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Aktuelle Unsicherheiten dämpfen M&A-Euphorie der Transport- und Logistikbranche

Personalengpässe, hohe Energiepreise und Lieferkettenprobleme machen der Branche zu schaffen. Ausblick mit Unsicherheit behaftet.
Aktuelle Unsicherheiten dämpfen M&A-Euphorie der Transport- und Logistikbranche © freepik
 

Nach dem Rekordjahr 2021 waren die weltweiten Fusionen und Übernahmen in der Transport- und Logistikbranche in der ersten Jahreshälfte 2022 leicht rückläufig. Zwischen Januar und Juni wurden insgesamt 129 Deals im Gesamtwert von 125,9 Milliarden US-Dollar angekündigt. Besonders aktiv zeigten sich dabei strategische Investoren, die an beinahe jedem zweiten Deal (46 Prozent) beteiligt waren. Zu diesen Ergebnissen kommt die Analyse „Transport & Logistics Barometer“, in der die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland gemeinsam mit ihrer globalen Strategieberatung Strategy& die aktuellen Entwicklungen, Mergers & Acquisitions (M&A), Joint Ventures und strategischen Allianzen in der Transport- und Logistikindustrie in der ersten Jahreshälfte 2022 untersucht.

Deals-Geschehen bleibt vergleichsweise stabil

„In der ersten Jahreshälfte haben sich die M&A-Aktivitäten in der Transport- und Logistikbranche abgekühlt. Diese Entwicklung ist vor allem der allgemeinen Unsicherheit geschuldet, die durch die russische Invasion in die Ukraine und den daraus resultierenden Folgen wie den explodierenden Energiepreisen, hohen Personalkosten und gestörten Lieferketten, verstärkt wurde“, kommentiert Ingo Bauer, Leiter des Bereichs Transport & Logistik bei PwC Deutschland. „2021 war allerdings ein Rekordjahr für M&A-Aktivitäten in der Branche; die Fusionen und Übernahmen in der ersten Jahreshälfte 2022 bewegen sich noch immer auf einem vergleichsweise stabilen Niveau.“ 

Mit 129 Deals liegt das erste Halbjahr nur leicht unter dem Fünfjahresdurchschnitt von 134 Fusionen und Übernahmen pro Halbjahr. Das Deal-Volumen erreichte mit knapp 126 Milliarden US-Dollar den höchsten Wert für ein Halbjahr seit 2017. Treiber dieser soliden M&A-Entwicklung sind frachtbezogene Deals, die für 72 Prozent der Transaktionen verantwortlich waren; die übrigen 28 Prozent entfallen auf Mergers & Acquisitions im Personentransport.

Ein Mega-Deal sticht hervor

Maßgeblichen Anteil am hohen Deal-Volumen hat die größte Übernahme der ersten Jahreshälfte: Blackstone und die italienische Benetton-Familie haben angekündigt, über ein gemeinsames Investitionsvehikel die verbliebenen 66,6 Prozent an der italienischen Gruppe Atlantia mit Transportinfrastrukturen für 52 Milliarden US-Dollar zu kaufen.

Zwischen Januar und Juni wurden 18 weitere Transaktionen mit einem Volumen über einer Milliarde US-Dollar, sogenannte Mega-Deals, angekündigt. Im Jahr 2021 hatte es insgesamt 47 Mega-Deals gegeben.

China schneidet schwach ab

Auffällig schwach schneidet China in der M&A-Halbjahresbilanz ab: Im Reich der Mitte befinden sich die Deal-Aktivitäten in der Branche auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Im ersten Halbjahr waren chinesische Transport- und Logistikunternehmen nur an 15 Prozent aller weltweiten Deals beteiligt. 

Dieser Trend könnte sich weiter fortsetzen: „Tendenzen zur De-Globalisierung lassen sich bereits beobachten. Zudem besteht die Gefahr, dass sich ein Gegengewicht zu den westlichen Ländern unter chinesischer und russischer Führung bilden könnte. In der Folge könnten westliche Transport- und Logistikfirmen zurückhaltender werden, wenn es um Deals oder Investitionen in China geht“, so André Wortmann, Partner und Koordinator Transport & Logistik Deals bei PwC Europe.

Rückläufig ist in allen Regionen die Anzahl der strategischen Allianzen und Joint Ventures. Diese finden nur vereinzelt statt, häufig mit einem Fokus auf autonome Fahrzeuge, Dekarbonisierung und alternative Treibstoffe.

Die Branche spürt die Folgen des russischen Angriffskriegs

Der Hauptgrund für den Dämpfer bei den Deals-Aktivitäten ist das Zusammenspiel verschiedener Umstände: Die Nachwirkungen der Pandemie, der Ukraine-Krieg und dessen begleitende Faktoren wie eine hohe Inflation und steigende Zinsraten führen zu allgemeiner Unsicherheit und drücken somit auf die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft. Mit Blick auf den andauernden Krieg und die Lieferkettenverzögerungen in Folge des chinesischen Corona-Lockdowns haben die Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsvorhersagen für 2022 nach unten korrigiert. Gemäß der Szenarioanalysen von PwC und Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, soll das Bruttoinlandsprodukt in der Europäischen Union 2022 voraussichtlich nur noch um 2,5 Prozent zulegen. Vor dem Ausbruch des Krieges waren die Expert:innen noch von einem Plus von vier Prozent ausgegangen. 

„Besonders die steigenden Kosten für Energie und Personal machen den Unternehmen der Transport- und Logistikbranche zu schaffen, da diese in der Regel mit engen Margen operieren. Diese Herausforderungen addieren sich zu den bereits bestehenden Verzögerungen in den internationalen Lieferketten und den Preissprüngen in Folge der Corona-Pandemie“, erklärt Dr. André Wortmann. Der Personenverkehr sei dabei im Vergleich weniger stark von den Verzögerungen in der Supply Chain betroffen als der Güterverkehr. Auch mittelfristig werden „Verzögerungen in den Lieferketten und Personalengpässe die Branche stark beschäftigen“, so André Wortmann weiter. 

Aktuell ist besonders das Supply Chain Management (SCM) gefordert: Auf einigen Routen – etwa zwischen Europa und Asien – werden Flüge in Folge des Krieges umgeleitet. Flugzeuge auf der Strecke Frankfurt-Tokio müssen dadurch zum Beispiel einen Umweg von etwa 1.000 Kilometern in Kauf nehmen, um russischen Luftraum zu umfliegen. „Das bedeutet, dass mehr Kerosin an Bord sein muss und das verfügbare Cargo-Volumen um bis zu 20 Prozent sinkt“, erläutert André Wortmann.

Prognose mit Unsicherheit behaftet: „M&A-Aktivitäten könnten auf dem aktuellen Niveau bleiben“

Die Aussichten für die weitere Entwicklung der Branche in der zweiten Jahreshälfte sehen die PwC-Experten grundsätzlich positiv – sofern sich die geopolitische Lage nicht weiter verschärft. Herausforderungen wie der Fachkräftemangel werden die Branche jedoch auch in den nächsten Monaten weiter beschäftigen. Ingo Bauer geht davon aus, dass die „M&A-Aktivitäten auf dem aktuellen Niveau stabil bleiben könnten, auch wenn diese Prognose mit Unsicherheiten behaftet ist. Sowohl Unternehmen als auch Finanzinvestoren verfügen nach wie vor über ausreichend Kapital, um weltweite Deals zu finanzieren. Mit Blick auf die sinkenden Bewertungen der Targets ergeben sich so auch in Zukunft zahlreiche Chancen für erfolgreiche Fusionen und Übernahmen.“

Neben den aktuell niedrigeren Bewertungen treiben weitere Faktoren die Deals-Aktivitäten voran: Zum einen streben viele Unternehmen danach, Marktanteile zu gewinnen und ihre Prozesse rund um die Supply Chain zu optimieren und zu kontrollieren; zum anderen geht es bei M&A in der Industrie häufig darum, innovative Technologien einzukaufen und das Service-Portfolio auszubauen. 

Eine immer wichtigere Rolle bei Übernahmen spielt zudem die Frage, wie das Ziel-Unternehmen in Sachen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung aufgestellt ist und wie es Personal- und Technologiethemen handhabt. „Eine strategische Neuausrichtung der M&A-Prioritäten ist vor diesem Hintergrund entscheidend. Nur so können Unternehmen das Wachstumspotenzial, das mit Fusionen und 
Übernahmen verbunden ist, voll ausschöpfen“, so das Fazit von Ingo Bauer.