Ethisches Missverständnis - Meine Überzeugung gibt mir Recht
Ethisches Missverständnis: Meine Überzeugung gibt mir Recht
Sven T. ist empört. Er hat sein wöchentliches Meeting mit seiner Abteilung geleitet. Das Thema war die neue Produktionslinie für junge Leute zwischen 14 und 21 Jahren. Sven meint: „Junge Leute wollen heute vor allem Eines: Produkte, die mit Spirit aufgeladen sind. Wir müssen etwas Spirituelles, etwas Sinngebendes in das Produkt mit einbauen, sonst kauft das niemand.“ Sein Mitarbeiter Martin W. hat dann gefragt: „Herr T, woher wissen Sie das?“ Sven fand die Frage schon unverschämt. Aber er wollte nicht unwirsch sein: „Junger Mann, ich bin seit dreißig Jahren im Geschäft, da kenne ich die Märkte in- und auswendig. Und außerdem belegen das zahlreiche Studien.“ Der Mitarbeiter ließ nicht locker: „Mich würden die Studien sehr interessieren. Auf welche Studie beziehen Sie Ihre Aussage?“ Sven fand das unverschämt. Und das sagte er Martin W. auch. Dann meinte Saven noch: „Wenn Sie sich bisher nicht um die passenden Studien gekümmert haben, dann ist das nicht mein Problem. Dann haben Sie sich nur sehr schlecht vorbereitet.“ Für Sven war die Sache damit erledigt, für Marzin M. leider nicht: „Herr T. ich habe ich zwei Studien zu der Entwicklung junger Konsumenten: Interessant dabei ist, dass die spirituelle Aufladung erst bei Zielgruppen ab 25 Jahren greift. Die jungen Leute bis 20 etwa legen Wert auf den Content, auf die Bekanntheit und Beliebtheit eines Produktes in Ihrer Community.“ Das Meeting endete im Fiasko. Sven war richtig sauer. Von einem Mitarbeiter ließ er sich nicht vorführen. Schließlich wusste Sven schon aufgrund seiner langjährigen Erfahrung einfach besser, was der Markt akzeptiert, und was nicht. „Ich weiß doch schließlich, was ich weiß, da braucht mir so ein unwissender Jungspund nicht dazwischen zu funken.“
Nicht nur für Sven stellt sich die Frage, wie wahr ist eigentlich die persönliche Überzeugung? Stimmt der Satz: „Ich weiß doch, was ich weiß.“? Es gibt nicht wenige Menschen, die ihre Überzeugungen für wahr halten. Damit berauben Sie sich um eine der wichtigsten Chancen im Leben, die es gibt. Sie berauben sich um den Erkenntnisfortschritt. Und sie leben eine Haltung, die auf dieser Welt schon sehr viel Elend erzeugt hat. Das Böse in der Welt geschieht eigentlich nicht durch bösen Willen, sondern vor allem durch die Haltung: „Ich weiß besser als jeder andere, was richtig ist.“ Das ist Dogmatismus pur. Die meisten von uns kennen noch das Sprichwort: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Mit dieser Haltung ist schon so manches menschliche Miteinander ruiniert worden.
Es darf durchaus gefragt werden, wie kommt es zu einer solchen Haltung, was ist die Ursache dafür? Der Ursprung liegt in der Verwechslung von Gewissheit und Wahrheit. Es gibt Menschen, die meinen über Wahrheit zu verfügen, besitzen jedoch nur Gewissheit. Der Unterschied ist eigentlich recht einfach. Wahrheit ist die Summe aller möglichen Aussagen, die völlig irrtumsfrei und völlig täuschungssicher sind. Gewissheit dagegen ist eine Überzeugung, an der ich nicht mehr sinnvoll zweifeln kann. Wahrheit ist somit irrtumsfrei und täuschungssicher, Gewissheit ist zweifelsfrei. Das ist ein erheblicher qualitativer Unterschied. Ein Mensch, der seine Überzeugungen für wahr hält, schließt damit Irrtümer und Täuschungen für sich aus. So ist er nicht mehr daran interessiert, die Menge seiner Irrtümer und Täuschungen zu minimieren. Ein Mensch, der weiß, dass er über Gewissheiten verfügt, schließt den Erkenntnisgewinn für sich nicht aus, er will ihn. Er ist daran interessiert, die Menge seiner Irrtümer und Täuschungen zu verkleinern, selbst wenn er nicht mehr zweifelt. In Meetings ist das sehr schnell erkennbar. Fragen Sie sich einmal, wie Sie sich fühlen, wenn in einem Meeting herausgefunden wird, dass Ihre Ansicht fehlerhaft war. Freuen Sie sich über den Erkenntnisgewinn und die Tatsache, dass Sie zukünftig den Unsinn, den Sie bis dahin im Brustton der Überzeugung von sich gegeben haben, nun nicht mehr vertreten werden oder ärgern Sie sich, dass Sie leider nicht Recht behalten haben?
Der erste Mensch, der diesen Unterschied zwischen Wahrheit und Gewissheit heraus gearbeitet hat, was Sokrates. Er forderte seine Mitmenschen auf, ihm Dinge zu sagen, die sie für wahr hielten. Dann stellte zwei bis drei Fragen, und seine Mitmenschen behaupteten anschließend das Gegenteil. Mit diesem Widerspruch hat Sokrates dann seine Gesprächspartner konfrontiert. Das hat ihn nicht gerade beliebt gemacht. Allerdings war er so bescheiden, dass er von sich selbst behauptete, er verfüge eben nicht über Wahrheit, sondern nur über Gewissheit. Und selbst wenn er zufällig über eine Wahrheit stolpern würde, wisse er es nicht, da er niemals einen Irrtum oder eine Täuschung endgültig ausschließen könne. Das Orakel von Delphi fand das Klasse. Über dem Tempel des Orakels stand der Spruch ‚Erkenne Dich selbst‘. Und die Priester des Orakels meinten, Sokrates habe als einziger Athener sich selbst in der Qualität seines Wissens erkannt. Er sei der Einzige, der nicht behaupte, von Wahrheit etwas zu verstehen. So entstand der berühmte Spruch: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“, also von Wahrheit nichts verstehe. Meistens wird der Spruch falsch zitiert mit: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Im Original hatte Platon geschrieben: „oîda ouk eidōs“, das heißt, „ich weiß als Nicht-Wissender…“
Diese Anerkennung des Orakels hat den politischen Köpfen des damaligen Athens natürlich nicht gepasst. Sie klagten Sokrates an, er würde die Jugend Athens verführen. Das war schon interessant. Menschen darüber aufzuklären, welche Qualität ihr Wissen besitzt, galt als Verführung. So wurde Sokrates vor Gericht gestellt. Und er war ein streitbarer Geist. Zu seinem Richter meinte er: „Du verstehst von Wahrheit nichts, genauso wenig wie ich. Ich aber behaupte auch nicht, von Wahrheit etwas zu verstehen, während Du meinst, Du verstündest etwas davon. Offensichtlich bin ich in dieser Sache etwas klüger als Du.“ Ungeschickt lässt grüßen!! Endgültig verloren hatte Sokrates als er meinte, wer den Unterscheid zwischen Wahrheit und Gewissheit nicht kennt, der ist einfach nur dumm. Wer außerdem seine Gewissheiten für wahr hält, der ist ziemlich intolerant. Und wer darüber hinaus Wahrheit und Gewissheit ständig miteinander verwechselt, der gehört eigentlich in eine Klapsmühle, der ist wahnkrank. Das war damals ein ziemlicher Affront und das Urteil ließ nicht lange auf sich warten. Sokrates wurde im Jahre 399 vor Christus für seine Erkenntnis zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt.
Wenn man etwas bösartig ist, könnte man schlussfolgern, wer so bescheiden ist, und seine Gewissheiten auch für Gewissheiten hält, hat es schwer. Leider ist es oft so. Und so streiten sich Menschen lieber über ihre Wahrheiten, selbst im profanen Bereich. „Das hast Du wohl gesagt“, „Nein, das habe ich nie gesagt“, sind typische Aussagen von Wahrheitsfanatikern. Erkenntnisgewinn nahe null. Allerdings habe solche Auseinandersetzungen auch ein Ergebnis: man will nichts mehr miteinander zu tun haben. Sokrates würde sagen: „Wie dumm!“
Die Alternative finde ich viel attraktiver, denn derjenige, der sich nicht in das Gefängnis seiner Wahrheiten begibt, kommt der Welt in ihrer Realität immer etwas näher, da er sich von Tag zu Tag auf dem Weg des Erkenntnisgewinns befindet. Und was sollte uns daran hindern, etwas klüger zu werden?
Sven T. ist empört. Er hat sein wöchentliches Meeting mit seiner Abteilung geleitet. Das Thema war die neue Produktionslinie für junge Leute zwischen 14 und 21 Jahren. Sven meint: „Junge Leute wollen heute vor allem Eines: Produkte, die mit Spirit aufgeladen sind. Wir müssen etwas Spirituelles, etwas Sinngebendes in das Produkt mit einbauen, sonst kauft das niemand.“ Sein Mitarbeiter Martin W. hat dann gefragt: „Herr T, woher wissen Sie das?“ Sven fand die Frage schon unverschämt. Aber er wollte nicht unwirsch sein: „Junger Mann, ich bin seit dreißig Jahren im Geschäft, da kenne ich die Märkte in- und auswendig. Und außerdem belegen das zahlreiche Studien.“ Der Mitarbeiter ließ nicht locker: „Mich würden die Studien sehr interessieren. Auf welche Studie beziehen Sie Ihre Aussage?“ Sven fand das unverschämt. Und das sagte er Martin W. auch. Dann meinte Saven noch: „Wenn Sie sich bisher nicht um die passenden Studien gekümmert haben, dann ist das nicht mein Problem. Dann haben Sie sich nur sehr schlecht vorbereitet.“ Für Sven war die Sache damit erledigt, für Marzin M. leider nicht: „Herr T. ich habe ich zwei Studien zu der Entwicklung junger Konsumenten: Interessant dabei ist, dass die spirituelle Aufladung erst bei Zielgruppen ab 25 Jahren greift. Die jungen Leute bis 20 etwa legen Wert auf den Content, auf die Bekanntheit und Beliebtheit eines Produktes in Ihrer Community.“ Das Meeting endete im Fiasko. Sven war richtig sauer. Von einem Mitarbeiter ließ er sich nicht vorführen. Schließlich wusste Sven schon aufgrund seiner langjährigen Erfahrung einfach besser, was der Markt akzeptiert, und was nicht. „Ich weiß doch schließlich, was ich weiß, da braucht mir so ein unwissender Jungspund nicht dazwischen zu funken.“
Nicht nur für Sven stellt sich die Frage, wie wahr ist eigentlich die persönliche Überzeugung? Stimmt der Satz: „Ich weiß doch, was ich weiß.“? Es gibt nicht wenige Menschen, die ihre Überzeugungen für wahr halten. Damit berauben Sie sich um eine der wichtigsten Chancen im Leben, die es gibt. Sie berauben sich um den Erkenntnisfortschritt. Und sie leben eine Haltung, die auf dieser Welt schon sehr viel Elend erzeugt hat. Das Böse in der Welt geschieht eigentlich nicht durch bösen Willen, sondern vor allem durch die Haltung: „Ich weiß besser als jeder andere, was richtig ist.“ Das ist Dogmatismus pur. Die meisten von uns kennen noch das Sprichwort: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Mit dieser Haltung ist schon so manches menschliche Miteinander ruiniert worden.
Es darf durchaus gefragt werden, wie kommt es zu einer solchen Haltung, was ist die Ursache dafür? Der Ursprung liegt in der Verwechslung von Gewissheit und Wahrheit. Es gibt Menschen, die meinen über Wahrheit zu verfügen, besitzen jedoch nur Gewissheit. Der Unterschied ist eigentlich recht einfach. Wahrheit ist die Summe aller möglichen Aussagen, die völlig irrtumsfrei und völlig täuschungssicher sind. Gewissheit dagegen ist eine Überzeugung, an der ich nicht mehr sinnvoll zweifeln kann. Wahrheit ist somit irrtumsfrei und täuschungssicher, Gewissheit ist zweifelsfrei. Das ist ein erheblicher qualitativer Unterschied. Ein Mensch, der seine Überzeugungen für wahr hält, schließt damit Irrtümer und Täuschungen für sich aus. So ist er nicht mehr daran interessiert, die Menge seiner Irrtümer und Täuschungen zu minimieren. Ein Mensch, der weiß, dass er über Gewissheiten verfügt, schließt den Erkenntnisgewinn für sich nicht aus, er will ihn. Er ist daran interessiert, die Menge seiner Irrtümer und Täuschungen zu verkleinern, selbst wenn er nicht mehr zweifelt. In Meetings ist das sehr schnell erkennbar. Fragen Sie sich einmal, wie Sie sich fühlen, wenn in einem Meeting herausgefunden wird, dass Ihre Ansicht fehlerhaft war. Freuen Sie sich über den Erkenntnisgewinn und die Tatsache, dass Sie zukünftig den Unsinn, den Sie bis dahin im Brustton der Überzeugung von sich gegeben haben, nun nicht mehr vertreten werden oder ärgern Sie sich, dass Sie leider nicht Recht behalten haben?
Der erste Mensch, der diesen Unterschied zwischen Wahrheit und Gewissheit heraus gearbeitet hat, was Sokrates. Er forderte seine Mitmenschen auf, ihm Dinge zu sagen, die sie für wahr hielten. Dann stellte zwei bis drei Fragen, und seine Mitmenschen behaupteten anschließend das Gegenteil. Mit diesem Widerspruch hat Sokrates dann seine Gesprächspartner konfrontiert. Das hat ihn nicht gerade beliebt gemacht. Allerdings war er so bescheiden, dass er von sich selbst behauptete, er verfüge eben nicht über Wahrheit, sondern nur über Gewissheit. Und selbst wenn er zufällig über eine Wahrheit stolpern würde, wisse er es nicht, da er niemals einen Irrtum oder eine Täuschung endgültig ausschließen könne. Das Orakel von Delphi fand das Klasse. Über dem Tempel des Orakels stand der Spruch ‚Erkenne Dich selbst‘. Und die Priester des Orakels meinten, Sokrates habe als einziger Athener sich selbst in der Qualität seines Wissens erkannt. Er sei der Einzige, der nicht behaupte, von Wahrheit etwas zu verstehen. So entstand der berühmte Spruch: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“, also von Wahrheit nichts verstehe. Meistens wird der Spruch falsch zitiert mit: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Im Original hatte Platon geschrieben: „oîda ouk eidōs“, das heißt, „ich weiß als Nicht-Wissender…“
Diese Anerkennung des Orakels hat den politischen Köpfen des damaligen Athens natürlich nicht gepasst. Sie klagten Sokrates an, er würde die Jugend Athens verführen. Das war schon interessant. Menschen darüber aufzuklären, welche Qualität ihr Wissen besitzt, galt als Verführung. So wurde Sokrates vor Gericht gestellt. Und er war ein streitbarer Geist. Zu seinem Richter meinte er: „Du verstehst von Wahrheit nichts, genauso wenig wie ich. Ich aber behaupte auch nicht, von Wahrheit etwas zu verstehen, während Du meinst, Du verstündest etwas davon. Offensichtlich bin ich in dieser Sache etwas klüger als Du.“ Ungeschickt lässt grüßen!! Endgültig verloren hatte Sokrates als er meinte, wer den Unterscheid zwischen Wahrheit und Gewissheit nicht kennt, der ist einfach nur dumm. Wer außerdem seine Gewissheiten für wahr hält, der ist ziemlich intolerant. Und wer darüber hinaus Wahrheit und Gewissheit ständig miteinander verwechselt, der gehört eigentlich in eine Klapsmühle, der ist wahnkrank. Das war damals ein ziemlicher Affront und das Urteil ließ nicht lange auf sich warten. Sokrates wurde im Jahre 399 vor Christus für seine Erkenntnis zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt.
Wenn man etwas bösartig ist, könnte man schlussfolgern, wer so bescheiden ist, und seine Gewissheiten auch für Gewissheiten hält, hat es schwer. Leider ist es oft so. Und so streiten sich Menschen lieber über ihre Wahrheiten, selbst im profanen Bereich. „Das hast Du wohl gesagt“, „Nein, das habe ich nie gesagt“, sind typische Aussagen von Wahrheitsfanatikern. Erkenntnisgewinn nahe null. Allerdings habe solche Auseinandersetzungen auch ein Ergebnis: man will nichts mehr miteinander zu tun haben. Sokrates würde sagen: „Wie dumm!“
Die Alternative finde ich viel attraktiver, denn derjenige, der sich nicht in das Gefängnis seiner Wahrheiten begibt, kommt der Welt in ihrer Realität immer etwas näher, da er sich von Tag zu Tag auf dem Weg des Erkenntnisgewinns befindet. Und was sollte uns daran hindern, etwas klüger zu werden?