Preisarbitrage durch E-Commerce-Marktplätze
E-Commerce über Marktplätze kennt im Wesentlichen zwei Grundformen. Die eine Grundform ist die eines Marktplatzes, der Käufer und Verkäufer (Händler) miteinander verbindet. Der Marktplatz stellt die technische Infrastruktur bereit und Käufer und Verkäufer „treffen“ sich und schließen Transaktionen ab. Ein solches Modell wird beispielsweise von Taobao (2003* von Alibaba) betrieben. Die andere Grundform ist der elektronische Handel über eine handelseigene E-Commerce-Plattform, wie sie z.B. durch Zalando oder Amazon betrieben wird. In der zweiten Grundform kauft der Händler die Produkte von Herstellern und verkauft sie über seine eigene E-Commerce-Plattform. Diese zweite Grundform ist, wenn man so will, der Marken-Kern des E-Commerce, der sich allerdings seinerseits zu Marktplatz-Plattformen weiterentwickelt hat. Das heißt, neben dem ursprünglichen Angebot können andere Händler und auch Produzenten ihre Produkte sogar über eigene Webshops betreiben. Die Plattformen-Marke erhält von den Drittverkäufern eine (z.B.) Verkaufsprovision. Ein solches Geschäft beläuft sich beispielsweise 2019 bei Amazon auf 120 Mrd. $ mit einem davon Vielfachen vermittelten Außenumsatz. Der Amazon-eigene Umsatz beträgt 160 Mrd. $.[1]
Durch diese offene Ausgestaltung der Plattformen werden dieselben Produkte und Marken von verschiedenen Anbietern auf der Plattform angeboten. Da die Hersteller in diesem Fall weder die Absatzkanäle noch die Produkt-Angebote kontrollieren können, kommt es mitunter zu einem (nicht gewünschten) grenzüberschreitenden Handel und aus Herstellersicht zu ungewollten Preisunterschieden.
Selbst, wenn man davon ausgeht, dass die Preispolitik der Lieferanten im sogenannten Vendoren-Modell, dem E-Commerce im eigentlichen Sinne, kanalübergreifend abgestimmt ist, kann es durch Marktplatzangebote zu teilweise nicht zu erklärenden Preisunterschieden bei derselben Marke und Produkt kommen. Die Ursachen liegen in den unterschiedlichen Logiken der Nutzung von Plattformen und den unterschiedlichen Einkaufsphilosophien der großen offline Handelsgruppen.
Vendoren-Modell
Im Vendoren-Modell verkaufen Marken-Hersteller ihre Produkte an den Marktplatz. Die Artikel gehen in den Besitz des Marktplatzes über. Die Preispolitik liegt in der ausschließlichen Verantwortung des Marktplatzes. Über definierte Regeln und Preis-Benchmarks passt der Marktplatz seine Preise an. Diese Dynamik endet beim Netto-Einstandspreis. In diesem können die ausgehandelten Konditionen einfließen. Beim Durchbrechen dieser Linie („CROP[2]“) würde das Produkt keinen positive Warenrohertrag erwirtschaften. Durch Einbeziehung der Logistikkosten wäre ein solcher Artikel für den Marktplatz ein Verlustbringer. Und in der Folge würde der Artikel nicht mehr nachgeordert und durch die fehlende Disposition „ausgetrocknet“ werden. Eine Auslistung wäre die Folge. Die Berücksichtigung der Preisstellungen der Wettbewerber ist eine logische kaufmännische Routine. Schließlich will jeder Händler sein Sortiment zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten. Die Preisanpassungsreaktion kann nahezu in Echtzeit erfolgen. Die sich im Händlervergleich ergebenden Preisunterschiede ergeben sich aus der Konkurrenzbeziehung des Marktplatzes mit anderen Händlern (online und offline) und der vorhandenen Preistransparenz auf Seiten der Konsumenten.
Seller-Modell
Im Seller-Modell verkaufen Marken-Hersteller ihre Produkte über den Marktplatz. Die Hersteller, aber auch andere (Groß-)Händler nutzen das virtuelle Schaufenster des Marktplatzes und zahlen dafür eine Gebühr. Die Hersteller und andere Händler behalten aber die Preishoheit. Auch das Fulfillment, der Service und die Retouren-Abwicklung liegt in der Verantwortung des Sellers. So könnte beispielsweise eine Falke Running Socke von „Sport Hübner“ auf dem Amazon Marktplatz verkauft und versendet werden. WMF-Produkte für den Haushalt können auf Amazon über den WMF Online Marktplatz aber auch von anderen Anbietern gekauft werden. Oder, die Unterwäsche-Marke Calida, die auf Amazon einen „Calida Shop“ betreibt – Verkauf und Versand erfolgt über den Calida Shop.
Im Unterschied zu dem Vendoren-Modell kann es im Seller-Modell zu nicht gewünschten Preisverzerrungen kommen. Und diese entstehen durch die „neue“ Dynamik der Marktplätze, die andere Händler, deren DNA primär in einem stationären Geschäftsmodell liegt, als zusätzlichen Absatzkanal und Erlösquelle nutzen. Es kommt unter Umständen zu einem parallelen Angebot von Produkten durch den Vendoren und den Seller, also andere Händler.
Ursachen von Preisverzerrungen
Aus Sicht der Marken-Hersteller lassen sich unterschiedliche Ausprägungen in der Konditionen-Architektur im Account-Portfolio nicht immer vermeiden. Gründe können beispielsweise in unterschiedlichen Einkaufsstrategien der (internationalen) Handelsgruppen liegen. Ist die Strategie des Einkäufers beispielsweise soviel als möglich rechnungswirksame Konditionen zu verhandeln, sind die Einkaufspreise in Bezug auf den Netto-Faktura-Wert (ohne nachträgliche Konditionen) niedriger als bei Handelskunden, die diametral dazu auf die Optimierung der nachträglichen Konditionen, den Werbekostenzuschüssen verhandeln. Letztere können dann in der Aktionspolitik mit niedrigeren Verkaufspreisen agieren. Netto-Faktura-Optimierer sind demgegenüber nicht auf den Nachweis von (Aktions-) Leistungen angewiesen. Sie können dann nicht nur ihren Kunden bzw. Genossen (im zweistufigen Handel), sondern auch gruppenfremden (Groß-) Händlern Produkte verkaufen. Teilweise sind diese Händler in benachbarten Ländern angesiedelt. Diese so einkaufenden Händler sind dann ihrerseits in der Lage, diese Produkte im Seller-Modell auf den Marktplätzen mit niedrigeren Street-Preisen anzubieten. Es kommt in diesem Szenario zu ungewollten Arbitrage-Effekten.
Da diese Preisunterschiede auf Marktplätzen leicht sichtbar sind, werden andere Händler und deren Einkäufer mit niedrigeren rechnungswirksamen Konditionen ihre Kalkulation hinterfragen und die Marken-Hersteller mit neuen Konditionenforderungen konfrontieren. Diese von Marktplätzen getriebene Dynamik erfordert es, die Preis-Politik über alle, auch nicht direkt belieferten, Handelsorga-nisationen einzubeziehen und möglicherweise auch Distributionsausschlüsse zu verhandeln.
Literatur
[1] Amazon unterscheidet net product und net service sales, AR 2019
[2] Can’t realize any profit