Das Gehirn – ein Netzwerk voller Möglichkeiten
Dr. Henning Beck ist Biochemiker, Neurowissenschaftler und Deutscher Meister im Science Slam. Am 1. Februar 2018 hält er auf der LEARNTEC seine Keynote „Lernst Du noch oder verstehst Du schon – Der Weg des Wissens zu den Nervenzellen“. Im Interview erklärt er, wie Virtual Reality das Gehirn anspricht und warum virtuelle Klassenzimmer so wichtig sind. Dabei erläutert er die komplexe Wissenschaft stets unterhaltsam und verständlich.
Herr Dr. Beck – Wie speichert das Gehirn Informationen?
In der Architektur des Gehirns ist verborgen, was und wie wir denken können – also Informationen, Gedanken, Emotionen oder Ideen. Aber Informationen sind nicht „irgendwo“ im Gehirn vorhanden, es sind keine Objekte, die man in einem Regal ablegt und bei Bedarf wieder hervorholt. Bei Computern werden Datensätze auf der Festplatte gespeichert, im Gehirn ist Information ein Zustand, den das Gehirn annehmen kann. Es ist die Art und Weise, wie Nervenzellen miteinander verbunden sind und wie das Gehirn als Netzwerk aktiv ist. Und je besser sich das Netzwerk anpassen kann, desto besser kann das Gehirn lernen.
Woher weiß ich dann, welche Informationen vorhanden sind?
Sie müssen sich das vorstellen wie bei einem Orchester: Wenn man von außen hineinschaut, kann man keine Musik finden. Sie wird jedes Mal neu erzeugt, wenn das Orchester spielt. Man sieht auch nicht, welche Musikstücke sie spielen können, bis sie anfangen. Ebenso wenig weiß man, was ein Gehirn alles denken kann, wenn man nur die Architektur, also das Netzwerk, anschaut.
Wie wandelt das Gehirn Informationen in Wissen um?
Wissen ist die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und in Zusammenhänge zu stellen. Daten sind das einfachste Niveau und für sich genommen wertlos. Erst Informationen beschreiben einen Sachverhalt, und Wissen bedeutet, Informationen neu zusammenzustellen. Das heißt: Wenn ich Informationen verstehe, erhalte ich Wissen. Es ist die Fähigkeit, anhand von Informationen die persönliche Sicht zu verändern. Verstehen ist der Übergang von Information zu Wissen. Das heißt: Wenn man Wissen abfragt, fragt man auch das Verständnis ab.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Für einen Computer unterscheiden sich die Smileys :-) und :-( in einem Drittel der Daten. Doch für uns sind sie zu 100 Prozent unterschiedlich. Denn wir denken über die bloßen Zeichen hinaus, haben ein Konzept, eine Idee mit den Schriftsymbolen verbunden und damit genau dieses Konzept verstanden.
Wie können die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung für das Lernen genutzt werden?
Wenn man Wissen dauerhaft verankern will, darf man Lernende nicht in eine passive Rolle degradieren. Die meisten Vokabeln, die ich nur aus einem Vokabelheft auswendig gelernt habe, habe ich wieder vergessen. Wenn ich sie jedoch in einem Kontext gehört habe und sie zu einer Problemlösung beigetragen haben, hat sich das Erfolgserlebnis eingebrannt. Denn ich habe sie verstanden, nicht nur auswendig gelernt. Das Gehirn passt sich schnell an und kann das Wissen – die Vokabel – jederzeit abrufen.
Aber man kann nicht alles aus einem Kontext heraus lernen. Manche Dinge muss man einfach „pauken“.
Dann sollte aber die Frage am Anfang stehen: „Wozu brauche ich das?“ In der Schule steht diese wichtige Frage oft am Ende. Dann müssen die Schüler erst etwas auswendig lernen und erfahren dann, wozu es nützlich ist. Wenn man ihnen zuerst den Grund liefert, warum sie etwas Bestimmtes lernen sollen, kann man den Lernerfolg steigern.
Studien haben gezeigt, dass sich Erinnerungen manipulieren lassen. Wie sollen wir mit einem so fehleranfälligen Gehirn lernen und Dinge behalten?
Irren ist nützlich. Ein falsches Gedächtnis ist besser als gar keins. Viele Menschen denken, das Gedächtnis habe die Aufgabe, die Vergangenheit korrekt wiederzugeben. Doch das ist nicht so. Das Gedächtnis soll sicherstellen, dass wir uns im Hier und Jetzt richtig verhalten. Dazu muss das Gehirn Erinnerungen verändern, verfälschen und sogar vergessen. Interessanterweise sind die Areale, die unsere Erinnerung verzerren, die gleichen, die unsere Zukunft planen und uns ermöglichen, andere Perspektiven einzunehmen. Wäre das Gedächtnis perfekt, wäre es so statisch, dass man sich die Zukunft nicht vorstellen könnte. Man kann sowieso nur die Gegenwart beeinflussen, deshalb ist Zeitempfinden eine Erfindung des Gehirns. Kurze intensive Momente werden in der Vergangenheit länger, lange und langweilige Passagen werden in der Erinnerung ganz kurz.
Wie lassen sich Lernprozesse unterstützen und beschleunigen?
Um etwas dauerhaft zu behalten, muss man sich Lösungen selbst erarbeiten. Gute Wissensvermittlung ist wie ein Weihnachtsgeschenk: Man schreibt einen Wunschzettel, dann packt man die Geschenke ein, der andere packt sie aus, und dann findet man das Geschenk, das man sich gewünscht hat. Auf die Bildung übertragen heißt das: Der Lehrer oder Schulungsleiter stellt eine Frage oder Aufgabe und präsentiert die Antwort als verpacktes Geschenk. Die Schüler und Teilnehmer müssen das Geschenk selbst auspacken, also unterschiedliche Lösungsansätze ausprobieren und sich die Antwort selbst erarbeiten. Die Lehrkraft muss natürlich am Ende dafür sorgen, dass das Wissenspaket ausgepackt ist, die Lösung muss klar und robust kommuniziert werden und dann müssen auch Übungsaufgaben kommen. Man kann nicht einfach Wissen bereitstellen und hoffen, dass die Menschen es verstehen. Das wird der Art und Weise, wie wir lernen, nicht gerecht. Das wusste schon Goethe: „Erquickung hast Du nicht gewonnen, wenn es Dir nicht aus eigener Seele quillt.“
Dann könnten wir aber gar nicht aus den Fehlern und Erfahrung anderer lernen.
Eigene Fehler – vor allem bei schwerwiegenden Folgen – behält man natürlich besser im Gedächtnis, weil sie mit Emotionen verbunden sind. Aber man kann sich auch Verhaltensweisen von anderen abschauen. Aus den Fehlern anderer zu lernen ist gewissermaßen eine „negative Imitation“. Das abgeguckte Vermeidungsverhalten sitzt tief in uns drin. Wir orientieren uns an anderen Menschen, imitieren ihr Verhalten, denn es hat Vorteile, nicht jeden Fehler selber zu machen. Es gibt Regionen und Netzwerke im Gehirn, die für Imitationsverhalten verantwortlich sind, und diese Areale kann ich mit Negativbeispielen füttern. Natürlich funktioniert das auch über Gedankenexperimente. Sie sind nicht so intensiv, aber besser als nichts, denn das Nervennetzwerk reagiert auch darauf, wenn man es sich nur vorstellt.
Das stützt die These einiger Wissenschaftler, nach der das Gehirn nicht unterscheiden kann, ob man beispielsweise Klavier spielt oder nur daran denkt, Klavier zu spielen. In beiden Fällen sind die gleichen Areale aktiv. Dann müsste doch das Lernen mit Virtual Reality hervorragend funktionieren.
Lernen mit einer VR-Brille kann wie eine „echte“ Realität wahrgenommen werden. Der Lernende taucht in die Szene ein und nimmt sie als Wirklichkeit wahr – im Sinne von „Wirkung“. Das funktioniert allerdings nur bei einer sehr guten Technik mit wenig Verzögerung. Manchmal wird es einem schwindlig, weil die Systeme langsamer arbeiten als das Gehirn. Es reicht nicht aus, jemandem ein Handy auf die Nase zu setzen, das ist nur Spielerei. Und man hat immer einen Medienbruch.
Aber wenn etwa ein Azubi das Innenleben eines E-Motors verstehen oder gefahrlos eine Hochspannungsleitung reparieren will, sind diese virtuellen Realitäten doch sehr hilfreich?
Es gibt viele Anwendungen, bei denen zusätzliche Sinneskomponenten von Vorteil sind. Wenn ein Designer Büromöbel gestaltet, macht es einen deutlichen Unterschied, ob er nur mit 2D-Zeichnungen arbeiten oder mit 3D-Visualisierung tief in das Möbelstück eintauchen kann. Die Darstellung ist ganz anders. Schrauben sitzen eben dreidimensional im Stuhl drin.
Was können E-Learning-Anbieter von Gehirnforschung lernen?
Die besten Ergebnisse kann man beobachten, wenn mehrere Menschen am Lernen beteiligt sind und interagieren. Deshalb sind virtuelle Klassenzimmer oder Konferenzschaltungen besser als WBTs, bei denen sich die Lernenden das Wissen allein aneignen müssen. E-Learning-Tools werden immer produktiver. Doch die Annahme, die Lernenden könnten mit den neuen Medien schneller und mehr behalten, trifft nicht zu. Denn irgendwann nimmt man mehr auf, als man verarbeiten kann, und dann wirft das Gehirn wieder viel raus. Deshalb kann es sogar von Nachteil sein, wenn man zu schnell lernt. Besser ist pulsierendes Lernen, das heißt, manchmal muss man beschleunigen und intensiv lernen, dann verdauen, dann auf höherem Niveau weitermachen. Man kann also nicht nur ein immer gleiches, hohes Lerntempo vorgeben. Manches kann man komprimiert anbieten, muss den Teilnehmern aber auch die Möglichkeit geben, das Gelernte in anderen Zusammenhang zu stellen, also zu reflektieren. Aufnehmen, verarbeiten und in einer anderen Form artikulieren, sodass es jemand anderes versteht – mehr muss ein Gehirn nicht können.
Wird künstliche Intelligenz jemals das menschliche Gehirn an Lern- und Leistungsfähigkeit überholen?
Ich weiß zwar nicht, was in 300 Jahren ist, aber zu unseren Lebzeiten wird das nicht passieren. Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist missverständlich, denn es handelt sich um eine reine Mustererkennung. Computer können Schach, Go und Poker lernen, Bilder und Gesichter erkennen, Big Data auswerten, etc. Doch Intelligenz ist nicht alles, denn der Mensch kann aus seinem Wissen neue Ideen entwickeln, mit anderen austauschen und kooperieren. Deshalb wird ein Computersystem das Gehirn so schnell nicht in den Schatten stellen.
Vom 30. Januar bis 1. Februar 2018 steht die Messe Karlsruhe im Zeichen des digitalen Lernens. Jährlich lockt die LEARNTEC mehr als 7.500 HR-Entscheider und IT-Verantwortliche nach Karlsruhe, die sich bei über 280 Ausstellern zu den Möglichkeiten digitalen Lernens informieren und konkret für ihre Problemstellungen bei Wissensvermittlung und -management Lösungen suchen.
Der Kongress der kommenden LEARNTEC widmet sich dem Thema „Bildung als Motor der Digitalisierung“ und vermittelt an drei Tagen geballtes, praxisnahes Wissen. Behandelt werden Themen wie selbstorganisiertes und informelles Lernen, VR- und 3D-Lernwelten, Digital Leadership, Modern Learning, Big Data, Learning Analytics und Adaptive Learning sowie Performance Support.
Weitere Informationen zur LEARNTEC unter www.learntec.de.
Herr Dr. Beck – Wie speichert das Gehirn Informationen?
In der Architektur des Gehirns ist verborgen, was und wie wir denken können – also Informationen, Gedanken, Emotionen oder Ideen. Aber Informationen sind nicht „irgendwo“ im Gehirn vorhanden, es sind keine Objekte, die man in einem Regal ablegt und bei Bedarf wieder hervorholt. Bei Computern werden Datensätze auf der Festplatte gespeichert, im Gehirn ist Information ein Zustand, den das Gehirn annehmen kann. Es ist die Art und Weise, wie Nervenzellen miteinander verbunden sind und wie das Gehirn als Netzwerk aktiv ist. Und je besser sich das Netzwerk anpassen kann, desto besser kann das Gehirn lernen.
Woher weiß ich dann, welche Informationen vorhanden sind?
Sie müssen sich das vorstellen wie bei einem Orchester: Wenn man von außen hineinschaut, kann man keine Musik finden. Sie wird jedes Mal neu erzeugt, wenn das Orchester spielt. Man sieht auch nicht, welche Musikstücke sie spielen können, bis sie anfangen. Ebenso wenig weiß man, was ein Gehirn alles denken kann, wenn man nur die Architektur, also das Netzwerk, anschaut.
Wie wandelt das Gehirn Informationen in Wissen um?
Wissen ist die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und in Zusammenhänge zu stellen. Daten sind das einfachste Niveau und für sich genommen wertlos. Erst Informationen beschreiben einen Sachverhalt, und Wissen bedeutet, Informationen neu zusammenzustellen. Das heißt: Wenn ich Informationen verstehe, erhalte ich Wissen. Es ist die Fähigkeit, anhand von Informationen die persönliche Sicht zu verändern. Verstehen ist der Übergang von Information zu Wissen. Das heißt: Wenn man Wissen abfragt, fragt man auch das Verständnis ab.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Für einen Computer unterscheiden sich die Smileys :-) und :-( in einem Drittel der Daten. Doch für uns sind sie zu 100 Prozent unterschiedlich. Denn wir denken über die bloßen Zeichen hinaus, haben ein Konzept, eine Idee mit den Schriftsymbolen verbunden und damit genau dieses Konzept verstanden.
Wie können die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung für das Lernen genutzt werden?
Wenn man Wissen dauerhaft verankern will, darf man Lernende nicht in eine passive Rolle degradieren. Die meisten Vokabeln, die ich nur aus einem Vokabelheft auswendig gelernt habe, habe ich wieder vergessen. Wenn ich sie jedoch in einem Kontext gehört habe und sie zu einer Problemlösung beigetragen haben, hat sich das Erfolgserlebnis eingebrannt. Denn ich habe sie verstanden, nicht nur auswendig gelernt. Das Gehirn passt sich schnell an und kann das Wissen – die Vokabel – jederzeit abrufen.
Aber man kann nicht alles aus einem Kontext heraus lernen. Manche Dinge muss man einfach „pauken“.
Dann sollte aber die Frage am Anfang stehen: „Wozu brauche ich das?“ In der Schule steht diese wichtige Frage oft am Ende. Dann müssen die Schüler erst etwas auswendig lernen und erfahren dann, wozu es nützlich ist. Wenn man ihnen zuerst den Grund liefert, warum sie etwas Bestimmtes lernen sollen, kann man den Lernerfolg steigern.
Studien haben gezeigt, dass sich Erinnerungen manipulieren lassen. Wie sollen wir mit einem so fehleranfälligen Gehirn lernen und Dinge behalten?
Irren ist nützlich. Ein falsches Gedächtnis ist besser als gar keins. Viele Menschen denken, das Gedächtnis habe die Aufgabe, die Vergangenheit korrekt wiederzugeben. Doch das ist nicht so. Das Gedächtnis soll sicherstellen, dass wir uns im Hier und Jetzt richtig verhalten. Dazu muss das Gehirn Erinnerungen verändern, verfälschen und sogar vergessen. Interessanterweise sind die Areale, die unsere Erinnerung verzerren, die gleichen, die unsere Zukunft planen und uns ermöglichen, andere Perspektiven einzunehmen. Wäre das Gedächtnis perfekt, wäre es so statisch, dass man sich die Zukunft nicht vorstellen könnte. Man kann sowieso nur die Gegenwart beeinflussen, deshalb ist Zeitempfinden eine Erfindung des Gehirns. Kurze intensive Momente werden in der Vergangenheit länger, lange und langweilige Passagen werden in der Erinnerung ganz kurz.
Wie lassen sich Lernprozesse unterstützen und beschleunigen?
Um etwas dauerhaft zu behalten, muss man sich Lösungen selbst erarbeiten. Gute Wissensvermittlung ist wie ein Weihnachtsgeschenk: Man schreibt einen Wunschzettel, dann packt man die Geschenke ein, der andere packt sie aus, und dann findet man das Geschenk, das man sich gewünscht hat. Auf die Bildung übertragen heißt das: Der Lehrer oder Schulungsleiter stellt eine Frage oder Aufgabe und präsentiert die Antwort als verpacktes Geschenk. Die Schüler und Teilnehmer müssen das Geschenk selbst auspacken, also unterschiedliche Lösungsansätze ausprobieren und sich die Antwort selbst erarbeiten. Die Lehrkraft muss natürlich am Ende dafür sorgen, dass das Wissenspaket ausgepackt ist, die Lösung muss klar und robust kommuniziert werden und dann müssen auch Übungsaufgaben kommen. Man kann nicht einfach Wissen bereitstellen und hoffen, dass die Menschen es verstehen. Das wird der Art und Weise, wie wir lernen, nicht gerecht. Das wusste schon Goethe: „Erquickung hast Du nicht gewonnen, wenn es Dir nicht aus eigener Seele quillt.“
Dann könnten wir aber gar nicht aus den Fehlern und Erfahrung anderer lernen.
Eigene Fehler – vor allem bei schwerwiegenden Folgen – behält man natürlich besser im Gedächtnis, weil sie mit Emotionen verbunden sind. Aber man kann sich auch Verhaltensweisen von anderen abschauen. Aus den Fehlern anderer zu lernen ist gewissermaßen eine „negative Imitation“. Das abgeguckte Vermeidungsverhalten sitzt tief in uns drin. Wir orientieren uns an anderen Menschen, imitieren ihr Verhalten, denn es hat Vorteile, nicht jeden Fehler selber zu machen. Es gibt Regionen und Netzwerke im Gehirn, die für Imitationsverhalten verantwortlich sind, und diese Areale kann ich mit Negativbeispielen füttern. Natürlich funktioniert das auch über Gedankenexperimente. Sie sind nicht so intensiv, aber besser als nichts, denn das Nervennetzwerk reagiert auch darauf, wenn man es sich nur vorstellt.
Das stützt die These einiger Wissenschaftler, nach der das Gehirn nicht unterscheiden kann, ob man beispielsweise Klavier spielt oder nur daran denkt, Klavier zu spielen. In beiden Fällen sind die gleichen Areale aktiv. Dann müsste doch das Lernen mit Virtual Reality hervorragend funktionieren.
Lernen mit einer VR-Brille kann wie eine „echte“ Realität wahrgenommen werden. Der Lernende taucht in die Szene ein und nimmt sie als Wirklichkeit wahr – im Sinne von „Wirkung“. Das funktioniert allerdings nur bei einer sehr guten Technik mit wenig Verzögerung. Manchmal wird es einem schwindlig, weil die Systeme langsamer arbeiten als das Gehirn. Es reicht nicht aus, jemandem ein Handy auf die Nase zu setzen, das ist nur Spielerei. Und man hat immer einen Medienbruch.
Aber wenn etwa ein Azubi das Innenleben eines E-Motors verstehen oder gefahrlos eine Hochspannungsleitung reparieren will, sind diese virtuellen Realitäten doch sehr hilfreich?
Es gibt viele Anwendungen, bei denen zusätzliche Sinneskomponenten von Vorteil sind. Wenn ein Designer Büromöbel gestaltet, macht es einen deutlichen Unterschied, ob er nur mit 2D-Zeichnungen arbeiten oder mit 3D-Visualisierung tief in das Möbelstück eintauchen kann. Die Darstellung ist ganz anders. Schrauben sitzen eben dreidimensional im Stuhl drin.
Was können E-Learning-Anbieter von Gehirnforschung lernen?
Die besten Ergebnisse kann man beobachten, wenn mehrere Menschen am Lernen beteiligt sind und interagieren. Deshalb sind virtuelle Klassenzimmer oder Konferenzschaltungen besser als WBTs, bei denen sich die Lernenden das Wissen allein aneignen müssen. E-Learning-Tools werden immer produktiver. Doch die Annahme, die Lernenden könnten mit den neuen Medien schneller und mehr behalten, trifft nicht zu. Denn irgendwann nimmt man mehr auf, als man verarbeiten kann, und dann wirft das Gehirn wieder viel raus. Deshalb kann es sogar von Nachteil sein, wenn man zu schnell lernt. Besser ist pulsierendes Lernen, das heißt, manchmal muss man beschleunigen und intensiv lernen, dann verdauen, dann auf höherem Niveau weitermachen. Man kann also nicht nur ein immer gleiches, hohes Lerntempo vorgeben. Manches kann man komprimiert anbieten, muss den Teilnehmern aber auch die Möglichkeit geben, das Gelernte in anderen Zusammenhang zu stellen, also zu reflektieren. Aufnehmen, verarbeiten und in einer anderen Form artikulieren, sodass es jemand anderes versteht – mehr muss ein Gehirn nicht können.
Wird künstliche Intelligenz jemals das menschliche Gehirn an Lern- und Leistungsfähigkeit überholen?
Ich weiß zwar nicht, was in 300 Jahren ist, aber zu unseren Lebzeiten wird das nicht passieren. Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist missverständlich, denn es handelt sich um eine reine Mustererkennung. Computer können Schach, Go und Poker lernen, Bilder und Gesichter erkennen, Big Data auswerten, etc. Doch Intelligenz ist nicht alles, denn der Mensch kann aus seinem Wissen neue Ideen entwickeln, mit anderen austauschen und kooperieren. Deshalb wird ein Computersystem das Gehirn so schnell nicht in den Schatten stellen.
Herr Dr. Beck – vielen Dank für das interessante Interview.
Zur LEARNTEC
Vom 30. Januar bis 1. Februar 2018 steht die Messe Karlsruhe im Zeichen des digitalen Lernens. Jährlich lockt die LEARNTEC mehr als 7.500 HR-Entscheider und IT-Verantwortliche nach Karlsruhe, die sich bei über 280 Ausstellern zu den Möglichkeiten digitalen Lernens informieren und konkret für ihre Problemstellungen bei Wissensvermittlung und -management Lösungen suchen.
Der Kongress der kommenden LEARNTEC widmet sich dem Thema „Bildung als Motor der Digitalisierung“ und vermittelt an drei Tagen geballtes, praxisnahes Wissen. Behandelt werden Themen wie selbstorganisiertes und informelles Lernen, VR- und 3D-Lernwelten, Digital Leadership, Modern Learning, Big Data, Learning Analytics und Adaptive Learning sowie Performance Support.
Weitere Informationen zur LEARNTEC unter www.learntec.de.