Kundenrückgewinnung in sieben Schritten (Teil 3)
Verlorene Kunden sind oft vergessene Kunden. Höchstens punktuell kümmert man sich mal um sie. Dabei verlieren manche Unternehmen heute schon 20 bis 30 Prozent ihrer Kunden jährlich. Doch für die meisten Firmen ist das systematische Zurückgewinnen ihrer verlorenen Kunden, im englischen als Customer Recovery bezeichnet, noch unentdecktes Neuland. Schade eigentlich, denn ein gut gemachtes Kundenrückgewinnungsmanagement ist eine ergiebige Quelle zusätzlicher Erträge.
Unternehmen werden in Zukunft noch verstärkt Kunden verlieren. Denn dauerhafte Bindungen sind in unserer Gesellschaft ein Auslaufmodell. Längst ist der ständige Wechsel Normalität. Wer allerdings immer nur auf Neukunden schielt und seine Verkäufer für Eroberungen bezahlt, geht diese Entwicklung auf strategisch falsche Weise an. Bei solchen Beutezügen handelt es sich ja meist um die Kundschaft der Konkurrenz – und der Kampf um sie verursacht auch eigene Wunden: Schmerzhafte Preiszugeständnisse und Konditionen-Geschacher treiben ganze Branchen an den Rand des Ruins.
Jäger oder Sammler?
Sich gezielt um die Abtrünnigen zu kümmern, wäre ein gangbarer Weg aus diesem Dilemma. Doch das Kundenjagen steht höher im Kurs. Warum das so ist? Mit neuen Kunden kann man sich prächtig schmücken. Mit dickem Neugeschäft lässt sich in der Presse prima prahlen. Über errungene Marktanteile kann man stolz im Jahresbericht schwadronieren. Ach übrigens: Unternehmen anstatt Kunden zu jagen ist nur eine neue Variante des gleichen Spiels. Fusionen sind oft nichts anderes als Plünderungen auf dem Schlachtfeld der Wirtschaft. Testosteron-gesteuerte Alphatierchen tragen eben am liebsten Sieger-Trophäen nach Hause.
Über verlorene Kunden schweigt man sich dagegen besser aus. Verlorene Kunden sind die ungeliebten Kinder des Verkaufs. Denn sie haben unangenehme Wahrheiten parat. Sie führen uns Niederlagen und persönliches Versagen vor Augen. Sie können der Karriereplanung im Weg stehen. Oder einen Schatten auf die eigene Herrlichkeit werfen. Vor allem aber: Den Abtrünnigen nachzulaufen hat einen entwürdigenden Beigeschmack. Für Siegertypen ist das nichts.
Eines ist sicher: Das Kommen und Gehen der Kunden wie im Taubenschlag verursacht gewaltige Schäden! Verkäufer interessiert das allerdings herzlich wenig, wenn gerade mal wieder Neugeschäft bonifiziert wird! Wie wäre es, stattdessen das Vermeiden von Kundenverlusten und die systematische Rückgewinnung profitabler Kunden zu incentivieren?
Reisende soll man nicht aufhalten?
Der gleiche Verkäufer, der sich für einen mittelmäßig erfolgversprechenden Neukunden mächtig ins Zeug legt, lässt einen ehemals hochprofitablen Kunden ziehen, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen. ‚So ist das nun mal im Business. Wo gehobelt wird, fallen auch Späne. Und Reisende soll man nicht aufhalten’ heißt es nur lapidar.
Oder es werden alle möglichen scheinbar plausibel klingenden Gründe angeführt, weshalb sich das Nachlaufen nicht lohnt: Besagter Kunde war ja sowieso nicht lukrativ, er war ein Ekelpaket, er hat den Innendienst tyrannisiert, kaufte nur die Verlustbringer, verlangte immer das Unmögliche, reklamierte ständig. Wie gut, dass er weg ist. – Aha!
Schlimmer noch: Der Abtrünnige wird, dank unkluger Incentive-Programme erst dann wieder kontaktiert, wenn er als Neukunde gilt. Eines ist sicher: Das Kommen und Gehen der Kunden wie in einem Taubenschlag verursacht gewaltige Schäden! Verkäufer interessiert das allerdings herzlich wenig, wenn gerade mal wieder Neugeschäft bonifiziert wird! Wie wäre es, stattdessen das Vermeiden von Kundenverlusten und die systematische Rückgewinnung profitabler Kunden zu incentivieren?
Die meisten abgewanderten Kunden sind es wert, reaktiviert zu werden. Allerdings: Dies ist kein Glücksspiel, sondern erfordert ein strukturiertes Vorgehen. Die mit der Rückgewinnung betrauten Mitarbeiter benötigen eine Vielzahl von Vorgehensweisen, Techniken und Tools, um sich ganz individuell auf ihre Comeback-Kunden einstellen zu können. Vor allem aber müssen sie Menschenversteher sein. Denn das erfolgreiche Wiedergewinnen verlorener Kunden ist eine delikate Angelegenheit. Es erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl sondern auch eine dicke Portion Mut.
Die Bedeutung des Kundenrückgewinnungsmanagements
Die Richtigen - also profitable und rückholbare Kunden - zu reaktivieren, hat eine ganze Reihe von Vorteilen:
Ertragsvorteile
Das Abwandern von Kunden ist ein zweifacher ökonomischer Verlust, denn es gehen nicht nur Umsätze verloren. Wegbrechende Kunden erhöhen auch die Kosten für die Neuakquise. So hat Christa Sauerbrey im Rahmen einer Untersuchung in 17 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen festgestellt, das bei über 90 Prozent der Fälle die Kosten der Kundenneugewinnung mehr als doppelt so hoch waren als die für die Kundenrückgewinnung.
Weil die Kundenreaktivierung also vergleichsweise günstiger ist, werden Vertriebsaufwendungen und Werbebudget eines Unternehmens geschont. Daneben steigt vielfach im zweiten Anlauf auch der Umsatz, und der zurück gewonnene Kunde bleibt dem Unternehmen dieses Mal länger treu. So verbessert sich insgesamt die Ertragsstruktur des Kundenstammes und damit letztlich auch der Unternehmenswert.
Loyalitätsvorteile
Die ‚Restloyalität’ aus der ersten Geschäftsbeziehung kann genutzt werden, um eine Reloyalisierung einzuleiten, also eine ‚zweite Loyalität’ aufzubauen. Werden zurück gewonnene Kunden besonders fürsorglich behandelt, lässt sich in ihrem ‚zweiten Leben’ beim Unternehmen oftmals ein höherer Kundenwert erzielen als beim ersten Mal. Denn die emotionale Verbundenheit und damit auch die Kaufbereitschaft eines Kunden steigen vielfach, wenn sich das Unternehmen kooperativ mit seinem Fall beschäftigt, wenn es sich für Unachtsamkeiten entschuldigt und etwaige Mängel umgehend beseitigt.
Imagevorteile
Wer sich um seine abgewanderten Kunden kümmert, wird negative Mund-zu-Mund-Werbung eindämmen. Denn wer einem Unternehmen den Rücken kehrt, redet über die ausschlaggebenden Gründe meist erbost mit vielen Menschen – und bringt diese bisweilen dazu, das Unternehmen ebenfalls zu verlassen. Andererseits beginnt der, der zurückkehrt, mit positiver Mundpropaganda. Denn er muss sich selbst und der Welt ja glaubhaft erklären, weshalb er seine Meinung so offensichtlich geändert hat.
Konkurrenzvorteile
Wer ein aktives Rückgewinnungsmanagement betreibt, erfährt eine Menge Interna über den Wettbewerb. Kunden, auch wenn sie nicht zurückzuholen sind, können erzählen, aus welchen Gründen es ihnen dort besser gefällt. Und zurückgekehrte Kunden schildern, wenn sie klug befragt werden, in allen Einzelheiten, wie es beim lieben Mitbewerber zuging. All dies lässt sich nicht nur in der Neukunden-Akquise, sondern möglicherweise auch bei der Aktualisierung der eigenen Geschäftspolitik sowie bei zukünftigen Rückgewinnungsaktionen prima nutzen
Wissensvorteile
Misserfolge sind gute Lehrmeister. Und Rückkehrer sind kostenlose Unternehmensberater. Sie sind meist gesprächsbereit und werden ihre Wechselmotive mehr oder weniger offen darlegen. Im Unterschied zu klassischen Kundenzufriedenheitsbefragungen gehen gut gemachte Rückgewinnungsinterviews dabei meist stärker in die Tiefe, um den ‚wahren’ Gründen für die Beendigung einer Geschäftsbeziehung auf die Spur zu kommen.
Hierdurch kann man eine Menge lernen – wenn man diese mitunter nicht ganz schmerzfreien Lektionen lernen will. Dem Unternehmen bietet sich hierdurch die Chance, Fehlerkosten zu senken und seine Leistungen nicht nur für diesen, sondern auch für alle anderen Kunden zu optimieren. Reklamationen und Abwanderungen können so in Zukunft reduziert werden.
Hoffentlich jedenfalls. Denn noch allzu oft versickern die wertvollen Informationen, die der Vertrieb bei Gesprächen mit Abtrünnigen zusammengetragen hat, in langen Berichten, in dicken Akten und vollen Datenbanken. Leider gelangen sie nicht immer dorthin, wo sie Gutes bewirken könnten: im Kundendienst, in der Produktion, im Marketing, im Einkauf sowie in Forschung und Entwicklung.
Genau darin liegt die einzige Gefahr, die im Rückgewinnungsmanagement lauert: Durch unprofessionelles Vorgehen die Kunden nun endgültig und auf immer und ewig zu vergraulen.
Bibliografie
Anne M. Schüller:
Come back! Wie Sie verlorene Kunden zurückgewinnen
Orell Füssli Verlag, Zürich 2007
223 Seiten, gebunden, CHF 44. / € 26.50
ISBN 978-3-280-05242-6
Hier bestellen: http://www.anneschueller.de/rw_e13v/main.asp?WebID=schueller3&PageID=122
Die Autorin
Anne M. Schüller ist Management-Consultant und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Über 20 Jahre hat sie in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen verschiedener Dienstleistungsbranchen gearbeitet und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Die Diplom-Betriebswirtin und siebenfache Buchautorin lehrt an mehreren Hochschulen. Sie gehört zu den besten Wirtschafts-Speakern im deutschsprachigen Raum. Kontakt: www.anneschueller.de