeugt eine schräge Selbstwahrnehmung, die sogar autistische Züge annehmen kann. Da sind zum Beispiel die ewigen Sender, die sich zu wahren Nervensägen entwickeln können, weil sie nicht das Gespür dafür haben, wie sie bei anderen ankommen. Man sucht dann den Knopf zum Abschalten, findet den aber nicht. Ich habe den bei einem Bekannten wirklich einmal gesucht, was ihn sehr irritierte. „Was suchst Du?“ „Den Knopf zum Anschalten.“, sagte ich grinsend. Stille, dann ebenfalls ein Grinsen und dann schallendes Gelächter. „Oh, hab ich zu viel geplappert?“ „Jaaa!“

So einfach lässt sich das nicht immer auflösen. Schon gar nicht, wenn es um hierarchische Kommunikation geht. Chefs kritisiert man nicht, jedenfalls nicht in jeder Führungskultur. Aber es geht auch horizontal innerhalb des Managements oft nicht. Unter Kollegen ist ehrliches Feedback ebenfalls oft tabu. Uns so wird Management in einer komplexen Umgebung oft genug zum Blindflug ohne Navigationsinstrumente und Antikollisionsradar. Im Zweifelsfall verschanzt man sich hinter verschlossenen Türen. Oder so: „Bitte jetzt mal offenes Feedback! Was passt Ihnen hier eigentlich nicht, wo ich mir doch den Hintern für uns alle aufreiße?“

Sie merken schon: Feedback will gelernt sein, wenn man es noch nicht beherrscht.

Hier ein paar Tipps, die hilfreich sein könnten. Vielleicht auch für Führungskräfte:

1. Feedback sagt zunächst nur etwas über den Feedbackgeber und seine Wahrnehmung aus. Nichts über irgendwelche Wahrheit und Realität („Ich sage Ihnen jetzt mal wie es wirklich ist …“). Es ist eine mögliche Sichtweise, nicht mehr aber auch nicht weniger.

2. Folglich ist es auch gut, Feedback erst mal auszuhalten. Hören Sie zu und halten Sie erst mal die Klappe. Schwer? Ja, manchmal schon. Aber Sie können das!

3. Kommunikation ist Glücksache. Wenn der Feedbackgeber fertig ist, stellen Sie, falls nötig Fragen zum Verständnis: „Was meinen Sie mit … ?“ Habe ich Sie richtig verstanden, dass …“. Bewerten Sie aber nicht und versuchen Sie sich auch nicht zu rechtfertigen. Auch ist es hier fehl am Platz, nun selbst Feedback zu geben. Vor allem: Lassen Sie das Messer stecken! Erst wenn Sie sicher sind, dass Sie Ihr Gegenüber richtig verstanden haben, können Sie weitermachen.

4. Wenn keine inhaltlichen Unklarheiten mehr bestehen, paraphrasieren Sie das Gesagte. Das bedeutet: Wiederholen Sie das Feedback mit Ihren Worten, also so wie es bei Ihnen angekommen ist. „Sie meinen also, dass …“. Hier haben die meisten Menschen Probleme: „Der hält mich doch für bekloppt, wenn ich seine Litanei noch einmal runterbete.“ Nein, tut er nicht. Im Gegenteil: Er bekommt jetzt, vielleicht zum ersten Mal, das Gefühl, dass Sie ihn verstehen wollen. Allein das wird in den allermeisten Fällen schon dazu führen, dass sich eventuelle Spannungen abbauen.

5. So, und nun sind Sie an der Reihe. Aber halten Sie ruhig erst mal inne, wenn Sie etwas Zeit zum Nachdenken brauchen.

6. Dann können Sie ihrerseits Feedback geben. Stellen Sie Ihren Standpunkt dar. „Aber doch bitte immer schön sachlich bleiben, gell?“ Ja, wenn es denn wirklich nur um die Sache geht. Oft geht es aber eben auch um die Person oder um die Beziehung. Dann sind emotionale Tönungen (wohlgemerkt. keine emotionalen Ausbrüche) auch angebracht. Es bringt Ihnen nämlich wenig, auf der Sachebene zu diskutieren, wenn es um etwas anderes geht. „Ihr Verhalten im Meeting hat mich total geärgert ..“ ist völlig OK und allemal besser als „Ihren Input fand ich nicht so hilfreich…“.

Nicht so leicht umzusetzen? Doch – wenn Sie es wirklich wollen. Und wenn Sie Ihr Gegenüber wertschätzen. Ich garantiere Ihnen: Sie bekommen eine wesentlich konstruktivere Arbeitsweise im Team und werden auch erfahren, dass eine derartige Feedbackkultur zu wesentlich kreativeren, besseren Ergebnissen führt. Sie erweitern im Ergebnis Ihr Gehirn auf die hoffentlich schlauen Köpfe um Sie herum, was Sie als echten Mehrwert erfahren werden. Das konnte kürzlich auch wissenschaftlich untermauert werden.

Aber ich muss sie auch warnen: Sie geben die angenehme Position auf, sich selbst als völlig OK und die Anderen als fehlerhaft zu begreifen. Und wenn Sie trotz konstruktivem Feedback merken, dass sie tatsächlich von Ahnungsentbehrern umgeben sind, dann wissen Sie hoffentlich, was Sie zu tun haben.
Der Autor
Dr. Constantin Sander hat acht Jahre Forschung und neun Jahre Marketing und Vertrieb als Background. Er ist Business-Coach in Heidelberg. Kürzlich hat er sein Debüt als Buchautor präsentiert: „Change! Bewegung im Kopf“, ist Ende Mai bei BusinessVillage erscheinen. www.mind-steps.de

Mehr Informationen zum Thema:

Constantin Sander
Change – Bewegung im Kopf
Ihr Gehirn wird so, wie Sie es benutzen.

249 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
24,80 Eur[D] / 25,60 Eur[A] / 37,90 CHF UVP
ISBN-13: 978-3-869800-13-4
Juni 2010

http://www.businessvillage.de/Change-Bewegung-im-Kopf/eb-813.html