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Headless-Prinzip: Game Changer im E-Commerce?

Was müssen Unternehmen beachten, wenn sie eine Headless-Commerce-Architektur einführen wollen, für wen lohnt es sich und was gibt es zu beachten?
Tjeerd Brenninkmeijer | 25.05.2020
Headless-Prinzip: Game Changer im E-Commerce? © Freepik / biancoblue
 

Co-Autor des Beitrags ist Dirk Hoerig, CEO und Mitgründer von commercetools, der für die strategische Ausrichtung des Unternehmens zuständig ist.

Onlinekunden stellen immer höhere Ansprüche an die Customer Experience. Nicht nur die Produkt- und Servicequalität müssen stimmen, auch der Einkaufsprozess soll sich reibungslos gestalten. All das zu erfüllen, ist für Unternehmen nicht einfach. Mit einer herkömmlichen E-Commerce-Umgebung sind Änderungen am Webshop und weiteren Kanälen oftmals mit großem Aufwand verbunden. Viele Onlinehändler haben sich bereits an langwierige Prozesse gewöhnt. Zugleich ist ihnen bewusst, dass sie immer agiler auf die Bedürfnisse ihrer Kunden und Interessenten eingehen müssen: mit passgenauen, personalisierten Inhalten. Eine API-basierte „Headless“-Architektur stellt eine Möglichkeit dar, die dafür nötige Flexibilität zu schaffen. Was müssen Unternehmen beachten, wenn sie eine Headless-Commerce-Architektur einführen wollen? Für wen lohnt sich die Investition? Warum spielt Change-Management eine Rolle? Und wie sieht ein realistischer Zeitplan aus?

 

Onlinehändler, ganz gleich ob im B2C oder B2B, kennen das Szenario. Um ein überzeugendes Kundenerlebnis zu schaffen, würde das Marketingteam gern neue Kanäle integrieren und verschiedensten Content – egal ob Text-, Bild-, Video- oder Audio-Inhalte – flexibel einbinden. Zudem ist es wichtig, dass sich Kundeninteraktionen über alle Touchpoints hinweg – wie etwa Mobile App, Social Media, Smart Devices, Sprachassistenten etc. – erfassen und einheitlich auswerten lassen. Nur so können Marketer die Customer Journey nachvollziehen und auf dem richtigen Kanal zum richtigen Zeitpunkt passende Inhalte und Angebote ausspielen.

Flexible Module statt Monolithen

Zahlreiche Kanäle in hoher Geschwindigkeit mit wechselndem, personalisiertem Content zu versorgen und auf einer einheitlichen Datenbasis attraktive, konsistente Nutzererfahrungen zu schaffen – das ist am ehesten möglich, wenn man Frontend und Backend voneinander trennt. Dies ist das Prinzip eines Headless-Ansatzes: Das Frontend – also das hochpersonalisierte Erscheinungsbild für den Kunden –, ist von den Backend-Systemen, welche die Funktionalität zur Verfügung stellen, getrennt. Der Datenaustausch erfolgt über APIs. Die verschiedenen Frontends sind nicht an das Backend, sondern an die Schnittstellen angebunden und lassen sich somit unabhängig gestalten. Gleichzeitig greifen alle Kanäle einheitlich auf die verschiedenen Commerce-Funktionalitäten und -Systeme zu: Produktinformationen, Content, Warenkorb, Zahlarten, Kundeninformationen usw. So lassen sich in hoher Geschwindigkeit begeisternde Einkaufserlebnisse schaffen und Händler gewinnen einen zusammenhängenden 360-Grad-Blick auf das Kundenverhalten. Dieser erlaubt es ihnen, die Marketing- und Sales-Strategie entsprechend auszurichten.

Nicht für jeden sinnvoll

Verglichen mit einer herkömmlichen Shop-Architektur erscheint ein Headless-Commerce-System auf den ersten Blick kostspielig. Eine vollständige Gegenüberstellung beinhaltet neben den Kosten für die Software-Lösung jedoch auch den Aufwand, um Neuerungen – beispielsweise die Integration neuer Touchpoints – umzusetzen, sowie den Return-on-Investment. Bei einem Headless-System lassen sich Änderungen am Back- und Frontend deutlich einfacher und schneller realisieren. Außerdem erzielen Händler, die ihren Kunden durchgängig relevante Informationen und ein angenehmes Einkaufserlebnis bieten, höhere Umsätze. Bei einem sehr spezialisierten B2B-Unternehmen mit einem stabilen Kundenstamm und nur zwei, drei Wettbewerbern lohnt sich die Umstellung auf Headless-Commerce eher nicht. Für B2C- und B2B-Händler in einem wettbewerbsstarken Umfeld hingegen, die permanent neue Käufer gewinnen und diesen an vielen Touchpoints eine hervorragende Customer Experience bieten müssen, zahlt sich die Investition bereits nach kurzer Zeit aus.

Omnichannel-Personalisierung

Was manche Unternehmen bei der Einführung einer Headless-Plattform zunächst nicht bedenken, ist die Frage, wie sie dem Marketingteam weitreichende Selbstständigkeit bei der Frontend-Gestaltung ermöglichen können. Bei einem reinen Headless-Ansatz kann schnell ein Bottleneck entstehen, da sich Marketer mit jeder Änderung an die IT-Abteilung wenden müssen – was sowohl das Marketing als auch die IT bei der täglichen Arbeit ausbremst. Stattdessen sollten Marketer in der Lage sein, das Frontend der Website und anderer Kanäle selbst zu kreieren sowie beliebigen Content flexibel einzubinden. Die IT-Abteilung sollte nur bei tiefergehenden Modifikationen der Software-Architektur involviert werden müssen. Darum empfiehlt es sich, dem Marketingteam eine entsprechende Softwarelösung an die Hand zu geben. Ein solches Werkzeug für die Frontend-Gestaltung unterstützt Marketer auch bei der Personalisierung, etwa bei der Produktsuche: So lassen sich die Suchergebnisse je nach Nutzerverhalten in unterschiedlicher Reihenfolge präsentieren und die jeweils relevantesten Produkte optisch hervorheben. Dadurch finden Kunden noch schneller, wonach sie suchen. Ebenso vereinfacht ein derartiges Tool die Suchmaschinenoptimierung, beispielsweise durch eine optimale Linkstruktur auf der gesamten Website. Nicht zuletzt bietet es umfangreiche Analyse-Funktionen und stellt die Entwicklung zentraler Kenngrößen, wie etwa Seitenaufrufe, Besucher- und Umsatzzahlen, übersichtlich dar. Welches Frontend-Design die beste Konversion erzielt, lässt sich durch A/B-Testing unkompliziert ermitteln. Mit diesem Handwerkszeug erhält das Marketingteam den nötigen Freiraum, um seine Aufgaben eigenverantwortlich, effizient und effektiv zu bearbeiten. 

Interne Stakeholder einbinden

Wenn Unternehmen ein Headless-Commerce-System in Verbindung mit einem Headless-Experience-Tool einführen, verändern sich dadurch nicht nur die IT-Strukturen, sondern auch die Rollen der Mitarbeiter. Die IT-Abteilung muss weniger Anfragen des Marketingteams bearbeiten und kann sich auf das große Ganze konzentrieren. Die Marketing-Abteilung kann von der IT unabhängiger agieren und sich ebenfalls auf ihre Kerntätigkeiten fokussieren. Damit dieser Wandel reibungslos gelingt, kommt es auf das richtige Change-Management an. Es ist wichtig, dass Mitarbeiter aus allen relevanten Bereichen involviert sind. Neben IT-Spezialisten für User Experience, Backend-Entwicklung und Datenbankarchitektur zählen dazu auch Vertreter der Fachabteilungen, wie etwa Marketing, Sales und Service. Letztere können so ihre spezifischen Anforderungen an die Plattform hinsichtlich Struktur und Funktionalitäten mit einbringen. Des Weiteren fungieren sie als Botschafter für das eigene Team und halten es auf dem Laufenden, was sich wann, wie, warum und mit welchen Auswirkungen auf das tägliche Arbeiten verändern wird. Beim eigentlichen Aufbau der Plattform empfiehlt sich eine inkrementelle Vorgehensweise. Dabei setzt man zunächst einen rudimentären Prototyp auf und testet ihn. Im weiteren Verlauf kommen Schritt für Schritt immer mehr Funktionen hinzu, wobei ausgewählte Nutzer jede neue Version testen und dem Entwicklungsteam Feedback geben. Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Basis, um die Plattform weiter zu verbessern und auszubauen. Vom Beginn der Vorbereitungen bis zur erfolgreichen Migration aller Systemelemente sollten Unternehmen etwa sechs Monate als Richtwert veranschlagen. Dabei können die Nutzer bereits nach wenigen Tagen Erfahrungen mit der Software sammeln und zum Beispiel erste Landingpages kreieren.

Fazit

Wer heutzutage seinen Kunden überzeugen will, muss ihn auf allen Kanälen ansprechende und relevante Interaktionen bieten. Dafür braucht es einen flexiblen Omnichannel-Ansatz, der auch Marketing- und Sales-Teams weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet – von der Suchmaschinenoptimierung über die Personalisierung der Inhalte bis hin zum Tracking und Controlling. Headless-Commerce gewährt größtmögliche Freiheit bei der Frontend-Gestaltung der verschiedenen Verkaufskanäle. Gibt man außerdem dem Marketingteam ein entsprechendes Experience-Tool an die Hand, gewinnt es den nötigen Freiraum, um eigenständig zu agieren. Da eine Headless-Plattform sämtliche Daten in einem einzigen, zentralen Backend konsolidiert, erhalten Unternehmen einen 360-Grad-Blick auf ihre Kunden – die Grundvoraussetzung für kanalübergreifenden Handel.