Trotz Rekordumsätzen ist die Stimmungslage im Agribusiness durchwachsen
Das Agribusiness hat sich im Jahr 2019 trotz zunehmenden Drucks gut behauptet und sogar neue Rekordwerte eingefahren. So konnte die Ernährungsindustrie als größte Teilbranche ihren Gesamtumsatz geschätzt um drei Prozent auf einen neuen Höchstwert von rund 185 Milliarden Euro steigern.
Einen neuen Rekord haben auch die Molkereibetriebe eingefahren: Ihr Umsatz stieg dank stabiler Milchrohstoffpreise geschätzt um 3,5 Prozent auf 29,1 Milliarden Euro. Und auch die Fleischwirtschaft konnte dank hoher Schweinefleischpreise einen neuen Höchstwert verbuchen: Der Umsatz stieg um 5,7 Prozent auf 44,9 Milliarden Euro.
Dank der guten Entwicklung der wichtigen Teilbranchen hat das Agribusiness insgesamt ebenfalls einen Rekordwert erreicht. Geschätzt erreichte der Umsatz einen Höchstwert von 232,8 Milliarden Euro im Jahr 2019.
Das Agribusiness macht damit zwölf Prozent am gesamten verarbeitenden Gewerbe in Deutschland aus und bleibt nach dem Fahrzeug- und dem Maschinenbau die drittgrößte Branche innerhalb des verarbeitenden Gewerbes. Bedeutende Teilbranchen des deutschen Agribusiness sind die Lebens- und Futtermittelindustrie, die Getränkeindustrie, die Landtechnikindustrie, die Saatzuchtindustrie, die Hersteller von Pflanzenschutz- und Düngemitteln sowie der Landhandel.
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY und des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre des Agribusiness der Georg-August-Universität Göttingen. Die Studie basiert auf Daten des Statistischen Bundesamtes, des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer, des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. sowie eigenen Berechnungen.
Dr. Christian Janze, Partner bei EY. „Das Agribusiness steht vor zahlreichen Herausforderungen. Dazu zählen die gesellschaftlich intensiv geführte Diskussion um die originäre Landwirtschaft, die aktuellen regulatorischen Anforderungen in Verbindung mit dem unvermindert fortbestehenden internationalen Wettbewerbsdruck sowie die nicht vorhandene Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für Produkte mit höheren Produktionsstandards. Diese Punkte führen zur Verunsicherung der Branche bis hin zu ernstzunehmenden Existenzbedrohungen zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe. Die letzten beiden Dürresommer mit damit verbundenen Ertragseinbußen verstärken diesen Umstand. Die aktuellen Proteste sind Ausdruck zunehmender Existenznot dieser Betriebe. Die Branche steht vor einem enormen Transformationsprozess, der auch viele positive Entwicklungen insbesondere mit Blick auf die Vereinbarungen von Ökonomie und Ökologie mit sich bringen kann. Leider wurde bisher versäumt, ein positiv besetztes und zukunftsgerichtetes Thema zu identifizieren, welches die Branche durch diesen Transformationsprozess trägt. Ein solches Thema kann der digitale Wandel im Agribusiness sein. Smart Farming ermöglicht einerseits ressourcenschonenderes und effizienteres Arbeiten in der Branche, ist aber mehr noch geeignet eine neue Transparenz zu ermöglichen sowie Gesellschaft und Branche wieder in einen zukunftsgerichteten konsensualen Dialog zu führen.“
Dr. Marie Diekmann, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre des Agribusiness an der Georg-August-Universität Göttingen. „Die Anforderungen an die unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen des Agribusiness unterliegen einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Aktuell stehen nachhaltigere und transparentere Produktionsprozesse im Fokus. Hier bieten digitale Lösungen, beispielsweise die Blockchain-Technologie, geeignete Ansatzpunkte. Auf Ebene der landwirtschaftlichen Produktion lassen sich gegenwärtig weitreichende Zielkonflikte beobachten, die sich auf das gesamte Agribusiness auswirken. Ein zentraler Punkt ist immer wieder der Trade-off zwischen Ökologie und Ökonomie, wie etwa die Umsetzung höherer Tierwohlstandards einerseits und die Realisierung wettbewerbsfähiger Preisstrukturen andererseits. Hier gilt es, konkrete und langfristige Lösungen für die Branche zu entwickeln.“
Anhang: Die Teilbranchen des Agribusiness im EinzelnenLandtechnik
Nach einem Rekordhoch im Jahr 2018 kann dieses Niveau 2019 voraussichtlich nicht ganz erreicht. Schon im ersten Halbjahr 2019 ist die Zahl der Auftragseingänge deutlich zurückgegangen: weltweit um zehn Prozent und auf dem deutschen Markt sogar um 14 Prozent. Die Marktexperten des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) rechnen daher im Gesamtjahr mit einem leichten Umsatzrückgang von etwa drei Prozent auf 8,4 Milliarden Euro. Das entspricht immer noch dem zweithöchsten Wert überhaupt. Der Rückgang der Auftragseingänge in Deutschland dürfte neben den Dürresommern der letzten beiden Jahre auch auf die gegenwärtige Stimmungslage vieler landwirtschaftlicher Unternehmen zurückzuführen sein.
Trotz des leichten Umsatzrückgangs ist die Zahl der Beschäftigten 2019 im vierten Jahr in Folge gestiegen – auf geschätzt 39.890. Das entspricht einer Steigerung um zwei Prozent im Vergleich zu 2018 und um 39 Prozent im betrachteten Zeitraum seit 2008. Die Zahl der Betriebe ist im Vergleich zum Vorjahr lediglich um einen auf 186 angestiegen.
Janze: „Grundsätzlich ist die deutsche Landtechnikindustrie sehr wettbewerbsfähig aufgestellt. Ihr kommt bei der digitalen Transformation des Agribusiness eine Schlüsselrolle zu und die Branche ist hier sehr gut aufgestellt. 2020 könnte sich die Branche dennoch eher verhalten entwickeln. Viele deutsche Landwirte sind derzeit massiv verunsichert durch das Agrarpaket und andere Gesetzesinitiativen. Vom inländischen Markt werden daher wenig Impulse zu erwarten sein. Bei dem hohen Exportanteil der Branche ist das verkraftbar. In der Folge fokussiert sich die Branche weiter auf die Exportmärkte und Investitionen stagnieren beziehungsweise gehen in Teilbereichen zurück. Allerdings muss die Branche auch hier schauen, ob sie mittelfristig für die wichtigen Wachstumsmärkte richtig aufgestellt ist. Bis 2023 werden 60 Prozent des weltweiten Landtechnikumsatzes in der Region Asien erwirtschaftet werden.“
Ernährungsindustrie
Die Ernährungsindustrie ist sowohl gemessen nach Umsätzen als auch nach Mitarbeitern die größte Teilbranche des Agribusiness. Nachdem sie 2018 noch einen leichten Umsatzrückgang hinnehmen musste, kletterte der Gesamtumsatz 2019 vor allem dank einer deutlichen Steigerung bei den Inlandsumsätzen auf einen neuen Rekordwert von knapp 185 Milliarden Euro. Während die Exporte nur leicht von 59 auf 60 Milliarden Euro stiegen, konnten die Inlandsumsätze von 120 auf 124 Milliarden Euro zulegen. Entsprechend sank der Exportanteil auf 32,6 Prozent – den niedrigsten Wert der vergangenen vier Jahre.
Die Zahl der Beschäftigten wächst schon seit Jahren kontinuierlich – seit 2008 um 17 Prozent und im Vergleich zu 2018 um 1,8 Prozent auf 619.507. Auch die Zahl der Betriebe stieg 2019 auf einen neuen Höchststand von geschätzt 6.150.
Janze: „Die deutsche Ernährungsindustrie konnte im vergangenen Jahr davon profitieren, dass insbesondere die Fleisch- und Milchpreise auf einem relativ hohen Niveau waren. Dennoch wird die Branche 2020 mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen haben. Die Ernährungsindustrie fürchtet zunehmend um ihre inländischen Rohstofflieferanten und Fragen nach den geeigneten Produktionsstandorten für Lebensmittel werden lauter. Zudem erwarten die Verbraucher immer bessere Tier- und Umweltschutzbedingungen. Es ist aber noch unklar, ob es gelingt, die damit verbundenen Mehrkosten wieder reinzuholen. Auch der nach wie vor mit Unklarheiten behaftete Brexit verunsichert die Branche weiterhin.“
Fleischwirtschaft
Die Fleischwirtschaft ist innerhalb der Ernährungswirtschaft die wichtigste Teilbranche. Vor allem der Inlandsumsatz ist 2019 geschätzt auf einen neuen Rekordwert von 33,9 Milliarden Euro gestiegen. Der Export, der 2018 eingebrochen war, konnte sich wieder erholen und stieg auf 11,1 Milliarden Euro – den zweithöchsten Wert im betrachteten Zeitraum. Lediglich 2017 fiel er mit 11,2 Milliarden Euro höher aus. Die Exportquote lag damit wie schon im Vorjahr bei 24,6 Prozent.
Auch die Beschäftigung entwickelte sich positiv: 2019 arbeiteten geschätzt mehr als 127.000 Beschäftigte in der Fleischwirtschaft – ein Anstieg um 3,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Betriebe legte leicht um 15 auf 1.440 zu.
Janze: „Der Schweinefleischkonsum in Deutschland geht zwar bereits seit Jahren zurück – allerdings zogen die Schweinefleischpreise 2019 deutlich an, wovon die Fleischwirtschaft insgesamt profitierte. Die Schweinpreise wirkten sich auch positiv auf die Geflügelpreise aus. Grund für den Anstieg waren insbesondere der Rückgang der Schweinebestände sowie die verstärkte Nachfrage aus China. Auch weil die Nachfrage nach Fleisch außerhalb der Europäischen Union – in erster Linie in China – weiter zunimmt, werden die Exporte weiter in die Höhe gehen. Damit kann die Branche auch den diversen Herausforderungen auf dem Heimatmarkt entgegenwirken.“
Milchwirtschaft
Die Milchwirtschaft konnte dank stabiler Milchpreise dem Umsatz im vergangenen Jahr geschätzt um 5,3 Prozent auf 29,1 Milliarden Euro steigern. Getragen wurde das Wachstum sowohl vom Inlandsumsatz als auch von den Exporten, die beide mit 19,6 Milliarden Euro beziehungsweise 9,5 Milliarden Euro jeweils einen neuen Höchststand erreichten. Wie bereits in den Vorjahren beträgt die Exportquote damit etwa ein Drittel.
Während die Zahl der Betriebe im vergangenen Jahr voraussichtlich leicht um zwei auf 222 zurückgegangen sein dürfte, stieg die Zahl der Beschäftigten bereits im neunten Jahr in Folge. 2019 arbeiteten in den Molkereiunternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten mehr als 44.400 Beschäftigte.
Janze: „Die Branche konnte 2019 auf insgesamt stabile Milchrohstoffpreise bauen. Grund dafür war das eher schwache globale Angebotswachstum. Die deutsche Molkereiwirtschaft konnte die globale Entwicklung nutzen und selbst die Exporte um rund sechs Prozent ausbauen. Es ist zu erwarten, dass dies auch 2020 wieder gelingt, da in vielen anderen Erzeugerländern die Milchproduktion eher stagniert. Insbesondere das hohe Potenzial von bevölkerungsreichen Ländern wie China und Indien, in denen eine heranwachsende Mittelschicht zu einer starken Nachfrage nach Milchprodukten führt, kann sich auch 2020 positiv auf die heimischen Molkereibetriebe auswirken. Allerdings existieren – nicht nur bei Milch – deutliche Risiken für die Exportmärkte einerseits durch weitere mögliche Handelskonflikte als auch durch neue strategische Allianzen in der Lebensmittelproduktion beispielsweise zwischen Russland und China.“