print logo

Fassade ist (fast) alles

Die Causa Guttenberg erregt diese Tage die Gemüter. Der Rang um Namen und Titel ist zum politischen Spiel geworden.
Constantin Sander | 24.02.2011
Dabei ist dieser Fall nur die Spitze des Eisberges für ein gesellschaftliches Phänomen, das sich auch in der Wirtschaft immer mehr zum Vorschein kommt. Fassade ist (fast) alles.

Meine Medienagentur hat einen, wie ich finde, genialen Claim: „Wer gut ist, sollte auch gut aussehen.“ Sehr schön, finde ich. Zahlreiche Unternehmen unterschätzen nämlich nach wie vor, dass das Bild, das sie nach außen abgeben, ganz entscheidend für ihre Reputation ist. Immer noch meinen viele, dass Produktqualität allein überzeugt. Oft höre ich: „Internet ist kein Marketingmedium. Über meine Website habe ich noch nie Kunden gewonnen.“ Natürlich nicht, weil der Webauftritt grottenschlecht ist!

Aber nun kehrt sich das um: Ein erfolgreicher Minister im Amt erstellt seine Dissertation „in mühevollster Kleinarbeit“ offenbar zum großen Teil über Copy and Paste. Das Internet ist schließlich umsonst. Die Mühe war es nicht: Promotion mit „Summa cum Laude“. Gratulation. Und Keiner hat’s gemerkt. Keiner? „Lügen haben kurze Beine“, sagt der Volksmund. Doch dass ein Adeliger durch unadeliges Verhalten auffällt und dafür zu Recht, wie ich meine, öffentlich abgestraft wird, verdeckt, dass er nichts anderes gemacht hat, als das, was viele Tausende täglich tun: Staffage aufbauen.

Kompetenz ist das eine, kompetent zu erscheinen, ist etwas anderes. Guttenberg hätte es nicht wirklich nötig gehabt. Vielleicht ist er einfach seiner Eitelkeit erlegen. Noch schlimmer: Sein Umgang damit, das Offensichtliche, für jeden im Web Nachprüfbare zu bestreiten, ist nur vordergründig genial. Er folgt der Logik der Fassaden-Gesellschaft: „The Show must go on!“ Auf den zweiten Blick ist Guttenbergs öffentliches Dementi aber höchst töricht. Seit dem Fall Margot Käßmann wissen wir, wie Courage aussieht: Nicht das Spiel weitertreiben, sondern abtreten. Das ist wahrer Adel.

Aber die Fassaden-Gesellschaft scheint anderes zu wollen: Entertainment. Am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums lümmelt sich DSDS durch die Medienlandschaft. Jeder kann ein Star sein. Dabei müsste jedem Ahnungsentbehrer inzwischen klar sein, dass er bei DSDS genau das ziemlich sicher nicht wird. Egal. Nicht das Sein, wie Karl Marx das behauptet hat, sondern der Schein bestimmt das Bewusstsein. Der Anschein ebenso wie der Geldschein. Die Autoren Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke beschreiben in ihrem Buch „Die Casting-Gesellschaft“ dieses Phänomen der Ökonomisierung des Selbst.

Lebensläufe werden aufgebrezelt, Karriereberater zeigen, wie das am besten geht, und fast möchte man meinen, dass die Personalverantwortlichen in den Unternehmen es nicht anders wollen. Nein, platte Floskeln kommen nicht mehr an. Natürlich nicht. Da muss man sich schon etwas Originelles einfallen lassen.
Authentizität wird zur Schauspielerei. Und von Schauspielern wissen wir inzwischen, dass sie sich teilweise sogar emotional mit ihrer Rolle identifizieren. Sie sind ihre Rolle. Bruno Ganz erschrak, als er bemerkte, dass er in der Rolle des Führers in „Der Untergang“ plötzlich Empathie für Hitler empfand. Unser Gehirn kann das: Die Macht der inneren Bilder kann das Potential einer Droge entfalten. Psychosen sind das eine Extrem, quasi halluziniertes Sein das andere Ende des Spektrums. Jeder kann Star sein, jeder einen Doktortitel einheimsen. Man muss es nur geschickt genug anstellen. Und wenn mir die Täuschung gelingt, glaube ich selbst daran.

Als Coach begegnet mir immer wieder auch das Anliegen, hinter diese Fassade, hinter dieses „gewollte Ich“ das nötige Bauwerk zu setzen. Aber Bauwerke sind nur tragfähig, wenn sie das nötige Fundament haben.
Werte und grundlegende Motivationen sind ein solches Fundament. Und genau hier fällt dann oft genug die Fassade in sich zusammen, weil ihr die Verankerungen zum Ich fehlen.

Jeder, der sich an sein ideales Selbst binden möchte, sollte daher prüfen, ob das der inneren Ökologie zuträglich ist. Superman und Superwomen wird man/frau nicht durch Makeup und zusammenkopierte Doktorarbeiten, sondern durch einen Prozess des Reifens. Dazu brauchen Menschen Ressourcen und Potentiale. Veränderung und persönliches Wachstum sind evolutionäre Prozesse. Die brauchen manchmal Zeit, manchmal geht es sprunghaft. Wer das aber durch bloße Fassade meint beschleunigen zu können, der sei gewarnt: Die Casting-Geselschaft ist gnadenlos. Sie will Shooting-Stars, sie lebt von den Hypes – auch von den Illusionen. Aber wehe, die Fassade bröckelt. Dann geht der Schuss nach hinten los - und der Star wird erschossen.

Authentizität ist eine Frage der inneren Haltung, ist eine Frage der Kongruenz von Haltung und Außenwirkung. Charismatischen Menschen gelingt das vorzüglich. Authentizität ist auch Vorraussetzung für Vertrauen und Vertrauen ist eine wichtige Grundlage wirkungsvoller Kommunikation. Wem wir nicht vertrauen, mit dem machen wir keine Geschäfte. Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür. Und auch deshalb ist die Fassaden-Gesellschaft ein so fragiles Gebilde, auf das man sich besser nicht einlassen sollte. Die Sonne strahlt von innen, der Mond wird angestrahlt. Letzteres ist ganz nett, aber letztlich ist die Sonne der Dauerbrenner, auf dessen Aufgang wir jeden Morgen warten.


Das Buch zum Thema

Constantin Sander
Change – Bewegung im Kopf
Ihr Gehirn wird so, wie Sie es benutzen.
2. Auflage, Januar 2011
249 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
24,80 Eur[D] / 25,60 Eur[A] / 37,90 CHF UVP
ISBN-13: 978-3-869800-13-4
http://www.businessvillage.de/Change-Bewegung-im-Kopf/eb-813.html


Der Autor

Dr. Constantin Sander hat acht Jahre Forschung und neun Jahre Marketing und Vertrieb als Background. Er ist Business-Coach in Heidelberg. Kürzlich hat er sein Debüt als Buchautor präsentiert: „Change! Bewegung im Kopf“, ist Ende Mai bei BusinessVillage erscheinen.