Der Schadensumfang einer Krise entscheidet sich weit vorher
Um viertel nach 12 klingelt das Telefon. Ein Redakteur der BILD ist dran. Er habe einen Hinweis von einer Non-Profit-Organisation bekommen. Bei der Herstellung der Produkte des Unternehmens sei in Asien Kinderarbeit im Spiel. Der Angerufene hört zum ersten Mal von einem solchen Vorwurf. Er wird gefragt: „Wie lange geht das schon so? Was tut das Unternehmen, um dies abzustellen? Hat das Unternehmen bisher Lieferanten und Produktionsstätten geprüft? Wie häufig? Durch wen genau? ...“ In zwei Stunden müsse der Beitrag fertig sein. Gleich darauf klingelt das Telefon erneut. Es ist RTL.
Das Szenario zeigt, was eine Krise auszeichnet: Stress. Er rührt daher, dass eine Welle von Anfragen auf einen Mangel an Informationen trifft. Vieles ist dem Unternehmen selbst noch nicht bekannt oder liegt schlichtweg nicht in Form aufbereiteter, gebündelter Informationen vor. Außerdem sind in der Regel wichtige Entscheidungen zu treffen – unter enormem Zeitdruck.
Je besser die Krisenprophylaxe, desto geringer der Schaden
Aber der Stress in einer solchen Krise lässt sich drastisch reduzieren: durch profunde Vorbereitung auf den Krisenfall. Und diese intensive Vorbereitung reduziert vor allem auch den etwaigen Schaden. Warum ist das so? In der Regel gilt in der öffentlichen Wahrnehmung nicht die Krise an sich als Skandal, sondern die Krisenkommunikation des Unternehmens. Wichtige Informationen werden nicht gegeben. Fehler werden nicht eingestanden. Es werden Behauptungen gemacht, die später zurückgenommen werden müssen. Zuweilen geschieht dies gar in vollem Bewusstsein. Es ist oft einfach so, dass Informationen nicht vorliegen und daher zunächst gar nicht kommuniziert wird oder dass die Situation falsch eingeschätzt wird oder dass – oft durchaus in gutem Glauben – zunächst beschwichtigt wird. Das Unternehmen und seine Entscheider kommen gar nicht dazu, sich zu sammeln. Viele Anfragen und Zeitnot lassen das Unternehmen ausschließlich reagieren anstatt zu agieren. Es ist auf den Krisenfall nicht vorbereitet gewesen. Untersuchungen zeigen aber: Je besser ein Unternehmen für den Eintritt einer Krise präpariert ist, desto geringer der Schaden – für das Image und letztendlich das Geschäft.
Wie bereitet man sich auf die Krise vor?
Zunächst sind alle relevanten Personen an einen Tisch zu bringen: Geschäftsführung, Marketingleitung, Produktmanagement, die Leiter von Öffentlichkeitsarbeit, Vertrieb, Recht und gegebenenfalls auch von Personal. Gemeinsam werden die etwa fünf Krisenszenarien mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit und dem größten Schadenspotenzial identifiziert. Der anzunehmende Schaden kann dabei verschiedener Gestalt sein: Der Verlust einer wichtigen Zulassung, Imageschäden, Umsatzeinbrüche, Schadenersatzansprüche. Eine Arbeitsgruppe macht sich dann an die eigentliche Krisenprophylaxe. Zunächst sind die Prozesse festzulegen, die generell für den Krisenfall gelten – egal welcher Natur er ist. Es muss entschieden werden, ...
• wer zum Krisenteam gehört und wann es durch wen zusammengerufen wird.
• wer welche Rolle übernimmt. Wer spricht beispielsweise zu den Medien?
• welche Informations- und Entscheidungswege gelten sollen. Wer informiert wen? Wer darf was entscheiden?
• welche wesentlichen Gruppen es im Krisenfall zu informieren gilt. Bewohner der Nachbarschaft? Aktionäre, Gesellschafter? Kunden? Behörden? Hier sind bereits die Ansprachewege (Telefon, E-Mail, Fax, Pressemitteilung ...) festzulegen und die erforderlichen Adressenlisten zu erstellen. Im Krisenfall selbst fehlt dafür die Zeit.
Auf verschiedene Krisenszenarien eingestellt sein
Dann geht es an die inhaltliche Vorbereitung der zuvor ausgemachten möglichen Krisen. So sollte es zu jedem Szenario bereits ein erstes Statement in Rohfassung geben, um den anfragenden Medien schon früh etwas bieten zu können und so „Druck heraus zu nehmen“. Selbstverständlich können die ersten Zeilen noch nicht formuliert werden, denn sie sollten auf den konkreten Vorfall eingehen. Aber anschließend kann – bereits zuvor formuliert – dargestellt werden, wie ernst das Unternehmen den Vorfall nimmt, wie intensiv es an der Aufklärung mitwirkt und was bisher getan wurde, um solche Vorfälle auszuschließen. Auch sollte es ein vorbereitetes Faktenpapier geben, das zum Beispiel aufzeigt, wie viele Transporte jährlich durchgeführt werden, wie wenig Unfälle es bislang gegeben hat, wie viel in die Sicherheit investiert wird usw. Und bestenfalls werden jene, die im Fall der Fälle an die Öffentlichkeit treten, zuvor dafür in Medientrainings geschult.
Und noch etwas mildert die Folgen einer Krise: Der zuvor kontinuierlich betriebene Auf- und Ausbau eines dichten Beziehungsgeflechts zu Meinungsbildnern. Es ist wie im Privaten: Je dichter das gepflegte Netz aus Verbindungen und Freundschaften, desto mehr fängt es einen im Krisenfall auf. Und je glaubwürdiger, offener und kontinuierlicher man zuvor kommuniziert hat, desto eher wird einem im Fall der Fälle geglaubt und beigestanden.
Über Mirko Kaminski:
Mirko Kaminski (36) ist Geschäftsführer der Agentur achtung! kommunikation (www.achtung-kommunikation.de) und spezialisiert auf Krisenkommunikation. Die Agentur beschäftigt in Hamburg und München etwa 60 Mitarbeiter.