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Handelsmarketing: Acht Szenarien der Zukunft

Wie erreicht der Handel zukünftig junge und auch ältere Menschen? Welchen Einfluss haben neue Technologien? Ein Blick in das Jahr 2035.
Gabriele Braun | 12.10.2022
Megatrends in der Angebotskommunikation im Handel © EHI 2022
 

Für die meisten Hersteller und Marken ist nach wie vor der Point of Sale der wichtigste Absatzkanal. Auch wenn der E-Commerce durch die Pandemie einen Aufschwung erfahren hat, machte dieser vor Corona 2019 bislang knapp 10,8 Prozent des Gesamtumsatzes im Einzelhandel aus und stieg 2021 auf 14,7 Prozent an. [1]

Auch im Marketing findet eine Budget-Umschichtung in die digitalen Medien statt. So weist die jährliche Studie des EHI Retail Institute „Marketingmonitor Handel 2021-2024“ erstmals für 2021 einen Budgetanteil der Bruttowerbeaufkommen von 34,1 Prozent auf, vor gedruckten Handelsmedien mit 30,4 Prozent, klassischen Medien mit 19,4 Prozent und CRM-Medien mit 16,3 Prozent. Diese Umschichtung ist auf die Änderung des Mediennutzungsverhaltens und auf das Informationsverhalten der Menschen zurückzuführen. Hinzu kommen die Diskussionen um Nachhaltigkeit sowie um die steigenden Energie- und Papierpreise. [2]

Der Handel stellt sich auf seine Kunden ein und reagiert. So haben sich laut IDH große Player aus allen Handelsbranchen wie IKEA, Woolworth, KiK, OBI und Rewe bereits vom klassischen Print-Prospekt verabschiedet oder den Verzicht auf Papier-Handzettel angekündigt. Digital zählt heute zu den Gewinnern, Kino und Print zu den Verlierern. [3]

Ob es den gedruckten Prospekt in Zukunft noch geben wird, ist nur eine der Fragen, die die EHI-Initiative „Angebotskommunikation“ beantwortet. Die Studie „Handel 2035 – Zukunft der Angebotskommunikation“ entwickelt acht Szenarien über die denkbaren Entwicklungen sowie Herausforderungen der Angebotskommunikation bis in das Jahr 2035. Die Szenarien, die in Zusammenarbeit mit den großen Handelsunternehmen Bonprix, Edeka, Fressnapf, Globus, Hornbach, KiK, Kodi, Lands‘ End, Media-Saturn, Obi, Poco, Rossmann und Thalia entwickelt wurden, gehen unter anderem den Fragen nach, inwieweit sich die Papierknappheit auf das Prospekt auswirkt, welche Effekte innovative Technologien auf die Aktionswerbung des Handels haben oder mit welchen Medien auch künftig junge Menschen erreicht werden können. [4]

Ein Blick in die Zukunft

HyperSale“ beschreibt eine rückläufige Konjunktur, in der ein preis- und bedarfsorientierter Konsum vorherrscht. Durch Sparzwänge können nachhaltige Maßnahmen nicht wie gewünscht umgesetzt werden. Unter diesen Bedingungen wird eine zunehmende Simplifizierung des Warenangebotes erfolgen, um Skalenvorteile zu realisieren und Variantenkosten zu senken. Analoge Massenmedien wie Tageszeitungen mit traditionellen Beilagen befinden sich in einer starken Position – trotz Papiermangels. Auf die Versorgungsfunktion reduziert, ist der Kampf um die Kundenbindung eine ständige Herausforderung.


Bei „Emotional PoS“ befindet sich der Markt in einem positiven Wirtschaftsumfeld, Rohstoff- und Güterpreise sowie Lieferketten sind stabil. Eine gestärkte Kaufkraft und eine wachsende Mittel- und Oberschicht stellen das Motto „Klasse statt Masse“ in den Vordergrund. Die Schaffung von Kundenbeziehungen basiert auf emotionalen Faktoren. Die Konsumierenden suchen zunehmend nach einer inneren Begeisterung und entscheiden immer weniger rational. Preis und Serviceangebote sind für ihre Kaufentscheidungen weniger relevant. Einkaufen soll ein Erlebnis sein. Die Kundenbeziehung zwischen den Menschen und dem Handel spielt bei diesem Szenario eine bedeutende Rolle.

Lifestyle Ethics“ ist ein Szenario mit wachsendem Wohlstand, bei der die Sensibilität für bestimmte Wertefragen wächst. Das Thema Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) treten in den Vordergrund und führen zu einem Wandel des Konsumdenkens. „Grüne“ Produkte sind gefragt. Emotionale Faktoren prägen die Beziehung zum Händler. Das zentrale Ziel der Kommunikation liegt bei diesem Szenario in der Vermittlung eines nachhaltigen Wertbeitrages (Purpose). Wichtige Eckpfeiler sind Glaubwürdigkeit und Transparenz des Unternehmens. Mit ökologischen Regularien gibt es Einschränkungen in der Mediennutzung und in der Werbeintensität. Auch digitale Medien sind davon betroffen (z.B. CO2-Neutralität, Öko-Bilanz). Print wird kritisch gesehen, Augmented Reality wird gerne mobile genutzt. Das Metaverse findet wenig Resonanz. Die persönliche Beziehung steht im Vordergrund und der stationäre POS gewinnt und eine vielfältige Handelslandschaft entsteht.

Beim „Club Eco-System“ bauen zielgruppenorientierte Händler-Netzwerke emotionale Partnerschaften zu ihrer Kundschaft auf und gewährleisten einen umfassenden Austausch von Kundendaten. Marken und Händlerwahl sind dabei Teil des Lebensgefühls. Das Netzwerk etabliert eigene, exklusive Kanäle und wird damit zu einer datengetriebenen Tech-Plattform, die virtuelle Kundenwelten, Live-Experience und Retail Media vereint. Der Online-Handel gewinnt an Bedeutung.

Beim Szenario „Smart Retail“ ist der Handel ein smarter Plattformanbieter für automatisierte Einkäufe und Prozesse. So ersetzt zum Beispiel das Metaverse den POS und Retail Media (Hersteller schalten Werbung auf Webshops und Markplätzen des Handels) wird noch lukrativer. Selbstlernende KI führt hierbei zu automatischen Erfolgsanalysen und einer ständigen Optimierung der Prozesse. Entlang der Customer Journey gehen die direkten und sozialen Kontakte verloren. Digital-Handelskonzerne und Handels-Oligopole werden von den Kunden aufgrund der Mehrwerte akzeptiert. Der POS verliert an Akzeptanz.

Digital Green“ ist ein Szenario, bei dem digitale Partnerschaften rund um kompromisslos nachhaltige Konsummuster im Vordergrund stehen. Das Nachhaltigkeitsdenken verändert den Konsum und die Kommunikation grundlegend. In dieser Zukunftsvision kauft die Kundschaft konsequent nach umweltfreundlichen Aspekten bzw. übt sich in Kaufzurückhaltung. Die Kundschaft legt dabei Wert auf stabile, solidarische Beziehung zum Händler ihres Vertrauens. Passende digitale Medien oder Spiele mit Nachhaltigkeits-Scores nehmen an Fahrt auf.

Das Szenario "Independent Advisory" ist geprägt von einer „Geiz ist geil“ Gesellschaft mit einer ausgeprägten Konsumneigung. Tiefe Kundenbeziehungen sind eine Herausforderung für den Handel, emotionale Bindungen kaum möglich. Produkte und Hersteller sind für die Kunden austauschbar. Es entstehen Shopping-Bots auf der Grundlage von Web-3.0-Technologien. Das primäre Tor zur Einkaufwelt bilden smarte Assistenten. Entscheidend wird die Schaffung einer User Experience, die die Kunden rundum überzeugt. Die Basis bildet auf der einen Seite Marketing-Automation-Technologien und auf der anderen Seite Content, der zum richtigen Zeitpunkt überzeugt.

"Hyper Transparence": Im Handel lassen sich mit digitalen Technologien Abläufe verbessern, Personal einsparen und Kundendaten sammeln. Sie dienen hauptsächlich der Prozessoptimierung. Digitale Tools können auch als kreative Quelle für das Store-Design genutzt werden - emotionale Inszenierungen können daraus entwickelt werden.

Wird sich eine der vorgestellten Szenarien [4] durchsetzen? Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Zukunft irgendwo dazwischen liegen. Einzelne Elemente der Szenarien erinnern uns heute an die Gegenwart.

Quellen:

['1] Handelsverband Deutschland: Online-Monitor 2022
https://einzelhandel.de/online-monitor

[2] EHI Studie: Marketingmonitor Handel 2021-2024 (PDF)
https://www.ehi.org/produkt/studie-marketingmonitor-handel-2021-2024-pdf-version/

[3] IDH: Über die Hälfte der Handelsunternehmen will Printwerbung reduzieren
https://www.marketing-boerse.de/news/details/2236-ueber-die-haelfte-der-handelsunternehmen-will-printwerbung-reduzieren/187181

[4] EHI Studie: Die Zukunft der Angebotskommunikation (PDF)
https://www.ehi.org/produkt/studie-die-zukunft-der-angebotskommunikation-pdf/