Was stört mich Wissen, wenn ich doch schon eine Meinung habe?[
Was stört mich Wissen, wenn ich doch schon eine Meinung habe?
Zum Grexit sage ich nichts. Obwohl die Auseinandersetzung darum ein tolles Beispiel darstellt, denn wenn Meinungen aufeinander prallen, wird Ethik schnell zum Totschlagargument. Biofood-Befürworter und Gentechnikgegner zum Beispiel vertreten moralische Positionen, gegen die man kaum argumentieren kann, ohne sich selbst in ein zweifelhaftes Licht zu stellen. Wer würde sich schon für Massentierhaltung oder eine Ausweitung von Genexperimenten einsetzen? Die Reaktion wäre ein Shitstorm, mindestens. Aber auch die Gegenseite führt ethische Argumente ins Feld, den globalen Kampf gegen den Hunger etwa oder Fortschritte in der Medizin. Beide Seiten glauben, moralisch zu handeln und damit automatisch im Recht zu sein. Auf die Argumente der Gegenseite einzugehen – geschenkt. Und so prügeln Befürworter und Gegner im Bewusstsein ihrer überlegenen Legitimation aufeinander ein. Diese Form der Auseinandersetzung heißt Debatte – darin steckt die Wortwurzel battere = schlagen. Sie funktioniert nach dem Motto: Mach den Gegner fertig! Ihr Ziel ist es, die Zustimmung des Publikums mit allen Mitteln auf die eigene Seite zu bringen. Geklärt wird dabei nichts.
Auch in Führungsfragen gibt es Themen mit ethischem Streitwert. Etwa die Frage, wieviel Druck eine Führungskraft ausüben darf oder muss. Oder wann und in welchem Maß die Interessen des Unternehmens über dem der Mitarbeiter stehen. Oder ob es erlaubt ist, Mitarbeiter nach ihrer angeblichen Leistungsfähigkeit zu klassifizieren und sogenannte B- und C-Mitarbeiter systematisch auszusortieren. Die Form, in der diese Auseinandersetzung erfolgt, ist die Diskussion. Sie ist eine wesentlich zivilisiertere Form des Streits als die Debatte, aber auch sie zielt nicht darauf, herausfinden, was in der Sache sinnvoll und hilfreich ist, sondern darauf, die andere Seite zu überzeugen. Wer sich durchsetzt, hat Recht. Auch das hilft aus ethischer Sicht nicht weiter.
Die einzige Methode, um etwas wirklich zu klären, ist der Diskurs. Im Diskurs geht es nicht darum, zu gewinnen, sondern gemeinsam herauszufinden, welche Argumente tragfähig sind und welche nicht. Wenn sich ein Argument als unsinnig erweist, egal, von wem es stammt, ist es erledigt. Es gibt einen Erkenntnisfortschritt, hinter den beide Seiten nicht mehr zurückfallen. Für eine Auseinandersetzung über ethisch aufgeladene Themen ist das die einzige passende Vorgehensweise. Aber sie ist nicht in jedermanns Interesse. Wieviel leichter ist es doch, eine Meinung zu haben, als sie zu ändern! Wer aber ein Argument nur deshalb gelten lässt, weil es die eigene Meinung stützt, ohne zu prüfen, ob es zutrifft, handelt unethisch. Auf diese Weise korrumpieren Ideologien Menschen und Auseinandersetzungen: Wenn eine Sache meiner Meinung nach richtig sein muss, bin ich gegen Argumente immun, ich will nicht mehr wissen, was tatsächlich zutrifft. Meine Meinung ist dann absolut, mein Gegner ist nur zu blöde, das zu begreifen.
Für eine ethische Form der Auseinandersetzung ist es wichtig, Fragen zu stellen. Warum denkt mein Gegner so, wie er denkt? Warum hält er sein Argument für stichhaltig? Was ist wirklich dran? Und nicht: Wie kann ich den anderen am besten widerlegen?
Der Diskurs ist ein Lernprozess, ein Prozess des Verstehens und des Prüfens. Erst nachdem dies geschehen ist, kann ich mir eine Meinung bilden. Ob man sich in einer Debatte oder einem Diskurs befindet – und wie man sich selbst dabei verhält – lässt sich mit ein paar einfachen Fragen überprüfen: Freue ich mich über den Erkenntnisfortschritt, wenn sich eines meiner Argumente als falsch erwiesen hat? Oder ärgere ich mich, dass es nicht verfangen hat? Will ich etwas wirklich klären oder will ich mich nur durchsetzen?
Stellen Sie sich vor, alle ethisch relevanten Themen in Wirtschaft und Gesellschaft würden mit diesem Bewusstsein besprochen. Statt sich Meinungen um die Ohren zu hauen, würden alle daran arbeiten, in der Sache voranzukommen. Die Realität sieht leider anders aus.
Ulf D. Posé
Zum Grexit sage ich nichts. Obwohl die Auseinandersetzung darum ein tolles Beispiel darstellt, denn wenn Meinungen aufeinander prallen, wird Ethik schnell zum Totschlagargument. Biofood-Befürworter und Gentechnikgegner zum Beispiel vertreten moralische Positionen, gegen die man kaum argumentieren kann, ohne sich selbst in ein zweifelhaftes Licht zu stellen. Wer würde sich schon für Massentierhaltung oder eine Ausweitung von Genexperimenten einsetzen? Die Reaktion wäre ein Shitstorm, mindestens. Aber auch die Gegenseite führt ethische Argumente ins Feld, den globalen Kampf gegen den Hunger etwa oder Fortschritte in der Medizin. Beide Seiten glauben, moralisch zu handeln und damit automatisch im Recht zu sein. Auf die Argumente der Gegenseite einzugehen – geschenkt. Und so prügeln Befürworter und Gegner im Bewusstsein ihrer überlegenen Legitimation aufeinander ein. Diese Form der Auseinandersetzung heißt Debatte – darin steckt die Wortwurzel battere = schlagen. Sie funktioniert nach dem Motto: Mach den Gegner fertig! Ihr Ziel ist es, die Zustimmung des Publikums mit allen Mitteln auf die eigene Seite zu bringen. Geklärt wird dabei nichts.
Auch in Führungsfragen gibt es Themen mit ethischem Streitwert. Etwa die Frage, wieviel Druck eine Führungskraft ausüben darf oder muss. Oder wann und in welchem Maß die Interessen des Unternehmens über dem der Mitarbeiter stehen. Oder ob es erlaubt ist, Mitarbeiter nach ihrer angeblichen Leistungsfähigkeit zu klassifizieren und sogenannte B- und C-Mitarbeiter systematisch auszusortieren. Die Form, in der diese Auseinandersetzung erfolgt, ist die Diskussion. Sie ist eine wesentlich zivilisiertere Form des Streits als die Debatte, aber auch sie zielt nicht darauf, herausfinden, was in der Sache sinnvoll und hilfreich ist, sondern darauf, die andere Seite zu überzeugen. Wer sich durchsetzt, hat Recht. Auch das hilft aus ethischer Sicht nicht weiter.
Die einzige Methode, um etwas wirklich zu klären, ist der Diskurs. Im Diskurs geht es nicht darum, zu gewinnen, sondern gemeinsam herauszufinden, welche Argumente tragfähig sind und welche nicht. Wenn sich ein Argument als unsinnig erweist, egal, von wem es stammt, ist es erledigt. Es gibt einen Erkenntnisfortschritt, hinter den beide Seiten nicht mehr zurückfallen. Für eine Auseinandersetzung über ethisch aufgeladene Themen ist das die einzige passende Vorgehensweise. Aber sie ist nicht in jedermanns Interesse. Wieviel leichter ist es doch, eine Meinung zu haben, als sie zu ändern! Wer aber ein Argument nur deshalb gelten lässt, weil es die eigene Meinung stützt, ohne zu prüfen, ob es zutrifft, handelt unethisch. Auf diese Weise korrumpieren Ideologien Menschen und Auseinandersetzungen: Wenn eine Sache meiner Meinung nach richtig sein muss, bin ich gegen Argumente immun, ich will nicht mehr wissen, was tatsächlich zutrifft. Meine Meinung ist dann absolut, mein Gegner ist nur zu blöde, das zu begreifen.
Für eine ethische Form der Auseinandersetzung ist es wichtig, Fragen zu stellen. Warum denkt mein Gegner so, wie er denkt? Warum hält er sein Argument für stichhaltig? Was ist wirklich dran? Und nicht: Wie kann ich den anderen am besten widerlegen?
Der Diskurs ist ein Lernprozess, ein Prozess des Verstehens und des Prüfens. Erst nachdem dies geschehen ist, kann ich mir eine Meinung bilden. Ob man sich in einer Debatte oder einem Diskurs befindet – und wie man sich selbst dabei verhält – lässt sich mit ein paar einfachen Fragen überprüfen: Freue ich mich über den Erkenntnisfortschritt, wenn sich eines meiner Argumente als falsch erwiesen hat? Oder ärgere ich mich, dass es nicht verfangen hat? Will ich etwas wirklich klären oder will ich mich nur durchsetzen?
Stellen Sie sich vor, alle ethisch relevanten Themen in Wirtschaft und Gesellschaft würden mit diesem Bewusstsein besprochen. Statt sich Meinungen um die Ohren zu hauen, würden alle daran arbeiten, in der Sache voranzukommen. Die Realität sieht leider anders aus.
Ulf D. Posé