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Gesund führen in Zeiten der Krise und anderer Veränderungen (Leseprobe)

Was Führungskräfte im Vertrieb über Veränderungen wissen sollten - um selber gesund zu bleiben und andere gesund zu führen.
Anne Katrin Matyssek | 04.11.2009
Der Absatz geht zurück, die Zahlen stimmen eigentlich schon lange nicht mehr, Gerüchte machen die Runde? Von besonderer Bedeutung ist jetzt (nicht nur, aber auch im Vertrieb) die Fähigkeit zur Selbstberuhigung und Distanzierung - gerade in Zeiten von Umstrukturierungen und Personalabbau, denn dann sind die Belastungen und die Verunsicherung besonders hoch. Mitarbeiter wie Führungskräfte fühlen sich zum Kostenfaktor abgewertet und überflüssig, Ängste lähmen und verhindern Produktivität. Veränderung bedeutet Stress. Sie kann krank machen; das gilt für Mitarbeiter/innen und Führungskräfte.


Gesetzmäßigkeiten bei Veränderungen

Dabei sind uns Veränderungen seit frühster Kindheit vertraut. Was dabei abläuft, ist im Grunde immer dasselbe. Vielleicht kennen Sie schon dieses sogenannte „Tal der Tränen“, das man bei Veränderungen durchschreiten muss. Wenn ein unbekanntes Ereignis eintritt, fragen wir uns: Ist das für uns bedrohlich? Falls ja, fragen wir uns: Ist das für uns bewältigbar? Die Antwort auf diese Frage ist abhängig von so unterschiedlichen Aspekten wie Gesundheit, Vorer-fahrung, Selbstwertgefühl, Geld oder sozialer Unterstützung.

Wenn wir glauben, dass wir die Situation nicht bewältigen können, stellt uns die Natur drei Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Flucht, Totstellen, Angriff. Diese Optionen haben Sie und Ihre Kollegen natürlich nicht, aber Sie werden ganz sicher mit den drei emotionalen Entsprechungen dieser Handlungsmöglichkeiten zu tun haben: Angst, Leugnen, Wut. Das sind ganz normale Reaktionen! Die Frage ist, wie man damit umgeht. Zum Beispiel ist Angstabbau unrealistisch. Gefragt ist ein möglichst gesunder Umgang mit der Angst. Die Emotio-nen sind nicht das Privatproblem der Kolleginnen und Kollegen, sondern sie wirken sich auf die Produktivität aus, sind also betrieblich relevant.

Man kann grob drei Phasen unterscheiden, die auf einander folgen: Schock (hierzu gehören eben Angst, Leugnen und Wut), Abschied, Neuorganisation. Wichtig zu wissen: Man kann keine Phase überspringen; die Unterphasen variieren, die drei Hauptphasen aber nicht. Das Team und der einzelne können sich zum selben Zeitpunkt in unterschiedlichen Phasen befinden. Je nach dem, in welcher Phase das Team oder der einzelne ist, sollten Sie als Bezugsperson unterschiedliches Verhalten zeigen: In Phase 1 geht es ums Zuhören, in Phase 2 einfach ums Da-Sein (Sie brauchen gar nicht reden), in Phase 3 um Ermutigung.


WICHTIG:
Veränderung geht grundsätzlich mit einem Leistungseinbruch einher.
Diese „veränderungsbedingte Verblödung“ ist zum Glück reversibel.


Typisch, aber relativ unbekannt ist das Phänomen der sogenannten „veränderungsbedingten Verblödung“. Diese tritt quasi gesetzmäßig auf und kann dazu führen, dass erwachsene gestandene Kerle angesichts eines Versetzungsbescheides hilflos jammern: „Aber ich weiß ja gar nicht, wo da die Kantine ist.“ Hat es tatsächlich gegeben. Natürlich war dieser Mann in der Lage, sich in einem Bürogebäude nach dem Weg zu erkundigen. Aber der Schock über die Veränderung ließ ihn vorübergehend verblöden.


Menschen ändern sich nicht einfach so

Das Phänomen der Silvestervorsätze zeigt: Menschen ändern sich nicht einfach so, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Sie sind zum Beispiel ände-rungsbereit, wenn das neue Verhalten Spaß macht; ihnen das alte Verhalten unwichtig ist; sie zum neuen Verhalten ermutigt werden; sie bei der Entschei-dung dafür einbezogen wurden; ihr bisheriges Verhalten gewürdigt wird; andere sich ebenso verhalten; oder sie das Gefühl haben: "Das neue Verhalten passt zu mir", sie vorab darin gestärkt werden, dass sie schon gut sind, so wie sie jetzt sind, sie aber daran glauben, dass sie noch besser werden können.

Daraus lassen sich einzelne Tipps ableiten, die Ihnen Veränderungen erleichtern: sich mit Menschen umgeben, die einem Mut machen; sich selbst Belohnungen ausdenken (und dann auch einlösen!); für Regelmäßigkeit sorgen (die gibt Halt und Struktur für den Alltag); für genug Austausch mit anderen sorgen (sich nicht zurückziehen, obwohl einem danach zumute ist!); sich anfangs nur kleine Schritte vornehmen, diese aber wirklich umsetzen.


Sich in schwierigen Zeiten als Mensch zeigen

Mitarbeiter so schadlos wie möglich durch Umstrukturierungszeiten zu beglei-ten, verlangt Führungskräften viel ab. Obwohl Kollegen gegangen sind, zu denen ja zum Teil langjährige Bindungen bestanden und das Ende des Umstruktu-rierungsprozesses noch offen ist, soll die Führungskraft – trotz der eigenen Be-troffenheit – das verbleibende Team motivieren. Auch hier gibt es leider nicht die Tipps schlechthin, aber ein paar grundsätzliche Ratschläge, die jede/r für sich auf die Anwendbarkeit prüfen kann:

Zeigen Sie sich als Mensch! Drücken Sie ruhig auch Ihre Betroffenheit aus. Bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie den Trauerprozess (und auch manche überschießende Reaktion) verstehen und mitfühlen. Rechnen Sie mit negativen Reaktionen: Es ist besser, diese werden einmal artikuliert, als dass von nun an ängstlich "Dienst nach Vorschrift" erfolgt! Angst blockiert und reduziert Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Scheuen Sie sich auch nicht, nach dem Be-finden "in diesen schwierigen Zeiten" zu fragen. Nehmen Sie die negativen Re-aktionen aber bitte nicht persönlich.

Bei Veränderungen lautet die Grundfrage: Was bringt das mir als Mit-arbeiterin persönlich? Wenn ich das weiß, werde ich auch mit einer offenen Einstellung an die Veränderung herangehen. Andernfalls nicht. Deshalb ist Information das A und O in Zeiten der Umstrukturierung: Verzichten Sie auf Ihren Wissensvorsprung und informieren Sie alle so früh wie möglich. Helfen Sie so mit, Gerüchten vorzubeugen! Beziehen Sie alle mit ein, so weit es geht! Das erleichtert Ihnen den Stand und den Mitarbeitern die Umstellung, weil sie sich nicht übergangen fühlen und sich leichter mit dem Neuen identifizieren.

Thematisieren Sie Schwierigkeiten („Es war vielleicht nicht so klug, dass wir erst so spät erfahren haben, was aus uns wird“), und kommunizieren Sie, was vorgeht! Wut ablassen ist besser als Unter-den-Teppich-kehren! Sie brau-chen nicht alles selbst zu machen; geben Sie die Verantwortung in die Runde: „Das lässt uns ja alle nicht kalt. Welche Ideen haben Sie: Was täte uns jetzt gut, was können wir als Team tun, um uns nicht runterziehen zu lassen, um weiter gute Arbeit leisten zu können?“ Bauen Sie auf dem auf, was gut läuft.

Wie Sie oben gesehen haben, ist es ganz normal, dass Veränderungen (nach einem Seminar genauso wie nach einer Umstrukturierung) kurzfristige Leis-tungseinbrüche mit sich bringen! Das muss man vorher wissen (und z.B. den Mitarbeitern, die gerade eine Fortbildung absolvieren, auch deutlich sagen), damit diese nicht umso stärker verängstigt reagieren.


Andere gesund durch Veränderungen führen

Führungskräfte erleben in Veränderungen ein Spannungsfeld: Sie brauchen zur Umsetzung hoch motivierte Mitarbeiter/innen, sind aber selber mit dem Verar-beiten der Veränderungen beschäftigt (und nicht immer vom Sinn der Veränderungen überzeugt). Sie müssen den Spagat schaffen, für ihre Mitarbeiter Verständnis aufzubringen, ohne der Geschäftsführung gegenüber illoyal zu werden. Vielleicht können Ihnen die folgenden Tipps eine Hilfe sein.

Harte Fakten gehören auf den Tisch! Sofort! Nicht „schonen wollen“! Das verunsichert nur und lässt Sie an Glaubwürdigkeit verlieren! Vermeiden Sie Mails und schriftliche Information. Informieren Sie möglichst immer im persönlichen Kontakt. Nutzen Sie zur Verfügung stehende Informationen; so helfen Sie mit, Gerüchten vorzubeugen. Berichten Sie auch, dass Sie z.B. nicht wissen, wann über Ihren Standort entscheiden wird. Auch das ist eine Information! Ebenso wie: „Die Sitzung, in der über xy beraten werden sollte, ist ausgefallen“.

Ermöglichen Sie ein Jammerforum bzw. eine Klagemauer oder „Wut-Stunde“: Vorher (!) definierte Zeiträume in Teamrunden, in denen jeder unter Schweigepflichtzusicherung sagen darf, wie ihm ums Herz ist! Auch wer nichts äußert, versteht das Signal: „Aha, er/ sie weiß, dass es uns nicht gut geht!“ Wichtig: Verstehen Sie sich als Moderator, nicht als Tröster, Antwortgeber, Beschwichtiger – und machen Sie das auch vorher klar, damit niemand denkt, Sie würden danach hingehen und das Unternehmen auf den Kopf stellen. Schauen Sie, was alle im Team „als Plan B“ erarbeiten können: Was könnte im schlimmsten Fall passieren, und was tun wir dann?


Kompetenzempfinden stärken

Erzählen Sie auch von sich selbst („Arbeit ist wichtig, aber es ist gut zu merken, dass sie nicht das Einzige im Leben ist – das gibt dann auch wieder Kraft für den Umgang mit den Veränderungen!“)! Verabschieden Sie sich von dem Anspruch, Ihre Mitarbeiter/innen zu 100% ent-ängstigen zu wollen! Das kann nicht funktionieren! Statt das Bedrohlichkeitserleben zu reduzieren (psycholo-gisch betrachtet geht so was nicht von außen) sollten Sie das Kompetenzerleben stärken.

Nehmen Sie daher das Spenden von Anerkennung jetzt noch ernster als sonst! Auch 1 cm nach vorn sollte in Veränderungszeiten ein Lob wert sein! Feedback gibt Sicherheit und sorgt für Zutrauen. Sorgen Sie für Rituale in der Teamrunde (starten Sie zum Beispiel mit der Frage nach positiven Erlebnissen seit dem letzten Meeting). Auch das gibt Sicherheit: Etwas bleibt, wie es immer war. Betonen Sie gerade in Zeiten von beruflichen Veränderungen und Ängsten die Bedeutung stabilisie-render Faktoren (z.B. Familie, Wochenend-Aktivitäten, Hobbies etc.). Fragen Sie danach. Auch damit helfen Sie mit, Ihre Kollegen zu stabilisieren in unsiche-ren Zeiten. Das ist kein Ersatz für einen festen Arbeitsplatz, aber es verhindert, dass Menschen über die Veränderung krank werden.

Viele Beschäftigte leiden darunter, dass sie plötzlich nicht mehr als Be-rater tätig sind, sondern Produkte verkaufen sollen. Das passt häufig nicht zu ihrem Selbstbild – von der ursprünglichen Ausbildung ganz zu schweigen. Die brauchen daher ganz besonders viel Ermutigung. Sie müssen ja quasi eine Erweiterung ihres Selbstkonzepts vornehmen („Vom Berater zum Verkäufer“). Das ist für lernentwöhnte Erwachsene eine heftige Herausforderung, die Ihr ganzes Einfühlungsvermögen und Verständnis erfordert.

Und im Falle von Entlassungen? Ermöglichen Sie ein bewusstes „Ab-schiednehmen“, wenn ein entlassener Mitarbeiter es wünscht. Es tut auch den anderen gut, selbst wenn die Stimmung vorübergehend noch weiter in den Keller sinkt. Sprechen Sie ausnahmsweise auch ruhig allgemein: „Bis man (!) sowas so richtig begriffen hat, das dauert ja seine Zeit.“ Das signalisiert dem Betroffenen, dass auch andere mit dieser Situation fertig werden müssen.

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Auszug aus dem Buch "Führung und Gesundheit. Ein praktischer Ratgeber zur Förderung der psychosozialen Gesundheit im Betrieb".
Anne Katrin Matyssek, ISBN 978-3839-10639-6 - 22,90 Euro.
www.do-care.de