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Richtig messen heißt nicht, die Wahrheit zu kennen

Online-Marketing hatte schon immer den Nimbus als einzige Marketingdisziplin nahezu völlige Transparenz zu besitzen.
Marcus Koch | 27.10.2011
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing Band 2:
http://TopOnlineExperten.de



Nahezu jedes Unternehmen nutzt heute Webanalyse-Tools, um die Wirksamkeit der Online-Marketing-Budgets zu prüfen und zu optimieren. Online-Marketing hatte schon immer den Nimbus als einzige Marketingdisziplin nahezu völlige Transparenz zu besitzen. Ein Idealfall für alle Marketingverantwortlichen und auch einer der treibenden Faktoren für das steile Wachstum dieser noch jungen – gerade mal erst circa 15 Jahre alten – Marketingdisziplin. Vor allem das Suchmaschinen-Marketing hat hiervon extrem profitiert. Kann man doch exakt messen, wie viele Besucher aus Google oder Bing auf die eigene Webseite weitergeleitet wurden und über welches Keyword dann die gewünschte Aktion (Leads, Transaktionen, et cetera) erfolgte.


Last Click – Das falsche Zuordnungsmodell

Allerdings ist die Art und Weise, wie heute gemessen wird und die Rückschlüsse, die man für die Kampagnenoptimierung zieht, nur bedingt richtig. Nahezu alle heute gängigen Web-Analytic-Tools ordnen den Erfolg einer Kampangnenleistun dem „last click“ zu. Das bedeutet, dass die Konversion dem zuletzt ausgelieferten Werbemittel zugewiesen wird. Genau dieses Zuordnungsmodell aber bildet nicht die Realität und Komplexität eines Kaufentscheidungsprozesses ab. Eine Beurteilung der Wirksamkeit von Online-Marketing-Kampagnen auf diesem Zuordnungsmodell weist grundlegende systemische Fehler auf.


Entscheidungsprozess einer Internet-Reisebuchung

Die klassische Buchung einer Reise im Internet umfasst im Durchschnitt zwölf verschiedene Suchanfragen und es werden 21 verschiedene Reiseseiten besucht. Von der ersten Suchanfrage bis zur Buchung vergehen im Schnitt 29 Tage. Aus Sicht des Suchmaschinen-Marketings kann man einen solchen Kaufentscheidungsprozess in drei Phasen einteilen.

Die typische Suche beginnt oft mit allgemeinen Begriffen wie zum Beispiel „Sommerurlaub“, „Strandurlaub mit Familie“ oder ähnlichen Abfragen. Nach dieser – man nennt es informationalen Suche – hat sich der User einen ersten Überblick geschaffen und sucht konkret nach einem Urlaubsziel und Urlaubshotel. In der nun folgenden Phase, der transaktionalen Suche sucht der User zum Beispiel nach „5 Sterne Hotel Mallorca“. Hierbei stößt er auf die Hotels von Sheraton Arabella Castillo Son Vida und das Marriott Son Antem und zieht diese in die engere Wahl. Mehrere Tage später, nach Rücksprache mit der Familie und Überprüfung der Flugzeiten und -verfügbarkeiten erfolgt eine erneute Suchanfrage. Dieses Mal mit dem Suchbegriff „Sheraton Mallorca“.

In der Ergebnisliste wird entweder der Treffer im Index oder die entsprechende AdWords-Anzeige von Sheraton angeklickt und der Urlaub gebucht. Diese letzte Phase nennen wir die navigationale Suche. Der Kaufentscheidungsprozess ist schon längst beendet, es geht nur noch darum, die Webseite erneut aufzusuchen und die Transaktion abzuschließen. Die gängigen Zuordnungsmodelle jedoch berücksichtigen den „Last Click“ oder „Last Ad“ und weisen eben jener Suchanfrage mit dem Brand-Keyword die Konversion zu. Jetzt haben wir zwar richtig gemessen – aber das Resultat, dass die Brand-Keywords am besten konvertieren und die anderen elf Keywords im durchschnittlichen Kaufentscheidungsprozess keinen Anteil an der Konversion haben, ist schlichtweg falsch.


Ein besserer Ansatz: Path-to-Conversion

Es ist sinnvoll über ein konsolidiertes Tracking aller Online-Marketing-Maßnahmen den Path-to-Conversion zu erfassen. Nur so kann man verstehen, welchen Einfluss den verschiedenen Phasen im Suchmaschinen-Marketing und auch welcher Einfluss andere Online-Werbemaßnahmen wie Display-Werbung und Affiliate-Marketing auf die Konversionen haben, Mit solch einem konsolidiertem Tracking wird gemessen und dokumentiert, welche Werbemittel am Kaufentscheidungsprozess beteiligt waren. So kann eine Analyse zum Beispiel ergeben: Ein signifikanter Anteil der Konversionen kommt erstmals über den Kontakt mit einem Banner zustande. Danach folgend entsteht ein Werbekontakt über verschiedene Suchanfragen und letztendlich mit dem Brand-Keyword. Dieses Brand-Keyword bildet das „Last Ad“ im gesamten Path-to-Conversion


Die Optimierung nur auf CPO ist nicht immer optimal

Wir kennen dies aus der täglichen Praxis. „Last Ad“-Effekte messen wir immer dann, wenn wir ohne Berücksichtigung des Path-to-Conversion eine Kampagne massiv nur auf die Keywords mit dem geringsten CPO (Cost-per-Order) optimieren. Man erhält dann zwar tatsächlich den besten ROAS (Return-on-Advertising-Spendings), aber die Menge der Konversionen sinkt nachweislich. Das Wissen um diese Zusammenhänge ermöglicht es uns, bessere und profitablere Kampagnen zu lancieren. Allerdings ist uns bewusst, dass wir nach circa 15 Jahren Online-Marketing noch am Anfang einer neuen Marketingära stehen. Wir lieben es, uns den Herausforderungen zu stellen und immer detaillierter verstehen zu lernen, wie sich die Kanäle unterschiedlich beeinflussen. Dies bezieht sich selbstverständlich auch auf die Wechselwirkungen zwischen Online und Offline. Offlinewerbung induziert Onlinesuchanfragen und der ROPO-Effekt (Research-Online-Purchase-Offline) dürfte inzwischen jedem bekannt sein.


Offline-Werbedruck treiben treibt Online-Suchanfragen

Dass Offline-Werbedruck Online-Suchanfragen treiben, zeigt Google auf beeindruckende Weise – vor allem bei der Wechselwirkung von TV und Online.

Inzwischen weiß es jeder: Alle Arten von Produkten, Dienstleistungen und Services werden sowohl im Business-to-Consumer (B2C)- als auch im Business-to-Business (B2B)-Umfeld bei Google gesucht. Die Suche ist dabei immer Bestandteil der Kaufentscheidung – egal ob es um den Hersteller, das Produkt, oder den Lieferanten geht – und oft sogar der erste Schritt eines Onlinekaufs. Zahlreiche Studien (zum Beispiel unter www.full-value-of-search.de) beweisen Auswirkungen und Zusammenhänge von Suchprozessen und daraus abgeleiteten Käufen, online wie offline. Wie Offlinemedien Suchanfragen bei Google produzieren, habe ich selber eindrucksvoll erlebt. Das Besondere daran sind die handfesten Beweise, welche die Google-Tools dazu liefern.

Die Kandidatin Stefanie Pawlowski stand bei der Sendung „Wer wird Millionär“ vor der 64.000-Euro-Frage: „Welche Tiere gelten als monophag?” A: Schwein und Ziege, B: Hund und Katze, C: Krokodil und Schlange oder D: Panda und Koala.

In diesem Augenblick war klar: Viele Menschen werden (wie ich übrigens auch) in der Werbepause zum Notebook greifen und die Lösung „googeln“. Die Frage ist nur, wie viele? Ist der Effekt mit den Tools von Google [1] messbar?

Das Ergebnis war einerseits zu erwarten, anderseits aber auch überraschend. Den Erwartungen entsprach, dass das Suchwort „monophag“ normalerweise bei Google nie angefragt wird und dass man an jenem Freitagabend einen Effekt messen konnte.

Erstaunlich aber war die Häufigkeit dieser Abfrage an jenem Freitag. Diese war so hoch, dass für einen Vergleich mit Insights for Search der Suchbegriff „Wikipedia“ hinzugezogen werden musste. Das Suchwort „Wikipedia“ ist bei Google Zeitgeist einer der Top 10-Begriffe der am häufigsten abgefragten Suchworte im Jahr 2009 [2].

Google stellt mit dem Google AdWords-Keyword-Tool ein weiteres nützliches Tool zur Verfügung, das zeigt, wie oft ein Suchwort bei Google in absoluten Zahlen gesucht wurde. Die Analyse für das Keyword „Wikipedia“ ergibt über vier Millionen Suchanfragen. Wie jedoch Abb. 3 zeigt, war der Dezember deutlich schwächer als der Vormonat November.

Aus diesen absoluten Zahlen des Google AdWords-Tool und den indexierten Zahlen von Google Insights for Search lässt sich Folgendes abschätzen: Parallel zur Show haben mindestens 120.000 Zuschauer an jenem Abend online nach der richtigen Antwort bei Google gesucht.

Durch einen Abgleich mit den MediaControl-Zahlen von RTL ergibt sich damit, dass circa knapp sechs Prozent der Zuschauer unter 49 Jahre diese Frage während der Werbepause mit Hilfe von Google gelöst haben.

Quod erat demonstrandum! Offlinemedien initiieren in hohem Maße Suchanfragen bei Google. Für die User ist Google zum selbstverständlichen Medium für jede Art von Frage avanciert. Hochaffine Interesssenten in dieser Phase abzuholen, ist einer der entscheidenden Schritte zum Verkauf eines Produkts. Diese Erkenntnis sollte die letzten Zweifler überzeugen, deutlich mehr Marketing- und Vertriebsbudget in Suchmaschinen-Marketing zu investieren. Werbung in TV und anderen Offlinemedien ist besonders wirksam, wenn sie durch exzellentes Suchmaschine-Marketing untermauert wird.


Fazit

Das heute noch genutzte Konzept der Messung auf „Last Ad“ ist methodisch gesehen falsch und bedarf der dringenden Überarbeitung. Die betrifft jedoch nicht nur den Path-to-Conversion bezogen auf die Online-Werbekanäle. Genau genommen betrifft dies auch den Path-to-Conversion unter Einbeziehung der Offline-Channels wie TV, Radio und letztendlich sicherlich auch Print. Jedoch bedarf es nicht nur der Technologien, um die Daten zu erheben – hierzu gibt es schon erste Ansätze verschiedener Anbieter – sondern vor allem dem Verständnis diese Daten dann auch entsprechend zu bewerten. Im nächsten Schritt müssen dann die korrekten Handlungsanweisungen daraus abgeleitet werden. Es gilt zu verstehen, welche Werbeträger und Werbemittel die Kaufentscheidung beeinflussen und welche dann mehrheitlich den eigentlichen Kaufimpuls initiieren.


Literatur

[1] Google Insights for Search: www.google.ch/insights/search oder Google Trends: trends.google.com
[2] Google Zeitgeist – www.google.com/intl/en/press/zeitgeist2009/regional.html#germany.
[3] www.google.ch/insights/search
Google [http://www.full-value-of-search.de/pdf/ROPO_Touristik.pdf].
Forrester Research, Jon Lovett; A Framework For Multicampaign Attribution Measurement.
Web Analytics Demystified, Eric T. Peterson, www.webanalyticsdemystified.com