Globalisierung des IT-Services-Geschäftes: Wachsen mit den Kunden
Dies belegten die regen Diskussionen beim Workshop “Globalisierung von IT-Dienstleistungen - mehr als eine Einbahnstraße”, der am 10.11.06 in Mannheim stattfand. Die Veranstaltung wurde vom BMBF-geförderten Forschungsprojekt INTERDIG organisiert mit dem Ziel, eine nüchterne Bestandsaufnahme vorzunehmen und Diskussionen anzuregen, die über die aktuelle Offshoring-Debatte hinausgehen.
Entsprechend befasste sich ein Teil der Diskussionsbeiträge mit Mythen, die im Zusammenhang mit der Globalisierung am IT-Services-Markt im Umlauf sind. Das Bild von der national agierenden deutschen IT-Services-Werkstatt, die bald von den aufstrebenden Anbietern aus Offshore-Nationen überrannt wird, ist ein in diesem Zusammenhang häufig gezeichnetes Gefahrenszenario. Dass dem nicht so ist, zeigten die vorgestellten Ergebnisse aus empirischen Studien des ZEW in Mannheim und des RWI in Essen. (Berlecon Research berichtete bereits in einer der letzten Spotlight-Analysen darüber.)
Demnach betreiben bereits heute viele deutsche IT-Dienstleister Im- und Exportgeschäfte. Was den Grad der Internationalisierung betrifft, rangiert Deutschland im internationalen Vergleich im vorderen Drittel und gehört nicht – wie viele Marktbeobachter meinen – zu den Schlusslichtern. Wichtigste Handelsregionen für die deutschen Anbieter sind nach wie vor die EU und die USA, wenngleich die Exportnationen aus Asien derzeit deutlich aufholen.
Der Workshop beleuchtete weiterhin die Frage, wer oder was die Internationalisierung von IT-Dienstleistern in Deutschland treibt. Werden globale Liefer- und Absatzmodelle – wie die Präsentationsfolien der Anbieter häufig suggerieren – lehrbuchmäßig in Strategiemeetings entwickelt mit dem Ziel, neue Absatz und Beschaffungsmärkte aktiv zu erschließen? Eher nicht. Es sind vielmehr die Forderungen der Kunden, die hierzulande den Ausschlag für erste Schritte der IT-Dienstleister auf dem internationalen Parkett geben. Der Ausbau von Export- und Importaktivitäten als Ergebnis strategischer Überlegungen folgt dagegen häufig erst an zweiter Stelle.
So ist es ein besonderes Merkmal der Exportnation Deutschland, dass selbst unter den mittelständischen IT-Dienstleistungskunden ein Großteil international agiert. Dass diese Unternehmen ihre Kernsysteme auch im Ausland nutzen wollen und dafür die Unterstützung durch die IT-Dienstleister anmahnen, ist verständlich – oder wie ein Teilnehmer es ausdrückte, schlicht eine Notwendigkeit, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Genauso verständlich ist der Wunsch der Kunden, an den oft propagierten Kosteneinsparungen durch Offshoring zu partizipieren. Warum also nicht die Nutzung von Offshore-Ressourcen beim IT-Dienstleister einfordern oder indirekt nach Leistungen zu offshore-typischen Preisen verlangen?
Summa summarum: Wollen national agierende IT-Dienstleister ihre Kunden nicht an global aufgestellte Wettbewerber verlieren, können sie sich der Internationalisierung kaum entziehen. Umgekehrt ist der Exportdrang der deutschen IT-Dienstleistungskunden aber auch ein Standortvorteil. So können deutsche IT-Dienstleister bei der Erschließung von Absatzmärkten oft auf einen bereits bestehenden Stamm von Kunden und deren Erfahrungen bei der Markterschließung aufbauen. Dieser Vorteil sollte – in Anbetracht der Probleme indischer Anbieter, sich in Zentraleuropa zu etablieren – nicht unterschätzt werden.
Apropos Standortvorteil: Bislang wenig beachtet ist die geografische und kulturelle Nähe Deutschlands zu Nearshore-Regionen wie Polen, Russland oder Rumänien. Dies bietet den deutschen Akteuren die Chance, sich als zentrale Schaltstelle für Nearshore-Aktivitäten westeuropäischer Kunden zu entwickeln. So ganz aus der Luft gegriffen ist dieses Argument nicht. So dürfte ein Teil der Exporterfolge von britischen und amerikanischen Anbietern auf die Integration von Offshore-Leistungen aus Indien zurückzuführen sein. Die traditionelle Nähe dieser Nationen zu Indien bildet dafür eine wichtige Grundlage.
Bei allem Optimismus, der Aufbau globaler Liefer- und Absatzmodelle kostet Zeit und Geld. Noch wichtiger: Er verlangt nach Mitarbeitern, die sowohl sprachliches als auch kulturelles Verständnis mitbringen und damit in der Lage sind, länderübergreifend Projekte zu koordinieren. Folgerichtig stellte sich in der Anbieterbefragung des ZEW der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern neben den hohen Kosten als die größte Hürde für Internationalisierung heraus. Insbesondere kleineren Anbietern dürften diese Herausforderungen Kopfzerbrechen bereiten.
Wie dieser Wandel – gerade auch von mittelständischen Anbietern – bewerkstelligt wird, und welche Erfahrungen bei der Realisierung globaler Absatz- und Liefermodelle bestehen, ist der Forschungsfokus von INTERDIG für die nächsten Monate. Schließlich will das Projekt konkrete Handlungsempfehlungen für die deutschen IT-Services-Anbieter liefern. Berlecon Research führt deshalb zurzeit zahlreiche Expertengespräche durch, um hinter die Fassaden der Globalisierung zu schauen und Erfolgsfaktoren herauszufiltern. Wir laden Akteure im IT-Services-Markt herzlich ein, Ihre Internationalisierungsstrategie und ihre Erfahrungen bei deren Realisierung mit uns zu diskutieren. Ich freue mich auf spannende Gespräche mit Ihnen!
Dr. Andreas Stiehler (as@berlecon.de)