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Raus aus der Wohlfühlökonomie

Die digitalen Entwicklungen verändern alles: Arbeit, Leben, Zusammenleben. Dabei vergisst man wie träge und faul uns diese machen.
Gerald Lembke | 03.02.2020
Raus aus der Wohlfühlökonomie © Pixabay / Gerd Altmann
 

Die Digitalisierung bringt in immer kürzeren Intervallen neue Trends zum Vorschein, mit denen wir Menschen sowohl auf der Arbeit und zugleich zuhause überfordert sind. Unsere Gesellschaft als Ganzes wird von Politik, IT-Wirtschaft und Medien mit Worthülsen beschäftigt: Industrie 4.0, Internet of Things (IoT), Smart Homes, Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenzen (KI). Sie sind die Synonyme der neuen Wohlfühltechnologien. Sie sollen den Menschen das harte Alltagsleben erleichtern und immer vollere Arbeitsalltage mit Dauererreichbarkeit und ohne Abschalten effizienter, aber vor allem bequemer machen.

 

Der Megatrend dieser neuen „Wohlfühlökonomie“ verspricht den Menschen mehr Unabhängigkeit von anderen Menschen – klicken statt sozialer Kommunikation, wischen statt Denken. Der Klick auf den Facebook-Daumen liefert subjektiv ein wachsendes Lebensgefühl, steigert die individuelle Lebensführung und optimiert vor allem immer mehr Lebensbereiche: Optimiertes Einkaufen, optimiertes Arbeiten und optimierte Lebensführung. Das hat Konsequenzen, so die repräsentative Studie Values & Visions 2030 vom renommierten Marktforschungsinstitut GIM in Heidelberg.

 

Demnach wird der Druck auf auf den Einzelnen in Zukunft weiter steigen. Es geht darum, sich selbst immer weiter zu optimieren, um sich in die künftige Wertschöpfungskette einbringen zu können. In dieser Studie wurden repräsentativ über 1.000 deutsche Bürger und Experten nach ihren Erwartungen und Wünschen im Jahre 2030 befragt. Erwartet wird eine weiter zunehmende Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche, erwünscht ist dieser Trend hingegen von einer Mehrheit nicht. Dieser Unerwünschtheit wird zum Beispiel in Fragen des Vertrauens in die Zukunftstechnologien deutlich. Am Beispiel der künstlichen Intelligenz wird zwar der stärkste Zukunftstrend erwartet, doch erwünscht ist er bei den Menschen nicht.

 

Es ist zu erwarten, dass die Selbstoptimierung für die Wertschöpfungsketten der Zukunft jedem Zehnten in unserer Gesellschaft gelingen kann. Doch die Masse fürchtet, nicht mithalten zu können. Sie sucht stattdessen das „wahre Glück“ im Kreise ihrer Familien, Freunde und sozialen Netzwerke. Dieses Verhalten beobachten wir bereits bei unseren Jüngsten zwischen 15 und 25: Rückzug statt progressiven Denkens, vorzeitiges Aufgeben statt proaktiven Handelns, Pessimismus statt konstruktiven Optimismus. Und so entwickelt sich unser Land in ein Zukunftsland voll von Pessimisten.

Und tatsächlich: Die Verunsicherung der Menschen wächst. Die Fragen werden lauter: Werde ich meinen Arbeitsplatz in Zukunft behalten? Wie sehen die Arbeitsplätze unserer Kinder aus? Welche Fähigkeiten benötige ich tatsächlich in Zukunft? Was muss ich heute studieren für die Zukunft? Was kann und muss ich meinen Kindern mitgeben? Die Fragen führen zur Ohnmacht, weil sie immer wieder nach Antworten suchen: Wer darf entscheiden, was eine sinnvolle Tätigkeit ist? Welche Arbeitsplätze sollen durch KI subsituiert werden? Werde ich in Zukunft noch ein weitergehend mündiges Leben führen können? Welches Verständnis leitet unsere Gesellschaft für das zukünftige Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen? Kann ich neuen Technologien wirklich meine Lebensbereiche anvertrauen? Vertraue ich meinen Haus- und Arbeitsrobotern?

 

Die Trends wirbeln die Entscheidungsfreiheiten jedes Einzelnen durcheinander. Es braucht erfahrungsgemäß viel Zeit, eine gehörige Portion Reflexionsfähigkeit und manchmal einen situativen Leidensdruck (Krankheit, Burn-out, Depression), um kritisch zu hinterfragen, was der Mensch wirklich braucht. Meine These ist, dass der Mensch auch in Zukunft mit dem sprechenden Toaster und dem autonom bestellenden Kühlschrank zuhause nicht glücklicher wird als heute. Sehr viele technologische Innovationen werden nicht zu einem erfüllenden und glücklichen Leben führen. Die Priester der Digitalisierung werden die Analogen der Zukunft.

 

Wird es so sein? Einiges spricht dafür. Mehr als 90 % der Bevölkerung fehlen das entsprechende Wissen, mögliche Folgen der Technologie einschätzen zu können, so der Chef des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Prof. Armin Grunwald. Ihnen droht der Verlust von humanen Fähigkeiten wie Kreativität oder Intelligenz. Das Profitdenken der digitalen Wirtschaftsunternehmen vertuscht und unterdrückt zudem kritische und digitalethische Fragen, die sie selbst nicht beantworten können. Menschen bleibt also nichts anderes übrig, als sich in eine Welt zurückzuziehen, die sie beherrschen, die sie mit ihren Fähigkeiten gestalten und in der sie ihre Selbstwirksamkeit erfahren können. Gerade diese Wirksamkeitserfahrung des eigenen Tuns führt zu einem spürbaren Glücksempfinden im Alltag. Dort, wo Maschinen und Software diese Wirksamkeitserfahrung mindern (zum Beispiel im autonom fahrenden Auto), degeneriert der Mensch zu einem analogen Befehlsempfänger seiner Algorithmen.

 

Es wird Zeit für eine echte digitale Wirtschaftsethik! Sie darf sich nicht verheddern in einem normativen Streit zwischen Verweigerern und Digitalpriestern. Niemand wird den anderen jemals auf seine Seite ziehen können. Es ist wichtig, einen Mittelweg zwischen den Extremen einer volldigitalisierten Lebenswelt und einer kategorischen Entsagung neuer technischer Entwicklungen zu suchen. Gesucht werden Antworten auf die Frage, wie wir unsere Zukunft bestmöglich im humanen Sinne durch den Einsatz von Technologie gestalten können. Es ist ein urhistorisches menschliches Bedürfnis, seine Mündigkeit unabhängig von Worthülsen und in Räumen von politischem Aktionismus und medialer Berichterstattung zu bewahren. Im günstigsten Fall geben Sie es Ihren Kindern weiter, die es dankbar annehmen werden.