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Crosschannel-Marketing? Da crosst meistens gar nichts!

Werbekanäle sind nichts anderes als das externe Gegenstück interner Silos und veralteter Topdown-Hierarchien: unvernetzt nebeneinander her agierend.
Anne M. Schüller | 10.06.2014
Kürzlich war ich Referentin auf der Managementtagung eines Mobilfunk-Anbieters. Im Verlauf des Events wurde der neue Marketingleiter vorgestellt: als „der natürliche Todfeind der Callcenter-Einheit.“ Ich war perplex, sind doch beide Bereiche für die Kunden da. Erst meine Nachfrage ergab, warum das dort so gesehen wurde: Das Marketing versprach Dinge, die dann im Shop nicht eingehalten wurden – und die Callcenter-Mitarbeiter hatten ständig den Frust der enttäuschten Kunden im Ohr.

Und das ist beileibe kein Einzelfall: Während sich draußen am Markt mit Rasanz alles vernetzt, vertrödeln drinnen in den Unternehmen die Manager mit verbrauchten Ritualen aus dem letzten Jahrhundert wertvolle Zeit: Topdown-Formationen, Silodenke, Insellösungen, Abteilungsegoismen, Hierarchiegehabe, Budgetierungsmarathons, Anweisungskultur, Kontrollitis, Kennzahlenmanie.

Auch in den Schaubildern der Unternehmen sieht es noch immer aus wie anno dazumal. Sie verdeutlichen – vielleicht mehr als alles andere - die wahre, fossile Gesinnung: Der Chef thront ganz oben, darunter, in Kästchen eingesperrt, seine brave Gefolgsmannschaft. Die Mitarbeiter kommen in solchen Organigrammen nicht einmal vor. Sie werden wie Fußvolk verwaltet und in Abteilungsschubladen organisiert. Und die Kommunikation zu den Kunden läuft über Kanäle.

Werbekanäle: externes Gegenstück interner Silos

Werbekanäle sind nichts anderes als das externe Gegenstück interner Silos und veralteter Topdown-Hierarchien: unvernetzt nebeneinander her agierend. Mit stolzer Brust wird zwar über Multichannels geredet und mit Crosschannel-Expertise geprotzt, doch aus Sicht der Kunden betrachtet crosst gar nichts. Vielmehr ist Unkoordiniertheit Normalität.

In der Auftragsabwicklung können viele ein Lied davon singen, wie sie in die Bredouille geraten, weil der Vertrieb unhaltbare Versprechen macht, um seine Planzahlen zu sichern und/oder attraktive Gratifikationen für sich zu ergattern. Und jeder schiebt bei Patzern vor den Augen der Kunden dem anderen die Schuld in die Schuhe.

Bei einem besser nicht genannten Premium-Autobauer „gehört“ der Autokonfigurator dem Marketing, wenn er auf der Internetpräsenz angeklickt wird, und dem Vertrieb, wenn dies vor Ort in der Niederlassung passiert. In der Händlerorganisation nutzt der Verkauf ein anderes CRM-System als der Service. „Wie wissen alles über das Auto, aber fast nichts über den, der es fährt“, klagt mir ein Mitarbeiter sein Leid.

Marionettentheater für Sozialanalphabeten

Formalismen, Command & Control sowie der kundenfeindliche Standardisierungswahn sind derzeit die größten Bremsklötze auf dem Weg in eine neue Businesswelt. So ist die Zahlenhörigkeit vieler Führungsgremien geradezu abstrus. Oft genug wird ganz fanatisch das Falsche getan, Hauptsache, es kann gemessen werden. Und Manipulationen zum eigenen Vorteil sind Normalität.

Dem Kennziffernjoch kann niemand entkommen. Selbst die Mitarbeiterperformance wird nun über Dashboards und Cockpits gesteuert, so, als ob Menschen Maschinen wären, bei denen man die Anzahl der Umdrehungen misst. „Gottseidank“ tauchen ständig irgendwelche Problemchen auf, für die es noch keine Regel gibt, und Vorgänge, für die die Bürokratie flux ein neues Formular basteln kann.

Reportings und Budgetierungsverfahren, durch die ab September die halbe Firma in Lähmung verfällt, fressen jetzt noch mehr Ressourcen. Bisweilen kommt mir das vor wie ein Beschäftigungsprogramm für Sozialanalphabeten. Denn solange man mit Zahlenklauberei zugange ist, muss man sich nicht mit den Menschen befassen.

Mitarbeiter werden ja meist auch gar nicht geführt, sondern über Standardprozesse gesteuert. Doch Standards bewirken leider nur eins: Standardleistungen - und damit langweiliges Mittelmaß. Wer seine Mitarbeiter wie Marionetten behandelt und zu hirnbefreiten Abarbeitern macht, braucht sich nicht zu wundern, wenn deren Engagement für individuelle Kundenbelange auf der Strecke bleibt.

Manager laufen besser den Kunden hinterher – und nicht den Budgets

Die Hälfte aller Managementkosten könnte eingespart werden, würde man sich von Bürokratie, Hierarchien und aufwendigen Zielvereinbarungsplanspielen weitgehend lösen. Planungssicherheit ist ein Widerspruch in sich! Was den Unternehmen heute in den Märkten begegnet, ist permanente Vorläufigkeit. Manager laufen also besser den Kunden hinterher – und nicht den Budgets.

Leider ist das Beharrungsvermögen in den Teppichetagen enorm. Doch weitermachen wie bisher ist keine Option. Ein Re-Start ist dran. Noch vor den technologischen und produktbasierten Innovationen sind jetzt zuallererst Innovationen drinnen im Unternehmen dringendst vonnöten. Jammern bringt aber nicht weiter. Und Angst ohne Ausweg wird einfach verdrängt - wonach alles bleibt wie gehabt.

Neue Mittel und Wege werden gebraucht. Und genau an dieser Stelle kommt mein neues Buch „Das Touchpoint-Unternehmen“ ins Spiel. Es bietet eine Fülle von Mitteln, Wegen und Instrumenten auf die drängendste aller Managerfragen: „Wenn nicht so wie vorvorgestern, wie dann heute und morgen?“


Das Buch zum Thema

Anne M. Schüller:
Das Touchpoint-Unternehmen
Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt
Gabal, März 2014, 368 S., 29,90 Euro
ISBN: 978-3-86936-550-3
http://www.touchpoint-management.de