Ich bin ein Spezialist … und kein Dünnbrett-Bohrer
Wer als Unternehmer „up-to-date“ sein möchte, muss in solchen Social Media wie LinkedIn, XING, Instagram & Co Präsenz zeigen – das behaupten viele Selbstständige, die auf diesen Plattformen mehr als ein Schläfer-Dasein führen. Und als ebenso unverzichtbar erachten es viele, zu twittern und mit Videos auf YouTube vertreten zu sein. Denn für sie steht fest: Diesen Medien gehört die Zukunft.
Der Hype um die Social Media hat auch die Gilde der Marketing- und PR-Berater erfasst. Entsprechend viele (Online-)Seminare zu Themen wie Social-Media- und Influencer-Marketing werden inzwischen angeboten – oft von denselben Anbietern, die noch vor wenigen Jahren in Blogs das Medium der Zukunft sahen.
In diesen Seminaren wird als ein zentraler Vorteil der Social Media genannt, dass in diesen Mitmach-Medien sozusagen jeder zum Autor werden kann. Das heißt, anders als bei den klassischen Medien man für Veröffentlichungen dort nicht zunächst den Türsteher Redakteur passieren, der prüft: Ist der Text gut geschrieben und für die Leser meines Magazins interessant?
PR- und Kommunikationsmüll überwiegt
Entsprechend sind die meisten in den Social Media publizierten Texte: inhaltlich weitgehend uninteressant und inzwischen immer häufiger erkennbar von einem KI-Programm wie ChatGPT geschrieben. Das heißt, die Texte sind gespickt mit Floskeln und inhaltlichen Platituden – zumindest aus der Sicht von Lesern, die bezogen auf ein Thema mehr Know-how als ein Erstsemester an der Uni oder Azubi im ersten Lehrjahr haben.
Deshalb laufen die meisten in Internetforen veröffentlichen und über solche Plattformen wie Twitter verbreiteten Texte einer Intention zuwider, die viele Selbstständige bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit haben: Sie wollen sich einen Ruf als „Spezialist für ...“ aufbauen, der auch über das für eine qualitativ hochwertige Arbeit nötige Tiefen- und Erfahrungswissen verfügt. Deshalb sollten auch ihre Publikationen eine gewisse Wertigkeit aufstrahlen. Sonst erzielen sie bei ihren Zielkunden die gewünschte Wirkung nicht, auch weil Veröffentlichungen in den Social Media zumindest für die meisten Business-Kunden keine Publikationen im klassischen Sinne, sondern individuelle Meinungsäußerungen sind. Entsprechend kritisch distanziert stehen sie den dort veröffentlichten Texten gegenüber.
Kunden wollen auch individuelle Wertschätzung spüren
Nicht wenige im B2B-Bereich tätige Dienstleister kommunizieren inzwischen mit ihren (Noch-nicht-)Kunden fast ausschließlich über die Social Media. Das ist ein zweischneidiges Schwert – speziell bei Anbietern, die ihren Kunden aus deren Sicht hochpreisige (Dienst-)Leistungen verkaufen. Denn wer sich für zum Beispiel für solche persönlichen Dienstleistungen wie Beratung, Training und Coaching interessiert, möchte in der Regel auch als Person wahrgenommen und gewertschätzt werden. Zudem möchte er persönlich umworben werden.
Genau dieses Gefühl haben Kunden bei Twitter-Meldungen und Posts auf Facebook aber nicht. Denn zum einen sind diese in der Regel nicht personifiziert und zum anderen sind solche Meldungen, die billigste und am wenigsten zeitintensive Form, Infos zu verbreiten. Das wissen auch deren Empfänger, weshalb sie in ihnen kein Zeichen individueller Wertschätzung sehen.
Dem Ziel der meisten Selbstständigen, sich als „Spezialist für ...“ zu profilieren, sollten denn auch die Medien entsprechen, die sie für die Kommunikation mit ihren Kunden wählen. Welche dies sind, muss jeder Selbständige – abhängig von seinen Zielen und seiner Positionierung im Markt – selbst entscheiden.
Hyperaktivität kann dem Experten-Ruf schaden
Aufpassen sollten sie aber, dass sie nicht in dieselbe Falle tappen, in die in den letzten Jahren schon zahlreiche Unternehmensberater gleich welcher Couleur tappten. Verführt von Marketingberatern, die die Social Media als den Marketingkanal der Zukunft propagierten, publizierten sie in Blogs und auf ähnlichen Foren nicht nur eine Vielzahl von Texten. Sie twitterten auch ohne Unterlass.
Doch dabei übersahen sie, dass sie über diese Kanäle ihre Zielkunden im B2B-Bereich wie Entscheider in den Unternehmen meist gar nicht erreichen – denn diese haben besseres zu tun, als auf solchen Plattformen herumzuturnen. Und wenn sie Posts lesen, dann in der Regel nur solche von Personen, die sie bereits kennen.
Eine weitere Folge ihrer Hyperaktivität im Social Media-Bereich war: Sie zerstörten sich ihren zuvor nicht selten guten Online-Auftritt. Inwiefern? Gab man vor einigen Jahren ihren Namen bei „Google“ als Suchbegriff ein, dann erschienen auf den ersten Treffer-Seiten nicht selten Hinweise auf Fachartikel von ihnen, die sie in (Fach-)Zeitschriften veröffentlicht hatten oder in denen sie zitiert waren. Deshalb entstand bei Web-Suchern der Eindruck: Das scheint ein echter „Experte für ...“ zu sein. Gibt man heute ihren Namen bei Google ein, dann erscheinen auf den ersten Seiten nur noch Hinweise auf ihre Aktivitäten in den Social Media. Denn die (Fach-)Artikel wurden von den Social Media-Einträgen auf den Trefferseiten nach hinten verdrängt.
Am Besten einfach ausprobieren, was wirkt
Obige Aussagen sollen kein Plädoyer dagegen sein, die Social Media als Marketing-Instrumente zu nutzen. Sie sollen Sie nur ermutigen, vor Ihrer Entscheidung, welche Rolle diese Medien in Ihrem Marketing-Konzept spielen, genau zu prüfen: Kann ich mit ihnen mein Ziel, die Bekanntheit in meiner Zielgruppe zu steigern und mir den Ruf „Spezialist für ...“ aufzubauen, überhaupt erreichen? Denn für alle Marketing- und PR-Maßnahmen gilt: Sie sind kein Selbstzweck!
Und wenn Sie mal unsicher sind, ob ein Marketinginstrument das richtige für Sie ist? Dann probieren Sie es doch einfach aus. Wen juckt es, wenn Sie dabei einige Fehler machen? Denn noch immer gilt: Der schlechteste Werbebrief ist der, der nie versandt wurde. Entsprechendes gilt für die anderen Marketinginstrumente.