Personalisierte und dynamisierte Preisbildung mit KI
Der Prozess der Preisfindung hat sich seit dem Aufkommen des Internets deutlich verändert. Schon immer bestand die Herausforderung darin, Informationen über das Verhalten der Konsumenten korrekt erheben und verarbeiten zu können, um die Preisbereitschaften der Kundschaft „optimal“ aus Unternehmenssicht zu identifizieren. Die Datenmenge, die hierzu durch die fortschreitende Digitalisierung bereitsteht, lässt sich schon seit geraumer für „dynamisierte“ Preisfestsetzungsverfahren nutzen. Dieses „Dynamic Pricing“ finden wir heute nicht nur im E-Commerce, wo entlang der vorliegenden Nutzerdaten individuell Angebote unterbreitet und unterschiedliche Preise aufgerufen werden. Auch im stationären Handel existieren zunehmend „digitale“ Preisauszeichnungen, die je nach Nachfrage oder Lagerbestand automatisch justiert werden können, auch sind durchaus Entwicklungen denkbar, die dabei auch vorliegende Informationen über potenzielle Käufer bei der Kalkulation miteinbeziehen.
Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz gewinnen diese Ansätze weiter an Bedeutung. Verfahren des maschinellen Lernens helfen dabei, eine Vielzahl von „Signalen“ und „Dateninputs“ zu verarbeiten. Autonome intelligente Systeme sind nun zunehmend in der Lage, sich in „Echtzeit“ permanent ändernden Rahmenbedingungen anzupassen und situativ und individuell den „besten“ Preis für ein Produkt oder eine Dienstleistung festzulegen. Das erfasst grundsätzlich alle digital getriebenen Transaktionen – im eCommerce genauso wie bei der Automatisierten Werbemittelausspielung im Rahmen des „Programmatic“ bzw. „Real Time Advertising“.
Aus einer großen Menge an Datenpunkten lassen sich Muster im Nachfrageverhalten und bei den entsprechenden Preisbereitschaften identifizieren. Aus der Kombination von historischen wie auch Echtzeitdaten wird versucht zu errechnen, wie ein Kunde auf eine bestimmte Preisanpassung voraussichtlich reagiert. Ziel ist dabei, die jeweils situative „Preis-Absatz-Funktion“, die beschreibt, welcher Absatz zu einem bestimmten Preis generiert werden kann, zu simulieren und hinsichtlich des Umsatzes oder auch mit Blick auf den jeweiligen Deckungsbeitrag zu optimieren. Kombiniert wird dies oft mit einer allgemeinen Absatzprognose, die sich an die Erwartungen für den Gesamtmarkt anlehnt und die Disposition und Lagerhaltung beeinflusst. Auch diese Informationen fließen möglicherweise bei der Preisbildung mit ein.
Im Prinzip erstellt man hierzu zunächst ein Modell, das mit den bestehenden „fixen“ und historischen Daten – Ausgangspreis, Datum, bisheriger Absatz, etc. – gefüttert und trainiert wird. Auch bereits identifizierte Muster und Zusammenhänge können dabei herangezogen werden. Anschließend beginnt das „adaptive“ Lernen in der Praxisumgebung. Die getätigten Transaktionen und die daraus gewonnen „Preiserkenntnisse“ werden zur Anpassung des Preismodells durch das System herangezogen, dabei kommen „Preisversuche“, zunächst nach dem Prinzip „Trial and Error“, später entsprechend optimiert, zum Einsatz. Dies liefert dann die Grundlage für eine möglichst exakte „Vorhersage“ der idealen Preise in einer bestimmten Transaktionssituation.
Der US-amerikanische Taxi-Dienst Uber bedient sich einer Kombination aus Dynamic Pricing und Personalisierung. Das Unternehmen bietet ein als „Surge Pricing“ bezeichnetes Verfahren an, das je nach Auftragsaufkommen die Preise für eine Transportfahrt automatisch anpasst. In der Vergangenheit wurden dabei neben der Nachfrage in einer Region auch Merkmale wie Treibstoffkosten und Fahrtdauer berücksichtigt. Seit einiger Zeit greift ja man jedoch dabei auch auf „soziologische“ und behavioristische Faktoren zurück, die spezifische Verhaltenszusammenhänge beschreiben, welche über maschinelle Mustererkennung identifiziert wurden. So stellte man etwa fest, dass unabhängig von der Dauer und der Entfernung eine erhöhte Preisbereitschaft existierte, wenn eine Fahrt von einer einkommensstärkeren Gegend in eine andere, ebenso vermögende anstand. Uber wertet dazu eine Menge verschiedenster Daten aus. Dazu zählt unter anderem auch der Batteriestand des Smartphones, mit dem eine Fahrt gebucht werden soll. Diese Informationen stehen zur Verfügung, weil die App sich bei der Installation den Zugriff darauf genehmigen lässt, vorgeblich, um später rechtzeitig in den Energiesparmodus schalten zu können. Hierbei ließ sich ein Muster ermitteln, das Zusammenhänge zwischen einem niedrigen Akkustand und einer erhöhten Preisbereitschaft nahelegt. Was zunächst nicht offensichtlich erschien, erwies sich nach Identifizierung durch einen Cluster-Algorithmus als nachvollziehbar: Offenbar war die Angst der Nutzer so groß, in bestimmten Situationen mangels Kontaktmöglichkeit ohne ein adäquates Transportmittel dazustehen, dass man dann Preise akzeptierte, die ohne diesen Druck niemals zustande gekommen wären.
Inzwischen werden solche Lösungen auch zunehmend standardisiert. Durch maschinelles Lernen gesteuertes Dynamic Pricing lässt sich über Anbieter entsprechender Software inzwischen auch in gewöhnlichen Online-Shops integrieren und an die individuellen Anforderungen der Betreiber anpassen.
Der Einsatz von KI in der Preisbildung ist jedoch nicht allein auf die digitale Online- und Mobile-Welt beschränkt, auch außerhalb des WWW, in vermeintlich klassischen „offline“-Umgebungen finden die Technologien immer häufiger Verwendung. Auch klassische Supermärkte verfügen über „digitale Preisschilder“, die sich „dynamisch“ bespielen lassen. Dabei kann eine Vielzahl von Daten verwendet werden, um situations- oder profilgenaue Kaufbereitschaften abzudecken. Ansätze in China zeigen, wie weit diese Entwicklung reichen könnte. Der Handelsriese „AliBaba“ setzt dazu Kameras mit Gesichtserkennungssoftware in Kombination mit Produkt-Trackings über RFID-Chips ein. Auch andernorts werden per Kamera die Verhaltensweisen der Ladenbesucher analysiert: welche Produkte nehmen diese in die Hand und welche legen sie wieder zurück, welche Körperhaltung nehmen sie dabei ein, etc. Perspektivisch sollen diese Informationen über Gesichtserkennung auch mit der Einkaufhistorie der Kunden verknüpft werden. Der Rückgriff auf künstliche neuronale Netze verspricht dann potenziell eine Echtzeitanpassung der unterschiedlichen Preise, kundenindividuell und auf den jeweiligen Wettbewerb angepasst.
Der Artikel beruht auf dem Buch von Andreas Wagener Künstliche Intelligenz im Marketing – ein Crashkurs, Haufe, Freiburg, 2019