Mediennutzung vor und in der Krise: Social Media – beliebt, aber nicht glaubwürdig
Auf Nachrichtenwebsites, über Social Media-Plattformen oder traditionell im Fernsehen: Nutzerinnen und Nutzer haben viele Möglichkeiten, sich über die COVID-19-Pandemie zu informieren. Eine Online-Befragung von Prof. Annika Sehl, Professur für Digitalen Journalismus an der Universität der Bundeswehr München, vor der Krise zeigt dabei, wie Mediennutzerinnen und -nutzer Plattformen und Nachrichtenangebote in Normalsituationen bewerten. Die grundsätzlich hohe Glaubwürdigkeit, die öffentlich-rechtliche Medien genießen, wirkt sich auch auf die Nutzung in der Krise aus.
Die Online-Befragung wurde im September 2019 mit einem Sample von 1.000 Befragten für Deutschland, repräsentativ nach Geschlecht und Alter, durchgeführt. Sie zeigt: Zu diesem Zeitpunkt schätzten die Befragten die Qualität der Informationen im öffentlich-rechtlichen Hörfunk und Fernsehen sowie in überregionalen Qualitätszeitungen und Lokal- und Regionalzeitungen am besten ein. Im Mittelfeld liegen die Internetangebote öffentlich-rechtlicher Medien, private Radiosender, Zeitschriften und Wochenmagazine, das private Fernsehen und Videoplattformen. Boulevardzeitungen, aber auch auf Social Media-Plattformen, die für die Nachrichtennutzung in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden sind, werden vergleichsweise schlecht bewertet und belegen die untersten Plätze des Rankings (siehe Grafik).
Glaubwürdigkeit für traditionelle Medienangebote, nicht für Social Media
Diese Abstufungen in den Bewertungen spiegeln sich auch in der wahrgenommenen Glaubwürdigkeit der einzelnen Plattformen und Angebote wider. Während öffentlich-rechtlichen Medien und den Angeboten der überregionalen Qualitäts- sowie der Lokal- und Regionalzeitungen überwiegend eine sehr hohe oder hohe Glaubwürdigkeit attestiert wurde, sieht das bei Boulevardzeitungen und Social Media-Plattformen wiederum anders aus. Lediglich 21 Prozent der Befragten beurteilten die Glaubwürdigkeit der Social Media-Plattformen als sehr hoch oder eher hoch, die deutliche Mehrheit mit 70 Prozent dagegen als eher gering oder sehr gering.
„Bei Social Media-Plattformen besteht eine zentrale Herausforderung für Nutzerinnen und Nutzer darin, die dort ebenfalls vorhandenen hochwertigen Informationen von weniger qualitativen bis hin zu gezielten Desinformationen zu unterscheiden“, sagt Professorin Sehl. Das gelte umso mehr, je komplexer ein Sachverhalt sei und je weniger gesicherte Informationen vorliegen wie nun bei COVID-19.
Information versus Unterhaltung
Im Detail wundert es daher nicht, dass den als besonders gut bewerteten und als glaubwürdig empfundenen Medien auch eher informationsorientierte Qualitäten attestiert wurden (z. B. bieten zuverlässige und glaubwürdige Informationen, sind wichtig für die politische Meinungsbildung oder berichten vielfältig). Social Media-Plattformen dagegen punkteten im Vergleich eher bei unterhaltungsorientierten Aspekten (z. B. sind gut zum Entspannen, bieten gute Unterhaltung, Spaß und gute Laune).
Reichweiten für Nachrichten steigen in der Krise zunächst
Während der COVID-19-Pandemie steigt, wie üblich im Anfangsstadium von Ausnahmesituationen, das Informationsinteresse der Bevölkerung. Eine Analyse der Reichweitenentwicklung der im März 2020 fünf reichweitenstärksten Nachrichtenwebsites in Deutschland (AGOF, Unique Users) mit dem Analysetool SimiliarWeb zeigt: Im Vergleich der Monate Januar und März 2020 haben alle deutlich an Reichweite (Visits) gewonnen (zwischen 16% bei t-online und 55% bei welt.de). Zwar nicht unter den TOP 5, aber noch viel höhere Reichweitenzuwächsen zeigen sich bei tagesschau.de. Hier haben die Besuche im Vergleich Januar und März um satte 159 Prozent zugelegt. „Das spricht dafür, dass Menschen bei komplexen und unsicheren Informationslagen wie der COVID-19-Pandemie insbesondere die Angebote öffentlich-rechtlichen Medien nutzen, um sich zu informieren, da sie hier – wie die Befragung gezeigt hat – eine hohe Qualität erwarten“, so Sehl.
Konkrete Daten zur Nachrichtennutzung während der COVID-19-Pandemie in Deutschland liegen detailliert noch nicht vor. Eine aktuelle Befragung der Universität Göttingen über politische Kommunikation im Lockdown zeigt jedoch ebenfalls, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine digitalen Angebote die am häufigsten genutzten Quellen in der Corona-Situation sind (siehe hier: https://bit.ly/3f0JNGJ). Es wird rückblickend nicht nur interessant sein, wie sich Menschen während der Krise informiert haben, sondern auch wie das ihren Wissensstand beeinflusst hat. Noch wenig bekannt ist darüber, ob das Nachrichteninteresse und speziell das Interesse am Thema COVID-19 nach einem ersten Peak wieder nachlässt. „Es erscheint plausibel, dass das Interesse nach einem anfänglichen Anstieg wieder nachlässt, da es eine gewisse Informationsmüdigkeit in Bezug auf dieses Thema geben könnte. Dieser Fall ist erwartbar, wenn die Nachrichten überwiegend negativ sind und die Gesamtlage gleichzeitig für die oder den individuellen Nutzer wenig beeinflussbar ist“, so Professorin Sehl.