Was geht es mich an?
Was geht es mich an?
Oliver ist empört. Der Betriebskindergarten soll geschlossen werden. Mit seinen Kollegen verabredet er sich nach Feierabend zu einer Lichterkette vor dem Betrieb, um zu demonstrieren. Es sind einige Kollegen gekommen. Auch Mitbewohner aus seinem Haus hat er ansprechen können. Sie kamen ebenfalls. Nun stehen sie vor seinem Betrieb, halten ihre Kerzen hoch und haben alle ein gutes Gefühl.
In manchen Unternehmen arbeiten Menschen, die über eine besondere Betroffenheitskultur verfügen. In der Kantine oder beim Kaffeeautomaten auf der Büroetage wird sich gern echauffiert und empört. Es wird sich aufgeregt über den Umgangston, über die aktuellen Freisetzungsmaßnahmen, über den Umgang mit den Leiharbeitern oder über den politischen Stil im Lande. Die Diskutanten sind sich schnell einig: „Eine Schweinerei. Man müsste etwas dagegen unternehmen.“ Manches Mal wird auch etwas unternommen. Man trifft sich, um zu demonstrieren. Der eine oder andere beteiligt sich an einer großen Lichterkette in seiner Straße, in seiner Stadt. Hand in Hand sind sich alle einig: „Wir unternehmen etwas!“ Das macht gute Gefühle. In Hochstimmung schauen sich die Lichterträger an, muntern sich auf. Alle haben das gute Gefühl, das Richtige getan zu haben. Na ja, das stimmt nur zum kleinen Teil, alle haben zwar etwas unternommen, nur verändert haben sie nichts.
Ich wundere mich manchmal, wie schnell sich Menschen mit einer besonderen Art der Betroffenheit zufrieden geben. Es gibt nämlich zwei verschiedene Betroffenheiten. Zum Einen kann mich eine Sache betroffen machen, zum anderen kann ich betroffen sein. Und das ist ein erheblicher Unterschied. Wenn Menschen betroffen sind, dann sind sie zum Handeln aufgefordert, sie unternehmen etwas, sie engagieren sich persönlich. Sie arbeiten konkret an den Umständen, um diese zu ändern. Das Engagement entsteht durch die Erkenntnis: „Es geht mich etwas an.“ Dadurch sehen sich solche Menschen aufgefordert, etwas zu unternehmen.
Wenn Menschen jedoch etwas nur betroffen macht, dann geht sie die Sache nicht wirklich etwas an, sie können und wollen jedoch ihr Mitleid öffentlich zur Schau stellen. Durch diese Form der Betroffenheit sind sie gleichzeitig zu keinem Handeln verpflichtet. Solche Menschen verfügen nicht selten über eine geradezu ideale ethische Theorie. Sie sind oftmals sogar davon überzeugt, sich auch in der Lebenspraxis daran zu halten. Nur Außenstehende merken leider nichts davon, bis auf die schon erwähnten Lichterketten. Woran das liegt? Nun, die ethische Überzeugung dieser Menschen findet sich in der tatsächlichen Orientierung nicht wieder. Leider ist es nun einmal so, dass viele Menschen über sittliche Normen verfügen, jedoch nicht die Fähigkeit besitzen, Anwendungsfälle zu finden. Und so sind sie moralisch oder sittlich blind.
Menschen von scheinbar untadeligem Charakter und hohen moralischen und sittlichen Idealen entgehen der richtigen Betroffenheit, also betroffen zu sein, oft durch trickreiche Strategien. Das Betroffen-sein wird ersetzt durch sich Betreffen lassen. Das erlaubt ihnen ,ohnmächtiges Mitleid’ zu zeigen. Handeln wird durch Jammern ersetzt, und dadurch sind sie zu keinem Handeln mehr verpflichtet. Eine zweite Strategie, dem Betroffen-sein zu entgehen ist, sich zu verschließen. Die Argumente sind dann: „Wenn ich von allem Elend und aller Not auf dieser Welt betroffen wäre, dann würde ich mich schlussendlich selbst vernichten. Ich kann mich schließlich nicht um alles kümmern.“ Mit dieser Mentalität kümmert man sich am Ende um nichts. Eine dritte, typische Strategie, um dem Betroffen-sein zu entgehen ist die Delegation auf Nebenkriegsschauplätze. Solche Nebenkriegsschauplätze sind die moralischen Empörungen über das Lotterleben der Jugend, über das Oben-Ohne-Baden und Ähnliches. Nicht empört und engagiert wird sich aber gegen das Unrecht, dass alltäglich in der eigenen Umgebung geschieht. Ich bin schon Menschen begegnet, die sich fürchterlich über zu knappe Röcke aufgeregt haben. Über zu knappe Löhne haben sie sich noch nie empört.
Ich denke, wir sollten mehr betroffen-sein. Ein Mensch, der betroffen ist, findet auch Anwendungsfälle für sein ethisches und moralisches Bewusstsein. Ihm reicht das ohnmächtige Mitleid nicht, für ihn greift die Lichterkette zu kurz. Dieser Mensch sieht sich aufgefordert, etwas Konkretes zu unternehmen, und er hört erst auf, wenn sich die Verhältnisse geändert haben, wenn ein neuer, ethisch besserer Zustand erreicht wurde. Es kann sein, dass dieser Mensch dabei auch einmal verliert. Aber er würde gleichwohl nie aufhören, für eine gute Sache zu kämpfen.
Ulf D. Posé
Oliver ist empört. Der Betriebskindergarten soll geschlossen werden. Mit seinen Kollegen verabredet er sich nach Feierabend zu einer Lichterkette vor dem Betrieb, um zu demonstrieren. Es sind einige Kollegen gekommen. Auch Mitbewohner aus seinem Haus hat er ansprechen können. Sie kamen ebenfalls. Nun stehen sie vor seinem Betrieb, halten ihre Kerzen hoch und haben alle ein gutes Gefühl.
In manchen Unternehmen arbeiten Menschen, die über eine besondere Betroffenheitskultur verfügen. In der Kantine oder beim Kaffeeautomaten auf der Büroetage wird sich gern echauffiert und empört. Es wird sich aufgeregt über den Umgangston, über die aktuellen Freisetzungsmaßnahmen, über den Umgang mit den Leiharbeitern oder über den politischen Stil im Lande. Die Diskutanten sind sich schnell einig: „Eine Schweinerei. Man müsste etwas dagegen unternehmen.“ Manches Mal wird auch etwas unternommen. Man trifft sich, um zu demonstrieren. Der eine oder andere beteiligt sich an einer großen Lichterkette in seiner Straße, in seiner Stadt. Hand in Hand sind sich alle einig: „Wir unternehmen etwas!“ Das macht gute Gefühle. In Hochstimmung schauen sich die Lichterträger an, muntern sich auf. Alle haben das gute Gefühl, das Richtige getan zu haben. Na ja, das stimmt nur zum kleinen Teil, alle haben zwar etwas unternommen, nur verändert haben sie nichts.
Ich wundere mich manchmal, wie schnell sich Menschen mit einer besonderen Art der Betroffenheit zufrieden geben. Es gibt nämlich zwei verschiedene Betroffenheiten. Zum Einen kann mich eine Sache betroffen machen, zum anderen kann ich betroffen sein. Und das ist ein erheblicher Unterschied. Wenn Menschen betroffen sind, dann sind sie zum Handeln aufgefordert, sie unternehmen etwas, sie engagieren sich persönlich. Sie arbeiten konkret an den Umständen, um diese zu ändern. Das Engagement entsteht durch die Erkenntnis: „Es geht mich etwas an.“ Dadurch sehen sich solche Menschen aufgefordert, etwas zu unternehmen.
Wenn Menschen jedoch etwas nur betroffen macht, dann geht sie die Sache nicht wirklich etwas an, sie können und wollen jedoch ihr Mitleid öffentlich zur Schau stellen. Durch diese Form der Betroffenheit sind sie gleichzeitig zu keinem Handeln verpflichtet. Solche Menschen verfügen nicht selten über eine geradezu ideale ethische Theorie. Sie sind oftmals sogar davon überzeugt, sich auch in der Lebenspraxis daran zu halten. Nur Außenstehende merken leider nichts davon, bis auf die schon erwähnten Lichterketten. Woran das liegt? Nun, die ethische Überzeugung dieser Menschen findet sich in der tatsächlichen Orientierung nicht wieder. Leider ist es nun einmal so, dass viele Menschen über sittliche Normen verfügen, jedoch nicht die Fähigkeit besitzen, Anwendungsfälle zu finden. Und so sind sie moralisch oder sittlich blind.
Menschen von scheinbar untadeligem Charakter und hohen moralischen und sittlichen Idealen entgehen der richtigen Betroffenheit, also betroffen zu sein, oft durch trickreiche Strategien. Das Betroffen-sein wird ersetzt durch sich Betreffen lassen. Das erlaubt ihnen ,ohnmächtiges Mitleid’ zu zeigen. Handeln wird durch Jammern ersetzt, und dadurch sind sie zu keinem Handeln mehr verpflichtet. Eine zweite Strategie, dem Betroffen-sein zu entgehen ist, sich zu verschließen. Die Argumente sind dann: „Wenn ich von allem Elend und aller Not auf dieser Welt betroffen wäre, dann würde ich mich schlussendlich selbst vernichten. Ich kann mich schließlich nicht um alles kümmern.“ Mit dieser Mentalität kümmert man sich am Ende um nichts. Eine dritte, typische Strategie, um dem Betroffen-sein zu entgehen ist die Delegation auf Nebenkriegsschauplätze. Solche Nebenkriegsschauplätze sind die moralischen Empörungen über das Lotterleben der Jugend, über das Oben-Ohne-Baden und Ähnliches. Nicht empört und engagiert wird sich aber gegen das Unrecht, dass alltäglich in der eigenen Umgebung geschieht. Ich bin schon Menschen begegnet, die sich fürchterlich über zu knappe Röcke aufgeregt haben. Über zu knappe Löhne haben sie sich noch nie empört.
Ich denke, wir sollten mehr betroffen-sein. Ein Mensch, der betroffen ist, findet auch Anwendungsfälle für sein ethisches und moralisches Bewusstsein. Ihm reicht das ohnmächtige Mitleid nicht, für ihn greift die Lichterkette zu kurz. Dieser Mensch sieht sich aufgefordert, etwas Konkretes zu unternehmen, und er hört erst auf, wenn sich die Verhältnisse geändert haben, wenn ein neuer, ethisch besserer Zustand erreicht wurde. Es kann sein, dass dieser Mensch dabei auch einmal verliert. Aber er würde gleichwohl nie aufhören, für eine gute Sache zu kämpfen.
Ulf D. Posé