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Deutsche Wirtschaft steht auf wackeligen Füßen

Schwächephase in der Industrie hält an – Konsum der privaten Haushalte stützt Wirtschaft.
DIW Berlin | 11.12.2019
Konsum der privaten Haushalte stützt Wirtschaft © DIW Berlin
 

Langfristiges Investitionsprogramm der öffentlichen Hand notwendig, um Standort Deutschland attraktiver zu machen und den Folgen des demografischen Wandels zu begegnen.

Die deutsche Wirtschaft steht weiterhin auf wackeligen Füßen. Die Produktion der Industrieunternehmen ist bis zuletzt deutlich gesunken. Der nach wie vor unklare Verlauf des Brexit und die nicht gelösten weltweiten Handelskonflikte sorgen für Verunsicherung. Die Ursachen für den stotternden Konjunkturmotor sind allerdings nicht nur extern, sondern zumindest teilweise auch hausgemacht: Die für die deutsche Wirtschaft wichtige Automobilindustrie steht vor großen Umbrüchen – neben dem Wandel hin zur Elektromobilität sind viele Hersteller auch mit der Frage konfrontiert, wie wettbewerbsfähig der Produktionsstandort Deutschland noch ist. Dessen Qualität hat in den vergangenen Jahren auch darunter gelitten, dass der Staat nicht ausreichend investiert hat.

Zwar steckt die öffentliche Hand bis zum Jahr 2021 wohl zusätzlich rund 18 Milliarden Euro unter anderem in Infrastruktur und Bildung – allerdings fehlt es nach wie vor an einem länger angelegten Investitionsprogramm, das Kontinuität verspricht und das Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft nachhaltig erhöht. Kurzfristig sind es vor allem die privaten Haushalte, die die deutsche Wirtschaft zumindest einigermaßen am Laufen halten. Die Löhne nehmen zu, die Inflation ist moderat und die Schwäche der Industrie hat bisher keine tiefen Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Deshalb hält das DIW Berlin für das laufende Jahr an seiner Wachstumsprognose vom Herbst in Höhe von 0,5 Prozent fest.

Auch in den kommenden beiden Jahren profitieren die privaten Haushalte von mehr Geld im Portemonnaie: Die Renten werden recht kräftig steigen, Steuererleichterungen sind auf den Weg gebracht und vor allem die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für einen Großteil der Haushalte dürfte die Konsumlaune weiter steigern. Nach und nach dürfte dann auch das verarbeitende Gewerbe seine Talfahrt beenden. Dass sich zumindest die Auftragseingänge und die Exporte zuletzt bereits stabilisiert haben, ist ein Silberstreif am Horizont. Unter dem Strich dürfte die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr voraussichtlich um 1,2 Prozent und im Jahr 2021 um 1,4 Prozent wachsen.

Investitionsoffensive des Bundes würde Wachstumspotential um 0,3 Prozentpunkte pro Jahr erhöhen

Auch weltweit stützt in vielen Ländern vor allem der private Verbrauch die Konjunktur, während die Investitionstätigkeit der Unternehmen eher mau ist und erst im späteren Verlauf wieder in Fahrt kommen dürfte. Insbesondere die fortgeschrittenen Volkswirtschaften kommen derzeit nur schwer vom Fleck – in den Schwellenländern beschleunigt sich das Wachstum hingegen. Alles in allem wird die Weltwirtschaft aber wohl vergleichsweise verhalten expandieren, um 3,6 Prozent in diesem Jahr und um jeweils 3,7 Prozent in den kommenden beiden Jahren. Größere Einbrüche sind nicht zu erwarten, sofern Unsicherheitsherde wie der Handelskrieg zwischen den USA und China nicht erneut aufflammen.

Für die deutsche Wirtschaft gibt es aber noch keinen Anlass zur Entwarnung: Aktuell fragen vor allem heimische Unternehmen deutlich weniger Maschinen und Fahrzeuge nach. In unsicheren Zeiten üben sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer offenbar in Zurückhaltung und dürften diese angesichts anhaltender Unsicherheit auch nicht allzu bald über Bord werfen.

„Ein breit angelegtes und langfristiges öffentliches Investitionsprogramm würde nicht nur die Wachstumsperspektiven für die kommenden Jahre verbessern – es würde den Unternehmen signalisieren, dass der Standort auch in Zukunft attraktiv ist.“ Claus Michelsen, DIW-Konjunkturchef

Notwendig ist daher umso mehr, private durch öffentliche Investitionen zu stimulieren. Das Arbeitskräftepotential sinkt – immer weniger Erwerbspersonen müssen dann für immer mehr Ältere sorgen. Fließt nicht mehr Geld in Bildung, Forschung und Entwicklung sowie Infrastruktur, sinkt das Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft. Da die finanziellen Spielräume in den öffentlichen Haushalten kleiner werden, läuft es jedoch mittelfristig wieder auf eine sinkende Investitionsquote raus.

Die DIW-KonjunkturforscherInnen empfehlen daher ein langfristig angelegtes Investitionsprogramm. Investive Ausgaben, die über die mittelfristige Finanzplanung hinausgehen – unterstellt wird ein gradueller Anstieg über mehrere Jahre auf schließlich 30 Milliarden Euro pro Jahr –  würden die potentielle Wachstumsrate der deutschen Wirtschaft zusätzlich erhöhen. Allerdings ließen sich merkliche Effekte nur dann erzielen – den Simulationsberechnungen zufolge rund 0,3 Prozentpunkte pro Jahr – wenn die Mittel dauerhaft fließen und damit private Investitionen stimulieren. Auch die Einnahmen der öffentlichen Hand stiegen dann: Allein bis zum Jahr 2024 würden die Steuereinnahmen den Berechnungen zufolge um insgesamt etwa 20 Milliarden Euro zunehmen.

Kurz gesagt

Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin: „Die deutsche Wirtschaft entwickelt sich derzeit nur zäh. Dafür gibt es sicher auch ein paar externe Gründe – die Weltwirtschaft brummt angesichts vieler Risiken nicht gerade und die deutsche Industrie leidet wegen ihres Fokus auf Investitionsgüter darunter. Die Hauptprobleme sind aber hausgemacht: Seit Jahren wird in Deutschland zu wenig investiert und an der Substanz gezehrt. Die Haushaltsspielräume waren lange Zeit groß – verbunden mit den niedrigen Zinsen wurden goldene Chancen vertan, in die Zukunft des Landes zu investieren. Der Bedarf ist immer noch da, aber in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten und bei schmelzenden Etatüberschüssen wird es nicht einfacher, vor allem wenn an der schwarzen Null festgehalten wird. Deutschland braucht endlich ein dauerhaftes Investitionsprogramm, um künftigen Wohlstand zu sichern.“

Claus Michelsen, Konjunkturchef des DIW Berlin: „Nachdem die deutsche Wirtschaft jahrelang hervorragend lief, ist die Entwicklung in diesem Jahr enttäuschend. Die Industrie befindet sich nach wie vor in der Rezession. In Schlüsselsektoren wie der Automobilindustrie und dem Maschinenbau ist die Produktion deutlich gesunken. Zwar hat sich die Stimmung aufgehellt und auch das Auslandsgeschäft gewinnt allmählich wieder an Fahrt – die Schwächephase der deutschen Wirtschaft ist aber noch nicht überwunden. Es kommt jetzt darauf an, die Grundlagen für das Wirtschaftswachstum der Zukunft zu legen. Ein breit angelegtes und langfristiges öffentliches Investitionsprogramm würde nicht nur die Wachstumsperspektiven für die kommenden Jahre verbessern – es würde den Unternehmen signalisieren, dass der Standort auch in Zukunft attraktiv ist. Dringend benötigte private Investitionen würden dann nicht weiter hinausgezögert. Damit würde auch die Konjunktur ganz kurzfristig angekurbelt.“

Simon Junker, Experte für die Konjunktur in Deutschland am DIW Berlin: „Die Industrie kämpft sich nur mühsam aus der Krise. Ab dem Jahreswechsel dürfte das verarbeitende Gewerbe seine Produktion aber bei solidem Auslandsgeschäft allmählich wieder ausweiten. In Kombination mit dem florierenden Konsum, der in den kommenden Jahren durch eine Vielzahl von Maßnahmen, wie etwa dem Abbau des Solidaritätszuschlags, getrieben wird, dürfte die deutsche Wirtschaft 2020 und 2021 wieder etwas runder laufen.“

Geraldine Dany-Knedlik, Expertin für die Weltwirtschaft am DIW Berlin: „Noch stützen günstige Bedingungen auf den Arbeitsmärkten und ein dadurch steigender privater Konsum die Weltwirtschaft. Weiterhin bremsen Handelskonflikte und politische Unsicherheiten die Investitionstätigkeit, so dass insbesondere die fortgeschrittenen Volkswirtschaften nur wenig wachsen. Auch wenn sich die Zollstreitigkeiten zwischen den USA und China etwas entspannt haben, bleiben die abwärts gerichteten Risiken hoch.“

Marius Clemens, Experte für Finanzpolitik am DIW Berlin: „Hohe Überschüsse in den öffentlichen Kassen werden schon bald der Vergangenheit angehören. Die abgekühlte Konjunktur und expansive finanzpolitische Maßnahmen tragen dazu bei. Zwar hat der Bund für die kommenden beiden Jahre mehr Investitionen eingeplant, allerdings gibt es kein Bekenntnis für die Zeit danach. Die Gefahr ist, dass die Investitionen dann angesichts knapper Kassen wieder hintenan gestellt werden. Nötig ist aber ein dauerhaft angelegtes Investitionsprogramm, das Planungssicherheit schafft. Würde der Staat in den nächsten sechs Jahren fünf Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich investieren und anschließend verstetigen, könnte das Potentialwachstum mittelfristig um 0,3 Prozentpunkte steigen.“